Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Angela Merkel siegte in historischen Ausmaßen. Nur die Bundeskanzler Adenauer und Kohl schafften es, in einer Bundestagswahl zum dritten Mal von einer Mehrheit wiedergewählt zu werden. Das ist eine Zäsur, die noch dadurch besonders aufgeladen wird, dass Merkel die erste Kanzlerin sein wird, die drei Legislaturperioden in Folge mit jeweils anderen Koalitionspartnern eine Regierung bildet. Selbst wenn es erneut bei einer Großen Koalition regierungstechnisch enden sollte, ist dieses Format unvergleichbar mit dem von 2005. Dass sie mit nur sehr wenigen Stimmen an der absoluten Mehrheit scheiterte, war die Überraschung des Wahltages.

Dies gelang bislang nur Adenauer 1957. Als Bundeskanzler war er klug und erfahren genug, um dennoch eine Koalition mit der Deutschen Partei einzugehen. So konnte er die CSU besser disziplinieren und als Moderator zwischen drei Parteien akzentuiert schlichten. Denn die Regierungen entscheiden in Deutschland immer in einer Konsens-, Verhandlungs- und Schlichtungsdemokratie. Das gilt auch für alle kommenden Regierungen, mit welchen Koalitionsfarben auch immer.

Das Thema „Europa“ hat die Wahl entschieden: Da sich keine der etablierten Parteien um eine ernsthafte an Gestaltungszielen ausgerichtete Europapolitik im Wahlkampf gekümmert hat, stiegen die Chancen der AfD. Solange die Parteien der Mitte im traditionellen alt-bundesrepublikanischen Europadenken gefangen sind, öffnen sich Themenspielräume für andere Parteien, die nicht grundsätzlich europafeindlich sind, aber weniger befangen im Hinblick auf Defizite der europäischen Integration argumentieren. Die ausgehöhlte institutionelle Architektur, das Demokratiedefizit, die zunehmende exekutive Entscheidungsfindung – all das hätten die etablierten Parteien thematisieren können, nicht nur Europa als Eurokrise. Die Stimmen für die AfD – ob nun im Parlament oder nicht – fehlten dem Regierungslager.

Ein anderer Europabezug ist ebenso ausschlaggebend: Beim Euro haben Allparteien-Entscheidungen des Bundestags gezeigt, dass in der Krise alle zusammenhalten. Warum sollen die Wähler dann nicht gleich eine Große Koalition wählen? Europa hat auch mit dem Wahlklima zu tun: Wählen in Zeiten der Zufriedenheit ist diesmal für die meisten Bundesbürger angesagt gewesen – gerade im Vergleich mit vielen anderen krisengeschüttelten Mitgliedsländern der EU. Und zu guter Letzt: Deutschland ist sichtbar die Zentralmacht Europas, von der geldpolitisch alles abhängt. Merkel dominiert allein schon durch ihre langjährige Präsenz.

Ein halber Regierungswechsel, ein halber Machtwechsel lag in der Luft: Die Popularität der Kanzlerin und die Unzufriedenheit mit der aktuellen schwarz-gelben Regierung produzierten eine ungare Stimmung, die richtungslos unentschieden daherkam. Es drängt sich die Interpretation auf: Erstmals in der Geschichte der Bundestagswahlen haben die Bürger eine Große Koalition absichtsvoll ins Amt gewählt: eine Anwältin der deutschen Steuergelder und einen Rebellen gegen die Banken.

Historisch zogen nur vier Parteien in den Bundestag ein (1980 kamen die Grünen zum traditionellen zweieinhalb Parteiensystem hinzu, 1994 die PDS): Union, SPD, Linke, Grüne. Die Großen sind diesmal größer geworden. Nach der Großen Koalition schrumpften die Großen 2005 erwartungsgemäß und die Kleinen feierten Superlative; eine systematische Konsequenz, die nach Großen Koalitionen die Regel ist. Auffallend ist diesmal: Seit 2002 legen die Union und die SPD erstmals wieder in Prozentwerten zu. Die Selbstverzwergung der Volksparteien scheint gestoppt.

Das Parteiensystem ist asymmetrisch aufgeladen: Das sogenannte bürgerliche Lager vertreten nur noch die Unionsparteien. Alle anderen drei Parteien sind deutlich kleiner und eher links von der Mitte positioniert. Diese linke Gruppierung hat rechnerisch die Mehrheit im Bundestag. Doch das linke Lager bleibt bis zur kommenden Bundestagswahl 2017 defekt. Durch Wortbruch wird keine Kanzlerwahl zustande kommen. Das Parteiensystem zeigt sich vital, robust, belastbar. Neue Parteien haben sichtbar eine Chance. Alte Parteien gehen unter, wenn sie keine gesellschaftlichen Grundkonflikte mehr abbilden.

Die Koalitionsbildung wird nicht zügig erfolgen, zumal die Union aus heutiger Sicht mit der FDP 2009 zu schnell einig wurde. Durchschnittlich dauern Regierungsbildungen im Bund rund 34 Tage. Die Große Koalition von 2005 benötigte 65 Tage. Auf Augenhöhe wird diesmal bestimmt nicht verhandelt, denn SPD und Union sind den Mandaten nach extrem ungleich. Andererseits braucht die Union eine Kanzlermehrheit, so dass eine Win-win-Situation für alle drei Parteien bei den Koalitionsverhandlungen die Voraussetzungen einer Einigung ausmachen.

Dabei kommt es auf die Logik des Vertrauens und weniger auf die Schnittmengen der Inhalte an. Kein markantes Projekt der letzten Jahre – weder Agenda 2010 noch Energiewende oder Aussetzung der Wehrpflicht – war in Koalitionsvereinbarungen schriftlich fixiert. Vieles spricht dafür, dass aus dieser Logik des wechselseitigen persönlichen Vertrauens die Wahrscheinlichkeit weder gegen die Große noch gegen die Schwarz-Grüne Koalition spricht. Denn wenngleich Vertrauenseinbußen aus Richtung der Union gegenüber einigen Spitzen-Grünen in den letzten Monaten erkennbar waren, gelten nun neue Bedingungen. Die Parteispitze der Grünen ist in einigen Wochen komplett neu aufgestellt. Die Verhandlungen prägen neue und andere Politiker, was die Überwindung des Wahlkampfmodus beschleunigt.

Da die SPD die Mitglieder befragen möchte, scheint eine Große Koalition unwahrscheinlicher als noch vor vier Wochen. Denn aus der Partizipationsforschung ist bekannt, das Mobilisierungen grundsätzlich immer einfacher sind, wenn gegen etwas gestimmt werden kann. Sollte die SPD den Mitgliedern eine Entscheidung für oder gegen die Große Koalition vorlegen, scheint eine Ablehnung erwartbar. Professionell, antizipierende Politik stellt sich frühzeitig darauf ein. Dialektik der SPD-Führung ist im Moment gefordert!

Das Regieren mit dem Bundesrat würde auch für eine Große Koalition schwer. Denn zwei Themen werden die nächsten vier Jahre bestimmen: Die Schuldenbremse und die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs auf Grund von Karlsruher Urteilen. Dabei ist die Differenzierung nach reichen und armen Ländern politisch viel wichtiger als die jeweiligen Parteifarben. Das spricht insofern auch nicht sofort aus machtpolitischen Optionen gegen eine Schwarz-Grüne Koalition. Sie wäre sicher koalitionspolitisch im Bund avantgardistisch. Neue Konstellationen führen zu neuen Koalitionen. Doch nie zeitgerecht. Es ist eher so, dass neue Koalitionen nachholend aktiv werden, wenn Zeitgeist und Problemkonstellation genau für diese Muster-Koalition längst vorbei sind. Das könnte man an Sozialliberal ebenso nachweisen wie an Schwarz-Gelb. Es würde auch für Schwarz-Grün gelten. Denn ökosoziale Grundthemen sind längst Mainstream. Nachhaltigkeit gehört ebenso zum allgemeinen Problembewusstsein wie viele Facetten einer traditionsbezogenen Unionsmoderne.

Beitrag als PDF


DOI: 10.1007/s10273-013-1580-7

Mehr zu diesem Thema bei EconBiz

Alle Suchergebnisse anzeigen