Die US-Zentralbank hat begonnen, mit ihrem Quantitative Easing 2 (QE2) die Märkte mit Liquidität zu überschwemmen. Betroffen sind nicht allein die USA, sondern vor allem Länder, die ihre Währung an den US-Dollar gebunden haben. Aber auch flexible Wechselkurse bieten nur geringen Schutz vor QE2. Die Autoren vertreten die Auffassung, dass die Verbraucherpreisinflation nicht so niedrig wie derzeit bleiben wird. Eine Gefahr bestehe in einem zu langsamen Ausstieg der Notenbanken aus der übermäßigen Liquiditätsbereitstellung.
Keine Zentralbank hat seit Ausbruch der globalen Finanzmarktkrise in so großem Umfang Geld in die Märkte gepumpt wie die Federal Reserve Bank (FED). Mit „Quantitative Easing 2“ wird die Bilanz der amerikanischen Notenbank um weitere 600 Mrd. US-$ bis zur Jahresmitte 2011 aufgeblasen. Die Entscheidung der Federal Reserve hat erhebliche Auswirkungen auf Geldpolitik, Konjunktur und Finanzstabilität in der restlichen Welt.
Da viele Schwellenländer ihre Währung an den US-Dollar gekoppelt haben, könnte QE2 zu weiteren Kapitalzuflüssen und einer Aufblähung nationaler Geldmengen führen. Um den Dollarkurs stabil zu halten, kauft die Zentralbank eines Schwellenlandes US-Dollar auf und gibt im Gegenzug inländische Währung ab. Dadurch erhöht sich die nationale Geldmenge. Gerade für China kommt die erneute Liquiditätsschwemme zur Unzeit. Zwar versucht die chinesische Politik gegenzusteuern. Neben den üblichen Kapitalverkehrskontrollen hob die Zentralbank die Mindestreservesätze bereits mehrere Male an, um die Kreditvergabe der Geschäftsbanken einzuschränken. Hinzu kommen „Kreditgrenzen“ sowie der Verkauf von Schatzwechseln an die Geschäftsbanken, um monetäre Liquidität zu binden. Allerdings blieb das Geldmengen- und Kreditwachstum auch für chinesische Verhältnisse immer noch vergleichsweise hoch. Dadurch ergibt sich die Gefahr von Zweitrundeneffekten bei der Inflation, legten doch die Verbraucherpreise aufgrund von teureren Nahrungsmitteln zuletzt deutlich zu. Dauerhaft hohe Inflationsraten würden die angestrebte Ausbalancierung der chinesischen Wirtschaft weg von Export und Investitionen hin zu einer Stärkung der privaten Konsumausgaben gefährden.
Zudem besteht das Risiko von spekulativen Übertreibungen am Immobilienmarkt, falls sich das Geldmengen- und Kreditwachstum beschleunigt. Eine Aufwertung des Renminbi gegenüber dem US-Dollar ist kein Patentrezept, um diese Probleme zu lösen. Würde eine stärkere chinesische Währung zugelassen, könnten erneut entstehende Aufwertungserwartungen weitere Kapitalzuflüsse auslösen. Ohne eine geldpolitische Straffung in den USA ist deshalb eine nachhaltige monetäre Verschärfung in China nicht möglich.
Flexible Wechselkurse bieten nur geringen Schutz vor QE2
Aber auch Industrieländer mit flexiblen Wechselkursen dürften die Auswirkungen von QE2 zu spüren bekommen. Die Chicago-Schule sah zwar in der Freigabe von Wechselkursen den entscheidenden Weg zur Abschottung heimischer makroökonomischer Entwicklungen von Störungen aus dem Ausland. Ein Land kann demnach nicht mehr als zwei der drei folgenden Ziele gleichzeitig verwirklichen: einen festen Wechselkurs, einen freien internationalen Kapitalverkehr sowie eine autonome Geldpolitik. Nur bei einem flexiblen Wechselkurs ist eine von ausländischen Einflüssen unbehelligte Notenbankpolitik bei ungehinderten Kapitalbewegungen möglich. Neuere empirische Untersuchungen stellen jedoch diese klassische Trilemma-Sichtweise zunehmend in Frage.
Das Einnehmen einer globalen Perspektive zur Erklärung von zentralen makroökonomischen Größen eines Landes liefert oftmals bessere Ergebnisse als die Betrachtung ausschließlich nationaler Entwicklungen. Dies scheint insbesondere für den geldpolitischen Transmissionsprozess zu gelten. Das Konzept der „globalen Liquidität“ gewann in den letzten Jahren auch zunehmend Anhänger.1 Ein neueres Beispiel hierfür findet sich in unserer eigenen Forschungsarbeit.2 Mit Hilfe eines FAVAR-Modells für die G7-Länder und die Eurozone im Zeitraum von 1984 bis 2007 identifizieren wir globale monetäre Liquiditätsschocks als treibende Kraft nationaler und weltweiter Wirtschaftsentwicklung. Die Fähigkeit von Notenbanken, nominale und realwirtschaftliche Größen im Inland zu beeinflussen, wird dadurch verringert. Überspitzt formuliert: Aus dem Trilemma ist ein Dilemma in der Geld- und Währungspolitik geworden.
Auch bei flexiblen Wechselkursen können internationale Kapitalströme die Freiheitsgrade von Notenbanken einschränken. Die Globalisierung der Finanzmärkte bietet deshalb nicht nur Vorteile im Rahmen einer effizienteren Kapitalallokation, sondern bringt auch Nachteile mit sich. Die globale Überschussliquidität vermittelt zudem wichtige Informationen über die Entwicklung monetärer Größen, die nicht in nationalen Geldmengenaggregaten und Zinssätzen enthalten sind. Die Ergebnisse von Strukturbruchtests zeigen, dass globale Liquiditätsschocks im Zeitablauf bedeutsamer geworden sind.
Belke und Rees3 belegen darüber hinaus, dass die Unsicherheit im monetären Transmissionsprozess zwischen nationalen und internationalen Größen zugenommen hat. Als Ursache hierfür identifizieren wir die voranschreitende Globalisierung der Finanzmärkte und den damit einhergehenden Anstieg der grenzüberschreitenden Kapitalbewegungen. Diese strukturellen Veränderungen könnten auch zu einer Veränderung von Anreizen für Zentralbanken sowie daraus resultierend zu Verhaltenswechseln führen. Zwar operieren geldpolitische Entscheidungsträger grundsätzlich immer unter Unsicherheit. Auch in einer vollständig geschlossenen Volkswirtschaft kann Ausmaß und Dauer des geldpolitischen Transmissionsprozesses variieren oder von immer wieder neu auftretenden Schocks aus dem Inland überlagert werden. Allerdings wird diese bereits bestehende Unsicherheit durch die zunehmende Bedeutung globaler Faktoren noch einmal verstärkt. Eine mögliche Konsequenz ist ein zögerlicheres Verhalten von Notenbanken.
Folgt man dem Vorsichtsprinzip nach Brainard,4 führen Unsicherheiten über Modellparameter dazu, dass Politikinstrumente weniger rigoros und aktiv genutzt werden. QE2 könnte deshalb sowohl für Länder mit flexiblen als auch mit festen Wechselkursen nicht nur zu einer ungewollten Erhöhung der monetären Liquidität führen. Zusätzlich erhöht sich auch – in Kombination mit einer weiter voranschreitenden Globalisierung der Finanzmärkte – die Komplexität geldpolitischer Entscheidungen. Die Folge könnte ein noch zögerlicherer Ausstieg aus den Liquiditätsprogrammen (außerhalb der USA) sein als bislang gedacht.
Kein Widerspruch zwischen globalem Liquiditätsüberschuss und bislang niedriger Inflation
In den vergangenen zwei Jahrzehnten stieg die globale Überschussliquidität äußerst stark an. Ein einfaches Maß hierfür sind breite Geldmengenaggregate in Industrie- und Schwellenländern in Relation zum nominalen BIP. Für viele Volkswirte überraschend blieben aber die Konsumentenpreise lange Zeit hiervon (fast) unberührt. Gleichzeitig erlebten etliche Volkswirtschaften extreme und zeitlich aufeinander folgende Boomphasen bei Vermögenspreisen. Ein Beispiel ist etwa die länderübergreifende Hausse der Hauspreise, die sowohl in den USA als auch in Teilen Europas stattfand.
Der früher beobachtete enge Zusammenhang von Geldmengenwachstum und Inflation wird deshalb von einigen Beobachtern grundsätzlich in Frage gestellt. Hat sich der Geldmengen-Preis-Nexus geändert oder sitzen die Effekte des bisher so starken Wachstums der monetären Liquidität immer noch in der Pipeline? Neuere empirische Analysen verdeutlichen, dass eine gedämpfte Verbraucherpreisinflation durchaus mit hohen Geldmengenwachstumsraten vereinbar ist, wenn die Entwicklung an den Vermögensmärkten mit einbezogen wird. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Konsumgüter- und Vermögenspreise unterschiedlich stark und schnell auf monetäre Impulse reagieren. So reagiert das Angebot an Konsumgütern nicht zuletzt als Folge globaler Gütermärkte und des hohen Angebots aus Schwellenländern vergleichsweise flexibel auf veränderte monetäre Bedingungen. Preiswirkungen stellen sich erst längerfristig ein. Vermögenspreise wie Immobilien oder Rohstoffe reagieren dagegen schneller auf Nachfrageschwankungen, da der Bestand an Grund, Boden und Rohstoffen in der kurzen Frist im Falle steigender Nachfrage nicht schnell ausgeweitet werden kann. Deshalb werden auf diesen Märkten Ungleichgewichte typischerweise durch rasche Preisanpassungen beseitigt.
Vor diesem Hintergrund muss das ohnehin schon hohe und krisenbedingt noch stärker gewachsene Niveau der globalen Liquidität als eine Bedrohung für die zukünftige Stabilität der Preise und der Finanzmärkte interpretiert werden. Wollen die Notenbanken ihrem Mandat entsprechen, müssen sie eine vorausschauende und mittelfristig angelegte Geldpolitik betreiben. Zum einen sollten sie die unterschiedlichen Zeitverzögerungen bei der Übertragung von Liquiditätsänderungen auf verschiedene Preiskategorien berücksichtigen. Zum anderen ist ein ausgeprägtes Geldmengenwachstum auf globaler Ebene ein guter Vorlaufindikator für zukünftige starke Preissteigerungen im Immobilien- und Rohstoffsektor. Notenbanken sind deshalb durchweg gut beraten, zur Abschätzung künftiger Inflationsgefahren nicht bloß auf die Verbraucherpreise zu schauen. Auch andere vorlaufende Preise – wie diejenigen für Immobilien und Rohstoffe – sollten beachtet werden.
Internationale Koordinierung und Ausstieg aus der unkonventionellen Geldpolitik
Auf der einen Seite lässt die Existenz eines globalen Liquiditätsfaktors die Zusammenarbeit von Zentralbanken attraktiver erscheinen. Andernfalls könnten Notenbanken Anreize haben, ihre Geldpolitik auf Kosten anderer Staaten zu betreiben. Schließlich treten inflationäre Effekte einer übermäßig expansiven Ausrichtung nicht mehr isoliert im eigenen Land auf, sondern werden in gewisser Weise „exportiert“. Andere Staaten hätten damit Teile der Lasten zu tragen, so wie bei QE2 faktisch schon geschehen.
Ein weiteres Beispiel für solche negativen externen Effekte ist die Niedrigzinspolitik der Bank von Japan in den vergangenen Jahren. Zinssätze nahe oder gleich Null und das sogenannte Forward Discount Puzzle ermöglichten es Finanzinvestoren, über Carry Trades enorme Gewinne zu erzielen. Kredite wurden hierzu in Yen aufgenommen und dann in höher verzinsten Währungen angelegt. Ein solches Geschäft erwies sich im Gegensatz zu den Aussagen der ungedeckten Zinsparität oftmals als profitabel: Die höher verzinsten Währungen werteten nicht ab, sondern weiter auf. Die Folge waren internationale Kapitalbewegungen und die Beeinflussung von monetären Größen außerhalb Japans. Auch die Bewältigung des Ausstiegs aus der unkonventionellen Geldpolitik im Zuge der globalen Finanzkrise könnte für verstärkte Koordinierungsanstrengungen sprechen. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht dies. Einige Notenbanken erhöhen annahmegemäß ihren Leitzins, während andere abwarten und ihre ultraexpansive Geldpolitik fortsetzen. Aufgrund der Anhebung der Zinssätze fließen Teile der globalen Überschussliquidität in diese Länder und können dort einen Geld- und Kreditschöpfungsmechanismus in Gang setzen. Der „klassische“ Zins- und Wechselkurskanal wird dadurch geschwächt und im Extremfall sogar überkompensiert.
Auf der anderen Seite weisen Koordinierungslösungen aber auch erhebliche Schwächen auf. Die Tücken stecken hier im Detail. Selbst wenn sich die USA, die EWU und China/Japan grundsätzlich auf eine engere Zusammenarbeit verständigen könnten, bleibt eine entscheidende Frage ungeklärt: Wie soll eigentlich der Ausstieg koordiniert werden? Eine einfache Regelbindung würde der derzeit äußerst komplexen Entscheidungssituation wohl kaum Rechnung tragen. Diskretionäre Lösungen bergen andere Nachteile in sich wie etwa eine schwierige und langwierige Entscheidungsfindung. Zudem ist die Synchronisierung nationaler Geldpolitiken mit einem entscheidenden Manko behaftet: Alle beteiligten Zentralbanken wählen möglicherweise einen zu langsamen Ausstieg aus der übermäßigen Liquiditätsbereitstellung! Eine anhaltend expansive Ausrichtung der Geldpolitik würde dann auf die globale Ebene gehoben und hätte multiplikative Wirkungen. In einem solchen Umfeld könnte es dann noch immer umsichtiger sein, unabhängig voneinander agierende Zentralbanken zu haben. Risiken werden diversifiziert, da die Varianz einer Summe von Schocks umso geringer ausfällt, je geringer die Kovarianz zwischen den individuellen Komponenten ist.5
- 1 R. Rüffer, L. Stracca: What is Global Excess Liquidity, and Does it Matter?, ECB Working Paper Nr. 696, Europäische Zentralbank, Frankfurt/Main, November 2006. J. M. Sousa, A. Zaghini: Global Monetary Policy Shocks in the G5: A SVAR Approach, in: Journal of International Financial Markets, Institutions and Money, 17. Jg., Dezember 2007, S. 403-419; dieselben: Monetary Policy Shocks in the Euro Area and Global Liquidity Spillovers, in: International Journal of Finance and Economics, 13. Jg. (2008), S. 205-218. A.Belke, W. Orth, R. Setzer: Liquidity and the Dynamic Pattern of Asset Price Adjustments: A Global View, in: Journal of Banking and Finance, 34. Jg., August 2010, S. 1933-1945,
- 2 A. Belke, A. Rees: The Importance of Global Shocks for National Policymakers – Rising Challenges for Central Banks, DIW Discussion Paper 922, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, September 2009.
- 3 A. Belke, A. Rees, a.a.O.
- 4 W. Brainard: Uncertainty and the Effectiveness of Monetary Policy, in: The American Economic Review, Papers and Proceedings, 57. Jg., Mai 1967, S. 411-425.
- 5 Vgl. A. Belke, D. Gros: Is a Unified Macroeconomic Policy Necessarily Better for a Common Currency Area?, in: European Journal of Political Economy, 25. Jg., März 2009, S. 98-101, mit einer Anwendung auf die Fiskalpolitik.