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In den letzten Jahren hat sich die deutsche Öffentlichkeit zunehmend für das Phänomen der Auswanderung interessiert. Dies drückt sich unter anderem in einer Vielzahl von Fernsehsendungen aus, die sich exemplarisch mit den Schicksalen und Lebenswegen von Deutschen befassen, die sich zur Auswanderung entschlossen haben. Aber auch in den politischen Diskursen hat das Thema Auswanderung im Zuge der Debatten um einen möglichen Fachkräftemangel und dessen ökonomische Konsequenzen stark an Bedeutung gewonnen. Während sich die Diskussionen lange Zeit nahezu ausschließlich auf die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften und Flüchtlingen fokussierten, wird in den letzten Jahren verstärkt darüber diskutiert, ob Deutschland durch Abwanderung von inländischen Fach- und Führungskräften wichtiges Humankapital verlieren könnte. Im gleichen Zusammenhang wird vermehrt die Befürchtung geäußert, dass sich insbesondere gut qualifizierte Personen mit Migrationshintergrund für eine Aus- bzw. Rückwanderung in das Heimatland bzw. das Land ihrer Eltern entscheiden und dadurch dem inländischen Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Ein Charakteristikum dieser Debatten, die in der Konsequenz von der Sorge um einen „Brain Drain“ für Deutschland getrieben werden, ist die relativ geringe empirische Evidenz über das Ausmaß der qualifizierten Abwanderung, da nur unzureichende Informationen über die Bildungsstruktur der Auswanderung vorhanden sind.

Datenlage

Zunächst ist festzuhalten, dass die Verfügbarkeit und Qualität von Informationen über Auswanderungen in der Regel eingeschränkter sind als für Zuwanderungen, da Fortzüge weitaus schwieriger zu erfassen sind als Zuzüge. Aus Sicht des Auswanderungslandes bieten sich grundsätzlich vier Quellen der Datenerfassung an:1 Bevölkerungsregister, Grenzstatistiken, prozessbasierte Daten sowie Daten aus sozialwissenschaftlichen Haushalts- und Personenbefragungen. Bei Bevölkerungsregistern, welche die wichtigste Quelle für die Erfassung von Abwanderungen darstellen, besteht grundsätzlich die Schwierigkeit darin, dass sich Personen bei einer Auswanderung nicht zwangsläufig aus den Einwohnermeldeämtern abmelden. Dadurch wird die wahre Dimension der Auswanderung eher unterschätzt. Zudem sind die Wanderungsstatistiken, die anhand der Melderegisterdaten erstellt werden, keine Personenstatistiken, so dass mehrfache Umzüge einer Person auch mehrfach in die Statistik eingehen. Eine zentrale Einschränkung ist aus wissenschaftlicher Sicht zudem, dass aufgrund der begrenzten Erfassung soziodemographischer Merkmale nur eingeschränkte Aussagen über die Struktur der Auswanderung getroffen werden können. So werden in den Melderegistern weder Informationen über den Bildungsgrad noch über den Arbeitsmarktstatus vor der Auswanderung erfasst. Diese Einschränkung gilt in der Regel auch für Daten aus Grenzstatistiken,2 während prozessbasierte Datensätze, wie z.B. Daten aus der deutschen Rentenversicherung, umfangreichere Angaben über Charakteristika der Auswanderer enthalten. Allerdings ermöglichen diese Datenquellen lediglich Aussagen über ausgewählte Subpopulationen, die Teil des datengenerierenden Prozesses sind. Somit stellen repräsentative Haushalts- und Personenbefragungen wie der Mikrozensus und das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) wichtige Datenquellen dar, anhand derer umfassende Erkenntnisse über das Verhalten und die Struktur von Auswanderern gewonnen werden können. Allerdings sind die Informationen über Auswanderungen in den besagten Datensätzen in der Regel mit relativ großen Messfehlern behaftet, so dass häufig auf die selbst erklärte Auswanderungsabsicht als zu erklärende Variable zurückgegriffen werden muss.

Neue Daten

Im Rahmen einer Erweiterung enthalten die Daten des SOEP seit 2010 neue biographische Informationen im sogenannten LIFESPELL-Datensatz, die verlässliche Aussagen über Emigranten aus Deutschland ermöglichen. Die entsprechenden Daten wurden unter anderem aus sogenannten Verbleibstudien von Befragungsausfällen gewonnen, indem Informationen aus Einwohnermeldeämtern ausgewertet wurden, um den aktuellen Aufenthaltsort von ehemaligen SOEP-Teilnehmern herauszufinden.3 Mittels dieses Vorgehens können Auswanderer zum ersten Mal eindeutig identifiziert werden, selbst wenn die Teilnehmer bereits seit einigen Jahren aus der Studie ausgeschieden sind. Mit Hilfe der zuvor im SOEP erhobenen sozio-ökonomischen Daten lässt sich so die Entscheidung, Deutschland (wieder) zu verlassen, explizit und umfassend untersuchen.

Im Rahmen des NORFACE-Projektes TEMPO (TEmporary Migration, integration and the role of POlicies) werden diese Daten von den Autoren4 dazu genutzt, neue Erkenntnisse über strukturelle und temporäre Muster bei der Auswanderung von Zuwanderern aus Deutschland zu gewinnen. Der betrachtete Zeitraum umfasst die Jahre 1984 bis 2010, wobei bislang ausschließlich Personen aus den alten Bundesländern betrachtet werden. Eine Einschränkung besteht darin, dass die verwendeten Daten keine Informationen über das Ziel der Ausreise enthalten. Im Fall von Personen mit Migrationshintergrund kann allerdings angenommen werden, dass der Großteil der Auswanderer in das jeweilige Herkunftsland zurückwandert. Die Entscheidung zur Auswanderung beruht im individuellen Fall auf einer Vielzahl von Faktoren, deren Einfluss a priori nur schwer zu quantifizieren ist. Die ökonometrische Modellierung der Auswanderung verwendet daher ein flexibles, datengesteuertes Verfahren: Die Anwendung sogenannter additiver Modelle erlaubt unter anderem die Berücksichtigung nichtlinearer- und interagierender Effekte der berücksichtigten erklärenden Variablen. Aufgrund von substantiellen Unterschieden in der demographischen Struktur, Migrationsmotiven und Erwerbsverhalten wird zudem zwischen einzelnen ausländischen Gruppen stratifiziert, d.h. ausgewählte Zuwanderergruppen werden separat analysiert und modelliert.

Auswanderung von Zuwanderern

Im Folgenden stehen nicht-türkische Zuwanderer im Fokus, die im Ausland geboren wurden und keine deutsche Abstammung haben.5 Die Analyse bezieht sich somit auf Personen mit einem direkten Migrationshintergrund, die im Laufe ihres Lebens nach Deutschland eingewandert sind. Hierbei wird zwischen zwei Gruppen unterschieden: Personen, die bis zum Zeitpunkt der letzten Erfassung in Deutschland leben und Personen, die im betrachteten Zeitraum ins Ausland verzogen sind. Tabelle 1 zeigt exemplarisch einige ausgewählte Charakteristika für beide Gruppen. Zunächst wird deutlich, dass der Frauenanteil unter den Auswanderern dem Anteil in der Bevölkerung mit direktem Migrationshintergrund entspricht. Anders ausgedrückt, die Verteilung deutet nicht darauf hin, dass es signifikante Geschlechtsunterschiede bei der Auswanderung gibt. Anders sieht es aus, wenn man das Merkmal der Staatsangehörigkeit betrachtet. Hier zeigen die Daten deutlich, dass Personen, die im Laufe Ihres Aufenthaltes die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben, sich unterproportional häufig für eine Auswanderung entscheiden. Ein ähnlicher Zusammenhang gilt für Personen mit Kindern unter 18 Jahren. Diese Beziehungen, die auch in der empirischen Analyse bestätigt werden,6 deuten darauf hin, dass sowohl die Einbürgerungsentscheidung als auch die Präsenz von Kindern im Schulalter häufig mit einer langfristigen Standortentscheidung verbunden sind. Weiter wird deutlich, dass Personen beider betrachteten Gruppen bei der Zuwanderung nach Deutschland im Durchschnitt mit Anfang 20 bzw. Mitte 20 relativ jung sind, während Auswanderer zum Zeitpunkt der Emigration im Durchschnitt bereits Mitte 40 sind. Dieser Zusammenhang wird insbesondere durch einen großen Anteil von Personen getrieben, die sich mit dem Eintritt ins Rentenalter für eine Rückwanderung entschließen. Gründe für die lebenszyklisch bedingte Auswanderung, bei der es sich in der betrachteten Stichprobe meist um eine Rückwanderung ins Herkunftsland handelt, sind geringere Lebenshaltungskosten in der Herkunftsregion sowie die steigende Bedeutung sozialer und familiärer Netzwerke im Alter.

Tabelle 1
Soziodemographische Merkmale

in %

  Ausländische Bevölkerung Auswanderer
Sozio-demographische Merkmale
Anteil der Frauen 48,2 47,0
Anteil mit deutscher Staatsbürgerschaft 18,3 2,5
Anteil der Personen mit Kindern unter 18 26,8 16,1
Durchschnittliches Alter bei Immigration (in Jahren) 21,9 26,4
Durchschnittliches Alter bei Emigration (in Jahren) -- 45,4
Beruflicher Status in Deutschland
In Ausbildung 2,5 3,1
Einfache berufliche Tätigkeiten 69,7 83,0
Fachkräfte 17,1 7,2
Hochqualifizierte Tätigkeiten 10,7 6,7
Arbeitsmarktstatus
Erwerbstätig 62,0 44,6
Nicht-erwerbstätig 31,8 42,0
Arbeitslos 6,2 13,4

Quelle: eigene Berechnungen mit Daten des SOEP 1984-2010.

Berufliche Struktur

Bezüglich der beruflichen Struktur zeigen die Daten, dass Auswanderer überproportional häufig einfache berufliche Tätigkeiten in Deutschland ausgeübt haben.7 Allerdings gibt es auch unter den sogenannten hochqualifizierten Zuwanderern, definiert als Personen, die in Berufen arbeiten, die einen Hochschulabschluss erfordern, eine substantielle Gruppe von Auswanderern. Darüber hinaus weisen die deskriptiven Auswertungen darauf hin, dass Zuwanderer der mittleren Berufsgruppe, die den sogenannten Fachkräften zuzuordnen sind, unterproportional häufig auswandern. Dieses Muster wird durch ökonometrische Analysen bestätigt.8 Des Weiteren zeigt Tabelle 1, dass unter den Auswanderern nicht-erwerbstätige und arbeitslose Personen überrepräsentiert sind. Dies steht im Einklang mit der neoklassischen Theorie der „failed migration“, nach der diejenigen Migranten in ihre Heimatländer zurückkehren, die keinen oder nur unzureichenden Erfolg auf dem Arbeitsmarkt des Empfängerlandes haben und deshalb ihre Einkommenserwartungen nicht realisieren konnten. Auch dieser Zusammenhang wird in der empirischen Analyse bestätigt, so dass gezeigt werden kann, dass Auswanderungen dazu beitragen können die Sozialsysteme zu entlasten.

Schließlich weisen die Auswertungen anhand des neuen LIFESPELL-Datensatzes darauf hin, dass es innerhalb der einzelnen Zuwanderergruppen in Deutschland erhebliche Unterschiede beim Auswanderungsverhalten gibt. Tabelle 2 zeigt, dass Personen aus südeuropäischen Ländern wie Italien, Griechenland und Spanien, aus denen in den 1950er und 1960er Jahren mittels bilateraler Abkommen aktiv Gastarbeiter angeworben worden sind, überproportional stark unter den Auswanderern vertreten sind. Dieser Zusammenhang gilt nicht für Zuwanderer aus den Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens, da diese auch Personen umfassen, die während des Bürgerkrieges in Jugoslawien als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Zuwanderer aus Osteuropa, die in der Tendenz erst in den letzten Jahren vermehrt nach Deutschland eingewandert sind, weisen unterdurchschnittliche Auswanderungsraten aus. Dies gilt ebenfalls für Zuwanderer aus nicht-europäischen Ländern, für die eine Rückwanderung in die Herkunftsländer in der Regel mit hohen Mobilitätskosten und Unsicherheiten über die Wiedereinreise verbunden ist.

Tabelle 2
Herkunftsländer

in %

  Ausländische Bevölkerung Auswanderer
Griechenland 12,9 21,9
Portugal 0,9 1,0
Spanien 9,7 21,3
Italien 20,2 26,8
Osteuropa 9,0 1,9
Früheres Jugoslawien 27,3 20,2
OECD 10,6 4,9
Rest der Welt 9,4 2,0

Quelle: eigene Berechnungen mit Daten des SOEP 1984-2010.

Abschließend lässt sich festhalten, dass mittels des LIFESPELL-Datensatzes und der flexiblen ökonometrischen Modellierung neue Erkenntnisse über das Auswanderungsverhalten in Deutschland gewonnen werden können. Die ersten Analysen deuten darauf hin, dass die individuelle Auswanderungsentscheidung stark von den Bedürfnissen des jeweiligen Lebensabschnittes geprägt ist. Zudem zeigt sich, dass die skizzierte Selektivität der Auswanderung von Personen mit Migrationshintergrund sowohl mit Chancen als auch mit Risiken für den deutschen Arbeitsmarkt verbunden ist.

  • 1 Siehe L. Sauer, A. Ette: Auswanderung aus Deutschland, Stand der Forschung und erste Ergebnisse zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger, Materialien zur Bevölkerungswissenschaft, H. 123, Wiesbaden 2007. Alternativ können Auswanderungen aus einem Land auch durch Einwanderungsstatistiken in den jeweiligen Zielländern erfasst werden.
  • 2 Grenzstatistiken spielen insbesondere in Ländern ohne Melderegister eine große Rolle zur Erfassung von Wanderungsbewegungen.
  • 3 Vgl. H. Neiss, M. Kroh: Lifespell: Information on the pre- and post-survey history of soep-respondents, in: J. Frick, J. Göbel (Hrsg.): Data Documentation 61 – Biography and Life History Data in the German Socio Economic Panel (SOEP, v27, 1984 - 2010), Kapitel 19, S. 199-215, Berlin 2011.
  • 4 Vgl. T. Kuhlenkasper, M. F. Steinhardt: Who leaves and when? Selective outmigration of immigrants from Germany, HWWI Research Paper, Hamburg 2012.
  • 5 Es werden daher keine Aussiedler betrachtet.
  • 6 Vgl. T. Kuhlenkasper, M. F. Steinhardt, a.a.O.
  • 7 Die dargestellten Gruppen beziehen sich auf den ausgeübten Beruf, wobei der höchste berufliche Status zugrunde gelegt wurde, der während des Beobachtungszeitraumes eingenommen wurde. Die Klassifikation der Berufe orientiert sich an dem Schema der ILO (vgl. T. Kuhlenkasper, M. F. Steinhardt, a.a.O.).
  • 8 Ebenda.


DOI: 10.1007/s10273-012-1455-3