Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 haben sich die Target2-Positionen einzelner Länder im Euroraum zunächst allmählich und 2011 deutlich beschleunigt auseinanderentwickelt. Während Deutschland, die Niederlande, Luxemburg und Finnland erhebliche Überschüsse aufwiesen, waren die Target2-Positionen der Länder, die im Fokus der Schuldenkrise stehen, nämlich Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien (GIIPS), deutlich im Minus. Das Auseinanderklaffen der Target2-Positionen wurde immer wieder als Krisenindikator herangezogen und hat in den vergangenen zwei Jahren zu einer intensiven Debatte in akademischen Kreisen sowie in der breiten Öffentlichkeit darüber geführt, ob die sich öffnenden Target2-Positionen einen „Bail-out“ des Eurosystems für die Krisenländer darstellen und inwieweit das Target2-System reformiert werden muss. Seit Herbst des vergangenen Jahres haben sich die Target2-Positionen wieder angenähert (vgl. Abbildung 1). Somit wurden seither per saldo nicht nur keine weiteren Kredite über das Target2-System an die Krisenländer vergeben, sondern es ist zudem zumindest vorübergehend zu einer Umkehr des Zahlungsstroms gekommen.1

Abbildung 1
Target-Positionen mit dem Eurosystem
in Mrd. Euro
30538.png

Anmerkung: DNLF = Deutschland, die Niederlande, Luxemburg, Finnland. GIIPS = Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien.

Quelle: Euro Crisis Monitor der Universität Osnabrück.

Das Target2-System

Das Target2-System hat den Zweck, den Zahlungsverkehr zwischen den teilnehmenden Ländern zu vereinfachen. Daran beteiligt sind nicht nur die Mitglieder des Euroraums, sondern auch weitere europäische Länder. Innerhalb des Target2-Systems werden Auslandsüberweisungen über die Zentralbanken abgewickelt. Für die Zentralbanken im Euroraum tritt die Besonderheit hinzu, dass zwar die Transaktionen zwischen den nationalen Zentralbanken stattfinden, die Haftung allerdings vom Eurosystem insgesamt übernommen wird. Eine Überweisung vom Konto einer spanischen Bank auf das Konto einer deutschen Bank bedeutet, dass eine Forderung der spanischen Bank gegen die spanische Zentralbank gegen eine gleichlautende Forderung der deutschen Bank gegen die Deutsche Bundesbank getauscht wird. Zugleich entsteht eine gleichlautende Forderung der Deutschen Bundesbank gegen das Eurosystem und der spanischen Zentralbank entstehen Verbindlichkeiten im gleichen Ausmaß gegenüber dem Eurosystem. Die spanische Zentralbank erhält in diesem Beispiel also einen Kredit vom Eurosystem, das wiederum einen Kredit von der Deutschen Bundesbank in gleicher Höhe erhält. In den Vorkrisenzeiten waren die Target- bzw. Target2-Positionen kaum von null verschieden. Zu den grenzüberschreitenden Transaktionen in eine Richtung, z.B. beim Kauf von Waren und Dienstleistungen, fanden in vergleichbarem Ausmaß entgegengesetzte Transaktionen, z.B. der Verkauf von Wertpapieren, statt.

Auseinanderklaffen der Target2-Positionen

Mit dem Einsetzen der Finanzkrise entwickelten sich die Target2-Positionen der Länder des Euroraums zunehmend auseinander. Transaktionen fanden vermehrt nur noch in eine Richtung statt, während die entgegengesetzten Transaktionen ausblieben. Das Auseinanderklaffen der Target2-Positionen ging mit einer starken Reduktion des Engagements anderer europäischer Banken in den Krisenländern einher. Verglichen mit Mitte 2009 hat sich das Engagement anderer europäischer Banken als der einheimischen in GIIPS bis Mitte 2012 nahezu im gleichen Ausmaß verringert, wie die Target2-Positionen dieser Länder sich verschlechtert haben (vgl. Abbildung 2). Eine Auswertung der deutschen Kapitalbilanzstatistik kommt zudem zu dem Schluss, dass insbesondere die deutschen Banken während der Schuldenkrise bemüht waren, ihre Außenstände zu repatriieren.2 Anders gesagt, scheint das Target2-System die Mittel, die die europäischen und insbesondere die deutschen Banken aus GIIPS abgezogen haben, den Banken in GIIPS zur Verfügung gestellt zu haben. Die Liquidität der Banken in GIIPS wurde trotz des massiven Abflusses ausländischer Mittel aufrechterhalten, während die europäischen Gläubiger und hier insbesondere Banken relativ verlustarm ihr Engagement abziehen konnte und ausstehende Forderungen in GIIPS gegen Forderungen an die eigenen Zentralbanken getauscht haben. Die Liquidität, die notwendig ist, um diesen Mittelabfluss darzustellen, wurde von den Zentralbanken in GIIPS zur Verfügung gestellt.

Abbildung 2
Forderungen europäischer Banken an und Target-Positionen von GIIPS
in Mrd. Euro
30548.png

Anmerkung: Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ): Ausstehende Auslandsforderungen europäischer Banken in GIIPS. Target-Salden: Summe der Target2-Positionen von GIIPS.

Quelle: Euro Crisis Monitor der Universität Osnabrück; Bank for International Settlements; EZB; eigene Berechnungen.

Target2 und Zahlungsbilanzfinanzierung

Von verschiedenen Beobachtern wird der Vorwurf erhoben, dass mit Hilfe des Target2-Systems das Eurosystem eine nicht-marktkonforme Zahlungsbilanzfinanzierung durchführt bzw. durchgeführt hat.3 Der Vorwurf scheint von daher gerechtfertigt, als die über das Target2-System gewährten Kredite schließlich einer Verwendung zugeführt werden. Drei Fälle können dabei unterschieden werden.4 Erstens können mit den über das Target2-System gewährten Krediten Waren und Dienstleistungen erworben, also Veränderungen der Leistungsbilanz finanziert werden. Zweitens kann Kapitalflucht finanziert werden. Kapitalflucht bedeutet, dass inländische Vermögenstitel (z.B. Staatsanleihen) im weiteren Sinne verkauft werden und der Ertrag ins Ausland transferiert wird.5 Drittens können solche Kredite dazu dienen Depositen von einem Land in ein anderes zu verlagern. Die ersten beiden Fälle sind als Zahlungsbilanzfinanzierung anzusehen, während der dritte Fall ohne Einfluss auf den Saldo der Zahlungsbilanz bleibt. In welchem Ausmaß das Target2-System Zahlungsbilanz- oder sogar Leistungsbilanzfinanzierung betrieben hat, lässt sich aus den Target2-Positionen alleine nicht ablesen. Sehr wahrscheinlich scheint aber, dass ohne das Target2-System die Kosten der Zahlungsbilanzfinanzierung für die Krisenländer deutlich höher gewesen wären.

Ursachen abnehmender Target2-Positionen

Seit September 2012 nehmen die Unausgeglichenheiten der Target2-Positionen ab. Es ließe sich darüber spekulieren, ob die Banken in GIIPS nicht mehr über genügend zentralbankfähige Wertpapiere verfügen, die eine Ausweitung der für den Abfluss der Mittel über das Target2-System notwendigen Liquidität ermöglichen. Somit wäre die Stagnation der Target2-Positionen sogar als Verschärfung der Zahlungsbilanzkrise zu interpretieren. Angesichts der Bereitschaft der EZB und der nationalen Zentralbanken, auch Sicherheiten minderer Qualität zu akzeptieren und Notkredite zu gebrauchen (Emergency Liquidity Assistance), ist eine solche Erklärung aber sehr unwahrscheinlich und würde zudem nicht das Absinken, sondern lediglich das Ende des weiteren Anstiegs erklären. Verschiedene andere Einflussfaktoren dürften hingegen eine Rolle spielen. So verbessern sich, wenn auch eher im Zuge dramatischer Importeinbrüche, die Leistungsbilanzen in GIIPS, was den Bedarf an Zahlungsbilanzfinanzierung mindert. Ferner werden in zunehmendem Ausmaß Kredite über die Rettungsschirme, allen voran EFSF und ESM, zur Verfügung gestellt. Auch dürften Fortschritte bei der Umstrukturierung der Bankensektoren und damit einhergehende Abschreibungen den Liquiditätsbedarf senken.

Entscheidend dürfte aber die Ankündigung der EZB sein, gegebenenfalls „outright monetary transactions“ (OMT) durchzuführen. Im OMT-Programm sollen bei Befolgen eines Anpassungsprogramms Staatsanleihen des betroffenen Landes von der EZB in unbegrenztem Umfang erworben werden können. Die Ankündigung erfolgte im September 2012 und seitdem sank die Summe der Target2-Positionen von GIIPS in jedem folgenden Monat. Offenbar wurde die Ankündigung der EZB zumindest als eine Teilgarantie für die Krisenländer verstanden. Das Vertrauen in deren Bankensektoren erhielt einen positiven Schub. Die Ankündigung von OMT und damit die Teilgarantie der EZB hat das Target2-System als Instrument zur Finanzmarktstabilisierung und Zahlungsbilanzfinanzierung vorerst abgelöst. Target2-Kredite werden nun offenbar wieder von Marktkrediten abgelöst, was angesichts der Risikoübernahme durch die EZB und der den Märkten eigentlich bereitstehenden Liquidität nachvollziehbar ist.

Schließlich erreichte die Einlagefazilität der EZB, also die Einlagen von Banken bei den Zentralbanken des Eurosystems, im Frühjahr 2012 einen Spitzenwert von über 770 Mrd. Euro. Bereits die Bemerkung von EZB-Präsident Draghi im Juli 2012 „alles für den Erhalt des Euroraums“ zu tun und die Ankündigung des OMT-Programms haben die Banken wahrscheinlich veranlasst, ihre Einlagen von den Zentralbanken abzuziehen (in der 11. Kalenderwoche 2013 waren nur noch rund 132 Mrd. Euro in der Einlagefazilität – gemessen am Vorkrisenniveau allerdings immer noch ein extrem hoher Wert) und zumindest teilweise in die Krisenstaaten zu lenken.

Abbildung 3
Target-Positionen Italiens und Zyperns
in Mrd. Euro
30560.png

Quelle: Euro Crisis Monitor der Universität Osnabrück.

Ausblick: Italiens Wahlen und Zyperns Banken

Die Annäherung der Target2-Positionen, die bis zum Herbst 2012 als wesentlicher Krisenindikator angesehen wurden, kann nicht als Zeichen gesehen werden, dass die Schuldenkrise im Euroraum überwunden ist. Schließlich scheint die Teilgarantie der EZB zentral für den Vertrauensgewinn zu sein, und durch diese werden die Risiken der Schuldenkrise im Wesentlichen verlagert, aber letztlich nicht beseitigt. Der nachhaltige Erfolg der Teilgarantie der EZB muss sich erst noch erweisen, wobei das Wohl und Wehe des OMT-Programms, sollte es zum Einsatz kommen, vom Verhalten der Regierungen und der Parlamente in den Krisenländern abhängt. Welch ein Unsicherheitsfaktor dies ist, zeigen die Ergebnisse der Wahlen in Italien und die damit einhergehenden Schwierigkeiten der Regierungsbildung. Das Target2-Defizit Italiens ist im Februar wieder gestiegen – aktuellere Daten liegen noch nicht vor (vgl. Abbildung 3).

Zusätzliche Unsicherheit für den Ausblick auf die weitere Entwicklung der Target2-Positionen dürften die Hängepartie um das Rettungspaket für Zypern Mitte März und die beschlossene Einbeziehung von Bankeinlagen zur Finanzierung der Bankenrettung induziert haben. Zwar ist Zypern zu klein um größere Ausschläge im Target2-System zu erzeugen (vgl. Abbildung 3), und die Einbeziehung von Bankeinlagen in den Rettungsplan dürfte für sich alleine genommen den Bedarf an Target2-Krediten vielleicht sogar mindern, da nun schlicht weniger Einlagen abgezogen werden können. Doch verbleibt die Unsicherheit, wie Anleger nun die Vertrauenswürdigkeit von Banken in den anderen Krisenländern einschätzen, insbesondere nachdem Eurogruppen-Chef Dijsselbloem die Einbeziehung von Bankeinlagen als beispielhaft für weitere Rettungspläne genannt hat. Denkbar ist, dass nun generelle Zweifel an der Sicherheit von Einlagen in den Krisenländern aufkommen und mit einer erneuten Depositenverlagerung oder -flucht die Target2-Positionen wieder auseinanderdriften.

  • 1 Dabei ist zu berücksichtigen, dass Target2-Positionen Bestandsgrößen sind.
  • 2 Siehe dazu H.-W. Sinn, T. Wollmershäuser: Target-Salden und die deutsche Kapitalbilanz im Zeichen der europäischen Zahlungsbilanzkrise, in: Kredit und Kapital, 45. Jg. (2012), S. 465-487.
  • 3 Siehe z.B. H.-W. Sinn, T. Wollmershäuser: Target loans, current account balances and capital flows: the ECB’s rescue facility, in: International Tax and Public Finance, 19. Jg. (2012), S. 468-508.
  • 4 Für eine umfassende Darstellung der Zusammenhänge zwischen Target2-Positionen und Zahlungsbilanzfinanzierung siehe S. Kooths, B. van Roye: Nationale Geldschöpfung im Euroraum – Mechanismen, Defekte, Therapie, Kieler Diskussionsbeiträge Nr. 508/509, Institut für Weltwirtschaft, Kiel 2012.
  • 5 Hierzu kann auch zählen, dass der Besitzer einer Anleihe nach dem Erreichen ihrer Endfälligkeit den Auszahlungsbetrag aus dem entsprechenden Land abzieht.


DOI: 10.1007/s10273-013-1521-5

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.