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Die russische Wirtschaft hat sich in moderatem Tempo von der weltweiten Krise erholt. 2010 ist das Bruttoinlandsprodukt um 4,0% gewachsen und im laufenden Jahr deutet vieles auf eine weitere leichte Beschleunigung hin. Verantwortlich dafür sind vornehmlich die wieder anziehenden Rohstoffpreise, die weiterhin für die Entwicklung der russischen Wirtschaft eine entscheidende Rolle spielen. Vor allem der Rohölpreis beeinflusst nicht nur unmittelbar die Handelsbilanz (vgl. Abbildung 1), er hat auch Rückwirkungen auf Kapitalflüsse und die öffentlichen Finanzen. Die expansive Geld- und Fiskalpolitik der Krisenphase wurde in Russland bisher nur sehr zögerlich abgeschwächt. Die russische Zentralbank hatte den Leitzins von April 2009 bis zum Juni 2010 von 13,0% auf 7,75% gesenkt, diesen seit Ende Februar 2011 aber in zwei Schritten wieder auf 8,25% angehoben. Dieser geldpolitische Kurs überrascht angesichts des weiter vorhandenen Inflationsdrucks. Zwar lag die jahresdurchschnittliche Inflationsrate 2010 trotz steigender Nahrungsmittelpreise nur bei 6,9%, jedoch dürfte sie 2011 auch durch die Ausläufer dieses Effekts auf über 9% steigen. Allerdings sind die Spielräume der russischen Zentralbank dadurch eingeengt, dass weiterhin ein Wechselkursziel gegenüber einem Währungskorb aus US-Dollar und Euro verfolgt wird.

Abbildung 1
Rohölpreise und Handelsbilanzüberschüsse
Schlaglicht Abb-1.ai

Quelle: Central Bank of Russia, HWWI.

Viele expansive fiskalische Maßnahmen der beiden Vorjahre haben dauerhaften Charakter angenommen. Sie haben zwar in der Krisenzeit einen stabilisierenden Einfluss gehabt, jedoch drohen mit wieder anziehender Weltkonjunktur eine prozyklische Wirkung und eine dauerhafte Belastung des öffentlichen Budgets. Die Budgetposition Russlands ist im internationalen Vergleich dabei mit einer Verschuldungsquote von knapp 10% in Relation zum BIP 2010 sehr gut. Allerdings liegt seit 2009 ein gesamtstaatliches Defizit vor, das auch 2010 trotz deutlicher Rohstoffpreissteigerungen fortbestand. Dies wird sich weder 2011 noch in den Folgejahren merklich ändern (vgl. Abbildung 2). Das Hauptproblem bildet das bundesstaatliche Budget. 2010 betrug das Defizit dort ohne Rohöleinnahmen fast 13% und mit Rohöleinnahmen gut 4%. 2011 ist nur ein leichter Rückgang beider Werte zu erwarten. Beim aktuellen Rohölpreisniveau dürften in der mittleren und langen Frist merkliche Anstrengungen nötig sein, um den Zielwert von 4,7% für das Defizit ohne Rohöleinnahmen zu erreichen. Dabei ist der russische Staatshaushalt sehr sensitiv gegen Schwankungen des Ölpreises: laut Berechnungen des IMF1 entspricht dessen Veränderung um 10 US-$ pro Barrel Staatseinnahmen von etwa 62 Mrd. Rubeln.

Abbildung 2
Staatseinnahmen, Staatsausgaben und Budgetsaldo
in % des BIP
Schlaglicht Abb-2.ai

Quelle: IMF World Economic Outlook Database, April 2011.

Die zurückhaltende Geld- und Fiskalpolitik dürfte politisch bedingt sein. Im Dezember 2011 finden in Russland Parlamentswahlen und im März 2012 Präsidentschaftswahlen statt. In deren Vorfeld besteht wenig Interesse an einem Abbremsen der ohnehin nur moderaten Aufwärtsentwicklung. Zugleich birgt eine solche Politik nicht nur haushaltspolitische Risiken, sie trübt auch das Geschäfts- und Investitionsklima ein, solange der weitere wirtschaftspolitische Kurs unklar ist. Darauf deuten auch die anhaltenden Kapitalabflüsse aus Russland, gerade im Nicht-Bankensektor, hin. Nach Angaben der russischen Zentralbank standen 2010 Kapitalabflüssen von 49,9 Mrd. US-$ im Nicht-Bankensektor Kapitalzuflüsse von 15,9 Mrd. US-$ im Bankensektor gegenüber. In der ersten Jahreshälfte 2011 kam es in beiden Sektoren zu Kapitalabflüssen von 19,4 bzw. 11,9 Mrd. US-$. Die negative Kapitalbilanz ist gerade vor dem Hintergrund der Rohstoffpreisentwicklung bemerkenswert, zeigt aber eine gewisse Verunsicherung bei in- und ausländischen Investoren. Diese Einschätzung wird durch das relativ schlechte Abschneiden Russlands in institutionellen Rankings gestützt. Im Global Competitive Ranking des World Economic Forum2 (2010) landete Russland auf Platz 63 von 139 Ländern und damit hinter den anderen BRICs. Dafür sind vornehmlich schwach ausgeprägte öffentliche und private Institutionen, die geringe Effizienz der Gütermärkte und der unzureichend entwickelte Finanzsektor verantwortlich. Im aktuellen Korruptionsindex von Transparency International3 rangiert Russland zudem unter 178 Nationen auf dem geteilten 154. Platz. Insbesondere die Bekämpfung der Korruption scheint also weiterhin nicht voranzukommen. Die kurzfristigen Wachstumsaussichten Russlands sind trotzdem gut. Im laufenden Jahr dürfte das BIP um mehr als 4,0% wachsen. Risiken und Chancen bestehen gleichermaßen in unerwarteten Entwicklungen der Weltkonjunktur und der Rohstoffpreise. Die mittel- und langfristigen Perspektiven werden aber von strukturellen Faktoren geprägt. Strukturelle und institutionelle Reformen könnten Unsicherheiten beseitigen, das Investitionsklima verbessern und der russischen Wirtschaft einen günstigen künftigen Wachstumspfad ermöglichen.

  • 1 International Monetary Fund: Regional Economic Outlook: Europe – Strengthening the Recovery, Mai 2011.
  • 2 World Economic Forum: The Global Competitiveness Report 2010-2011.
  • 3 Transparency International: Corruptions Perception Index 2010, http://www.transparency.de/Tabellarisches-Ranking.1745.0.html, abgerufen am 28.7.2011.

HWWI-Index der Weltmarktpreise für Rohstoffe

Abb Rohstoffindex.ai

2010 = 100, auf US-Dollar-Basis.

HWWI-Index mit Untergruppena 2010 Jan. 11 Feb. 11 Mrz. 11 Apr. 11 Mai 11 Juni 11 Juli 11
Gesamtindex 100,0 118,7 124,1 134,2 142,4 133,8 131,0 133,2
  (28,8) (22,9) (33,3) (36,5) (35,7) (40,0) (38,9) (39,7)
Gesamtindex, ohne Energie 100,0 120,7 124,9 123,0 127,8 124,1 123,0 122,9
  (30,1) (30,0) (40,7) (33,4) (28,3) (31,9) (33,4) (26,3)
Nahrungs- und Genussmittel 100,0 132,4 138,1 134,7 136,7 134,3 131,6 129,8
  (11,2) (38,3) (51,1) (52,0) (54,9) (53,1) (47,0) (35,7)
Industrierohstoffe 100,0 116,5 120,2 118,9 124,7 120,5 119,9 120,5
  (38,5) (26,9) (36,8) (27,2) (20,3) (25,0) (28,8) (23,0)
Agrarische Rohstoffe 100,0 112,9 116,4 114,1 118,1 115,0 116,0 114,1
  (34,2) (21,2) (26,0) (18,9) (18,6) (19,1) (20,4) (15,6)
NE-Metalle 100,0 118,2 123,1 121,5 123,8 117,8 116,0 119,1
  (37,3) (18,8) (33,5) (20,6) (16,1) (25,9) (32,8) (32,2)
Eisenerz, Stahlschrott 100,0 117,1 118,3 118,8 135,8 134,6 134,8 132,7
  (48,3) (65,7) (66,6) (64,9) (33,4) (30,7) (30,7) (13,8)
Energierohstoffe 100,0 118,2 123,9 137,1 146,2 136,4 133,2 135,9
  (28,4) (21,2) (31,5) (37,3) (37,5) (42,1) (40,3) (43,4)

a 2010 = 100, auf US-Dollar-Basis, Periodendurchschnitte; in Klammern: prozentuale Änderung gegenüber Vorjahr.

Weitere Informationen: http://hwwi-rohindex.org/

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DOI: 10.1007/s10273-011-1265-z

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