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Nicht alle Güter werden über einen Preismechanismus auf Märkten gehandelt. Angebot und Nachfrage von Plätzen an Schulen und Universitäten, die Zuweisung von Organen bei Lebendspendern und die Partnerwahl vollziehen sich nach anderen Regeln. Wie diese Regeln gestaltet sein müssen, um zu effizienten Vermittlungsergebnissen zu kommen, und wann eine stabile Allokation auf diesen Märkten möglich ist, haben die beiden Nobelpreisträger untersucht.

Der diesjährige Nobelpreis in Ökonomie wurde an Lloyd S. Shapley und Alvin E. Roth für „the theory of stable allocations and the practice of market design“ verliehen. Er ehrt die Arbeiten von Shapley in den 1960er Jahren zur Theorie stabiler Zuordnungen sowie ihre empirischen Anwendungen und die Weiterentwicklung der Theorie durch Roth seit den 1980er Jahren bis heute.

Viele wichtige Lebenssituationen sind dadurch charakterisiert, dass Preise keine entscheidende Rolle spielen. Bei der Wahl der Schule, der Hochschule aber auch des Ehepartners wird die Zuordnung in den meisten Fällen nicht durch Preise geregelt. Diese Märkte sind dafür dadurch gekennzeichnet, dass die Wünsche oder Prioritäten von beiden Marktseiten berücksichtigt werden müssen. Das bedeutet z.B., dass ein Individuum sich zwar einen Platz in einer Schule auswählen kann, die Schule aber auch bereit sein muss, ihm diesen Platz zu geben. Dafür reicht es nicht, einen hohen Preis anzubieten, denn die meisten Schulen und Universitäten vergeben ihre Plätze nicht danach, wer bereit ist, das höchste Schulgeld oder die höchsten Studiengebühren zu bezahlen. Meritokratische Kriterien wie Leistung und Motivation, aber z.B. auch Wohnortnähe spielen anstelle von Preisen bei der Zuordnung von Schülern und Studenten eine wichtige Rolle. Organhandel ist verboten, d.h., dass kein Geld bei der Zuteilung im Spiel sein darf. Dasselbe gilt in den meisten Kulturen für Ehepartner. Selbst auf bestimmten Arbeitsmärkten ist es nicht der Lohn, der zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage führt, z.B. weil die Einstiegsgehälter aufgrund von Regulierungen fix sind.

Da Preise als Allokationsinstrument in zweiseitigen Matching-Märkten zur Koordination nicht zur Verfügung stehen, tritt häufig Marktversagen auf.1 Für die Marktteilnehmer von großer Bedeutung ist, ob der Markt eine ausreichende Größe aufweist (thickness), um viele Transaktionen zu ermöglichen. Weiterhin ist es wichtig, dass die Marktteilnehmer ausreichend Zeit haben, diese möglichen Transaktionen auch in Erwägung zu ziehen. Wenn das nicht der Fall ist, sondern der Prozess der Angebote und Ablehnungen zu lange dauert, kann es dazu kommen, dass aus Zeitgründen nicht alle möglichen Transaktionen betrachtet werden können (congestion). Wenn die Marktteilnehmer erfahren, dass sie nicht ausreichend Zeit haben, um eine vorteilhafte Transaktion abzuschließen, führt das häufig, dazu, dass Markttransaktionen immer früher, häufig noch bevor für die Allokation relevante Informationen zugänglich sind (unraveling), stattfinden. Ein Beispiel dafür sind Jobangebote an Studenten, noch bevor sie ihr Studium abgeschlossen haben. Eine weitere Ursache für Marktversagen besteht darin, dass es häufig Anreize für strategisches Verhalten gibt. Es kann für Marktteilnehmer optimal sein, ihre wahren Präferenzen nicht zu offenbaren, und dieses strategische Verhalten hat wiederum häufig den Effekt, dass die Markteilnehmer am Ende auch nicht ihre bestmögliche Wahl bekommen.

Eine stabile Zuordnung

Marktversagen auf zweiseitigen Matching-Märkten kann zur Instabilität der Zuordnung führen. Der Begriff der Stabilität einer Zuordnung ist zentral für die Untersuchung von Matching-Märkten, und er wird deswegen auch vom Nobelpreiskomitee „the theory of stable allocations“ genannt. Er entstammt der kooperativen Spieltheorie, die die Anreize von Spielern, Koalitionen zu bilden, untersucht. Dafür wird die Annahme getroffen, dass innerhalb einer Koalition bindende Vereinbarungen möglich sind. Eine Allokation oder Zuordnung wird stabil genannt, wenn sie durch eine neue Koalition nicht verbessert werden kann bzw. wenn sie nicht von einem Einzelnen oder einem Paar von Spielern blockiert wird. Die Idee der Stabilität in der kooperativen Spieltheorie entspricht der Idee des Nash-Gleichgewichts in der nicht-kooperativen Spieltheorie: Kein Individuum (Nash-Gleichgewicht) bzw. keine Koalition (Stabilität) kann abweichen und sich dadurch besserstellen. Stabilität garantiert also, dass keine weiteren Tauschgewinne mehr realisiert werden können. Auf Shapley gehen grundlegende Beiträge zur kooperativen Spieltheorie zurück, insbesondere zur Frage, unter welchen Bedingungen die Menge der stabilen Allokationen (genannt „core“ oder Kern) nicht leer ist.

Gemeinsam mit David Gale hat sich Lloyd Shapley 1962 der Frage zugewandt, ob auf einem zweiseitigen Matching-Markt immer ein stabiles Matching existiert. Um die Existenz einer stabilen Allokation zu beweisen, entwickelten sie den sogenannten Deferred-Acceptance-Algorithmus (DA-Algorithmus) oder auch Gale-Shapley-Algorithmus. Er stellt den Kern der Theorie stabiler Zuordnungen auf Matching-Märkten dar und ist der Ausgangspunkt für unzählige Anwendungen. Gale und Shapley2 betrachten einen Markt, auf dem es zwei Marktseiten gibt, deren Mitglieder jeweils einem Mitglied der anderen Marktseite zugeordnet werden möchten. Ein Beispiel ist der Heiratsmarkt. Für einen solchen Markt zeigen Gale und Shapley, dass der DA-Mechanismus immer, d.h. für alle möglichen Präferenzen der Männer und der Frauen, zu einem stabilen Ergebnis führt. Ein stabiles Ergebnis liegt vor, wenn kein Mann und keine Frau einzeln nicht mitmachen wollen und sich auch kein Paar bilden kann, das sich besserstellt, wenn es gemeinsam die vorgeschlagene Zuordnung umgeht. Da der Algorithmus endlich ist und immer zu einem stabilen Matching führt, ist gezeigt, dass für jedes Matching-Problem in einem Heiratsmarkt ein stabiles Matching existiert.

Der DA-Mechanismus funktioniert wie folgt, wenn die Frauen das Vorschlagsrecht haben (analog gibt es natürlich die Möglichkeit, dass die Männer die Angebote machen): Zuerst machen alle Frauen jeweils dem von ihnen favorisierten Mann ein Angebot. Jeder Mann lehnt alle Angebote außer das von ihm favorisierte Angebot ab. Das favorisierte Angebot wird jedoch noch nicht verbindlich angenommen, um abzuwarten, ob der Mann im weiteren Verlauf des Verfahrens noch ein Angebot von einer von ihm bevorzugten Frau erhält. Im nächsten Schritt erteilt jede Frau, die im vorherigen Schritt eine Absage erhalten hat, dem von ihr dann am meisten favorisierten Mann ein Angebot, dem sie noch kein Angebot gemacht hat. Die Männer wählen nun aus diesen neuen Angeboten und einem gegebenenfalls von ihnen gehaltenen Angebot wiederum die von ihnen favorisierte Frau aus und lehnen alle anderen Frauen ab. Dieses Prozedere wiederholt sich solange, bis kein Angebot einer Frau mehr abgelehnt wird.

Da die Angebote den Männern gemäß den Ranglisten der Frauen unterbreitet werden, führt das Verfahren stets zu einer Zuordnung, die das für die Frauen optimale Ergebnis darstellt. Denn jeder Frau wird derjenige Mann zugeordnet, den sie unter den erreichbaren Männern (d.h. unter allen Männern, die sie in einem stabilen Matching erreichen kann) bevorzugt. Der DA-Mechanismus führt immer zu einer sogenannten „stabilen“ Zuordnung, bei der Männer und Frauen insofern mit dem Ergebnis zufrieden sind, als es keinen Mann und keine Frau gibt, die einander zugeordnet nicht sind, einander jedoch im Vergleich zu den ihnen zugeordneten Personen präferieren. Weiterhin ist es für die vorschlagende Seite immer optimal, die wahren Präferenzen anzugeben.3 Das heißt, dass sich Frauen, wenn sie die Vorschläge unterbreiten, durch die Manipulation ihrer Rangliste nie besserstellen können. Das gilt allerdings nicht für die Männer, die Anreize zu strategischem Verhalten haben.

Die Wahl eines Ehepartners weist selbstredend viele Charakteristika auf, die in diesem einfachen Modell nicht vorkommen. Aber das Modell passt dafür umso besser auf Arbeitsmärkte, in denen jedes Unternehmen jeweils eine Mitarbeiterin sucht, oder – entsprechend erweitert um die Möglichkeit, dass jedem Akteur auf einer Marktseite mehrere Personen auf der anderen Marktseite zugeordnet werden, auch auf Arbeitsmärkte, auf denen Unternehmen jeweils eine Reihe von Mitarbeitern einstellen möchten. Mit dieser Erweiterung sind dann auch Schulen oder Universitäten, die jedes Jahr eine Reihe von Plätzen zu besetzen haben, mögliche Anwendungsgebieten der Theorie stabiler Zuordnungen. Viele Ergebnisse des Modells des Heiratsmarktes sind auf diesen Fall, mit einem wichtigen Unterschied, übertragbar: Wenn die Schüler die Vorschläge machen, ist der DA-Mechanismus für die Schüler anreizkompatibel, aber wenn die Schulen die Vorschläge machen, haben sowohl die Schulen als auch die Schüler einen Anreiz, ihre Präferenzlisten zu manipulieren.4

Marktdesign

Ökonomische Institutionen entwickeln sich von selbst, werden aber auch aktiv gestaltet. An der Gestaltung sind Unternehmer, Manager, Gesetzgeber, Regulierungsbehörden, Juristen und Richter beteiligt. Auch Ökonomen beschäftigen sich mit Designfragen, unter anderem bei Matching-Märkten. Dafür werden im Folgenden drei Beispiele genannt, an denen Roth jeweils maßgeblich beteiligt war.

Arbeitsmarkt

Die Zuordnung von jungen Ärzten zu Krankenhäusern in den USA war zunächst dezentral organisiert. In der Mitte des 20. Jahrhunderts traten Schwierigkeiten auf, da es aufgrund der wachsenden Größe des Marktes nicht genügend Zeit für alle Transaktionen (congestions) gab. Das führte dazu, dass Krankenhäuser und junge Ärzte immer früher Verträge abschlossen (unraveling), was zu schlechten Zuordnungen führte. Ein zentralisierter Mechanismus (mit Angeboten der Krankenhäuser), das sogenannte National Resident Matching Program (NRMP), wurde in den 1950er Jahren eingeführt. In den frühen 1980er Jahren entdeckte Al Roth, dass das Programm dem von Gale und Shapley entwickelten DA-Mechanismus entspricht. Seitdem wurde der Mechanismus überall auf der Welt wiederentdeckt – er stellt eine natürliche Lösung des Matching-Problems dar, und Praktiker implementieren ihn von sich aus. In Deutschland ist er beispielsweise Teil des Systems, mit dem Studienplätze in Medizin, Pharmazie, Tier- und Zahnmedizin vergeben werden.5 Die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen hat ihn vor vielen Jahren selbst erfunden, so wie vor ihr schon die Verantwortlichen für das NRMP.

Das National Resident Matching Program geriet in den 1990er Jahren in eine Vertrauenskrise. Viele Interessengruppen propagierten, dass der Mechanismus verändert werden müsse. Ein Grund für die Schwierigkeiten des NRMP war die zunehmende Zahl von Ehepaaren, die gemeinsam einen Job suchten. Häufig nahmen Bewerber Stellen nicht an, weil der Ehepartner an einem anderen Ort eine Stelle bekommen hatte. Damit wurde die Zuordnung instabil, weil immer mehr Ärzte und Krankenhäuser Verträge ohne die Clearingstelle abschlossen. Roth wurde beauftragt, diese Probleme zu beseitigen.

Die öffentliche Kritik wies außerdem auf mögliche Schwachpunkte des NRMP, zusätzlich zu den Instabilitäten aufgrund von Paaren, hin. Zum einen wurde argumentiert, dass Krankenhäuser auf Kosten der Ärzte bevorzugt werden. Dieser Kritikpunkt lässt sich mit Hilfe der Theorie stützen, denn das NRMP basiert auf dem DA-Mechanismus mit Angeboten der Krankenhäuser, führt also zu der für die Krankenhäuser besten stabilen Zuordnung. Zweitens wurde beklagt, das System sei manipulierbar. In der Tat lässt sich theoretisch zeigen, dass Ärzte und Krankenhäuser einen Anreiz haben, die Präferenzlisten zu manipulieren. Außerdem haben die Krankenhäuser immer Manipulationsanreize, gleich welche Marktseite die Angebote im DA-Mechanismus macht.6 Zudem ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der komplexen Realität (der Existenz von Paaren etc.) die theoretischen Resultate nicht gelten. Es kann also beispielsweise vorkommen, dass kein stabiles Matching existiert.

Um trotz fehlender theoretischer Ergebnisse zu einer Empfehlung für das Re-Design des Marktes zu kommen, untersuchten Roth und Peranson7 das NRMP empirisch, indem sie die Daten des NRMP auswerteten und Simulationen durchführten. Unter anderem zählten sie, wie viele Krankenhäuser und wie viele Studenten in verschiedenen Marktkonstellationen von einer Manipulation profitieren könnten, sowohl unter dem DA-Mechanismus mit Vorschlägen der Krankenhäuser als auch der Studenten. Es zeigte sich, dass nur wenige Studenten und Krankenhäuser einen Vorteil aus der Manipulation ziehen können (maximal 22 von ca. 26 000 Bewerbern und maximal 36 von ca. 3600 Krankenhäusern). Inspiriert von dieser Beobachtung wurden in den letzten Jahren neue Modelle entwickelt, die aufzeigen, dass die Anreizprobleme des DA-Mechanismus in großen Märkten geringer werden.8

Der neue (und noch immer aktuelle) NRMP-Algorithmus wurde 1998 eingeführt und basiert auf dem DA-Mechanismus mit Vorschlägen der Studenten, und er berücksichtigt Ehepaare. Der Algorithmus wird dafür zunächst ohne Ehepaare ausgeführt. Dann wird ein Ehepaar nach dem anderen hinzugefügt, und es wird nach Instabilitäten, also blockierenden Paaren bestehend aus Krankenhäusern und Ärzten gesucht. Der Algorithmus basiert auf einer Idee von Roth and Vande Vate.9 Durch das veränderte Design des Mechanismus, der nun auch die Präferenzen von Paaren berücksichtigt, wurde die Teilnahme am NRMP wieder stabilisiert.

Schulen

Seit einiger Zeit gibt es vielerorts die Möglichkeit für Eltern und Schüler, die Schule selbst auszuwählen, so dass Kinder nicht mehr automatisch in die nächstgelegene Schule geschickt werden. Das bedeutet, dass die Schulbehörden die Wünsche von Eltern und Schülern berücksichtigen. Schulen geben bestimmten Schülern Priorität gegenüber anderen, z.B. bevorzugen sie Kinder, die in Laufentfernung zur Schule wohnen. Die Ziele der Schulbehörden sind zudem Stabilität bzw. Fairness des Verfahrens sowie möglichst einfache Regeln, die für die Eltern gut zu verstehen sind.

Shapleys und Roths Arbeiten haben zwei Spieltheoretiker, Atila Abdulkadiroglu und Tayfun Sönmez, dazu inspiriert, die Verteilung von Schülern auf Schulen als Matching-Problem zu formulieren und zu untersuchen. Abdulkadiroglu und Sönmez10 zeigen, dass die für die Wahl von Schulen eingesetzten Mechanismen in vielen Städten verbesserungsfähig sind. Eine der betrachteten Städte ist Boston, und der damals in Boston angewandte Mechanismus hat den Namen Boston-Mechanismus erhalten.

Stabilität spielt auch bei der Schulwahl eine wichtige Rolle. Allerdings werden Schulen wie zu konsumierende Güter, nicht als Spieler, interpretiert. Deswegen zählt nur die Wohlfahrt der Schüler, nicht die der Schulen für die Bewertung einer Allokation. Die Regeln, nach denen Schulen Schüler zulassen, also die Prioritäten von Schülern an Schulen, sind häufig gesetzlich festgelegt. Schulen verhalten sich also nicht strategisch. Stabilität bedeutet deswegen im Kontext von Schulen, dass (a) kein Schüler an eine inakzeptable Schule geschickt wird und nur qualifizierte Schüler zugelassen werden können, und (b) dass es kein blockierendes Paar gibt, d.h. es kommt nicht vor, dass eine Schülerin an eine von ihr weniger präferierte Schule geschickt wird, sie an dieser Schule aber eine höhere Priorität hat als ein Schüler, der dort zugelassen wurde.

Wie funktioniert der sogenannte Boston-Mechanimus? Zunächst reicht jeder Schüler eine Wunschliste über die Schulen ein. Im ersten Schritt des Mechanismus werden nur die Erstwünsche aller Schüler betrachtet. Jede Schule vergibt ihre Plätze an die Schüler, die sie als Wunschschule gelistet haben in der Reihenfolge ihrer Priorität, bis keine Sitze mehr übrig sind oder kein Schüler mehr übrig ist, der die Schule als erste Wahl genannt hat. In jedem weiteren Schritt k mit k größer oder gleich 2, werden nur die k-ten Wünsche aller Schüler, die noch keinen Platz haben, betrachtet. Für jede Schule, die noch freie Plätze hat, werden die Schüler betrachtet, die die Schule an k-ter Stelle gelistet haben und die verbleibenden Plätze an diese Schüler in der Reihenfolge ihrer Priorität verteilt, bis keine Sitze mehr übrig sind oder kein Schüler mehr übrig ist, der die Schule als k-te Wahl aufgelistet hat.

Der Boston-Mechanismus hat eine Reihe von gravierenden Nachteilen. Die Teilnehmer können sich nicht sicher sein, das für sie beste Ergebnis zu erreichen, wenn sie ihre wahren Präferenzen angeben, d.h. der Mechanismus ist nicht „strategy-proof“. Er ist zudem, auch auf großen Märkten, sehr leicht manipulierbar. Nehmen wir den Fall einer Schülerin, die eine Schule präferiert, an der sie keinen Platz bekommt. Selbst wenn eine Schülerin eine hohe Priorität an ihrer zweitliebsten Schule hat, muss sie sie als erstes nennen, um nicht ihre Priorität zu verlieren. Wenn sie die zweitliebste Schule wahrheitsgemäß an zweiter Stelle nennt, die Schule aber bereits nach der ersten Stufe voll ist, erhält sie keinen Platz, selbst wenn sie eine höhere Priorität an der Schule hat als andere bereits zugelassene Schüler. Dieses Risiko führt dazu, dass es häufig besser ist, eine Schule, an der die eigenen Chancen gering sind, gar nicht in die Wunschliste aufzunehmen. Zudem führt der Boston-Mechanismus bei Angabe der wahren Präferenzlisten zu Instabilität. Und schließlich kann der Boston-Mechanismus zu einer ineffizienten Zuordnung führen, wenn die Bewerber sich strategisch verhalten.

Welcher Mechanismus sollte stattdessen für Schulen verwendet werden? Atila Abdulkadiroglu, Parag Pathak, Al Roth und Tayfun Sönmez11 halfen, das System in Boston auf den DA-Mechanismus umzustellen. Inzwischen haben eine ganze Reihe von Städten in den USA solche Wechsel vollzogen. In Berlin und vielen anderen Orten wird allerdings nach wie vor der Boston-Mechanismus – mit den entsprechenden Problemen, die inzwischen hinlänglich bekannt sind, angewandt. Ein Grund für die Beliebtheit des Boston-Mechanismus bei Politikern ist, dass die Zahl der Eltern und Schüler, die ihre erste Wahl erhalten, sehr hoch ist. Das liegt aber daran, dass viele Teilnehmer aus klugen strategischen Gründen ihre wahre erste Wahl gar nicht erst angeben, sondern lieber gleich eine realistischere Option als Wunschschule deklarieren.

Nieren

Jeder gesunde Mensch hat zwei Nieren, kann aber, soweit er gesund ist, eine der beiden entbehren und sie einer ihm nahestehenden Person spenden, die über keine funktionierende Niere mehr verfügt. Neben Organen von verstorbenen Spendern gibt es also die Möglichkeit, Organe von Lebendspendern zu gewinnen, die häufig Freunde oder Verwandte des Patienten sind. Ein Problem mit der Transplantation von Organen von Lebendspendern besteht allerdings darin, dass die Transplantation nur ausgeführt wird, wenn die gespendete Niere kompatibel mit dem Patienten ist. Wenn keine Kompatibilität besteht, kann nicht transplantiert werden. Eine Frage ist deswegen, wie man die Zahl und die Qualität der Transplantationen erhöhen kann.

Vor einiger Zeit hat Roth gemeinsam mit Kollegen begonnen, sich mit diesem Problem zu beschäftigen, das auf den ersten Blick ganz anders aussieht als der Arbeitsmarkt oder die Schulwahl. Wenn es Personen gibt, die bereit sind, ihnen nahestehenden Personen eine Niere zu spenden, das aber aufgrund von Inkompatibilitäten (beispielsweise der Blutgruppen) nicht möglich ist, dann stellt sich die Frage, ob sich nicht ein anderes Paar bestehend aus Spender und Patient für einen Tausch finden lässt. Durch einen Tausch der Spendernieren kann eventuell die Kompatibilität wiederhergestellt werden. Dazu können auch Tauschketten von drei oder mehr Paaren notwendig sein.

Der Tausch geht folgendermaßen vonstatten: Zwei Patienten-Spender-Paare werden gesucht, bei denen zum einen der Spender von Paar A mit dem Patienten von Paar A inkompatibel, aber kompatibel mit dem Patienten von Paar B ist, und zum anderen der Spender von Paar B mit dem Patienten von Paar B inkompatibel, aber kompatibel mit dem Patienten von Paar A ist. In diesem Fall kann Spender A seine Niere dem Patienten B geben und Spender B seine Niere an Patient A. Zusätzlich ist es auch möglich, einen Tausch mit der Warteliste für Organe von verstorbenen Spendern einzurichten. Die Idee ist hier, dass ein Patient das für ihn bestimmte, aber nicht kompatible Spenderorgan an eine Person auf der Liste spendet und dafür den obersten Platz auf der Warteliste erhält.

Im Jahr 2004 genehmigte das Renal Transplant Oversight Committee von Neu-England die Einrichtung einer Clearingstelle für Nierentausch. Al Roth, Tayfun Sönmez und Utku Ünver12 hatten zusammen mit Ärzten den Mechanismus entworfen. Er basiert auf der Idee, dass das Problem des Nierentauschs mathematisch mit dem Problem der Allokation von Häusern mit existierenden Besitzern verwandt ist. Zur Anwendung kommt eine Version des Top Trading Cycles Mechanism.13

Offene Fragen

Angesichts der vielen Anwendungsmöglichkeiten der Theorie zweiseitiger Matching-Märkte ergeben sich unzählige neue Fragen. Warum gibt es in Europa bisher keine Clearingstellen für Organe von Lebendspendern? Was müsste getan werden, um solche Clearingstellen einzurichten? Wie funktionieren Schulwahlverfahren in verschiedenen Städten in Deutschland? In Europa? Sind sie verbesserungsfähig? Wie werden Plätze an Universitäten verteilt? Wie werden Referendare auf Schulen verteilt? Und junge Lehrer? Die Liste wäre noch lange fortsetzbar.

Viele Informationen über existierende Matching-Verfahren sind auf der Webseite www.matching-in-practice.eu erhältlich, wo Beschreibungen von solchen Märkten in Europa gesammelt werden. Al Roths Market Design Blog14 weist auf aktuelle Entwicklungen und neue Fragen hin.

Die Nobelpreisträger werden geehrt für ihre Untersuchungen von Matching-Märkten. Sie haben damit einen Beitrag geleistet, der es erlaubt, viele real existierende Märkte besser zu organisieren, und wie im Fall der Clearingstellen für Nieren, Leben zu retten. Wann lässt sich das sonst schon über Ökonomen sagen?

  • 1 Vgl. A. E. Roth, X. Xing: Jumping the Gun: Imperfections and Institutions Related to the Timing of Market Transactions, in: American Economic Review, 84. Jg. (1994), H. 4, S. 992-1044.
  • 2 D. Gale, L. S. Shapley: College Admissions and the Stability of Marriage, in: American Mathematical Monthly, 69. Jg. (1962), H. 1, S. 9-15.
  • 3 A. E. Roth: The Economics of Matching: Stability and Incentives, in: Mathematics of Operations Research, 7. Jg. (1982), H. 4, S. 617-628.
  • 4 A. E. Roth: The College Admissions Problem is Not Equivalent to the Marriage Problem, in: Journal of Economic Theory, 36. Jg. (1985), H. 2, S. 277-288.
  • 5 Siehe S. Braun, N. Dwenger, D. Kübler: Telling the Truth May Not Pay Off: An Empirical Study of Centralised University Admissions in Germany, in: The B.E. Journal of Economic Analysis and Policy, 10. Jg. (2010), H. 1 (Advances), Article 22; A. Westkamp: An Analysis of the German University Admissions System, in: Economic Theory, im Erscheinen.
  • 6 Siehe A. E. Roth: The College Admissions Problem ..., a.a.O.
  • 7 A. E. Roth, E. Peranson: The Redesign of the Matching Market for American Physicians: Some Engineering Aspects of Economic Design, in: American Economic Review, 89. Jg. (1999), H. 4, S. 748-780.
  • 8 Siehe F. Kojima, P. A. Pathak: Incentives and Stability in Large Two-Sided Matching Markets, in: American Economic Review, 99. Jg. (2009), H. 3, S. 608-627.
  • 9 A. E. Roth, J. H. Vande Vate: Random Paths to Stability in Two-Sided Matching, in: Econometrica, 58. Jg. (1990), H. 6, S. 1475-1480.
  • 10 A. Abdulkadiroglu, T. Sönmez: School Choice: A Mechanism Design Approach, in: American Economic Review, 93. Jg. (2003), H. 3, S. 729-747.
  • 11 A. Abdulkadiroglu, P. A. Pathak, A. E. Roth, T. Sönmez: The Boston Public School Match, in: American Economic Review, 95. Jg. (2005), H. 2, S. 368-371.
  • 12 A. E. Roth, T. Sönmez, M. U. Ünver: A Kidney Exchange Clearinghouse in New England, in: American Economic Review, Papers and Proceedings, 9. Jg. (2005), H. 2, S. 376-380.
  • 13 L. S. Shapley, H. Scarf: On Cores and Indivisibility, in: Journal of Mathematical Economics, 1. Jg. (1974), H. 1, S. 23-28.
  • 14 Vgl. www.marketdesigner.blogspot.com.

Title:Stable Allocations and Matching Markets: The Nobel Prize in Economics for Lloyd S. Shapley and Alvin E. Roth

Abstract:The Nobel prize in economics in 2012 was awarded to Lloyd S. Shapley and Alvin E. Roth for “the theory of stable allocations and the practice of market design” (Royal Swedish Academy of Sciences). The prize honours Lloyd Shapley’s theoretical foundations of the theory of stable allocations (in particular the celebrated deferred-acceptance algorithm) as well as the theoretical and practical contributions to the design of matching markets by Al Roth. As prices do not play their usual role in equating supply and demand, market failure is widespread (congestion, unravelling, lack of thickness). The actual design of two-sided matching markets, such as school choice, labour markets and kidney exchange, relies on both theory as well as on empirical investigations of the market and its rules.

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DOI: 10.1007/s10273-012-1466-0