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Das Bundeskartellamt hat die Märkte für Benzin und Diesel in Deutschland untersucht und ein oligopolistisches Umfeld diagnostiziert, das zu erhöhten Preisen führt. Der Nutzen eines regulatorischen Eingriffs nach dem Vorbild des „Österreichischen Modells“ wird jedoch sowohl vom Amt als auch von der Fachöffentlichkeit in Frage gestellt. Diese preisregulatorische Maßnahme wird hier spieltheoretisch und experimentell analysiert.

Seit das Bundeskartellamt im Mai 2008 mit einer Sektoruntersuchung auf den Märkten für Benzin und Diesel begonnen hat, rückt der Tankstellenmarkt zunehmend ins Interesse der Fachöffentlichkeit. Ziel des Bundeskartellamts war es, zu untersuchen, ob die Kraftstoffmärkte in Deutschland ordnungsgemäß funktionieren. Im Zwischenbericht hat das Bundeskartellamt im Juni 2009 festgestellt, dass fünf Unternehmen (Oligopolisten) über eine marktbeherrschende Stellung verfügen und nicht zu erwarten ist, dass Außenwettbewerber in der Lage sind, den Verhaltensspielraum der Oligopolisten wirksam zu begrenzen. Daneben betont das Bundeskartellamt, dass die Kosten und Rahmenbedingungen des Kraftstoffabsatzes über Tankstellen „sehr transparent“ sind und jeder Oligopolist einen vollständigen Überblick über die Preise auf dem Markt hat. Das heißt, jeder Oligopolist kennt seine Produktionskosten, die Produktionskosten der anderen Oligopolisten und die Vertriebspreise. Darin sieht das Bundeskartellamt die Ursache für das gleichförmige Preissetzungsverhalten auf dem Tankstellenmarkt. Preisabsprachen werden grundsätzlich nicht vermutet.1

In dem seit Mai 2011 vorliegenden Abschlussbericht kommt das Bundeskartellamt zu dem Schluss, dass die Vertriebspreise im „vorgefundenen oligopolistischen Umfeld höher sind als es bei funktionierendem Wettbewerb der Fall wäre“. Da die Vertriebspreise als „Symptom einer wenig wettbewerbsfreundlichen Marktstruktur“ angesehen werden, schlägt das Bundeskartellamt eine „kontinuierliche Arbeit an den Marktstrukturen“ vor. Außerdem werden zwei im Ausland bestehende regulatorische Maßnahmen genannt und reflektiert, nämlich die westaustralische „24-Stunden-Regel“ des Petroleum Products Pricing Amendment Act 20002 und die österreichische Spritpreis-Verordnung3. Da die Wirksamkeit beider Maßnahmen bezweifelt wird, hält sich das Bundeskartellamt mit einer abschließenden Empfehlung zur Implementierung einer solchen preisregulatorischen Maßnahme zurück.4

Auch der Arbeitskreis Kartellrecht des Bundeskartellamts steht der „24-Stunden-Regel“ kritisch gegenüber. Ebenso ist er nicht von der Wirksamkeit der Spritpreis-Verordnung überzeugt. Im Hintergrundpapier zur Tagung des Arbeitskreises am 6. Oktober 2011 wird sogar ausdrücklich vor der „Gefahr (gewarnt), dass bei einer verfehlten Regulierung das (Preissetzungs-)Problem nicht beseitigt, sondern weiter verschärft würde“. Deswegen spricht sich das Bundeskartellamt für eine umfassende Erforschung der mit diesen und anderen preisregulatorischen Maßnahmen verbundenen Effekte aus.5 Das Gros der Tagungsteilnehmer bewertete die Möglichkeiten von preisregulatorischen Maßnahmen ebenfalls kritisch. Dennoch stieß insbesondere das „Österreichische Modell“ auf großes Interesse. Da aber einige Teilnehmer dessen wettbewerblichen Nutzen in Frage stellten, wurde in diesem Bereich experimentelle Forschung angeregt.6

Seit Inkrafttreten der überarbeiteten Spritpreis-Verordnung am 1. Januar 2011 sind Preiserhöhungen in Österreich ausschließlich um 12 Uhr zulässig. Preissenkungen hingegen sind jederzeit erlaubt. Ferner sind entsprechende Preisauszeichnungen unverzüglich vorzunehmen. Um zu klären, ob die Skepsis gegenüber dem „Österreichischen Modell“ gerechtfertigt ist, wird diese preisregulatorische Maßnahme hier spieltheoretisch modelliert und einem Labortest unterzogen.

Der Effekt dieser Maßnahme kann nicht eindeutig vorausgesagt werden, da in der Regel multiple Gleichgewichte existieren. Eine Möglichkeit, auch in einer solchen strategischen Situation Voraussagen über das Verhalten der Beteiligten zu treffen, besteht in der Durchführung von wirtschaftswissenschaftlichen Experimenten. Hierbei kann häufig beobachtet werden, dass sich gewisse Verhaltensmuster herauskristallisieren. Daher wird ein Experiment konzipiert, um zu ermitteln, wie sich Individuen unter den Vorgaben des „Österreichischen Modells“ verhalten, und ob sich dieses Verhalten vom Verhalten im Fall ohne Regulierung unterscheidet.

Das Modell: Annahmen und Hypothesen

Der Einfachheit halber wird ein Duopol betrachtet. Das heißt, es wird angenommen, dass nur zwei Unternehmen über eine marktbeherrschende Stellung verfügen, die Produktionstechnologien der Unternehmen sich nicht unterscheiden und für die Unternehmen die Faktorpreise gleich sind. Auf dem Markt befinden sich also zwei identische Unternehmen. Zudem wird davon ausgegangen, dass die Unternehmen über den Preis konkurrieren und das Unternehmen, das den niedrigeren Preis setzt, den größeren Teil der Marktnachfrage attrahiert. Der kleinere Teil der Marktnachfrage sei stets größer als Null. Ein Unterbieten des anderen Unternehmens lohne sich kurzfristig immer. Wird unterstellt, dass beide Unternehmen über diese Informationen verfügen und nur einmal interagieren, dann sehen sich die Unternehmen beispielsweise mit der in Tabelle 1 dargestellten Situation konfrontiert. Im Zeilenkopf der Tabelle stehen die Preise, die vom einen Unternehmen gesetzt werden können. Im Spaltenkopf der Tabelle stehen die Preise, die vom anderen Unternehmen gesetzt werden können. Die mit einer Preiskombination verbundenen Gewinne stehen in der Zelle, in der sich Zeile und Spalte schneiden. Der Eintrag links vom senkrechten Zelleninnenstrich entspricht der Auszahlung des einen Unternehmens. Der Eintrag rechts vom senkrechten Strich entspricht der Auszahlung des anderen Unternehmens.

Tabelle 1
Basisspiel
  das andere Unternehmen
  Preis 4 3 2 1
das eine Unternehmen 4 28|28 15|30 10|34 5 |38
3 30|15 22|22 16|27 10|30
2 34|10 27|16 20|20 13|22
1 38|05 30|10 22|13 14|14

Interagieren die Unternehmen einmalig und setzen sie ihre Preise simultan, veranschaulicht Tabelle 1 ein nichtwiederholtes Spiel in Normalform (Basisspiel), in dem die Spieler durch Unternehmen, die Strategien durch Preise und die Auszahlungen durch Gewinne repräsentiert werden. Die Strategiekombination (1,1) bildet ein (Nash-)Gleichgewicht: Beide Unternehmen entscheiden sich für den niedrigsten Preis: 1. Ohne die Möglichkeit einer bindenden Absprache sind die Unternehmen nicht in der Lage, zu kolludieren. Beim Basisspiel handelt es sich demnach um ein erweitertes Gefangenendilemma. Setzen die Unternehmen ihre Preise sequentiell, ist die Analyse aufwändiger. Da sich das „Österreichische Modell“ genau dadurch auszeichnet, dass Preiserhöhungen ausschließlich simultan – nämlich um 12 Uhr – erfolgen können, wird sich auf den simultanen Preiswettbewerb konzentriert.

Interagieren die Unternehmen nicht einmalig, sondern wiederholt, ändert sich die Voraussage dramatisch. Wird das durch Tabelle 1 veranschaulichte Spiel unendlich oft wiederholt (Superspiel), folgt aus dem Folk-Theorem, dass sich jede Auszahlungskombination bei der sich kein Unternehmen schlechter stellt als ohne Kooperation als (teilspielperfektes) Gleichgewicht ergeben kann, wenn zukünftige Auszahlungen nicht allzu sehr diskontiert werden, d.h., wenn die Gegenwartspräferenz der Unternehmen nicht zu hoch ist. Denkbar ist, dass die mit vollständiger Kollusion verbundene Auszahlungskombination (28,28) dadurch gestützt wird, dass beide Unternehmen von der folgenden Trigger-Strategie Gebrauch machen: Setze den Preis 4 in der ersten Periode; setze weiterhin den Preis 4, wenn das andere Unternehmen in der Vorperiode auch den Preis 4 gesetzt hat; wenn es nicht den Preis 4 gesetzt hat, setzte den Preis 1 für immer. Desgleichen sind weniger unfreundliche Strategien denkbar. Da jede andere individuell rationale Auszahlungskombination in analoger Weise als Gleichgewicht gestützt werden kann, ist die spieltheoretische Voraussage äußerst unbefriedigend: Die Auszahlungskombinationen (28,28), (22,22), (20,20), (14,14), (30,15), (15,30), (27,16) und (16,27) sind möglich.

Aufgrund der Symmetrie der Unternehmen lässt sich jedoch vermuten, dass die Unternehmen sich auf ein Gleichgewicht koordinieren, indem sie die gleichen Gewinne erzielen. Ziehen die Unternehmen nur solche Gleichgewichte in Betracht, stellt der Übergang von jedem Gleichgewicht, in dem nicht vollständig kolludiert wird, zu einem Gleichgewicht, in dem vollständig kolludiert wird, eine Pareto-Verbesserung dar. Diese Überlegungen führen zu Hypothese 1: (a) Im nichtregulierten Markt setzten beide Unternehmen den gleichen Preis. (b) Die Unternehmen entscheiden sich häufiger für die Preise 4 und 3 als für die Preise 2 und 1.

Wird das „Österreichische Modell“ eingeführt, verändert sich das Superspiel dahingehend, dass für die Unternehmen zwar weiterhin in allen Perioden die Möglichkeit besteht, sich für den Preis aus der Vorperiode zu entscheiden oder einen niedrigeren Preis zu wählen. Sie können aber ausschließlich in wenigen festgelegten und allen Unternehmen bekannten Perioden einen höheren Preis setzten. Da sich immer noch die oben genannten Auszahlungskombinationen als Gleichgewichte ergeben können, erschließt sich die Wirkung des „Österreichischen Modells“ an dieser Stelle nicht. Der wettbewerbliche Nutzen kann also durchaus in Frage gestellt werden. Hypothese 2 ist daher: Im regulierten Markt verhalten sich beide Unternehmen so, wie im nichtregulierten Markt.

Wegen der nur seltenen Möglichkeiten zu Preiserhöhungen ließe sich aber spekulieren, dass sich die Unternehmen im regulierten Markt leichter koordinieren können. Überdies können Koordinationsfehler mittelfristig nur dadurch beseitigt werden, dass mindestens ein Unternehmen den Preis senkt. Da Korrekturen lediglich auf niedrigere Preise jederzeit möglich sind, scheint es im regulierten Markt naheliegend, den zukünftigen Handlungsspielraum wenn möglich voll auszureizen, indem der höchste Preis gesetzt wird. Diese Überlegungen motivieren Hypothese 3: (a) Im regulierten Markt variieren die Preise weniger als im nichtregulierten Markt. (b) Die Preise im regulierten Markt sind höher als im nichtregulierten Markt.

Das Experiment: Aufbau und Durchführung

Um die Wirkung des „Österreichischen Modells“ zu analysieren und die Hypothesen zu testen, wurde im August 2011 ein computerisiertes Experiment am Karlsruher Institut für Technologie durchgeführt.7 Insgesamt nahmen 66 Studierende aus allen Fachbereichen an vier Sitzungen teil.8 Jede Sitzung dauerte zwischen 30 und 45 Minuten. Im Durchschnitt verdienten die Teilnehmer 16,27 Euro, wobei kein Teilnehmer weniger als 10,52 Euro erhielt. Die Vergütung setzte sich aus einem Festbetrag in Höhe von 5 Euro und einem variablen Teil zusammen. Der variable Teil der Vergütung hing vom Verhalten der Teilnehmer im Experiment ab.

Es gibt zwei Versuchsanordnungen (vgl. Tabelle 2). Mit Versuchsanordnung 1 (nichtreguliert) wird der nichtregulierte Markt implementiert. Jeder Teilnehmer interagiert mit einem anderen Teilnehmer und hat jeweils eine Entscheidung pro Runde zu treffen. Eine Entscheidung besteht darin, einen Preis zwischen 1 und 4 zu setzen. Die resultierende Preiskombination ist mit einem Gewinn für den einen Teilnehmer und mit einem Gewinn für den anderen Teilnehmer verbunden. Die mit jeder Preiskombination verbundenen Gewinne entsprechen den Angaben in Tabelle 1.9 Die Teilnehmer entscheiden simultan. Es gibt mindestens 31 Runden: Runde 0, 1, …, 30 und so weiter. Nach Runde 30 beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass es eine weitere Runde gibt, 5/6.10 In Runde 0 werden die Entscheidungen vorgegeben. Für beide Teilnehmer wird der Preis 3 gewählt.11 In den folgenden Runden entscheiden die Teilnehmer selbst. In Runde 0 wird jedem Teilnehmer ein Teilnehmer zufällig zugeordnet. Die Teilnehmer wissen nicht, mit welchem Teilnehmer sie interagieren. Diese Zuordnung wird über alle Runden beibehalten. Um Framing-Effekte zu vermeiden, wird in der Anleitung12 kein Bezug auf den Tankstellenmarkt oder die duopolistische Marktstruktur genommen. Sogar das Setzen eines Preises wird mit dem Wählen einer Zahl umschrieben. Die Teilnehmer werden nicht als Unternehmen, sondern schlicht als Teilnehmer bezeichnet. Das heißt, die Anleitung ist in neutraler Sprache verfasst.

Tabelle 2
Versuchsanordnungen
Versuchsanordnung nichtreguliert reguliert
Teilnehmer 32 34
Unabhängige Beobachtungen 16 17

Mit Versuchsanordnung 2 (reguliert) wird ein regulierter Markt implementiert. Der regulierte Markt unterscheidet sich vom nichtregulierten lediglich in einem Punkt: Für die Teilnehmer besteht ausschließlich in den Runden 5, 20, 35 usw. die Möglichkeit, einen höheren Preis zu setzen. Wie im nichtregulierten Markt können sich die Teilnehmer in allen Runden für den Preis aus der Vorrunde entscheiden oder einen niedrigeren Preis setzen. Ansonsten sind beide Anleitungen identisch.

Jeder Teilnehmer nahm nur im Rahmen einer Versuchsanordnung teil und hatte keine Kenntnis von weiteren Versuchsanordnungen. Nach Ankunft im Labor wurden den Teilnehmern zufällig sichtgeschützte Computerterminals zugewiesen. Die Anleitung wurde laut vorgelesen, und den Teilnehmern wurde ausreichend Zeit zur eigenständigen Durchsicht gegeben. Im Anschluss hatten die Teilnehmer Gelegenheit zur Nachfrage. Die Fragen wurden unter vier Augen beantwortet. Um das Verständnis der Anleitungen zu überprüfen, mussten alle Teilnehmer spezielle, auf die jeweilige Versuchsanordnung zugeschnittene Kontrollfragen unmittelbar vor Beginn des Experiments beantworten. Die Teilnehmer wurden direkt im Anschluss an das Experiment individuell und anonym ausbezahlt.

Ergebnisse

Die folgende Auswertung bezieht sich nur auf die ersten 31 Runden: Runde 0 bis 30. Da in Runde 0 die Entscheidungen automatisch getroffen werden, wird diese Runde lediglich in den Abbildungen berücksichtigt. In allen anderen Analysen werden nur die Runden 1 bis 30 betrachtet. Tabelle 3 zeigt den Anteil der gewählten Preise für beide Versuchsanordnungen. Sowohl im nichtregulierten als auch im regulierten Markt setzen die Teilnehmer überwiegend hohe Preise. Die Durchschnittspreise in beiden Märkten betragen 3,22 und 3,64.

Tabelle 3
Anteil der gesetzten Preise (in %)
Versuchsanordnung nichtreguliert reguliert
Preis 1 20,94 6,37
Preis 2 5,52 2,45
Preis 3 3,23 11,76
Preis 4 70,31 79,41

Laut Hypothese 1a gelingt es den Teilnehmern im nichtregulierten Markt, die gleichen Preise zu setzen. Tabelle 4 zeigt die Anteile der jeweiligen Preiskombinationen, in denen die Teilnehmer gleiche Preise wählen. Den Teilnehmern im nichtregulierten Markt gelingt es in fast 83% aller Interaktionen, den gleichen Preis zu setzten. Im regulierten Markt gelingt dies sogar in über 94% der Fälle. Hypothese 1a hat sich somit bewährt. Auch Hypothese 1b kann nicht verworfen werden. Wie aus Tabelle 3 hervorgeht, werden im nichtregulierten Markt in etwa 74% aller Interaktionen die Preise 4 und 3 gesetzt. Im regulierten Markt entscheiden sich die Teilnehmer sogar in ungefähr 91% der Fälle für diese Preise.

Tabelle 4
Anteil der Preiskombinationen (in %)
Versuchsanordnung nichtreguliert reguliert
Preiskombination (1,1) 14,38 3,73
Preiskombination (2,2) 1,25 0,00
Preiskombination (3,3) 0,83 11,57
Preiskombination (4,4) 66,46 78,82

Um Hypothese 2 zu testen, werden zuerst die durchschnittlichen Rundenpreise je Versuchsanordnung betrachtet. Der Verlauf beider Zeitreihen unterscheidet sich drastisch. Im regulierten Markt sind die Preiserhöhungen in den Runden 5 und 20 deutlich erkennbar. Die Teilnehmer schöpfen ihren Preissetzungsspielraum nach oben nahezu vollständig aus. Des Weiteren zeigt sich, dass sich die Teilnehmer in den auf die Runden 5 und 20 folgenden Runden lange auf einem hohen Preisniveau halten. Ab Runde 5 liegen die durchschnittlichen Rundenpreise im regulierten Markt stets über den durchschnittlichen Rundenpreisen im nichtregulierten Markt. Die durchschnittlichen Preise pro Runde sind im regulierten Markt signifikant höher als im nichtregulierten Markt (Mann-Whitney-U-Test: p = 0,000).

Über alle Runden hinweg ist das Preissetzungsverhalten im regulierten Markt weniger volatil als im nichtregulierten. Die Standardabweichungen betragen 0,81 und 1,24. Das heißt, die Preise im regulierten Markt variieren weniger als im nichtregulierten Markt. Damit ist Hypothese 2 falsifiziert worden. Im regulierten Markt wurde ab Runde 5 absolut überwiegend der Preis 4 gesetzt. Die Anteile der gewählten Preise sind in Abbildung 1 für alle Runden dargestellt. Zwar setzten die Teilnehmer bis Runde 4 zunehmend niedrigere Preise, sie wählten aber ab Runde 5 fast ausschließlich den höchstmöglichen Preis. Erst kurz vor Runde 20 nimmt die Preisvariation wieder zu. Allerdings entscheiden sich mehr als 80% der Teilnehmer immer noch für den Preis 4. In Runde 20, in der die Wahl eines höheren Preises wieder gestattet ist, gelingt es den Teilnehmern erneut höhere Preise durchzusetzen.

Abbildung 1
Anteil der gewählten Preise im regulierten Markt
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Obwohl das Experiment ab Runde 30 mit einer hohen Rundenfortsetzungswahrscheinlichkeit fortgeführt wird, lässt sich ab Runde 25 einen Preisverfall beobachten. Der Anteil des Preises 4 ist rückläufig, gleichzeitig steigt der Anteil des Preises 1. Dieses Teilnehmerverhalten könnte einerseits der Preisabwärtsentwicklung vor Runde 20 entsprechen. Andererseits legt das Verhaltensmuster das Vorhandensein eines Endrundeneffekts nahe. Da in einer Sitzung des regulierten Marktes die Runde 35 überschritten worden ist, können zusätzlich die Runden 34 und 35 miteinander verglichen werden. Während in Runde 34 nur 72% der Teilnehmer den Preis 4 wählen, sind es in Runde 35 wieder stolze 89%. Diese Beobachtung spricht dafür, dass keine grundsätzlichen Verhaltensänderungen zu erwarten sind, wenn die Rundenzahl steigt.

Für den nichtregulierten Markt sind die Anteile der gewählten Preise pro Runde in Abbildung 2 dargestellt. Auch hier gelingt es den Teilnehmern, sogar schon von Anfang an, den höchstmöglichen Preis zu setzen: jedoch nicht zu einem so hohen Anteil wie im regulierten Markt.

Abbildung 2
Anteil der gewählten Preise im nichtregulierten Markt
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Über alle Preise hinweg gibt es mehr Variation im nichtregulierten Markt als im regulierten. Aufgrund der in größerer Zahl vorhandenen Möglichkeiten zu Preiserhöhungen, haben die Teilnehmer im nichtregulierten Markt Schwierigkeiten, ihr Verhalten zu koordinieren. Hypothese 3a hat sich damit bewährt. Aufgrund der grafischen Analyse sowie der deskriptiven und induktiven Statistiken gilt dies auch für Hypothese 3b. Im regulierten Markt variieren die Preise also weniger als im nichtregulierten Markt, und die Preise im regulierten Markt sind höher als im nichtregulierten Markt.

Fazit

Die in der Fachöffentlichkeit vorhandene Skepsis gegenüber dem „Österreichischen Modell“ scheint gerechtfertigt. Sowohl die spieltheoretischen Voraussagen als auch die experimentellen Befunde legen nahe, dass das „Österreichische Modell“ eher kollusionserleichternd als kollusionserschwerend wirkt. Im regulierten Experimentalmarkt sind die Vertriebspreise jedoch weniger volatil, dafür aber höher als im nichtregulierten Experimentalmarkt. Die Einführung dieser preisregulatorischen Maßnahme ist also mit einer Absenkung der Wohlfahrt verbunden. Ist die Wohlfahrt die zu maximierende Zielgröße, wirkt das „Österreichische Modell“ in die falsche Richtung. Wäre das Ziel jedoch, die Anzahl der Preisänderungen zu minimieren, könnte durchaus von einer Wirkung in die richtige Richtung gesprochen werden. Dann entspräche der Wohlfahrtsverlust den Kosten einer funktionierenden Regulierungsmaßnahme, und es wäre abzuwägen, ob der Nutzen die Kosten übersteigt.

Ob es auf einem Tankstellenmarkt durch die Einführung einer regulativen Maßnahme, wie sie die österreichische Spritpreis-Verordnung vorsieht, tatsächlich zu Wohlfahrtsverlusten kommt, ist indes weiterhin unklar. Da auf einem nichtregulierten Tankstellenmarkt die Preise auch sequentiell erhöht werden können, was in dem nichtregulierten Experimentalmarkt unmöglich ist, ist es wahrscheinlich, dass sich das Preissetzungsverhalten auf einem nichtregulierten Tankstellenmarkt weniger stark vom Preissetzungsverhalten auf einem regulierten Markt unterscheidet, als es in dem Experiment der Fall ist. Auch diese Hypothese könnte problemlos im Labor getestet werden. Da die Unternehmen in dem regulierten Experimentalmarkt aber nahezu immer den höchstmöglichen Preis setzten, kann zum Allermindesten festgehalten werden, dass das „Österreichische Modell“ bestenfalls wirkungslos ist.

Für kritische Kommentare und wertvolle Anregungen danken wir Prof. Dr. Max Albert von der Justus-Liebig-Universität Gießen. (Anmerkung der Autoren)

  • 1 Vgl. Bundeskartellamt: Sektoruntersuchung Kraftstoffe, Zwischenbericht, Bonn 2009.
  • 2 Petroleum Products Pricing Amendment Act 2000, Nr. 73, Western Australia 2000.
  • 3 Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend betreffend Standesregeln für Tankstellenbetreiber über den Zeitpunkt der Preisauszeichnung für Treibstoffe bei Tankstellen.
  • 4 Vgl. Bundeskartellamt: Sektoruntersuchung Kraftstoffe, Abschlussbericht, Bonn 2011.
  • 5 Vgl. Bundeskartellamt: Benzinpreise – Marktmacht, Preissetzung und Konsequenzen, Hintergrundpapier, Bonn 2011.
  • 6 Vgl. Bundeskartellamt: Benzinpreise – Marktmacht, Preissetzung und Konsequenzen, Wettbewerbsexperten diskutieren in Bonn bei der Tagung des Arbeitskreises Kartellrecht, Pressemeldung vom 10.10.2011.
  • 7 Zur Durchführung des Experiments wurde z-Tree verwendet, vgl. U. Fischbacher: z-Tree: Zurich Toolbox for Ready-made Economic Experiments, in: Experimental Economics, 10. Jg. (2007), H. 2, S. 171-178.
  • 8 Zur Rekrutierung der Teilnehmer wurde ORSEE verwendet, vgl. B. Greiner: An Online Recruitment System for Economic Experiments, in: K. Kremer, V. Macho (Hrsg.): Forschung und wissenschaftliches Rechnen, Beiträge zum Heinz-Billing-Preis 2003, Göttingen 2004, S. 79-93.
  • 9 Die Auszahlungen wurden in Experimental Currency Unit (ECU) notiert. Der Wechselkurs zwischen ECU und Euro betrug 1/75.
  • 10 Auf diese Weise ist der Endzeitpunkt des Experiments unbekannt, was möglichen Endrundeneffekten entgegenwirkt. Vgl. hierzu auch R. Selten, R. Stoecker: End Behavior in Sequences of Finite Prisoner’s Dilemma Supergames, in: Journal of Economic Behavior and Organization, 7. Jg. (1986), H. 1, S. 47-70; und H.-T. Normann, B. Wallace: The Impact of the Termination Rule on Cooperation in a Prisoner’s Dilemma Experiment, DICE Discussion Paper Nr. 19, Düsseldorf 2011.
  • 11 Dadurch war für die Teilnehmer bereits bei der ersten eigenen Entscheidung eine Historie des Spiels gegeben.
  • 12 Die Anleitung ist auf Anfrage erhältlich.

Beitrag als PDF


DOI: 10.1007/s10273-012-1322-2