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Unterschiedliche Mehrwertsteuersätze auf Güter des Regelbedarfs und Grundbedarfsgüter werden in Wissenschaft und Politik heftig diskutiert. Die Zuordnung der einzelnen Güterbereiche wird immer komplexer und damit auch unverständlicher. Exemplarisch für die Problematik ist der Bereich Gastgewerbe und Ernährungswirtschaft. Matthias Balz plädiert für eine Vereinheitlichung bei gleichzeitiger Anhebung des ermäßigten Satzes auf 10%.

Die Bundesregierung hat zum 1. Januar 2010 ausschließlich für Beherbergungsleistungen den anzuwendenden Mehrwertsteuersatz vom bisher geltenden Regelsatz (19%) auf den ermäßigten Steuersatz von 7% gesenkt. Diese isoliert ergriffene Maßnahme schafft in der Praxis Folgeprobleme und zieht zusätzliche (Verwaltungs-)Regelungen bzw. Verordnungen nach sich. Zu dieser Steuersenkung hat sich in der Politik und der Öffentlichkeit bzw. Publizistik eine rege Diskussion entwickelt.1 Gerade der zusätzliche bürokratische Aufwand, der dadurch entsteht, dass das Hotelfrühstück weiterhin mit 19% Mehrwertsteuer belastet wird – die Übernachtung aber nur mit 7%, wird kritisiert. Somit ist eine differenzierte Rechnung zu erstellen und es fällt erheblicher Zusatzaufwand für die Abrechnung von Geschäfts-/Dienstreisen an.2 Hinsichtlich einer Systemumstellung bei der Umsatzbesteuerung und dem gesamten Katalog des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes wurde im Koalitionsvertrag der 17. Legislaturperiode von CDU, CSU und FDP vorerst lediglich eine Kommission eingesetzt.3 Mit dem folgenden Beitrag soll versucht werden, ein über Beherbergungsleistungen hinausgehendes, weiterführendes Konzept zur notwendigen Fortentwicklung des deutschen Mehrwertsteuersystems im gesamten gastgewerblichen und ernährungswirtschaftlichen Bereich aufzuzeigen.

Im ifo-Institut für Wirtschaftsforschung München wurde bereits 2007 im Rahmen eines Forschungsprojekts4 der Vorschlag unterbreitet, klare, einfache Regelungen zu schaffen. Entsprechend wurde vorgeschlagen sich am österreichischen Modell zu orientieren, also im deutschen Gastgewerbe insgesamt (Hotellerie und Gastronomie) einheitlich den reduzierten Mehrwertsteuersatz anzuwenden. Zur Finanzierung einer solch umfassenden Reform sollte die Höhe des reduzierten Satzes auf 10% angehoben werden.

In die politische Diskussion wurde eine Erhöhung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes in Deutschland im Sommer 2009 vom damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Günther Oettinger, während des Bundestagswahlkampfes eingebracht.5 Die vorausgegangenen Erhöhungen des Mehrwertsteuersatzes hatten sich ausschließlich auf eine Anhebung des Regelsatzes (1.1.1993: auf 15%, 1.4.1998: auf 16%, 1.1. 2007: auf 19%) beschränkt, während der ermäßigte Satz auf der Höhe von 7% (seit 1.7.1983) belassen wurde. Auch der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, Clemens Fuest, sah deshalb im Juli 2009 gute Gründe für eine Anhebung des ermäßigten Satzes.6

Auf EU-Ebene wenden fast alle Staaten einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz an (vgl. Tabelle 2). Am 10. März 2009 haben die EU-Finanzminister im Ecofin-Rat diese Möglichkeiten, vorrangig für arbeitsintensive Dienstleistungen, sogar noch erweitert. Dabei wurden ausdrücklich u.a. Restaurantdienstleistungen benannt. Frankreich hatte zum 1. Juli 2009 von dieser Option Gebrauch gemacht.

Tabelle 2
Mehrwertsteuersätze in der EU-27 (in %)
Land Mehrwertsteuer­regelsatz Ermäßigter Mehrwert­steuersatz
  Gaststätten­gewerbea Umsätze in anderen Bereichenb Gaststätten­gewerbea Umsätze in anderen Bereichenb
Dänemark 25      
Schweden 25     12/6c
Ungarn 25     18
Finnland 22     17/8c
Belgien 21     12d/6
Lettland 21     10
Bulgarien 20      
Tschechien 19     10
Slowakei 19     10
Deutschland 19     7
Rumänien 19     9
Estland 18     5
Litauen 18     9/5e
Malta 18     5
Großbritannien 17,5     5
Irland   21 13,5 12/4,8e
Portugal   20 12 5e
Italien   20 10 6d/4e
Österreich   20 10f 12d
Griechenland   21 10 5c
Slowenien   20 8,5f  
Zypern     8 5d/8c
Polen   22 7 3c
Spanien   16 7 4e
Niederlande   19 6  
Frankreich   19,6 5,5 2,1e/3c
Luxemburg   15 3 12d/6
         
Nachrichtlich:        
Schweiz 7,6     3,6/2,4e
Norwegen 25     11/7e

a Auf innerräumliche Umsätze.
b Bis auf Bulgarien, Tschechien, der Slowakei, Rumänien, Litauen, Portugal, Italien, Slowenien, Spanien, Niederlande, Frankreich und Luxemburg gibt es in allen anderen Ländern Umsätze, die überhaupt nicht besteuert werden.
c Spezieller Dienstleistungssatz.
d Zwischensatz.
e Stark ermäßigt.
f 20% auf Getränkeumsatz.

Quelle: EU-Kommission.

Gleicher Satz für Lebensmittel

Für das sogenannte „österreichische Mehrwertsteuermodell“, wonach alle Lebensmittel mit dem gleichen Mehrwertsteuersatz belegt werden, gleichgültig ob sie im Supermarkt gekauft oder – in verarbeiteter Form – in der Gastronomie konsumiert werden, spricht eine Reihe von Gründen. Die beiden wichtigsten sind: Hierdurch würde zum einen der nicht unerhebliche Überwachungsaufwand entfallen, der notwendig ist, um die Trennung von „Indoor“- und „Outdoor“-Konsum zu kontrollieren. Diese Trennung ist gerade bei der Vielzahl der Bäckereien und Fleischergeschäfte mit eigenem Schnellimbissbereich schwierig. Zum anderen würde der durch die unterschiedliche Besteuerung geschaffene Graubereich der Besteuerung (bis hin zu Schwarzgeschäften) zum Großteil dadurch vermieden, dass beim Lebensmittelkonsum einheitlich der reduzierte Mehrwertsteuersatz zum Einsatz kommt.

In den Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung ist in den letzten Jahren ein zunehmender Wandel zu beobachten gewesen. Dabei zeigte sich ein stetiges Anwachsen des Außer-Haus-Konsums.7 Hier liegt mithin ein „Zukunftsmarkt“. Die Verbraucher haben grundsätzlich sehr vielfältige Möglichkeiten, sich zu verpflegen. Außerhalb ihres eigenen Wohnbereiches reicht das Spektrum von herkömmlichem Restaurant-/Gasthausessen über die Take-Aways oder den Straßenverkauf der Gastronomie bis zu Angeboten des Ernährungshandwerks von Metzgern und Bäckern sowie Konditoren, von Snacks in Kiosken und an Tankstellen bis hin zu Einkäufen zum direkten Verzehr im Lebensmitteleinzelhandel (LEH), die alle von den Konsumenten als Substitute angesehen werden und systematisch kaum unterschieden werden können. Die mehrwertsteuerliche Behandlung der verschiedenen Verzehrmöglichkeiten ist dabei je nach Angebot bzw. Absatzweg unterschiedlich.

Unter wettbewerbspolitischen und -rechtlichen Aspekten ist eine Unterscheidung bei der Nahrungsmittelversorgung bezüglich des anzuwendenden Mehrwertsteuersatzes nicht mehr zeitgemäß. Es wird danach unterschieden,

  • ob die Produkte im Handel oder als Mitnahmegastronomie (sogenannter Straßenverkauf) erworben werden und dann dem ermäßigten Steuersatz unterliegen (vgl. Abbildung),
  • oder ob die Kunden an Ort und Stelle in gastronomischen Einrichtungen ihre Nahrung verzehren, wofür aktuell inzwischen in Deutschland der Regelsatz von 19% verlangt wird.

Deutsche speisenorientierte Gastronomie
Umsätze 2008 mit Mehrwertsteuersatz 19% bzw. 7%

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Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts.

Die bereits bestehenden Verzerrungen vor dem politisch erwirkten Wechsel zum 1.1.2010 sind in der Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1
Umsätze im Gastgewerbe und seinen Untersektoren 2008
  Umsatz insgesamt Davon zum reduzierten Mehrwert­steuersatz
Wirtschaftszweig Mrd. Euro %
WZ 55 Gastgewerbe insgesamt 59,6 9,6 16,1
WZ 55.1 Hotellerie 17,3 0,5 2,9
WZ 55.2 Sonstiges Beherbergungsgewerbe 2,1 0,1 6,2
Beherbergungsgewerbe (55.1 + 55.2) 19,4 0,6 3,2
WZ 55.3 Speisengeprägte Gastronomie 27,4 6,6 24,0
WZ 55.4 Getränkegeprägte Gastronomie 7,4 0,7 9,2
Gaststättengewerbe (55.3 + 55.4) 34,8 7,3 20,9
WZ 55.5 Kantinen und Caterer 5,4 1,7 31,6

Quelle: Statistisches Bundesamt: Umsatzsteuerstatistik; Berechnungen des ifo Instituts.

Die Unternehmen im Lebensmitteleinzelhandel, im Ernährungsgewerbe (Bäcker, Konditoren, Fleischer), an Kiosken, an Imbissstuben/-einrichtungen etc. sowie in Gaststätten stehen in einem direkten intensiven Wettbewerb, ihre Leistungen sollten nicht mehrwertsteuerlich unterschiedlich behandelt werden.8 Die Abgrenzungen im Außer-Haus-Verzehr sind auch vor dem Hintergrund frei gegebener Ladenöffnungszeiten zunehmend weniger eindeutig und infolgedessen problematischer. Entsprechend kann bei der hohen Wettbewerbsintensität zwischen den verschiedenen Anbietern bezüglich der Mehrwertsteuererhebung von gleichen Wettbewerbsbedingungen immer weniger die Rede sein. Hinzu kommt, dass die Anwendung des Regelsatzes in der Gastronomie die Gaststätten mit innerräumlichem Verzehr aus beschäftigungspolitischer Sicht benachteiligt. Im Restaurant respektive im Gasthaus wird vergleichsweise mehr Personal eingesetzt, eine umsatzsteuerliche Mehrbelastung dieser zusätzlichen Beschäftigung ist wirtschaftspolitisch inkonsistent.

Zur Gesamtthematik der Mehrwertsteuerberechnung im Gastgewerbe gehört es zusätzlich, den Getränkebereich mit einzubeziehen. Ausgenommen Milch und Ähnliches werden alle Getränke in Deutschland einheitlich, gleichermaßen im Handel oder in der Gastronomie mit dem Mehrwertsteuer-Regelsatz von 19% besteuert. Es leuchtet jedoch in keiner Weise ein, warum das Nahrungsmittel Wasser in Form von Mineralwasser mit 19% Mehrwertsteuer belastet werden soll. Genauso wenig überzeugt ein Satz von 7% auf Obst oder Gemüse in Form von Frucht und 19% in Saftform. Vernünftigerweise sollte also nach einer umfassenden Reform auch für Getränke der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gelten. Im Bereich von alkoholhaltigen Getränken entsteht dadurch, gerade vor dem Hintergrund des Alkoholmissbrauchs Jugendlicher, zusätzlicher Regulierungsbedarf. Plausibel wäre hier eine nach Alkoholgehalt gestaffelte neue Abgabe. Hierzu liegt ein Vorschlag von Adams/Effertz bereits vor.9 Eine Lösung durch entsprechende Erhöhungen der Branntweinsteuer ist ebenfalls vorstellbar. Aber auch Getränke mit geringerem Alkoholgehalt wie Bier und Wein müssen berücksichtigt werden, sie sollten keinesfalls geringer belastet werden als vor der vorgeschlagenen Reform.

Moderate Erhöhung des ermäßigten Satzes

Unterscheidungen zwischen Ernährungsversorgung innerhalb des Gastgewerbes und außerhalb – insbesondere im Ernährungshandwerk und Lebensmittelhandel – erscheinen aufgrund heutiger Verzehrgewohnheiten und Nachfragestrukturen funktional kaum mehr begründbar. Deshalb sollten letztendlich Lebensmitteleinkauf und Home-Cooking bei der Mehrwertsteuererhebung analog behandelt werden. Wenn es in Deutschland gesellschaftspolitisch notwendig oder gewollt ist, die Grundversorgung, zu der die Ernährung gezählt werden muss, bei der Umsatzsteuererhebung günstiger zu stellen als den Gebrauchsgüter- und Luxus-Konsum, dann muss das unter heute geltenden Bedingungen im Bereich der Nahrungsmittelversorgung in allen Fällen, also einschließlich der gesamten Gastronomie geschehen. Dies wurde von der EU-Kommission bereits 2003 vorgeschlagen.10 Die Alternative, den einheitlich anzuwendenden Satz in der gesamten Ernährung auf das Niveau des Regelsatzes anzuheben, würde vermutlich zu enormen Anpassungsreaktionen sowie konjunkturell, wachstumspolitisch, sozial und verteilungspolitisch nicht gewollten Folgen führen.

Die politische Durchsetzbarkeit einer Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte beim reduzierten Satz ist aktuell günstiger denn je: Zum einen vergeht derzeit kaum ein Tag, an dem nicht wieder über Preisreduzierungen im Lebensmittelsektor berichtet wird. Infolge der Entspannung bei den agrarischen Rohstoffkosten (ausgenommen Kakao) gepaart mit einem intensiven Wettbewerb im Lebensmittelhandel ist zurzeit ein enormer Druck auf die Verbraucherpreise bei Lebensmitteln zu beobachten. Das heißt, dieser Markt kann aktuell durchaus ein gegenläufiges Signal von der Politik vertragen. Zum anderen ist grundsätzlich die Ernährungswirtschaft realwirtschaftlich unter den großen Branchen Deutschlands am besten mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise zurechtgekommen.11

Darüber hinaus wird die Steuererhöhung im Lebensmittelsektor wahrscheinlich nicht auf die Kunden überwälzt. So werden im Gegensatz zu Handwerkerrechnungen, wo die Mehrwertsteuer am Schluss zusätzlich draufgeschlagen wird, im Lebensmittelsektor Endverkaufspreise berechnet, die in der Regel Schwellen- oder auch Schlüsselpreise darstellen. So dürfte beispielsweise ein Preis von 99 Cent oder 1,09 Euro infolge einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte im Wettbewerb kaum auf 1,02 Euro oder 1,12 Euro angehoben werden, sondern er wird aller Wahrscheinlichkeit nach bei 99 Cent bzw. 1,09 Euro belassen. Am ehesten noch wären die Margen der Hersteller bzw. des Handels tangiert. Auch bisher schon wurden Kostensenkungen oder -steigerungen über eine positive bzw. negative Marge aufgefangen, während der Endpreis eher stabil blieb.

Mehrwertsteuer in anderen EU-Staaten

Die Mehrwertsteuer ist innerhalb der EU die am stärksten harmonisierte und wichtigste Steuerart. Außer im Fall des Transmissionsstaats Bulgarien kennen alle anderen 26 EU-Länder mindestens einen vom Regelsatz abweichenden niedrigeren Mehrwertsteuersatz. Selbst in den skandinavischen Staaten mit ihren grundsätzlich anders ausgestalteten Steuer- und Sozialsystemen gilt nicht für alle Waren und Dienstleistungen ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz. In Mitteleuropa ist es ein historisch gewachsener und somit kulturell verankerter Grundsatz, den Umsatz des Grundbedarfs mit einem reduzierten Satz zu besteuern.

Dabei werden in 15 EU-Staaten in Gaststätten der Regelsatz von 17,5% (in Großbritannien) bis 25% (in Dänemark) angewendet und in 12 Staaten der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 3% (in Luxemburg) bis 13,5% (in Irland, vgl. Tabelle 2). In Europa gibt es hier also eine große Vielfalt. In Österreich beträgt der ermäßigte Satz seit Jahren 10%. In den skandinavischen Ländern wird für Gebrauchsgüter und Lebensmittel nur ein Mehrwertsteuersatz angewandt und nicht zwischen ermäßigtem Satz und Regelsatz differenziert. Es gibt viele Ökonomen,12 die eine solche Praxis auch für Deutschland fordern. Hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass Steuer- und Abgabensysteme historisch gewachsene nationale Gebilde darstellen. So werden in Skandinavien seit jeher viele Sozialleistungen über das Steuersystem und dabei verstärkt über indirekte Steuern finanziert. In Deutschland gibt es hingegen ein Mischsystem von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuerfinanzierung. Entsprechend wird in Deutschland aus sozialen Gründen für Produkte des täglichen Bedarfs, an erster Stelle Lebensmittel sowie Fahrkarten im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), bei der Mehrwertsteuer der ermäßigte Satz veranlagt.

Es wird deutlich, dass unterschiedlich hohe Mehrwertsteuersätze zwischen einerseits Restaurant- und andererseits Mitnahmegastronomie aus Sicht der Marktrealitäten unter verschiedenen Aspekten überholt und nicht mehr zeitgemäß sind.


DOI: 10.1007/s10273-010-1099-0