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Die drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands hat die EWU-Staaten zu immer neuen Unterstützungsaktionen veranlasst. Die Banken sollen sich an den Maßnahmen beteiligen. Die Vereinbarungen dazu sind in ihrer Konsequenz allerdings schwer zu durchschauen. Wer wird hier eigentlich zu welchen Kosten gerettet?

Griechenlandrettung: Wer profitiert?

Griechenland ist pleite. Das Land kann aus eigener Kraft seine ausstehenden Schulden nicht mehr bedienen. Nur Garantien und Finanzhilfen Dritter verhindern die Zahlungsunfähigkeit. In immer rascherer Folge werden neue Rettungspakete ausgehandelt, und dies wohl doch gegen den Willen der Mehrzahl der Bürger sowohl der „rettenden“ Staaten als auch Griechenlands selbst. Eigentlich ein unhaltbarer Zustand. Dennoch spielt die Politik weiter auf Zeit, verlängert den schmerzhaften Prozess um immer weitere Wochen und Monate. Ist dies nur ein besonders mutiges Verhalten der Politiker, auch bei Gegenwind ihrer Verantwortung nachzukommen? Oder finden sich dahinter auch finanzielle Interessen, die über eine geeignete Themensetzung in der Öffentlichkeit, und natürlich auch über ein entsprechendes Lobbying ihre Wirkung entfalten?

Die Interessenlage

Nehmen wir einmal an, auch mit den jetzt vereinbarten Hilfsmaßnahmen und Reformen ließen sich die griechischen Staatsfinanzen nicht sanieren. Die zentrale Variable des Spieles ist damit der Zeitpunkt eines Schuldenschnitts, der die griechischen Staatsschulden auf ein tragbares Niveau reduziert. In diesem Fall wäre es wohl mit großer Eindeutigkeit die beste Lösung, das Problem möglichst rasch anzugehen. Denn die Schulden wachsen bis dahin immer weiter an, und Wirtschaft und Menschen leiden unter der permanenten Unsicherheit, mit entsprechend negativen Konsequenzen für die Steuereinnahmen und Staatsschulden. Das Land bewegt sich in eine Abwärtsspirale hinein, und der daraus folgende Verlusthebel kann selbst die „Rettung“ dieses relativ kleinen Landes zu teuer für Europa machen. Bei dieser Überlegung sind noch nicht einmal die möglichen negativen Lern- und Anreizeffekte für andere Problemstaaten der Eurozone bedacht, die noch sehr viel schneller zu einem Kollaps des Systems gegenseitiger Unterstützung in der Eurozone führen können.

Wer könnte ungeachtet dieser Gefahren an einer Verlängerung des Erosionsprozesses der griechischen Staatsfinanzen interessiert sein? An erster Stelle denkt man hier an Investoren, die griechische Anleihen oder Kredite halten und die versucht sein könnten, sich noch rechtzeitig von diesen Engagements zu trennen. Dieser Termin ist aber schon längst vorbei: Es gibt keine private Nachfrage nach griechischen Schulden mehr. Zeitweise hat die Europäische Zentralbank diese Nachfrage ersetzt. Sie nimmt davon inzwischen wieder Abstand, zu spät, denn inzwischen sitzt sie auf gewaltigen Volumina unverkäuflicher griechischer Staatsschulden. Damit bleibt nur noch der Ausweg über die Rettungspakete, soweit es den Investoren gelingt, mit diesem Instrument privates durch öffentliches Geld zu substituieren. Aus Sicht der Bürger ist eine solche Verlagerung eigentlich unerträglich, hatte man ihnen doch versprochen, dass sie nicht noch einmal für den Finanzsektor eine ruinöse Erhöhung der staatlichen Verschuldung würden hinnehmen müssen.

Dennoch liegt hierin eines der Kernelemente der Behandlung der aktuell fälligen Anleihen Griechenlands. Viele Kreditinstitute sind bereit, einen Teil ihrer Forderungen zu prolongieren. Dies ist sicher hilfreich. Für die nicht verlängerten Anteile an den Schulden sowie die immer noch sehr bedeutende Neuverschuldung bleibt dann allerdings nur das Geld aus dem Rettungsschirm. Natürlich sind die Banken bemüht, diese Prolongationen als großes Zugeständnis zu verkaufen. Tatsächlich erhalten sie aber so ihre Konkursdividende im Voraus ausbezahlt und können sogar noch darauf hoffen, einen Teil des weiterhin geliehenen Geldes zurück zu erhalten. Unklar ist, ob sie dafür auch noch Garantien erhalten sollen. Ohne die Hilfe des Steuerzahlers wären sie mit einer schlichten Zahlungsverweigerung Griechenlands konfrontiert und müssten wahrscheinlich eine Reduktion ihrer Forderungen auf ein denkbar niedriges Niveau hinnehmen. Wenn also jemand dankbar sein sollte, so sind dies die Kreditinstitute – schon wieder.

Damit soll nicht gesagt werden, dass die Banken wirklich freiwillig einer teilweisen Prolongation zustimmen und dass sie damit nicht mit einem partiellen Ausfall Griechenlands konfrontiert wären. Tatsächlich ist die sehr langfristige Überlassung von Kapital zu einem nicht mehr marktgerechten Zins isoliert betrachtet ein Verlustgeschäft und insofern eine Realisation eines Teils der Verluste aus diesem Ausfall, auch wenn dieser sich nun in Raten vollzieht. Die Freiwilligkeit bezieht sich nur darauf, dass sie noch höhere Verluste erwarten können, wenn sie der Prolongation nicht zustimmen. Ähnliche „freiwillige“ Maßnahmen erlebt man bei jeder Unternehmenssanierung und jedem Konkurs. Die Beteiligten sind immer bemüht, durch geeignete Vereinbarungen den sie betreffenden Schaden möglichst gering zu halten.

Damit ist die Frage nach dem Interesse an einer Verlängerung der griechischen Agonie allerdings noch nicht erschöpfend behandelt. Auffällig ist, mit welchen geradezu kuriosen Verrenkungen versucht wird, einen Ausfall Griechenlands zu vermeiden. Die Banken müssen zwingend, aber „freiwillig“ für sie nachteilige wirtschaftliche Entscheidungen treffen, damit kein Kreditereignis eintritt, eigentlich ein Widerspruch in sich. Dies wird mit einer systemischen Gefahr eines solchen „Kreditereignisses“ begründet. Griechenland selbst hätte danach auf Jahrzehnte keinen Zugang zum Kapitalmarkt, und die Kapitalmärkte seien durch diesen Schock so irritiert, dass sie auch anderen Krisenstaaten die Finanzierung verweigern würden.

Systemisches Risiko

Das Argument des systemischen Risikos ist im Bankenbereich sowohl theoretisch gut motiviert als auch empirisch belegt. Aber lässt es sich so uneingeschränkt auf das Feld der Staatsfinanzen übertragen? Grundlage für die besondere Systeminstabilität der Banken ist ihre Rolle als Liquiditätspool der Wirtschaft. Sie stellen flexibel nutzbare Kreditlinien und unmittelbar abrufbare Einlagefazilitäten. Diese Rolle ist in mancher Hinsicht äußerst wertvoll, setzt die Banken aber eben auch der Bedrohung durch einen möglichen Run auf ihre Liquidität aus. Und da Banken nicht immer sehr transparent sind und sich durchaus ähnlich sehen oder es auch sind, und weil sie schließlich auch untereinander als Liquiditätsspender dienen und daher finanziell oftmals eng miteinander verknüpft sind, kann ein Run auf eine einzelne Bank sich zu einem Run auf große Teile des Bankensystems auswachsen. Der daraus folgende große wirtschaftliche Schaden rechtfertigt eine intensive Regulierung und die Rettung von für systemisch erachteten Banken.

Von all dem findet sich im Markt für Staatsschuld nichts. Hier wird eher psychologisch argumentiert: Die Märkte neigten zu irrationaler Rache an säumigen Schuldnern, oder sie gerieten in Panik und würfen dann alles in einen Topf. Tatsächlich dürften sich die Marktteilnehmer aber inzwischen gut an eine mögliche Einstellung des griechischen Schuldendienstes angepasst haben, kein Grund zur Panik also. Und die Welt ist voller anlagesuchenden Kapitals, das sowohl die anderen Krisenstaaten als auch Griechenland, nach einer entsprechenden Umschuldung und geeigneten Reformen, gerne weiter finanzieren wird. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass dieses wie auch alle anderen Länder eine glaubwürdige Haushalts- und Wirtschaftspolitik präsentieren kann, die eine Rückzahlung der Schulden wahrscheinlich werden lässt. Etwas anderes sollten die Investoren an den Kapitalmärkten aber sowieso nicht finanzieren. Offenbar werden zur Konstruktion eines systemischen Griechenlandrisikos mit einer gewissen Beliebigkeit Argumente verknüpft, eine typische Schwäche derartiger psychologisierender oder auch behavioristischer Ansätze. Man fühlt sich an die Versuche erinnert, den Automobilproduzenten Opel für „systemisch“ zu erklären, um öffentliche Gelder abgreifen zu können. Aber während damals die Interessenlage überdeutlich war, ist dies im Fall Griechenlands weniger transparent. Und während es im Fall Opel scheiterte, gelingt es hier.

Die Rolle der Kreditderivate

Die Fixierung auf die Vermeidung des Kreditereignisses als solchem legt einen besonderen Verdacht nahe. Die Erklärung eines Kreditereignisses ist nicht nur eine schlechte Nachricht für die Kapitalmärkte, die aber im Fall Griechenlands schon weitgehend antizipiert sein dürfte. Das Kreditereignis spielt vor allem eine zentrale Rolle bei Kreditderivaten. In diesen Verträgen erhält der Risikoverkäufer vom Risikokäufer eine Ausgleichszahlung, wenn ein Kreditereignis eintritt. Dafür hat der Risikokäufer zuvor vom Risikoverkäufer eine periodische oder einmalige Prämie erhalten. Dennoch wird er natürlich bemüht sein, eine solche oft sehr hohe Ausgleichszahlung zu verhindern, indem er etwa den Eintritt eines Kreditereignisses anzweifelt. Damit er sich nicht durch eine solche Ausnutzung möglicher vertraglicher Unvollständigkeiten aus seinen Verpflichtungen stehlen kann, wurde ein breites Spektrum von denkbaren Kreditereignissen definiert, auf die solche Verträge insgesamt konditioniert werden.

Wenn also die Politik zwingend vorgibt, dass kein Kreditereignis eingetreten sei, obwohl kaum abweisbare Tatsachen darauf hindeuten, so greift sie damit unmittelbar in private Verträge ein. Sie verlagert Vermögen von den Risikoverkäufern auf die eigentlich zahlungspflichtigen Risikokäufer, bereichert Letztere und schädigt die Erstgenannten. In einigen Fällen dürften die Kreditderivate als Absicherung realer Schuldpositionen gedient haben. In diesem Fall kommen wir auf die oben genannten Argumente und müssen schließen, dass zumindest ein Teil dieser Vermögensverlagerung letztlich zu Lasten des Steuerzahlers geht. Die Interessenlage ist damit klar. Aber wie relevant ist diese Überlegung, wer hält tatsächlich in welchem Umfang griechisches Kreditrisiko aus Derivaten?

Darüber werden wir im Unklaren gelassen und können nur spekulieren. Verdächtig sind amerikanische Kreditversicherer und Investmentbanken, aber auch europäische Banken, die sich vielleicht aus der Übernahme solcher Risiken einen Zusatzertrag generieren wollten. Gelegentliche Drohungen aus den USA, dass ein Kreditereignis in Griechenland die Stabilität des europäischen Bankensystems gefährden könnte, lassen sich in beide Richtungen interpretieren. Wir bleiben im Dunkeln und haben das unbehagliche Gefühl, dass dies auch so beabsichtigt ist.

Kreditderivate haben häufig eine eher kurze Laufzeit. Mit jeder Verzögerung der Erklärung des Kreditereignisses fallen somit Risikokäufer aus der Haftung. Das Problem ist damit für diese nur ein temporäres. Schon bald wird man erklären können, dass das Gesamtvolumen an Kreditderivaten auf griechische Staatsschuld nicht belangvoll sei. Ob dann wohl noch jemand danach fragt, ob dies auch schon stimmte, als im Sommer 2011 das zweite Rettungspaket vereinbart wurde, oder zum Zeitpunkt der ersten vertragswidrigen Stützungsmaßnahmen für Griechenland im Frühjahr 2010, oder als die Europäische Zentralbank anfing, den Banken ihre griechischen Staatsanleihen abzukaufen? Alle diese Maßnahmen haben das Ausfallereignis immer weiter hinausgeschoben. Auf die Idee, mit der „freiwilligen“ Verlängerung der griechischen Anleihen auch die dahinter stehenden Kreditderivate „freiwillig“ mit zu verlängern, ist bisher niemand gekommen. So bleibt das Bild einer möglicherweise gewaltigen Vermögensverschiebung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, mit unbekannten Nutznießern und unklaren Konsequenzen.

Nur am Rande sei die Behauptung erwähnt, dass ein Kreditereignis auch deshalb problematisch sei, weil die Europäische Zentralbank dann griechische Anleihen nicht mehr als Sicherheit annehmen könne. Aus diesem Grund spreche sich auch die EZB gegen ein solches Ereignis aus. Dies ist eine selbstgestellte und künstliche Hürde. Entweder die EZB glaubt an die Genesung des griechischen Staatshaushalts und die vertragsgemäße Bedienung der Anleihen. Dann sollte sie sie weiterhin als Sicherheit akzeptieren, egal was Rating-Agenturen dazu meinen. Oder sie glaubt nicht mehr daran, und sollte die Anleihen dann auch nicht mehr als Sicherheit akzeptieren, selbst wenn die Rating-Agenturen Griechenland weiterhin hauchdünn über dem Konkursstatus einordnen. Eine Institution wie die EZB sollte und kann sich nicht hinter den Rating-Agenturen verstecken.

Fazit

Was kann man aus diesen Beobachtungen über das Verhältnis der Politik zu Banken und Finanzkrise lernen? Haben die Politiker wirklich die richtigen Lehren gezogen? Dies ist offenbar nicht der Fall. Es gelingt den Banken erneut, eigene Verluste zu sozialiseren. Dies geschieht diesmal etwas weniger direkt, aber mit gleicher Konsequenz. Darüber kann auch nicht hinwegtrösten, dass vielleicht die eine oder andere Bank erneut gerettet werden müsste, wenn dem Haftungsprinzip folgend die Verluste aus eigenen Anlage- und Risikoentscheidungen die Banken uneingeschränkt treffen würden. Dies wäre dann immerhin transparent, und die Öffentlichkeit genösse wenigstens den partiellen Schutz aus dem Eigenkapitalpuffer der Banken, anstatt selbst das Eigenkapital der Banken vor Verlusten abzupuffern.

Natürlich kann ich mit diesen Überlegungen auch vollkommen falsch liegen: Vielleicht kann und will Griechenland seine Schulden vollständig bedienen, und niemand wird am Ende einen Verlust erleiden. Aber es fällt immer schwerer, an diese Möglichkeit zu glauben. Alle Bankerfahrung besagt, dass ein einmal ausgestellter Scheck auch eingelöst wird. Die einzige Frage ist, wann dies geschieht.

Rettungsschirme geben falsche Signale: 15 Thesen

  1. „Institutions matter“, auf die Institutionen kommt es an: Diese Grundhypothese der modernen Institutionenökonomie trifft den Kern des Dilemmas der gegenwärtigen Versuche zur Rettung überschuldeter Staaten der Eurozone. Institutionen sind Regeln, die Verhaltensanreize aussenden, die also bestimmte Verhaltensweisen erlauben, vorschreiben oder verbieten und die mit bestimmten Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismen versehen sind. Die Überschuldungskrise in der Eurozone ist in ihrem zentralen Kern ein Versagen der politischen Institutionen. Die Institutionen zur Rettung überschuldeter Eurostaaten durch immer neue Hilfspakete (Griechenland) und Rettungsschirme (die European Financial Stability Facility (EFSF) und ab 2013 der European Stability Mechanism (ESM)) sind Paradebeispiele für kurzfristorientierte Politikarrangements, die grundsätzlich anreizineffizient wirken: Sie senden die falschen Signale für die an der Lösung der Finanzierungs- und Überschuldungsprobleme zu beteiligenden Spieler aus. Und dies erst recht, wenn sie – wie der ESM – die Falschspieler automatisch und absehbar grenzenlos bedienen.
  2. Das Grundproblem der falschen institutionellen Anreize von Rettungsschirmen ist der Moral Hazard: Die Gläubigerbanken und Schuldnerstaaten der Eurozone haben von Anfang an in richtiger Einschätzung darauf vertraut, dass die Regierungen der Eurozone eine Staatsinsolvenz überschuldeter Mitgliedstaaten – trotz der im Maastricht-Vertrag und später im Lissabon-Vertrag (Art. 125 AEUV) kodifizierten Beistandsverbotsregel („no bail out“) – verhindern würden. Das Beistandsverbot als konstitutioneller Gegensatz zur Rettungsschirmphilosophie war mithin von vornherein nicht glaubwürdig, weil der formellen Institution des vertraglichen Beistandsverbots zugleich die informelle Institution ihrer politischen Negation entgegenstand.
  3. Rettungsschirme sind Arrangements, die der dem Beistandsverbot inhärenten prinzipiellen Eigenverantwortlichkeit von Schuldnern und Gläubigern durch Eigenhaftungsausschluss und Haftungsübertragung auf Dritte diametral entgegenstehen. Mit der faktischen Außerkraftsetzung des anreizeffzienten Beistandsverbots wurde das zentrale Ordnungsprinzip der Eigenhaftung für staatliche Überschuldung in der Eurozone aufgehoben. Damit eröffnete sich für Staatsschuldner und Gläubigerbanken eine Situation asymmetrischer Aktivitätsanreize aufgrund des Auseinanderfallens von Gewinnchance und Verlustrisiko: Den mit Zinsen und Risikoprämien belohnten Kreditengagements der Gläubigerbanken stand durch die faktisch bedingungslosen politischen Rettungsaktivitäten kein entsprechendes Verlustrisiko gegenüber. Die für das Bankensystem relevante Anreizstruktur hatte also von Anfang an einen bias zum überhöhten Gläubigerengagement in Krisenländern der Eurozone in der berechtigten Zukunftserwartung, politisch von jeglicher Haftung befreit zu werden und eine Haftungsüberwälzung von Risikoengagements auf die öffentlichen Hände der Euroländer und damit auf deren Steuerzahler zu ermöglichen, die nicht nur an keiner Risikoprämie signifikant beteiligt werden, sondern vielmehr in Höhe der zahlungsrelevanten Rettungsschirmgarantien für den Haftungs-Bailout der Gläubigerbanken in die Pflicht genommen werden.
  4. Die Schuldnerstaaten hatten ihrerseits keinen Anreiz, den Weg zur Überschuldung zu stoppen, weil ja das Beistandsverbot nicht glaubwürdig war und dadurch die Risikoprämien in der Eurozone einebnet und auf ein Zinsniveau reduziert, das risikoinadäquat wenig oberhalb des bonitätsbesten Landes (Deutschland) angesiedelt ist. So ist die Rettungsschirmphilosophie, komplettiert mit dem offiziellen Politiker-Label des „Koste-es-was-es-wolle“, nichts anderes als die unbegrenzte Versicherungsgarantie für ein Herauspauken jeglichen polit-ökonomischen Missmanagements eines Mitgliedstaates der Eurozone. Jede politische Konditionierung von Rettungsschirmzahlungen in Bezug auf das ökonomische Wohlverhalten der Nehmerländer verliert damit von vornherein ihre Glaubwürdigkeit. Das gilt auch und besonders für den zukünftigen ESM. Unterstützt wurde diese politikinduzierte Versicherungslösung insbesondere für die Banken durch das Verhalten der Europäischen Zentralbank (EZB), Staatsanleihen der Euro-Krisenländer nicht nur als Sicherheiten zu akzeptieren, sondern sogar – entgegen den bisherigen Grundsätzen und wider das Votum des damaligen Bundesbankpräsidenten – auf dem Sekundärmarkt anzukaufen und damit eine (indirekte) Staatsschuldenfinanzierung zu betreiben. Damit hat die EZB den Tabubruch der aktiven Verwischung von Verantwortung zwischen Geld- und Fiskalpolitik begangen.
  5. In die Kategorie der Grundsatzverletzungen mit Rettungsschirmcharakter gehört zudem das im europäischen Abrechnungssystem TARGET 2 zunehmend praktizierte Verfahren der Finanzierung privater Transaktionen nicht mehr (allein) über private Geschäftsbanken, sondern auch letztlich über Zentralbankkredite. Die dadurch im TARGET-System entstandene und durch keine termingebundene Glattstellung der Finanzierungssalden – wie sie z.B. im Fedwire-System der USA jährlich durch den Austausch von Goldzertifikaten oder Staatsanleihen stattfindet – verhinderte Forderungsakkumulation der Bundesbank bedeutet faktisch, dass die Bundesbank z.B. die griechischen Importe und die anderer Krisenländer der Eurozone (mit-)finanziert, was eigentlich die Aufgabe nur der Geschäftsbanken wäre. Die TARGET-Finanzierungspraxis stellt mithin einen zusätzlichen parallelen Rettungsschirm mit „verstecktem Bailout“ (Hans-Werner Sinn)1 für die Krisenländer und Geschäftsbanken dar.
  6. Dem Moral Hazard erzeugenden Rettungsschirmgebaren der Politik gesellt sich also dasjenige der EZB hinzu – eine neue Situation, die das politische Unabhängigkeitspostulat der EZB in systemische Erklärungsnot bringt und der bisher hohen Reputation der EZB, die sich auf das öffentliche Vertrauen in die politikunabhängige Konzentration auf das ihr konstitutionell vorgegebene Preisniveaustabilitätsziel gründet, abträglich ist. Der Reputationsabbau einer Zentralbank geht schnell, die Reputationswiedergewinnung dauert erfahrungsgemäß lange.
  7. Solange die Rettungsschirmphilosophie von Politik und EZB als „alternativlos“ ausgerufen wird und zudem sogar die EZB aus Eigeninteresse, das im Vermeiden von Wertberichtigungsverlusten ihrer Krisenländerengagements liegt (77 Mrd. Euro, davon etwa 45 Mrd. Euro Griechenlandbeteiligung), jedem Umschuldungsverfahren bisher ablehnend gegenübersteht, haben die Gläubigerbanken mithin keinen Anreiz, ihre über Rettungsschirme generierte Haftungsbefreiung dadurch aufzugeben, dass sie sich freiwillig an verlustbringenden Umschuldungsoperationen beteiligen. Die Freiwilligkeit hat ihren Preis, denn sie kann wohl nur erzeugt werden, wenn den Banken als Kompensation für Wertberichtigungen höhere Bonitäten für die Restengagements geboten werden oder auch für Neuengagements, die die Banken eingehen, wenn sie ihre Krisenanleihen schon während der Laufzeit gegen neue tauschen, deren Laufzeit die der alten übersteigt (roll over). Solche Bonitäten können z.B. höhere Sicherheitsgarantien, höhere Renditen oder Vorrang des Gläubigerstatus sein. Staatliche Rettungsschirme und zugleich freiwillige private Forderungsverzichte der Banken zum Nulltarif sind mithin nicht kompatibel. Wenn die deutschen Geschäftsbanken sich nunmehr zu partiellen „freiwilligen“ Engagements (3,2 Mrd. Euro) bereiterklärt haben, dann ist abzuwarten, in welcher detaillierten Form und zu welchem Preis dies geschieht.
  8. Deutlich wird, dass Rettungsschirme politische Institutionen sind, die es den Gläubigerbanken ermöglichen, die Politik quasi in Geiselhaft (Norbert Berthold) zu nehmen.2 Die Politik agiert dann bankengetrieben. Das Erpressungspotential der Banken steigt dabei mit deren wachsender Gläubigerposition, weil damit das Argument der „systemischen Risiken“ an Relevanz gewinnt: Die in Gläubigerpositionen engagierten und vernetzten Banken erklären ihre prinzipielle Systemrelevanz, die bei politisch erzwungenen Abschreibungsverlusten über Spillover- und Dominoeffekte Bankenzusammenbrüche generieren und diese über das europäische Bankensystem in den realen Sektor hineintragen würden. Das Problem ist dann zu entscheiden, ob und zu welchem Grad im konkreten Fall Bankensystemrelevanz tatsächlich vorliegt oder ob diese von Gläubigerbanken als Argument für einen Haftungsausschluss nur vorgeschoben wird. Dieser Rettungsschirmbedürftigkeit, die von den Banken mit ihrer Systemrelevanz begründet wird, muss durch institutionelle Reformarrangements begegnet werden, um das Erpressungspotential der Banken zu minimieren: Indikatoren für die Größe, Vernetzung, Komplexität und Nichtersetzbarkeit der Banken ebenso wie – mit diesen Indikatoren positiv korrelierende – steigende Eigenkapitalanforderungen (Basel III), aber auch mögliche Sanktionsandrohungen für die Einleitung von Insolvenz- und Entflechtungsverfahren der sich als systemrelevant gerierenden Banken müssen in Betracht gezogen und auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Diese Diskussion ist bekanntlich im Fluss.
  9. Die Forderung nach Beteiligung privater Gläubiger an Umschuldungsoperationen z.B. für Griechenland geht im Übrigen, was die deutschen Geschäftsbanken angeht, ohnehin weitgehend ins Leere, denn die Gläubigerbanken mit den stärksten Griechenland-Engagements sind Staatsbanken oder stehen unter staatlichem Einfluss: die staatliche Förderbank KfW (22,3 Mrd. Euro), die Abwicklungsbanken der Hypo Real Estate (HRE: 7,4 Mrd. Euro) und der Westdeutschen Landesbank (West LB: 1,1 Mrd. Euro), für die der staatliche Rettungsfonds Soffin haftet. Bei der Commerzbank (2,9 Mrd. Euro) haftet der Staat mit 25%. Die private Deutsche Bank (1,6 Mrd. Euro) hat ihre Griechenlandbeteiligung bereits auf den Marktwert weitgehend abgeschrieben. Das öffentlichkeitswirksame Verlangen der deutschen Politik, ihre Rettungsschirmphilosophie mit der Umschuldungsbeteiligung auch privater Gläubigerbanken populärer auszugestalten, richtet sich also vor allem an den deutschen Staat selbst. Ein Blick auf die französischen und griechischen Bankenengagements in griechischen Staatsanleihen zeigt im Übrigen, dass hier zusammengenommen die größten Beteiligungen vorliegen: bei den französischen Banken BNP Paribas (5 Mrd. Euro), Société Générale (2,5 Mrd. Euro) und Crédit Agricole (0,5 Mrd. Euro) mit zusätzlichen Engagements ihrer griechischen Tochter Emporikibank als fünftgrößter Bank Griechenlands sowie der französisch-belgischen Bank Dexia (3,5 Mrd. Euro). Die griechischen Banken allein sind die größten Gläubiger ihres Staates (63 Mrd. Euro).
  10. In dieser französisch-griechischen Gemengelage liegt der Hauptschlüssel zum Verständnis dafür, dass die in der Eurozone verabredete Rettungsschirmphilosophie mit der inhärenten Solidaritätsforderung an die europäischen und überwiegend deutschen Steuerzahler zur Übernahme der Haftungsgarantie vor allem dem bankengetriebenen politischen Druck Frankreichs und Griechenlands geschuldet ist – unter größter Unterstützung der meisten anderen Gläubigerbanken in der Eurozone. Das strategische Argument, eine Staatsinsolvenz Griechenlands müsse unbedingt vermieden werden, weil sie eine unbeherrschbare internationale Bankenkrise hervorrufen würde, trifft für das deutsche Bankensystem, wie auch der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands betont, nicht zu und ist auch über Deutschland hinaus in dieser Brisanz zweifelhaft.
  11. Wie kann man die Steuerzahler der europäischen Gläubigerstaaten schützen? Für den zukünftigen ESM ist vorgesehen, dass er als Gläubigerinstitution nach dem Internationalen Währungsfonds (IMF) gegenüber allen privaten Gläubigern Vorrang haben soll. Die Anreize, die ein solches ESM-Arrangement auslöst, werden sein, dass sich private Gläubigerbanken mit Engagements in Krisenländern zurückhalten und zudem höhere Risikoprämien verlangen. Damit wird der Zugang zum privaten Kapitalmarkt für die Krisenländer zusätzlich erschwert. Die Intention, die Steuerzahler zu schützen, wird damit ins Gegenteil verkehrt, wenn anstelle privater Banken vermehrt der ESM automatisch, unbefristet und prinzipiell unbegrenzt in die Bresche springt. Mit einer solchen anreizineffizienten Regelung, die zudem ohne Rückbindung an das Budgetrecht der nationalen Parlamente agiert, konterkariert der ESM seine ihm zugeordnete Intention des Steuerzahlerschutzes. Dieselbe Argumentation trifft zu, sollte die EZB in Bezug auf ihre Krisenpapiere einen ebensolchen Gläubigervorrang einfordern.
  12. Der geplante ESM unterscheidet zwischen Illiquidität und Insolvenz. Die bisherige Rettungsschirmphilosophie des EFSF geht davon aus, dass die Krisenländer nur illiquide sind, aber eine langfristige Schuldentragfähigkeit für sie gegeben ist, eine Staatsinsolvenz also nicht bevorsteht. Diese Philosophie ist trügerisch und gefährlich, weil sie suggeriert, dass man trennscharf zwischen Illiquidität und Insolvenz als nicht kausal zusammenhängenden Ereignissen unterscheiden kann. Dem ist jedoch nicht so, denn Staatsilliquidität basiert zumeist auf begründeten Erwartungen der Kapitalmärkte in Bezug auf zukünftig drohende Staatsinsolvenz. Damit wird Zukunftsinsolvenz zur Ursache von Gegenwartsilliquidität. Deshalb sind beide Tatbestände im Allgemeinen kausal eng verbunden. Da Rettungsschirme keine Staatsinsolvenzprobleme lösen können, sondern diese nur kostenerhöhend in die Zukunft verschieben, taugen sie auch grundsätzlich nicht zur Lösung von insolvenzverursachten Liquiditätsproblemen. Das besagt nicht, dass etwa Griechenland und Portugal einerseits, Irland und Spanien andererseits krisentechnisch gleich zu behandeln sind, was die Kapitalmärkte ja auch hinreichend signalisieren.
  13. Die Politik argumentiert bankenunterstützt, mit Rettungsschirmen solle Zeit für notwenige insolvenzverhütende Strukturanpassungen in den Krisenländern gewonnen werden. Dieses Argument zieht dann nicht, wenn die Illiquiditätsüberbrückung den Anreiz zu Strukturanpassungen in einem Krisenland mindert und damit die Finanzierungskosten dauerhafter Illiquidität diejenigen eines frühzeitigen Insolvenz- plus Umschuldungsverfahrens übersteigen. Für Griechenland trifft zu, dass es die von IMF, EZB und EU auferlegten Strukturanpassungsoperationen unter den falschen Anreizen der Rettungsschirmobhut bisher nicht oder nur zögerlich umgesetzt hat. Nunmehr ist ein drastisches Sparprogramm parlamentarisch verabschiedet worden, dessen erfolgreiche Umsetzung bei hoher öffentlicher Akzeptanzverweigerung nicht als gesichert erscheint. Inzwischen haben sich die Schulden signifikant erhöht, die nach der Ratio der Rettungsschirme mit immer neuen Schulden überbrückt werden müssen: eine Rettungsschirm-Schuldenspirale auf dem Prinzip Hoffnung mit steigender Erpressbarkeit der Geberländer. Es gibt für letztere keine glaubwürdige Exit-Option aus ihrer selbst erzeugten faktisch bedingungslosen Rettungsschirmgarantie.
  14. Zudem muss die Tatsache angesprochen werden, dass Griechenland sich in fundamentalen Defiziten seiner gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur befindet, die tiefgreifende Reformen zur Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit benötigen, deren Durchführung und Wirkung allerdings eher viele Jahre als nur wenige Monate in Anspruch nehmen werden. Rettungsschirme, die – anstelle von Reformen einleitenden Insolvenz- cum Umschuldungsverfahren gegebenenfalls mit wachstumsorientierter Unterstützung externer Abwertung durch (temporäres) Verlassen der Eurozone – eine vermeintliche Illiquiditätskrise finanzieren, lösen keine tiefgreifende Struktur- und Wachstumskrise.
  15. Die Märkte lassen sich aber langfristig nicht von der Politik täuschen. Damit ist die berühmte Frage Böhm-Bawerks beantwortet, was sich wohl langfristig erfolgreich durchsetzt: Macht oder ökonomisches Gesetz? Politisch verordnete Steuerzahler-Zwangssolidarität oder ökonomisch fundiertes Verantwortungshandeln? Eine von den Banken über die Politik auf die Allgemeinheit überwälzte Haftungslogik unter der falschen politischen Überschrift der „Rettung des Euro“ muss rasch ihr Ende finden, damit diese „Rettung“ nicht in einer bürgergetriebenen Sprengladung für die gesamte Eurozone endet.
    • 1 Vgl. H.-W. Sinn, T. Wollmershäuser: Target-Kredite, Leistungsbilanzen und Kapitalverkehr: Der Rettungsschirm der EZB, ifo Working Paper Nr. 105, 24.6.2011.
    • 2 N. Berthold: Pleiten, Pech und Pannen – Hat der Euro eine Zukunft?, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=5026.

Das europäische Dilemma: Zwischen „Bailout“ und „Hold-up“

„Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein …“ Art. 125 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verbietet (vermeintlich) eindeutig, was die dieser Regelung (mutmaßlich) Zuwiderhandelnden als großen Erfolg feiern: die – vermutlich vorübergehende – Rettung Griechenlands vor der Staatsinsolvenz. Juristische Feinheiten mögen den ohnehin sanktionslosen Verstoß gegen die „wörtliche“ Formulierung des Maastricht-Vertrages relativieren, die fundamentale Abkehr vom „Geist“ des Grundlagenabkommens zur Herbeiführung einer Europäischen Währungsunion (EWU) bleibt in jedem Falle unmittelbar erkennbar.

Die normative Kraft des Faktischen hat sowohl die Europäische Union (EU) als auch, besser noch: insbesondere, die EWU weitaus nachhaltiger und grundlegender verändert als manche schriftlich fixierte vertragliche Vereinbarung. Die Wirtschafts- und Währungsunion ist zur Transferunion erweitert worden, der wiederkehrende Ruf nach einem EU-Finanzminister, alternativ: einer Wirtschaftsregierung, erfordert am Ende des Prozesses auch die Fiskalunion. Alle diese Veränderungen mögen politisch oder ökonomisch sinnvoll sein, offiziell geplant und parlamentarisch legitimiert sind sie bis dato freilich nicht. Die ökonomische Naivität führender Politiker, gepaart mit nur mühsam verschleierten nationalen Partikularinteressen, hat eine Situation heraufbeschworen, in der nur noch die Wahl zwischen „Pest“ (Rettung von Insolvenz bedrohter EWU-Staaten) und „Cholera“ (Zusammenbruch des Euro-Systems) möglich zu sein schien. Die damit jeweils verbundenen (langfristigen) Konsequenzen wurden letztendlich stillschweigend in Kauf genommen.

Die weitere Entwicklung ist pfadabhängig, d.h. wir werden nicht erfahren, ob die Entscheidung für die „Cholera“ die bessere gewesen wäre. Ebenso wie die Cholera ist aber auch die Pest grundsätzlich heilbar, sie verlangt jedoch nach einer rigorosen und anhaltenden Therapie mit empfindlichen Nebenwirkungen. Die vorgelagerte, sorgfältige Anamnese ist nützlich, um ursachenorientierte Ansatzpunkte einer erfolgreichen Behandlung freizulegen und Verhaltensänderungen zu begründen, die ein Wiederauftreten der Erkrankung zu vermeiden helfen.

Die Effizienzfalle

Ein wesentliches Problem der Subprime- ebenso wie der Staatsschuldenkrise liegt in der lange Zeit bewusst unregulierten strukturellen Entwicklung nationaler Finanzmarktsysteme. Seit den 1980er Jahren erhoben die angelsächsischen kapitalmarktorientierten Modelle den weitgehend unreflektierten Vorbildanspruch. Mit der rasanten Entwicklung der globalen Informationstechnologie wurden parallel grenzüberschreitende Märkte erschlossen, auf denen vornehmlich sehr große Finanzakteure auch neuartige und in ihren Auswirkungen unbekannte Transaktionen abwickeln konnten. Die Zahl der sogenannten „strukturierten Produkte“ nahm beinahe explosionsartig zu, das Investmentbanking verdrängte in großem Umfang das traditionelle zinstragende Geschäft von Banken.

Die zum Teil beeindruckenden Gewinne (insbesondere) der Global Player in den neu geschaffenen Geschäftsfeldern beförderten die Hypothese, im Finanzsektor ließen sich systematisch steigende Skalenerträge realisieren.1 Unterstützt von der ökonomisch absurden Orientierung des Unternehmenserfolges an der Eigenkapitalrendite bildeten sich schwer durchschaubare Finanzkonglomerate bis dato unbekannten Ausmaßes, die unter konsequenter Ausnutzung des Leverage-Effektes Verschuldungsgrade von zum Teil 25 und mehr aufwiesen, aber gleichzeitig mit bemerkenswerten zweistelligen Eigenkapitalrenditen Effizienz vorgaukelten.2 Die eindringliche Forderung verschiedenster Institutionen3 nach konsequenter Konsolidierung nationaler Bankenindustrien sorgte schließlich für hinreichend viele Einheiten, die sich in der Finanzmarktkrise als „too big to fail“ herausstellten. In der Rettung der internationalen Großbanken liegt bei näherem Hinsehen bereits der Keim der Ansteckung zur Staatsschuldenkrise. Es wäre im höchsten Maße naiv anzunehmen, den europäischen Politikern ginge es allein um die Abwehr der Insolvenz einzelner kleiner Staaten. Die aus der Zahlungsunfähigkeit z.B. Griechenlands folgenden Abschreibungskonsequenzen für prominente europäische Großbanken sowie die dadurch ausgelösten Dominoeffekte wären wohl kaum seriös einzuschätzen.

Die umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen für gefährdete Banken während der Finanzkrise haben zum einen die öffentlichen Haushalte massiv belastet und zum anderen nicht selten die Konzentrationsprozesse in den nationalen Bankenmärkten noch zusätzlich verstärkt. Nicht nur in Deutschland und den USA sind die großen Finanzinstitutionen noch größer geworden, hat sich also deren systemisches Gefährdungspotential zielwidrig erhöht. Der Verzicht auf konsequente Maßnahmen zur Durchsetzung kleinteiligerer Strukturen in den nationalen Finanzindustrien hat den Handlungsspielraum der Akteure während der Staatsschuldenkrise erheblich eingeschränkt. Es wäre grob fahrlässig, diese „Großbaustelle“ auch weiterhin wohlfeil zu übergehen.

Sind Staatsanleihen riskante Anlagen?

Auch wenn es auf den ersten Blick so erscheinen mag, weder die Frage noch die Antwort ist trivial. Seit der Einführung der als „Basel II“ bekannten Vorschriften für die risikoadjustierte Eigenkapitalermittlung von Kreditinstituten, regelt die „Solvabilitätsverordnung – Verordnung über die angemessene Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen“ (SolvV) detailliert die alternativen Verfahren für in Deutschland ansässige Akteure. Im Rahmen des sogenannten „Standardansatzes“ gilt gemäß § 26 Abs. 2 SolvV, dass für Forderungen an eine Zentralregierung oder eine Zentralnotenbank eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraums ein Risikogewicht von 0% angesetzt werden darf.4 Der durchaus populäre Vorwurf an (private) Banken, sie hätten z.B. ihre Griechenland-Engagements – grob fahrlässig – unzureichend mit Eigenkapital unterlegt, geht also ins Leere. Dass die gleichwohl im Laufe des Engagements erforderlichen Wertberichtigungen das vorhandene Eigenkapital belasten, steht dem nicht entgegen, ist aber die zum Zeitpunkt der Kreditgewährung nicht zwingend absehbare Konsequenz der zwischenzeitlich drastisch verschlechterten Zahlungsfähigkeit der griechischen Zentralregierung.

Nach mehr als einem Jahrzehnt Europäischer Währungsunion ist Beteiligten und Beobachtern klar geworden, dass Verbindlichkeiten öffentlicher Schuldner zahlreicher Euroländer offensichtlich systematisch falsch bepreist worden sind. Die einheitliche Währung sowie das Vertrauen in den Stabilitätspakt haben den Blick auf das „wahre“ Risiko einzelner Euro-Schuldner verstellt. Die wiederholt „geschönten“ Daten der Sozialproduktstatistik einiger Euroländer haben den Kreditgebern überdies die tatsächliche Lage nachhaltig verschleiert. Wo gezielte Täuschung am Werk ist, kann der im Vertrauen auf verlässliche Daten abgeschlossene Vertrag nicht effizient sein. Inwiefern also die Kreditvergabe an jetzt von der Insolvenz bedrohte Länder leichtfertig war, kann daher nur im Einzelfall entschieden werden.

Die Rettungspakete für akut in Schwierigkeiten geratene Länder, also Griechenland, Irland und Portugal, helfen selbstverständlich den Banken, die auch bei den sich bereits abzeichnenden Zahlungsproblemen weiterhin Emissionen aufgenommen oder neue Kredite vergeben haben. Was aber wäre die Alternative gewesen? Die Kapitalwünsche der betroffenen Staaten zu verweigern? Die faktische Insolvenz also bereits zu einem früheren Zeitpunkt öffentlichkeitswirksam zu dokumentieren? Vorwerfen kann man den institutionellen Kreditgebern allenfalls, dass sie die Neuemissionen im fortgeschrittenen Stadium der Solvenzprobleme der genannten Staaten zu für die Schuldner erheblich schlechteren Konditionen erworben haben. Sie haben (grundsätzlich begründbare) Risikoprämien vereinnahmt, ohne das nunmehr eingetretene Risiko in jedem Falle auch selbst zu tragen.

Solange es einzelnen Akteuren gelungen ist, die ausfallbedrohten Anlagen an andere private Investoren weiterzugeben, sind auch die Risikoabschläge auf den neuen Gläubiger übergegangen. Dem ursprünglichen Kreditgeber ist kein marktwidriger Vorteil erwachsen, es handelt sich mithin um eine typische Finanzmarkttransaktion. Anders ist der Sachverhalt zu beurteilen, seit auch die Europäische Zentralbank (EZB) Anleihen insolvenzbedrohter staatlicher Emittenten des Euroraumes nicht nur zu Sicherungszwecken für Pensionsgeschäfte akzeptiert, sondern diese auch dauerhaft erwirbt. Ungeachtet der Konditionen des Erwerbs ist nunmehr die Risikolast des Zahlungsausfalls vom privaten auf den staatlichen Sektor übergegangen. Streng genommen handelt es sich hierbei um einen Verstoß gegen den Artikel 21.1 der Satzung der EZB, in dem der (direkte) Erwerb von Schuldtiteln von Zentralregierungen des Euroraumes durch die Zentralbank untersagt ist.

Jetzt treten die wohlfahrtsökonomisch relevanten Folgen zutage: Haben die privaten Institutionen beim Verkauf ihrer ausfallbedrohten Papiere an öffentliche Stellen systematisch Preise erzielt, die höher waren als der Marktwert der Anlagen, dann sind sie unmittelbar zu Profiteuren der konzertierten Rettungsmaßnahmen geworden. Gleiches gilt für den Fall, dass private Finanzintermediäre mit Risikoabschlägen erworbene Forderungen in ihrem Portfolio halten, deren Wert durch nunmehr verabschiedete Stützungsprogramme für die quasi-insolventen Schuldner über das bisherige Niveau steigt. Wird also ein bis dato gleichsam unbesichertes Wertpapier nachträglich mit einer „glaubwürdigen“ Garantie versehen, dann haben bisherige Gläubiger Prämien für Risiken attrahiert, die letztlich nicht existent waren. Auch die Spekulation auf ein späteres „Bailout“ ist nicht grundsätzlich marktwidrig, sie führt aber zum Marktversagen, wenn die Spekulanten ihre Systemrelevanz in die Situation eines „Hold-up“ transformieren: Die Drohung mit der eigenen Insolvenz gefährdet das Gesamtsystem in gleichem Maße wie der Verzicht auf ein Rettungspaket für den Anleiheschuldner.

Staatsanleihen sind in der Tat riskante Anlagen. Wie in jeder anderen Kreditbeziehung auch, steht und fällt der Risikograd mit der (erwarteten) Zahlungsfähigkeit des Schuldners. Lange Zeit galten viele (vornehmlich westliche Industrie-)Staaten als uneingeschränkt kreditwürdig. Nicht zuletzt die jüngste Finanzmarktkrise hat diese Einschätzung grundlegend verändert. Für Länder mit eigenen nationalen Währungen können Zahlungsprobleme (auch) über den Wechselkurs kompensiert werden, für grenzüberschreitende Wirtschaftsräume mit einheitlicher Währung werden die „Guten“ durch das Fehlverhalten der „Bösen“ in Mitleidenschaft gezogen. Es gibt dann grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder die insolventen Länder mit allen – in der Regel nicht absehbaren – Folgen für das Gesamtsystem scheitern lassen oder uneingeschränkte Solidarität demonstrieren.

Herausforderungen für die Politik

Die wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe der Politik ist die verlässliche Festlegung der Rahmenbedingungen für das Handeln privater Akteure. Der Umfang der Regelungen ist nicht zuletzt abhängig vom Vertrauen in die Möglichkeiten (aber auch die Grenzen) marktwirtschaftlicher Systeme. Kreditbeziehungen gehören zu den Transaktionen, die vorwiegend auf unvollkommenen Märkten stattfinden. Das regelmäßig konstatierte Marktversagen liegt in der Existenz asymmetrischer Informationsverteilungen zwischen Gläubigern und Schuldnern begründet. Die Tatsache, dass Schuldner risikofreudiger sind als Gläubiger, ist keine empirische Überraschung, sondern häufig die Folge der (zwangsläufig) unvollständigen Kreditkontrakte. Solange vertraglich vereinbarte Sanktionen nicht durchgesetzt werden können, bestehen Anreize zum Abweichen von der ursprünglichen Vereinbarung.

Diese, in der Literatur als Moral Hazard hinreichend bekannte, Verhaltensweise besteht auch auf der Ebene des Bankensektors gegenüber der jeweiligen nationalen Regierung. Grundsätzlich unterliegen auch Finanzinstitute einer Insolvenzordnung, wenn aber die Folgen der Abwicklung eines einzelnen Kreditinstitutes das gesamte System zum Zusammenbruch führen können, dann wird dieses Unternehmen ungeachtet seines ökonomischen Fehlverhaltens auf staatliche Rettung vertrauen dürfen. Rettungspakete jedweder Art sind für die Begünstigten eindeutige Signale: Moral Hazard lohnt sich! Die Forderung an die Politik ist ebenso klar: konsequente Änderung der Strukturen und der ökonomischen Anreize.

Konsequenz setzt politischen Willen voraus, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Die jüngere Vergangenheit offenbart, dass anfänglich weitreichende Konzepte,5 entwickelt unter dem noch frischen Eindruck der Folgen der Finanzkrise, mit nachlassendem Leidensdruck im Stadium der konjunkturellen Erholung keine nachhaltige Beachtung finden. Stattdessen gewinnen wieder vermehrt einzelstaatliche Interessen die Oberhand, eine tragfähige und zukunftsorientierte europäische Strategie zur Reform der Finanzmärkte oder zur umsetzbaren Neuformulierung eines Planes zur Harmonisierung der nationalen Wirtschaftspolitiken in der EU ist jedoch nicht in Sicht.

Auf nationaler Ebene können Hold-up-Situationen im Finanzsektor durch eine Insolvenzordnung ausgeschlossen werden, die glaubhaft und eindeutig sicherstellt, dass jedes(!) Kreditinstitut im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ohne finanzielle Beteiligung der öffentlichen Hand abgewickelt werden kann. Voraussetzung hierfür ist eine Marktstruktur, in der keine private Finanzinstitution ein systemisches Risiko darstellt. Global Player, für die es durchaus ökonomische Rechtfertigungen gibt, sind einer besonders strengen, international koordinierten Überwachung zu unterstellen, gegebenenfalls ist das zugelassene Spektrum an Transaktionen zu beschränken. Je kleiner (und zahlreicher) die Akteure, desto geringer die systemische Bedeutung des Einzelnen. Die Realisierung (ohnedies bestreitbarer) positiver Skaleneffekte hat im Einzelfall hinter der uneingeschränkten Gewährleistung der Existenzsicherung des (nationalen) Finanzsystems zurückzustehen.

Im internationalen Kontext kann für die EWU die Devise nur lauten: Rigorose ökonomische Kontrolle der Problemländer bei gleichzeitigem Bekenntnis zur uneingeschränkten Solidarität. Selbstverständlich ist es abwegig anzunehmen, man könne souveräne Staaten unter Zwangsverwaltung stellen. Es ist aber zumutbar, Ländern, die durch anhaltende Verletzungen der gemeinsamen Regeln in Zahlungsschwierigkeiten gekommen sind, ihre politischen Mitspracherechte im Falle der Hilfestellung einzuschränken. Sanktionen für Vertragsverletzungen müssen für die politisch Verantwortlichen spürbar sein und nicht beinahe ausschließlich die ohnehin gebeutelte Bevölkerung treffen.

Parallel kann die EWU, aber auch die EU, nicht länger den drängenden Fragen ihrer ökonomisch-politischen Zukunft ausweichen. Ein glaubwürdig installiertes Rettungssystem für in Zahlungsschwierigkeiten geratene Mitgliedsländer macht aus der „politischen“ (Währungs-)Union eine ökonomische Schicksalsgemeinschaft. Letztere verlangt nach einem wesentlich stringenteren Regelwerk. Es ist fraglich, ob die Bevölkerung aller EWU- bzw. EU-Staaten einer derart umfassenden europäischen Integration zustimmen würde. Die Diskussionen im Vorfeld der Einführung einer gemeinsamen Verfassung lassen wenig Raum für übertriebenen Optimismus. Gleichwohl steht der „Europäische Gedanke“ am Scheideweg: Gelingt die ökonomische Rettung der Problemländer – aus welchen Gründen auch immer – nicht, dürfte das Experiment „Euro“ wenn nicht bereits gescheitert, so doch irreparabel beschädigt sein. Sowohl die politischen, als auch die ökonomischen Kosten wären in jedem Falle unabsehbar.

  • 1 Ausführlich analysiert bei H. Gischer, T. Richter: Konsolidierung, Effizienz und Stabilität: Sind große Banken leistungsfähiger als kleine?, in: Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften, Bd. 62, erscheint 2011.
  • 2 Vgl. exemplarisch für Deutschland H. Gischer: Wettbewerb und Effizienz in Bankenmärkten, in: Deutscher Sparkassen- und Giroverband (Hrsg.): Geschäftspolitische Steuerung von Sparkassen zwischen Renditeorientierung und Gemeinwohl, Stuttgart 2010, S. 15 ff.
  • 3 Hier sei nur auf A. Brunner, J. Decressin, D. Hardy, B. Kudela: Germany’s Three-Pillar-Banking System: Crosscountry Perspectives in Europe, International Monetary Fund, Occasional Paper Nr. 233, 2004; und Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Das deutsche Finanzsystem: Effizienz steigern – Stabilität erhöhen, Expertise im Auftrag der Bundesregierung, Juni 2008, verwiesen.
  • 4 Der Hinweis sei gestattet, dass die derzeit gültige Fassung der SolvV am 31.12.2010 in Kraft getreten ist.
  • 5 Das Abschlusskommuniqué des G20-Gipfels von Pittsburgh 2009 enthält unter der Überschrift „Strengthening the International Financial Regulatory System“ eine Reihe von ökonomisch und politisch bemerkenswerten Absichtserklärungen, die allerdings seitdem weitaus weniger geschlossen vertreten bzw. umgesetzt werden, vgl. im Detail http://www.g20.utoronto.ca/2009/2009communique0925.html.

Staatsrisiken und Bankenregulierung: Stärkere Fokussierung unerlässlich

So schnell die internationale Staatengemeinschaft 2008 auf die Verwerfungen an den Finanzmärkten als Folge der Lehman-Pleite reagierte, so schwer tut sich die EU, einen nachhaltigen Ausweg aus der durch die Situation in den Peripherieländern ausgelösten Staatsschuldenkrise zu finden. Immer mehr setzt sich dabei die Erkenntnis durch: „Der Kern des Problems liegt im Bankensektor.“1 Denn alle denkbaren Politikoptionen würden sich – wenn auch über unterschiedliche Transmissionskanäle – in letzter Konsequenz negativ auf die Verfassung der Kreditwirtschaften (zumindest) in den EU-Ländern auswirken. Dies zeigte sich in der Diskussion über die drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands im Juni 2011.2 Diese wurde zwar zunächst knapp abgewendet; die grundsätzlichen Handlungsmöglichkeiten werden sich aber auch in Zukunft nicht verändern.

Option 1: Neue Akuthilfen und Installation eines dauerhaften Rettungsschirms

Die Aushebelung der „No-Bailout-Klausel“ des Maastrichter Vertrages im Mai 2010 – so argumentieren etwa 190 deutsche Volkswirte im „Plenum für Ökonomen“ – habe die EU zu einer Haftungsgemeinschaft gemacht, in der „Schulden ohne Sühne“ möglich seien, da die zahlungsfähigeren die zahlungsunfähigen Staaten immer wieder retten müssten.3 Dies führe jedoch dazu, dass sich die leichtfertige Verschuldung öffentlicher Haushalte fortsetze und Auflagen von IWF und EU etwa mit Blick auf die Privatisierung von Staatsbesitz und Einschnitte bei Sozialleistungen nicht oder zu zögerlich nachgekommen werde. Die Erwartung des Marktes, dass jederzeit Hilfe geleistet wird, setze zugleich speziell bei Banken (und im Übrigen auch anderen Kapitalsammelstellen, wie z.B. Versicherungen, Pensionsfonds) den fatalen Anreiz, in Staatspapiere zu investieren, ohne eine dem tatsächlichen Risiko entsprechende Prämie zu fordern.4 Das sich dadurch bildende Klumpenrisiko in der Kapitalanlage erzwinge dann immer wieder neue Rettungsaktionen für die verschuldeten Staaten, weil ansonsten die Kreditwirtschaft in eine Systemkrise wie im September 2008 gerate („Lehman 2.0“). Mit dieser Form der Hilfe werden demnach die Fehler der Vergangenheit perpetuiert.

Option 2: Keine weiteren Hilfen

Kommt man dagegen den in der Öffentlichkeit derzeit sehr populären Forderungen nach, Griechenland (oder künftig Staaten in ähnlicher Situation) in die Insolvenz gehen zu lassen,5 dann würde dies wohl private Investoren zwingen, künftig realistischere Risikoprämien zu stellen und über diese „Marktdisziplinierung“ auf die Haushaltspolitik in den übrigen europäischen Staaten einwirken. Zunächst aber erhielten Kreditinstitute als Investoren in griechische Staatspapiere weder Zins- noch Tilgungszahlungen, zudem würden Verpflichtungen aus Credit-Default-Swap-Kontrakten fällig. Im Rahmen von Zweit- und Drittrundeneffekten müssten vor allem Banken in Griechenland erhebliche Ausfälle in ihren Kreditbüchern befürchten, denn die Zahlungsunfähigkeit des Staates wird sich entsprechend dramatisch zunächst auf die privaten Haushalte und in der Folge auf die Unternehmen auswirken. Die hierin lauernden Gefahren für das internationale Finanzsystem werden bereits offen von den Rating-Agenturen („Griechenlands Schuldenkrise bedroht die Kreditwürdigkeit europäischer Banken“)6, den Aufsehern auch über den Euroraum hinaus (so etwa vom neuen britischen Stabilitätsrat, der für die heimischen Banken „Infektionsrisiken“ sieht)7 oder auch der BIZ (die in ihrem jüngsten Jahresbericht bei der Behandlung von Systemrisiken an erster Stelle auf die ausufernden Staatsschulden hinweist)8 thematisiert.

Option 3: „Sanfte“ Umschuldung oder „Reprofiling“

Als Mittelweg gilt der Vorschlag, statt oder zumindest vor einer Gewährung neuer Hilfszahlungen die Rückzahlungskonditionen der bereits umlaufenden Staatspapiere Griechenlands zu modifizieren. Dies könnte in Form einer Laufzeitverlängerung der alten Anleihen oder der Reduktion von Zins- und/oder Tilgungsleistungen („hair cut“) geschehen.9 Doch unabhängig davon, ob es sich dabei – wie aktuell von der Politik gefordert – um „substantielle Beiträge“ durch „freiwillige“ Zugeständnisse der Investoren oder aber verordnete Verzichte handelt, dürfte ein Downgrading der Staatsanleihen auf den Verzugsstatus nur schwer zu vermeiden sein. Daraus resultieren für die Banken als Investoren aber nicht nur deutlich höhere regulatorische Eigenkapitalanforderungen und zum Bewertungsstichtag möglicherweise Marktwertabschreibungen. Nach den Ende Juni kontrahierten Marktpreisen müssten griechische Staatsanleihen um ca. 60% wertberichtigt werden und deutsche bzw. französische Banken 14 respektive 24 Mrd. Euro, griechische Banken gar 60 Mrd. Euro abschreiben.10 Auch würde die EZB griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheiten akzeptieren, so dass insbesondere griechische Banken vor einer Liquiditätskrise stehen könnten. Die „Wiener Initiative“ hat daher vorgeschlagen, den Investoren neue (länger laufende Anleihen) zum Tausch gegen die derzeit im Markt befindlichen anzubieten. Durch die korrekte Tilgung der alten Anleihen sollen ein Credit Event und damit auch Abschreibungen zunächst vermieden werden.

In eine ähnliche Richtung weist das „Pariser Modell“, auf dessen Grundlage die deutschen Banken am 30. Juni ihre Hilfszusage gegeben haben. Es stellt zwei Möglichkeiten zur Wahl: In einer ersten Variante würden Kreditinstitute 90% ihres ursprünglichen Investments in neue Griechenland-Bonds mit fünfjähriger Laufzeit tauschen. Hierfür erhielten sie (allerdings ohne weitere Garantien) eine Verzinsung von 5,5%, also etwa auf dem Zinsniveau Griechenlands im aktuellen Hilfspaket. Eine zweite Variante sieht eine Tilgung der in den Jahren 2011 bis 2014 auslaufenden Griechenland-Anleihen vor. 30% sollen die Investoren in bar erhalten, 70% in neue Griechen-Bonds mit 30-jähriger Laufzeit und einem Zins in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von bis zu 8% investiert werden. Hiervon würde Griechenland wiederum 70% (also etwa 49% der ursprünglichen Tilgungssumme) für sich behalten. Die anderen 21% des Tilgungsbetrages würden für den Aufbau eines Deckungsstocks in einer Zweckgesellschaft verwendet. Diese würde Nullkuponanleihen von erstklassigen Emittenten wie dem Rettungsfonds EFSF, der Europäischen Investitionsbank oder anderer AAA-Staaten erwerben, deren Wert nach 30 Jahren genau zur Tilgung der neu ausgegebenen griechischen Staatsanleihen ausreichen sollte.11

Alle drei Optionen bringen aber mehr oder weniger hohe Belastungen für den Bankenapparat mit sich, einen „Königsweg“ scheint es nicht zu geben. Losgelöst von den aktuellen Versuchen zur Stabilisierung Griechenlands ist daher zu fragen, wie sich eine Situation wie die derzeitige künftig vermeiden lässt. Hierzu sind zum einen die Anreizwirkungen der Ausgestaltungselemente des Rettungsschirms zu untersuchen. Zum anderen – und dies versucht dieser Beitrag – muss man sich fragen, welchen Beitrag die Bankenregulierung, die sich mit Basel III ja derzeit in einem Umbruch befindet – dazu leisten kann, Banken stärker von den negativen Wirkungen ausufernder Staatsverschuldung abzuschirmen.

Säule 1: Staatsschulden zu stark privilegiert

Auf den ersten Blick wäre es natürlich die einfachste Lösung – wie von Kai Konrad, Geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, gefordert, Kreditinstituten Investitionen in Staatsanleihen vollständig zu untersagen: „Man sollte in diesem Zusammenhang auch das Eigengeschäft der Banken stärker von der Finanzierung von Staatshaushalten trennen. Das Halten von Staatsschuldtiteln kann man den Nichtbanken überlassen: beispielsweise privaten Kleinanlegern oder Pensionskassen. Banken investieren aber große Summen in Staatsschuldtitel. Und dafür gibt es keinen wirklich guten Grund. Das Kaufen von Staatsschuldtiteln auf eigene Rechnung gehört jedenfalls nicht zum Kerngeschäft von Banken, wie es im Lehrbuch beschrieben wird. Wenn Banken also große Summen in Staatsschuldtitel investieren, statt sich im Kreditvergabegeschäft zu engagieren, dann ist das eine Fehlentwicklung.“12

Eine solche Form der staatlichen Investitionslenkung ist aber nicht nur der deutschen Wirtschaftsordnung zu recht fremd, sondern hieße auch, „das Kind mit dem Bade auszuschütten“. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Privilegierung der Investition in Staatstitel in der Säule 1 beseitigt würde. Sie äußert sich bei den Eigenkapitalvorschriften darin, dass in der Basel II für Deutschland umsetzenden Solvabilitätsverordnung (SolvV) im Rahmen des von 97% aller Institute praktizierten Standardansatzes Forderungen gegenüber Zentralregierungen deutlich geringer mit Eigenkapital zu unterlegen sind als solche gegenüber Unternehmen. In den ersten vier Bonitätsklassen betragen die entsprechenden Sätze 0% gegenüber 1,6% der Risikoaktiva, 1,6%/4%, 4%/8% und 8%/12%.

Nun mag man einwenden, dass diese Faktoren bereits vor der Finanzmarktkrise fixiert wurden, als das Risiko einer Staatsinsolvenz gerade in den ersten beiden Bonitätsklassen als vernachlässigbar angesehen wurde. Aber auch unter Basel III wird diese strukturelle Schwachstelle nicht beseitigt. Obwohl die Eigenkapitalunterlegungssätze sowohl theoretisch als auch empirisch auf sehr „wackligem“ Fundament stehen und zudem – siehe Staatsanleihen – nicht investitionsneutral sind, also die Kapitalallokation ungerechtfertigterweise verzerren, werden sie beibehalten. Die neuen Baseler Anforderungen verstärken pauschal den Risikoträger Eigenkapital, indem sie vor allem das notwendige Kernkapital von bislang 4% auf zukünftig mindestens 7% (zuzüglich eines noch festzulegenden antizyklischen Kapitalpuffers) erhöhen. Um ein Bild zu wählen: Die Verkehrsteilnehmer dürfen ihre Fahrweise beibehalten, aber es wird ein stärkerer Airbag vorgeschrieben.

Auch in den geplanten Liquiditätsregeln findet sich die angesprochene Privilegierung wieder. Bei der kurzfristigen Liquidity Coverage Ratio sollen Staatsanleihen mit einem Rating in der ersten regulatorischen Bonitätsklasse als Level-1-Vermögenswerte eingestuft und in voller Höhe als „hochliquide Aktiva“ zur Abdeckung der innerhalb der nächsten 30 Tage unter Stress erwarteten Nettozahlungsmittelabflüsse angerechnet werden. Dies lädt Banken noch weiter zu Investitionen in Sovereign Bonds ein, erleichtert die Staatsverschuldung und verdrängt tendenziell die private Inanspruchnahme des Kapitalmarktes (Crowding-out-Effekt).

Säule 2: Blick auf bankweite Risikozusammenhänge verstärken

Im Allgemeinen Teil der die zweite Baseler Säule ausformenden und zuletzt 2010 überarbeiteten „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ sind Länderrisiken bei der Benennung des Adressenausfallrisikos als wesentliche Risikoart ebenso explizit herausgehoben wie Risikokonzentrationen. Insbesondere sind – unter Berücksichtigung von Risikokonzentrationen – für alle wesentlichen Risiken Risikotoleranzen festzulegen und regelmäßig zu überwachen. Diese Risikokonzentrationen scheinen tatsächlich derjenige Bereich zu sein, für den im Risikomanagement der Kreditinstitute immer noch Nachholbedarf besteht. Die Krise der PIIGS-Staaten hat erneut belegt, wie instabil Korrelationsannahmen sein und in welch‘ kurzer Zeit – hier in Bezug auf eine Staatengruppe – sich Klumpenrisiken im Portfolio herausbilden können.

In zwei wichtigen Papieren hat der Baseler Ausschuss bei international führenden Banken erhoben, inwiefern sie in der Lage sind, schlagend werdende gemeinsame Risikofaktoren in unterschiedlichen Bereichen der Institute zu erkennen.13 Die gewichtigste Hürde hierfür stellt in vielen Häusern die vorherrschende Praxis „siloartiger“ Organisationsstrukturen dar, die dem Risikomanagement eine frühzeitige Identifikation, Messung, Steuerung und Kontrolle von Risiken auf bankkonzernübergreifender Aggregationsebene unmöglich macht. Damit im Zusammenhang stehen unterschiedliche EDV-Systeme in den verschiedenen Teilbereichen (Tochtergesellschaften, Sparten, Profit Center), die die Abbildung zusammengefasster Risikopositionen erschweren.

Aufgrund der hier identifizierten Defizite gibt der Baseler Ausschuss den Impuls an die Geschäftsleitungs- und Kontrollorgane, den Korrelationen zwischen Risiken aus unterschiedlichen Produkten bzw. Geschäftsfeldern mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Risikoartenübergreifende, konzernweite Stresstests können helfen, diese strukturellen Defizite zu überwinden und die Wahrnehmung gemeinsamer (Klumpen-)Risiken zu verbessern.

Dieser Appell muss sich aber spiegelbildlich auch an die Aufsicht selbst richten, die sich von einer primär vergangenheitsorientierten Sichtweise von Einzelrisiken (z.B. bei der Ableitung von Modellparametern) lösen und stattdessen einen zukunftsgerichteteren Blick auf die „Hot Spots“ im Sinne von materiell gewichtigen „Klumpungen“ im Portfolio werfen sollte. Um diese im Rahmen etwa des Aufsichtsgesprächs nach Säule 2 adäquat thematisieren zu können, ist ein vertieftes Verständnis der Spezifika der jeweiligen Bank und ein „Vertrautsein“ mit den Besonderheiten ihrer Geschäftsfelder erfolgskritisch. Nach Ansicht der jüngst repräsentativ befragten Geschäftsleitungen deutscher Kreditinstitute ist hier – im Gegensatz etwa zur sehr hoch eingestuften Fachkompetenz der Aufseher – noch deutlicher Verbesserungsbedarf.14

Säule 3: Mehr statt weniger Transparenz über die Exposures

Mit den Regelungen der dritten Baseler Säule wurde angestrebt, den Finanzmarktteilnehmern ein genaueres Bild über die tatsächliche Rendite-Risiko-Position des jeweiligen Kreditinstituts zu vermitteln. Durch diese Publizitätsregulierungen sollte (potenziellen) Investoren die sachgerechte(re) Anpassung ihrer risikoorientierten Renditeforderungen ermöglicht werden. Da diese spiegelbildlich die Kapitalkosten der Banken bestimmen, versprach sich Basel hiervon einen disziplinierenden Einfluss auf den „Risikoappetit“ der Bankleitungen. Dies gelte insbesondere dann, wenn Investoren unversicherte Fremd- oder Hybridkapitalpositionen (z.B. Nachrangige Verbindlichkeiten, Contingent Convertibles etc.) unterhalten.

Doch im Zuge der Finanzmarktkrise ist diese dritte Säule in den Hintergrund gerückt; in den internationalen Regulierungsdiskussionen fristet sie ein Schattendasein. Zwar taucht in den Forderungen der Politik mit Blick auf regulatorische Krisenkonsequenzen gebetsmühlenartig diejenige nach „Mehr Transparenz!“ („der Banken“, „der Produkte“ usw.) auf. Andererseits hat man aber – so im Oktober 2008 – die Möglichkeiten des Abweichens vom Prinzip der Marktbewertung von Finanzinstrumenten eher erweitert. Dabei hat eine frühzeitige, offene Informationspolitik auch bei drastischen Wertberichtigungen und Abschreibungen eher stabilisierenden Charakter als Gerüchte und Spekulationen über mögliche stille Lasten, denn Informations- und nachfolgende Vertrauensschocks sind der Auslöser schwerer Krisen. Bank Runs können nur dann verhindert werden, wenn Investoren Bonitätsdifferenzen zwischen den Banken registrieren und sanktionieren können. Werden diese eingeebnet, droht viel eher die Gefahr, ein Haus für so gut oder eben schlecht wie das andere zu halten („Homogenitätsthese“) und damit kollektiv das Vertrauen gegenüber allen Kreditinstituten zu verlieren („Headline-Risiko“).

Sowohl die jüngste Krise als auch Vorläufer in den USA und Japan in den 1980er Jahren zeigen: Durch ein bewusstes Abweichen von Marktbewertungen werden materiell vorhandene, bilanziell aber kaschierte Probleme nur aufgestaut, um letztlich weitaus größere Schäden als bei einer frühzeitigen Bekämpfung auszulösen (Sektkorkeneffekt). Weder ein Beschönigen oder Verschleiern noch ein Zurückhalten von Kriseninformationen im Sinne einer „dosierten Schocktherapie“ kann eine Krise verhindern oder auch nur aufhalten.

Statt wie in den letzten vier Jahren international in erster Linie über höhere Eigenkapitalquoten, antizyklische Kapitalpuffer, Leverage Ratios u.ä. nachzudenken, ist daher zu überlegen, wie man die Publizität der Institute auch dort weiterentwickeln kann, wo es um Länderrisiken geht. So könnten Banken etwa im Anhang ihrer Geschäftsberichte einen Teil des Sets unterschiedlicher Szenarien für die Entwicklung der Bonität derjenigen Staaten veröffentlichen, bei denen sie als Buchkreditgeber oder Wertpapierinvestor Risiken sowohl gegenüber privaten als auch staatlichen Adressen eingehen – und die sie in ihrem Controlling ja (hoffentlich) bereits durchspielen. Die Märkte könnten sich dann selbst ein Urteil darüber bilden, wie realistisch die gewählten Annahmen sind und wie stressresistent die jeweilige Bank ist.15

Dieses Vorgehen würde auch der schon irrational anmutenden Diskussion über die europäischen Banken-Stresstests die Grundlage weitgehend entziehen. Hier hatte man sich bei der erstmaligen Durchführung im letzten Jahr zum einen über die Frage gestritten, ob die Ergebnisse überhaupt veröffentlicht werden sollten. Dass dies letztlich geschah, bezeichnete der damalige Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Zeitler, als „einmalige Ausnahme“, da der „Vertrauenseffekt bei einer Dauereinrichtung Schaden nähme“. Zum anderen waren die Risikoexposures aus Staatsanleihen nur für die im Handelsbuch befindlichen Papiere zu ermitteln, obwohl sich die Sovereign Bonds überwiegend in den Anlagebüchern befinden. Bei dem diesjährigen Durchlauf sollen nach dem von der European Banking Authority am 9. Juni versandten Methodenpapier Belastungen unter Stress auch für die Staatspapiere im Anlagebuch ermittelt werden, über deren Veröffentlichung es indes noch keine verbindlichen Informationen gibt.

Staatsrisiken erfordern nüchternere Einschätzung

Als eine Lehre aus den hektischen Rettungsaktionen der letzten Wochen sollten Investitionen der Kreditwirtschaft in Staatsanleihen zwar nicht untersagt, aber doch skeptischer als vor der Krise betrachtet werden. Um nicht immer wieder zu Hilfen für einzelne Staaten deshalb gezwungen zu sein, weil ansonsten das Bankensystem in Gefahr geriete, sollten im gerade entstehenden Basel-III-Standard bisherige Regulierungsdefizite mit Blick auf Sovereign Risks beseitigt werden. Diese dürfen in den Eigenkapital- und Liquiditätsregeln nicht weiter privilegiert, sollten von den Kreditinstituten und der Aufsicht stärker unter dem Aspekt möglicher Klumpungen beobachtet und im Rahmen der Bankpublizität transparenter kommuniziert werden.

  • 1 K. A. Konrad, im Internet-Portal http://www.euractiv.de/, 7.4.2011.
  • 2 Vgl. dazu auch ausführlich die Standpunkte von C. Kirchner, A. Belke, C. Degenhardt, J. Wieland: Zur Diskussion gestellt: Schuldenkrise der Euro-Peripherieländer: Wie sollte die Restrukturierung der Schulden geregelt werden?, in: ifo Schnelldienst, 64. Jg. (2011), Nr. 11, S. 3-16.
  • 3 Vgl. Plenum der Ökonomen: Stellungnahme zur EU-Schuldenkrise vom 17.2.2011; sowie K. A. Konrad, H. Zschäpitz: Schulden ohne Sühne, 2. Auflage, München 2011.
  • 4 Kritisch dazu J. Boysen-Hogrefe: Für einen Schuldenschnitt und gegen den Rettungsschirm?, Policy Brief des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Mai 2011.
  • 5 Prononciert J. Starbatty auf http://www.tagesspiegel.de vom 12.4.2011.
  • 6 So Moody’s Investors Service laut Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.6.2011, S. 13.
  • 7 O.V.: Infektionsrisiken für britische Banken, in: Börsen-Zeitung vom 25.6.2011, S. 5.
  • 8 BIS: 81st Annual Report 2010/11, Basel 2011, S. 1-17.
  • 9 B. Schulz, S. Ruhkamp: Der Eiertanz um den „Verzug“ Griechenlands, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.6.2011, S. 13.
  • 10 Nach o.V.: Durchhangeln und ein Kreditereignis vermeiden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.6.2011, S. 21.
  • 11 O.V.: Londoner City signalisiert Zustimmung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.6.2011, S. 22.
  • 12 K. A. Konrad, im Internet-Portal www.euractiv.de, 7.4.2011.
  • 13 Basel Committee on Banking Supervision: Enhancements to the Basel II framework, Basel, Juli 2009; und dasselbe: Cross-sectoral review of group-wide identification and management of risk concentrations, Basel, April 2008.
  • 14 S. Paul, S. Stein, C. Meine: Aufsichtsqualität aus Sicht der Banken – empirische Ergebnisse nach der Krise, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 64. Jg. (2011), S. 558-563, hier S. 561.
  • 15 S. Paul: Banken-Stresstests: Viel Lärm um nichts?, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 8 , S. 498 f.

Für einen Schuldenschnitt und gegen den Rettungsschirm?

Die jüngste Zuspitzung der griechischen Schuldenkrise hat die Diskussion über einen möglichen Schuldenschnitt erneut angefacht. Dabei werden häufig Regelungen gefordert, die einen automatisierten Schuldenschnitt vorsehen mit dem Ziel, die privaten Gläubiger und somit auch die Schuldner zu disziplinieren.

Viele Befürworter eines automatisierten Schuldenschnitts verweisen darauf, dass unzureichende Institutionen, um mit einer Insolvenz eines Staates umzugehen, ein Kernproblem der Schuldenkrise seien. Insbesondere hätte dies dazu geführt, dass die Gläubigerhaftung unterhöhlt wurde, was wiederum den Ländern der Peripherie eine übermäßige Verschuldung erlaubt hätte.1 Dem Rettungsschirm wird daher vorgeworfen, dass er an diesem vermuteten Umstand nichts ändert, sondern im Gegenteil diesen festschreibt, denn er stellt einen Bailout dar, der aus Sicht vieler Kommentatoren bereits vor der Krise erwartet wurde. Es ist zu fragen, ob wirklich vor der Krise bereits ein Bailout eingepreist und dadurch die Frühwarnfunktion der Finanzmärkte unterminiert wurde und ob das Prinzip der Gläubigerhaftung durch die derzeit geltenden Regelungen prinzipiell außer Kraft gesetzt ist.

Wurde ein Bailout bereits vor der Krise erwartet?

Die Annahme, dass vor der Krise ein Bailout eingepreist wurde, leidet unter der Verwechslung der Ex-post- mit der Ex-ante-Perspektive. Ex post angesichts der jetzigen Krise wirken die damaligen Risikoaufschläge extrem klein. Ex ante ändert sich aber der Blick. Durch die Währungsunion sind Wechselkurs- und Inflationsrisiken für Anleihen der Länder der Peripherie weggefallen. Mit einer stabilen Währung ausgestattet dürften sich die Wachstumsaussichten der Länder der Peripherie merklich gebessert haben, und die ersten Jahre bestätigten dies. Die Länder der Peripherie verzeichneten eine deutlich überdurchschnittliche Expansion der Produktion. Während in den Jahren 2000 bis 2007 der Schuldenstand im Euroraum gesunken ist – zeitweise sogar in Griechenland (2002/2003) – ist er in Deutschland gestiegen. Spanien und Irland waren geradezu die Musterschüler des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Vor Beginn der Krise lagen die Schuldenstände in beiden Ländern deutlich unter 40% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Ferner muss berücksichtigt werden, dass die Finanzmärkte kein Beispiel für die Einstellung des Schuldendiensts in fortgeschrittenen Ländern hatten, anhand dessen sie die Wahrscheinlichkeiten hätten abschätzen können. Hair-cuts oder Umschuldungen waren nach dem zweiten Weltkrieg Probleme von Ländern, die in Fremdwährungen verschuldet waren. Empirische Prognosemodelle zeigten insbesondere starke Zusammenhänge zwischen Währungsrisiken und Zahlungsausfällen von Staaten.2 Durch die Währungsunion waren aber die Länder der Peripherie in der glücklichen Lage, die Steuern in der gleichen Währung einzunehmen, in der auch ihre Staatsanleihen denominiert sind. Zudem lieferten die 80er und 90er Jahre viele Beispiele (Irland, Dänemark, Belgien), wie fortgeschrittene Volkswirtschaften innerhalb weniger Jahre ihre Staatshaushalte sanieren konnten.

Die Wachstumsaussichten waren zumeist rosig, die Beherrschbarkeit auch hoher Schuldenstände und teilweise sogar sehr niedrige Schuldenstände schienen möglich. Hätte man in einer solchen Situation ernsthaft einen Zahlungsausfall erwarten und somit eine Bailout einpreisen sollen? Erst als klar wurde, dass die aktuelle Krise die Staatshaushalte exorbitant belasten wird und sich die Einsicht „herumsprach“, dass auf private Schuldenkrisen häufig Staatsschuldenkrisen folgen,3 reagierten die Märkte. Ein merklicher Anstieg der Renditedifferenzen trat im Oktober 2008 ein, nachdem in den Wochen zuvor nahezu alle Länder des Euroraums Maßnahmen der Bankenrettung beschlossen hatten (vgl. Abbildung 1). Die erste Phase steigender Renditedifferenzen wurde Anfang November 2008 unterbrochen, nachdem mit Ungarn das erste Land in der Europäischen Union einen Bailout in Anspruch genommen hatte. Das Beispiel Ungarns und ebenso das Beispiel Lettlands (Januar 2009) haben vermutlich die Erwartungen von Bailouts für die Länder des Euroraums geschürt (vgl. Abbildung 2).4 Die Anleihen-Kurse hatten sich in diesem Zeitraum deutlich bewegt, offenbar hatten die Anleger zu diesem Zeitpunkt nicht an einen perfekten Bailout geglaubt. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Renditedifferenzen von Oktober 2008 bis Januar 2009 zwar deutlich höher lagen als in den Jahren zuvor; verglichen mit den folgenden Monaten waren sie jedoch moderat.

Abbildung 1
Renditedifferenzen zu deutschen Staatsanleihen 2008
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Anmerkungen: Renditedifferenzen zwischen Staatsanleihen mit 10-jähriger Restlaufzeit ausgewählter Länder mit denen Deutschlands in den Zeiten der Bankenrettung 2008. Schwarze Balken zeigen Handelstage an, an denen mindestens ein Land des Euroraums Maßnahmen zur Bankenrettung verkündet hat.

Abbildung 2
Renditedifferenzen zu deutschen Staatsanleihen 2008/2009: Rettung Ungarns und Lettlands
Boysen Abb-2.ai

Anmerkung: Renditedifferenzen zwischen Staatsanleihen mit 10-jähriger Restlaufzeit ausgewählter Länder mit denen Deutschlands vor und nach der Bekanntgabe der Rettungsmaßnahmen für Ungarn und Lettland.

Bei der Frage, ob ein Bailout eingepreist wurde, sollte schließlich auch berücksichtigt werden, dass insbesondere die privaten Haushalte und Unternehmen in den Peripherie-Ländern vor der Krise in großem Umfang ihre Schuldenstände ausgeweitet hatten, ohne dass die Finanzmärkte diesbezüglich ernsthaft nervös geworden wären. Im privaten Sektor wurde sicherlich kein Bailout erwartet. Vielmehr ist anzunehmen, dass generell nicht damit gerechnet wurde, dass es in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu größeren krisenhaften Verwerfungen kommen könnte (Great Moderation) – eine Annahme, die letztlich wohl auch die Immobilienblase in den USA befeuert hat. Diese Vertrauenswelle dürfte auch die Staatsfinanzen erfasst haben und somit die sehr niedrigen Risikoaufschläge in diesem Bereich besser erklären als die Antizipation von Bailouts.

Da die Annahme, dass Bailouts von vornherein eingepreist wurden, nur schwer aufrechtzuerhalten ist, ist ebenso das Postulat fragwürdig, dass ein wie auch immer geartetes Insolvenzrecht für Staaten die Krise hätte verhindern können. In den Fällen Irlands und Spaniens, den einstmaligen Musterschülern des Stabilitäts- und Wachstumspakts, ist die Krise offensichtlich nicht von den Staatsfinanzen verursacht und entsprechend hätte eine Insolvenzordnung keinen Einfluss genommen. Auch für Portugal und Griechenland ist es fragwürdig, ob dies wirklich etwas geändert hätte. Wenn niemand mit einer Insolvenz rechnet, dürften die Regelungen, die für einen solchen Fall gelten, kaum das Verhalten beeinflussen. Übrigens hat auch das US-Insolvenzrecht weder die Pleite von Lehman Brothers noch deren fatale Konsequenzen verhindert.

Ist die Gläubigerhaftung durch den Rettungsschirm aufgehoben?

Unabhängig von der Frage, ob ein Bailout bereits vor der Krise erwartet wurde, werden die Rettungsmechanismen der EU dafür kritisiert, dass sie das Prinzip der Gläubigerhaftung außer Kraft setzen, da sie zumindest jetzt und für die Zukunft einen Bailout in Aussicht stellen. Angesichts dieser Behauptung stellt sich die Frage, warum aktuell so ausgeprägte Renditedifferenzen zu beobachten sind. Die Ankündigung der Rettungsmaßnahmen am 9. Mai 2011 sowie das Aufkaufprogramm für Staatsanleihen der EZB haben zwar kurzzeitig zu einer merklichen Reduktion geführt, doch bedurfte es nur weniger Wochen bis die Renditedifferenzen wieder nahe ihrer Höchststände lagen. Hätten die nun implementierten Maßnahmen tatsächlich einen vollständigen und nahezu sicheren Bailout bedeutet, sollten sich die Renditedifferenzen doch sehr stark zurückbilden, da andernfalls gefahrfreie Arbitrage möglich wäre. Es bleiben aber trotz der Rettungsmaßnahmen weiterhin Renditedifferenzen erhalten, weil weiterhin Risiken und Ungewissheiten bestehen, ob die betroffenen Länder willens sind, die Anforderungen zu erfüllen, die notwendig sind, um den Schirm in Anspruch zu nehmen. Schließlich ist auch denkbar, dass die betroffenen Länder unilateral einen Schuldenschnitt herbeiführen wollen. Diese Unsicherheit reicht offenbar dafür aus, eine starke Diversifikation zu gewährleisten. Davon, dass die Rettungsmaßnahmen eine Nivellierung der Risikounterschiede herbeiführten, kann nicht die Rede sein.

Sehr augenscheinlich wird das Fortbestehen der Risikounterschiede trotz des Bestehens von Rettungsmaßnahmen, wenn man betrachtet, wie sich die Renditedifferenzen entwickelten, nachdem einzelne Länder um Hilfe ersuchten. Das Hilfegesuch selbst führte im Fall Griechenlands wie auch Irlands zu deutlich steigenden Renditedifferenzen sowohl des jeweiligen Landes als auch anderer Staaten (vgl. Abbildung 3 und Abbildung 4). Die wesentliche Information, die die Finanzmärkte zur Kenntnis nahmen, war offensichtlich nicht der Bailout, sondern das Eingeständnis in einer sehr schwierigen Lage zu sein. Diese Kursbewegungen sind ein Hinweis darauf, dass die Marktteilnehmer nicht perfekt informiert waren. Im Falle Portugals sind keine größeren Ausschläge zu sehen, da hier vermutlich ein Hilfegesuch bereits erwartet wurde.

Abbildung 3
Renditedifferenzen zu deutschen Staatsanleihen 2010: Griechenlandrettung
Boysen Abb-3.ai

Anmerkung: Renditedifferenzen zwischen Staatsanleihen mit 10-jähriger Restlaufzeit ausgewählter Länder mit denen Deutschlands vor und nach dem Beschluss für die Hilfe für Griechenland und der Einführung des Rettungschirms.

Abbildung 4
Renditedifferenzen zu deutschen Staatsanleihen 2010/2011: Rettung Irlands und Portugals
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Anmerkung: Renditedifferenzen zwischen Staatsanleihen mit 10-jähriger Restlaufzeit ausgewählter Länder mit denen Deutschlands vor und nach den Hilfegesuchen Irlands und Portugals.

Wie sind nun die weiterhin hohen Risikoaufschläge trotz des Rettungsschirms zu verstehen? Dabei muss berücksichtigt werden, dass der Rettungsschirm nur sehr konditional Leistungen bereitstellt. Den Staaten, die ihn in Anspruch nehmen, werden erhebliche Auflagen erteilt, die zu deutlichen Anpassungsanstrengungen führen. Die Konditionalität der Hilfe schränkt nicht nur die Handlungsspielräume ein, sie kann, wie im Beispiel Irlands zu sehen war, auch erhebliche politische Kosten für die amtierenden Regierung mit sich bringen. Es ist daher verständlich, dass Regierungen bestrebt sind, dem Rettungsschirm auszuweichen. Zudem wird dessen Inanspruchnahme als klares Signal gedeutet, dass die Länder in ernsthaften Problemen stecken. Die politischen Kosten des Rettungsschirms wiederum induzieren Ungewissheit, ob das jeweilige Land, nachdem es den Rettungsschirm in Anspruch genommen hat, auch fortdauernd die damit verbundenen Konditionen erfüllen wird. Dies wird insbesondere infrage gestellt, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse in den Parlamenten ändern und neue Regierungen ins Amt kommen. Die starke Konditionalität des Rettungsschirms sorgt für eine Schuldnerhaftung und aufgrund der Unwägbarkeiten des politischen Prozesses ist auch die Gläubigerhaftung gewährleistet.

Natürlich ist dem entgegenzuhalten, dass der Rettungsschirm so oder so das „Schuldenmachen“ begünstigt, also den Anreiz für eine riskantere Finanzpolitik und die Bereitschaft der Finanzmärkte, diese zu finanzieren, erhöht. Die Bedeutung dieses Effekts ist auf der Schuldnerseite aktuell aber eher gering. Politiker in allen Ländern unter dem Rettungsschirm würden wohl sagen, dass sie in der Vergangenheit anders gehandelt hätten, wenn sie die aktuelle Situation dadurch vermieden hätten. Wie sieht es nun auf der Gläubigerseite aus? Zwar ist klar, dass der Rettungsschirm das Risiko eines Zahlungsausfalls reduziert, doch sehen sich die Marktteilnehmer nicht einer Risikosituation gegenüber, sondern vielmehr einer Situation unter Ungewissheit. Die Ungewissheit entsteht dadurch, dass die Akteure keine vollständige Information besitzen und dass es unklar ist, wie die bekannten Fakten zu interpretieren oder zu gewichten sind, da es kein abgeschlossenes und „wahres“ Modell zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Staatsfinanzen gibt.5 Wie groß die Ausfallrisiken bzw. wie tragfähig die Staatsfinanzen der jeweiligen Länder wirklich sind, lässt sich vermutlich nicht in Form einer Wahrscheinlichkeitsverteilung darstellen. Viele Szenarien sind denkbar und möglich, ihnen objektive Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen ist hingegen kaum zu leisten. Vor der Krise wurde das Problem der Ungewissheit im Wesentlichen vermutlich mit der Annahme gelöst, dass es keine großen Krisen in den Industrieländern mehr geben wird (Great Moderation). Aktuell wird das sicherlich ganz anders eingeschätzt – zumindest im Markt für europäische Staatsanleihen. Der Einfluss, den institutionelle Regelungen haben, und der in einer Welt, in der es kalkulierbare Risiken gäbe, sicherlich immens wäre, ist angesichts der großen Stimmungsschwankungen an Finanzmärkten vermutlich überschaubar. Da die Empirie, sprich die hohen Renditedifferenzen, zeigt, dass Gläubiger weiterhin extrem vorsichtig sind, scheint der Rettungsschirm aktuell nicht zu unmäßigem Verhalten aufzurufen.

Fazit

Die Befürchtung, dass der Rettungsschirm in großem Ausmaß zu einem Anreizproblem führt, scheint angesichts der aktuellen Entwicklungen übertrieben. Die Konditionalität des Rettungsschirms beinhaltet weiterhin die Schuldnerhaftung und schaltet wegen der Souveränität der Schuldner die Gläubigerhaftung nicht aus. Eine dringliche Notwendigkeit institutionelle Regelungen für die Automatisierung und Abwicklung von Staatsinsolvenzen zu schaffen, um endlich die Schuldnerhaftung ins rechte Licht zu setzen, besteht kaum, da insbesondere nicht zu erkennen ist, wie solche Regelungen die aktuelle Krise hätten verhindern können. Sicherlich hätten sie in der nun über Jahre andauernden Krise zeitweise für Klarheit sorgen können, doch ist zu bezweifeln, dass – sofern die Konsequenzen solcher Regelungen politisch unerwünscht wären – sie in der Krise weiter in Kraft geblieben wären. Der politische Prozess wird weiter und immer wieder eine Quelle von Ungewissheit bleiben, wie die Debatte über die No-Bailout-Klausel im Vertrag von Maastricht gezeigt hat. Ferner wird auch die beste Insolvenzordnung nie die Unsicherheit darüber beseitigen, wann es wirklich zu einer solchen Insolvenz kommt. Die Vorkommnisse der Finanzkrise zeigen, dass Finanzmärkte und auch Ökonomen schwerlich in der Lage sind, Makro- und Haushaltsrisiken hinreichend zu erfassen. Wenn die Staatengemeinschaft langfristig für stabile öffentliche Haushalte sorgen will, sollte sie sich nicht auf die Finanzmärkte als Instrument verlassen. Vielmehr müssen die Länder selber dafür sorgen, nachhaltig zu wirtschaften, unabhängig davon, wie Finanzmärkte dies bewerten. Einige der Reformen des Stabilitäts- und Wachstumspakts bzw. des Paktes für den Euro gehen in die richtige Richtung, z.B. die Forderung nach einer stärkeren Regelbindung der Finanzpolitik. Hier und insbesondere in Maßnahmen, die neue Finanzkrisen verhindern helfen, liegen die wesentlichen Politikaufgaben. Die Ausgestaltung von Insolvenzordnungen für Staaten oder die Sorge um die Anreizkompatibilität der Gläubigerhaftung sind sekundär.

Die bisherigen Ausführungen bedeuten jedoch nicht, dass eine Insolvenzordnung grundsätzlich abzulehnen ist. Sicherlich sind viele Argumente dafür weiterhin gültig – nur wird ihre Bedeutung in der aktuellen Debatte wohl überzeichnet. Ebenso sind die bisherigen Ausführungen keine Parteinahme dafür, auf eine Beteiligung der Gläubiger bei der Lösung der Schuldenkrise generell zu verzichten, denn es geht auch darum, dass ein fairer Lastenausgleich zwischen Gläubigern und Steuerzahlern stattfindet Dies wiederum kann von großer Bedeutung für das Vertrauen in die politischen Institutionen Europas sein. Das jüngste Wahlergebnis in Finnland zeigt, welche politischen Gefahren der Verzicht auf einen Schuldenschnitt für die Länder, die für den Rettungsschirm Nettozahler sind, mit sich bringen kann. Außerdem könnte ein Schuldenschnitt die Lage der Länder unter den Rettungsschirmen schlagartig verbessern, solange die Folgen für das Finanzsystem eingegrenzt werden.6 Es bleibt jedoch abzuwägen, welche Kosten durch den Schuldenschnitt aufgrund eventueller Ansteckungseffekte und dann notwendigen Bankenrettungen entstehen.

Ob mit Schuldenschnitt oder ohne werden die Länder, die derzeit unter dem Rettungsschirm sind, vermutlich noch Jahre auf dessen Hilfe angewiesen sein. Sollte es zu einem Schuldenschnitt kommen, dürfte ihnen das Vertrauen der Finanzmärkte zunächst entzogen bleiben. Sollte es nicht zum Schuldenschnitt kommen, wird sich die Aufgabe, die Staatshaushalte zu sanieren, noch Jahre hinziehen. Erst wenn die derzeit angegangenen Strukturreformen Wirkung zeigen bzw. der Strukturwandel Fortschritte macht, dürften Länder wie Griechenland, Irland und Portugal sich wieder vollständig an den Finanzmärkten finanzieren können. Da noch nicht abzusehen ist, wann dies der Fall sein wird bzw. ob die Finanzmärkte diesem Prozess vertrauen, war es notwendig eine Nachfolgeregelung für die am 9. Mai 2010 beschlossenen Institutionen ESM und EFSF zu finden.7

Anmerkung: Leicht gekürzte und überarbeitete Fassung des Kiel Policy Brief Nr. 29, Institut für Weltwirtschaft, Kiel, Mai 2011.

  • 1 O. Issing: Interview mit dem Spiegel, http://www.spiegel.de/international/spiegel/0,1518,752591-2,00.html.
  • 2 Vgl. dazu P. Manasse, N. Roubini, A. Schimmelpfennig: Predicting Sovereign Debt Crises, IMF Working Paper 03/221, International Monetary Fund, Washington DC 2003; M. Kruger, M. Messmacher: Sovereign Debt Defaults and Financing Needs, IMF Working Paper 04/53, International Monetary Fund, Washington DC 2004; C. van Rijckeghem, B. Weder: The Politics of Debt Crises, CEPR Discussion Paper 4683, Center for Economic Policy Research, London 2004; P. Manasse, N. Roubini: „Rules of Thumb“ for Sovereign Debt Crises, IMF Working Paper 05/42, International Monetary Fund, Washington DC 2005.
  • 3 C. M. Reinhart, K. S. Rogoff: This Time Is Different: A Panoramic View of Eight Centuries of Financial Crises, NBER Working Paper 13882, National Bureau of Economic Research, Cambridge MA 2008.
  • 4 Relativ zur Größe der Volkswirtschaft sind die Maßnahmen für Lettland mit den aktuell für Portugal diskutierten Maßnahmen vergleichbar.
  • 5 C. Aßmann, J. Boysen-Hogrefe: Determinants of Government Bond Spreads in the Euro Area: in Good Times as in Bad, in: Empirica, im Erscheinen.
  • 6 Konjunkturbereinigt waren rund zwei Drittel des Defizits 2010 auf die Zinslast zurückzuführen; vgl. H. Klodt: Ist die Währungsunion zu retten? Für einen anreizeffizienten Krisenmechanismus, Kieler Arbeitspapiere 1690, Institut für Weltwirtschaft, Kiel 2011.
  • 7 Bereits beim Beschluss des Rettungspakets für Griechenland, war absehbar, dass ein solch enger Zeitplan mit so ambitionierten Zielen verfehlt werden könnte und eine langfristigere Lösung entsprechend Vorteile gehabt hätte. J. Boysen-Hogrefe: Ist Griechenland noch zu retten? Und der Euro?, Kiel Policy Brief 19, Institut für Weltwirtschaft, Kiel 2010.

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DOI: 10.1007/s10273-011-1247-1

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