Die Kirchen fordern immer wieder eine gerechtere Verteilung ein. Bei der Besteuerung ihrer eigenen Mitglieder weichen sie jedoch regelmäßig von der durch den Einkommensteuertarif vorgegebenen durchgängigen Progression ab: bei der Kirchensteuer gibt es regional unterschiedliche Kappungssätze. Nach Auffassung des Autors begibt sich die Kirche damit in Widerspruch zu dem von ihr proklamierten Verteilungsziel.
Anlässlich der Osterfeiertage haben sich Vertreter der beiden großen Kirchen in Deutschland für ein größeres Maß an Umverteilung in der Gesellschaft ausgesprochen.1 Das zentrale Umverteilungsinstrument im deutschen Steuer- und Abgabensystem ist die progressive Einkommensteuer. Der Einkommensteuertarif ist durch folgende Eckpunkte gekennzeichnet: Bis zur Höhe des Grundfreibetrages von 8130 Euro bleibt das zu versteuernde Einkommen unbesteuert. Darüber liegendes Einkommen unterliegt einem Grenzsteuersatz, der von 14% (Eingangssteuersatz) linear auf 23,97% bei einem zu versteuernden Einkommen von 13 469 Euro p.a. ansteigt. In der folgenden Tarifzone (von 13 470 Euro bis 52 881 Euro) steigt der Grenzsteuersatz linear weiter auf 42%. Dieser Wert gilt auch für das darüber liegende zu versteuernde Einkommen. Erst Einkommensbestandteile oberhalb von 250 731 Euro werden dann unmittelbar einer nochmals höheren Grenzbelastung von 45% unterworfen („Reichensteuer“). Der Tarif ist durchgehend progressiv, d.h. der Durchschnittssteuersatz (Steuer/zu versteuerndes Einkommen) nimmt bei steigendem Einkommen zu und nähert sich bei sehr hohen Einkommen asymptotisch dem Höchstsatz von 45% an. Die durchgängige Progression hat ihre Ursache in der Gewährung des Grundfreibetrages und den geringeren Grenzsteuersätzen zu Beginn des Tarifs. Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten verdoppeln sich die genannten Einkommensbeträge (Splittingtarif).
Auch die beiden großen Glaubensgemeinschaften knüpfen hinsichtlich ihrer Finanzierung durch die Kirchensteuer an die Einkommensteuer an. Daneben werden ihnen für die wahrgenommenen Aufgaben der Daseinsvorsorge (z.B. Kitas, Krankenhäuser) aber auch erhebliche staatliche Mittel zur Verfügung gestellt. Die Kirchensteuer unterliegt der Gesetzgebung der Bundesländer und beträgt grundsätzlich 9% der Einkommensteuer – in Bayern und Baden-Württemberg 8%. Sie ist selbst bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens als Sonderausgabe abzugsfähig. Dies reduziert die Einkommensteuer und führt damit auch zu einem Selbstminderungseffekt. Mit Ausnahme von Bayern wird in allen Bundesländern die Kirchensteuer aber auf einen bestimmten Anteil des zu versteuernden Einkommens begrenzt. Diese Begrenzung wird als Kappung bezeichnet. Für sie gibt es in den Bundesländern unterschiedliche Regelungen, die durch die jeweilige Kirche festgelegt werden. Derzeit bewegen sich die Kappungssätze zwischen 2,75% und 4,0% des zu versteuernden Einkommens (vgl. Tabelle 1). In einigen Bundesländern erfolgt die Kappung bereits von Amts wegen durch die Finanzbehörde. In anderen bedarf es eines Antrags bei der jeweiligen Kirche.
Tabelle 1
Kappungssätze nach Bundesländern
Bundesland | Kirchensteuersatz in % der Einkommensteuer |
Kappungssätze ev. Kirche in % des zu versteuernden Einkommens |
Kappungssätze kath. Kirche in % des zu versteuernden Einkommens |
---|---|---|---|
Baden- Württemberg | 8 | 2,75 bzw. 3,5a | 3,5a |
Bayern | 8 | keine Kappung | keine Kappung |
Berlin | 9 | 3b | 3b |
Brandenburg | 9 | 3b | 3b |
Bremen | 9 | 3,5b | 3,5b |
Hamburg | 9 | 3b | 3b |
Hessen | 9 | 3,5a | 4a |
Mecklenburg- Vorpommern | 9 | 3,5a bzw. keine Kappung | 3b |
Niedersachsen | 9 | 3,5b | 3,5b |
Nordrhein- Westfalen | 9 | 3,5a | 4a |
Rheinland- Pfalz | 9 | 3,5a | 4a |
Saarland | 9 | 3,5a | 4a |
Sachsen | 9 | 3,5b | 3,5b |
Sachsen- Anhalt | 9 | 3,5b | 3,5b |
Schleswig-Holstein | 9 | 3b | 3b |
Thüringen | 9 | 3,5b | 3,5b |
Anmerkung: Die Grenzen der evangelischen Landeskirchen und der katholischen (Erz-)Diözesen decken sich nicht stets mit den Grenzen der Bundesländer. So gelten in manchen Bundesländern mehrere Regelungen, die durchaus voneinander abweichen können. Dies ist auch der Grund, warum für die evangelische Kirche in Baden-Württemberg und in Mecklenburg-Vorpommern jeweils zwei Regelungen dargestellt sind. Sofern abweichende Regelungen nur einen sehr geringen Teil der Bevölkerung betreffen, wurde allerdings zur Vereinfachung auf eine Berücksichtigung in der Tabelle verzichtet.
a Auf Antrag. b Von Amts wegen.
Quelle: vgl. http://www.steuer-forum-kirche.de/uebersicht-2013.html (12.5.2013).
Der Kirchensteuertarif bei Kappung
Die grundsätzliche Regelung zur Berechnung der Kirchensteuer knüpft an die Höhe der Einkommensteuer an. Die Regelungen zur Kappung nehmen hingegen Bezug auf das zu versteuernde Einkommen. Die Wirkung der Kappung auf den Kirchensteuertarif lässt sich aufzeigen, wenn den beiden Berechnungsalternativen ein einheitlicher Bezug zugrunde gelegt wird. Hier wird für diese Betrachtung das zu versteuernde Einkommen als einheitliche Bezugsgröße gewählt und von einer Kirchensteuer in Höhe von 9% der Einkommensteuer ausgegangen. In den für die Kappung relevanten Einkommensbereichen betragen die Grenzsteuersätze bei der Einkommensteuer 42% bzw. 45% (im Bereich der „Reichensteuer“). Für die Kirchensteuer ergibt sich eine Grenzbelastung in Höhe von 9% der Einkommensteuer, demnach 3,78% bzw. 4,05% als Grenzbelastungssätze. Die Möglichkeit, die Kirchensteuer als Sonderausgabe abzuziehen, erzwingt bei dieser Darstellung keine weiteren Anpassungen. Sie führt zu einer Minderung des zu versteuernden Einkommens, ändert aber an der Relation der Kirchensteuer zu Einkommensteuer und zu versteuerndem Einkommen nichts.
In der Tabelle 2 ist dargestellt, ab welchem zu versteuerndem Einkommen verschiedene beispielhaft ausgewählte Kappungssätze ihre Wirkung entfalten, d.h., die alternative Berechnung der Kirchensteuer günstiger ist als der reguläre Kirchensteuertarif in Höhe von 9% der Einkommensteuer. Am deutlichsten lässt sich die Wirkung der Kappung grafisch darstellen. Neben dem regulären Kirchensteuertarif zeigt Abbildung 1 auch den Kirchensteuertarif bei beispielhaften Kappungssätze von 3,0% und 3,5%. Die maßgeblichen Grenzsteuersätze sind jeweils in Bezug zum zu versteuernden Einkommen angegeben.
Tabelle 2
Kirchensteuer- und „kirchlicher Einkommensteuertarif“
Kappung der Kirchensteuer auf ... des zu versteuernden Einkommens | Kappung ab einem zu versteuernden Einkommen von rund | Entsprechender Einkommensteuer-Grenzsteuersatz |
---|---|---|
3,0% | 94 500 Euro | 33,33% |
3,5% | 257 000 Euro | 38,89% |
4,0% | 2 800 000 Euro | 44,44% |
Anmerkung: Es gibt Regionen, in denen der Kappungssatz mit 4,0% erst ab einem Einkommen von 2 800 000 Euro greift.
Quelle: eigene Berechnungen.
Für Einkommen oberhalb der Kappungsgrenze sinkt durch die Kappung der Grenzsteuersatz der Kirchensteuer von 3,78% bzw. 4,05% auf 3,0% bzw. 3,5% (gestrichelter Tarifverlauf). Oberhalb dieser Schwelle entspricht damit der Grenzsteuersatz auch dem Durchschnittssteuersatz, der sich ab hier ebenfalls auf konstant 3,0% bzw. 3,5% beläuft. Auch wenn sich bereits an der Berechnungsvorschrift für die Kappung (3,0% bzw. 3,5% des zu versteuernden Einkommens) Grenzsteuersatz und Durchschnittssteuersatz in diesem Bereich ablesen lassen, sollte erwähnt werden, wie der Gleichschritt beider Werte tariftechnisch erreicht wird. In der zweiten Progressionszone steigt der Grenzsteuersatz zunächst auch über den Wert von 3,0% bzw. 3,5% an und bleibt bis zur Kappungsgrenze auch über diesen Werten. Damit übersteigt die Grenzbelastung für große Einkommensteile bis zur Kappungsgrenze den Wert, der ab dieser Grenze gilt. Durch die höhere Belastung in diesem Bereich werden die Entlastungswirkung des Grundfreibetrages und die zunächst niedrigeren Steuersätze ausgeglichen. Die Belastung wird gewissermaßen nachgeholt. An der Kappungsgrenze beträgt die Durchschnittsbelastung dann genau 3,0% bzw. 3,5%. Kommt es dann zur Kappung bleibt dieser Wert konstant, denn sie entspricht genau der ab dann maßgeblichen Grenzbelastung. Damit ist der Tarif oberhalb der Kappungsgrenze auch nicht mehr progressiv, sondern proportional.
Der „kirchliche Einkommensteuertarif“
Wenn es um die Frage der steuerlichen Belastung verschiedener Einkommen geht, konzentriert sich die Betrachtung häufig auf den reinen Einkommensteuertarif. Um die Wirkung der Kappung zu verdeutlichen, ist es hilfreich, den Kirchensteuertarif inklusive der Kappung in einen korrespondierenden Einkommensteuertarif umzurechnen. Letztlich geht es dabei um die Frage, wie der Einkommensteuertarif aussehen würde, wenn auch die Einkommensteuer einer entsprechenden Kappung unterliegen würde. Hierzu ist der Einkommensteuertarif so anzupassen, dass auch oberhalb der Kappungsgrenze die Kirchensteuer 9% der Einkommensteuer beträgt. Die sich für diesen „kirchlichen Einkommensteuertarif“ ergebenden Einkommensteuer-Grenzsteuersätze lassen sich damit einfach aus den Kirchensteuer-Kappungssätzen zurückrechnen.2
Damit entspricht eine Kappung der Kirchensteuer auf 3,0% des zu versteuernden Einkommens einer Absenkung des Einkommensteuer-Grenzsteuersatzes auf 33,33%. Dies ist eine Absenkung um fast 9 Prozentpunkte bzw. um fast 12 Prozentpunkte gegenüber dem ansonsten in diesen Einkommensbereichen maßgeblichen Sätzen von 42% bzw. 45%. Bei einer Kirchensteuer-Kappung auf 3,5% des zu versteuernden Einkommens belaufen sich die äquivalenten Absenkungen bei der Einkommensteuer immer noch auf rund 3 Prozentpunkte bzw. 6 Prozentpunkte (vgl. Abbildung 1 und Tabelle 2).
Der (gestrichelt dargestellte) Tarifverlauf der „kirchlichen Einkommensteuer“ wäre sicherlich kein mehrheitsfähiger Ersatz für den geltenden Einkommensteuertarif. Ein Grenzsteuersatz, der bei höheren Einkommen wieder spürbar abnimmt, steht mit dem Gerechtigkeitsempfinden der Bürger nicht in Einklang. Gleiches gilt für den proportionalen Tarifverlauf oberhalb der Kappungsgrenze. Es herrscht allgemeiner Konsens in Deutschland, dass breite Schultern bei der Einkommensteuer nicht nur absolut, sondern auch relativ mehr tragen sollten. An dieser Stelle sei an die öffentliche Reaktion auf das Flat-Tax-Konzept des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof erinnert, das während des Bundestagswahlkampfs 2005 diskutiert wurde. Sein Vorschlag sah einen konstanten Grenzsteuersatz vor, der sich unmittelbar an einen (Grund-)Freibetrag anschloss. Diese Vorstellungen trafen auf harsche Ablehnung, obwohl ein solcher Tarif wegen des (Grund-)Freibetrages noch immer (indirekt) progressiv wirkt. Welche Chancen hätte dann ein schon bei relativ geringem Einkommen proportionaler Tarif?
Abbildung 1
Kirchensteuer- und „kirchlicher Einkommensteuertarif“
Quelle: eigene Berechnungen.
Vereinbarkeit der Forderungen mit der Einnahmepolitik
Die Kirche äußert sich regelmäßig in die Richtung, dass die Kirchensteuer eher den Charakter eines Mitgliedsbeitrages habe und kein Umverteilungsinstrument sei. Ließe man diese Argumentation gelten, dürfte der Kirchensteuertarif kaum anhand der für den Einkommensteuertarif geltenden Kriterien gemessen werden. Sie ist aber nicht stichhaltig. Mit der Einkommensteuer erzielt der Staat Einnahmen, damit er seine Aufgaben erfüllen kann. Die Kirchensteuer dient der Kirche als Finanzierungsquelle. In beiden Fällen soll ein Aufkommen erzielt werden. Warum gelten dann nicht die gleichen Kriterien für eine gerechte Verteilung der Lasten? Unterstellt man ein bestimmtes angestrebtes Aufkommen, erzwingen Entlastungen einer Gruppe zusätzliche Belastungen einer anderen Gruppe. Fragen zu möglichen Ausweichreaktionen zunächst zurückgestellt, bedeutet das für die Kirchensteuer, die Kappung geht zu Lasten derer, die sie nicht in Anspruch nehmen können, also derjenigen mit einem Einkommen unterhalb der Kappungsgrenze. Würde man unter dieser Vorgabe die Kappung abschaffen, könnte man den regulären Kirchensteuersatz absenken.
Wenn die Kirche für die Gesamtgesellschaft mehr Umverteilung – also eine noch stärkere Betonung des Prinzips, dass starke Schultern absolut und relativ mehr tragen sollen – fordert, dann sollte sie diesen Grundsatz doch erst recht innerhalb ihrer Organisation anwenden. Auch die Mehrzahl der Kirchenmitglieder dürfte bei genauer Kenntnis des Kirchensteuertarifs und der Wirkung der Kappung diesen kaum als gerecht empfinden. Ein entsprechend modifizierter Einkommensteuertarif (der beschriebene „kirchliche Einkommensteuertarif“) dürfte auch unter den Kirchenmitgliedern mehrheitlich abgelehnt werden.
Der wahre Grund der Kirche, an der Kappung festzuhalten, dürfte die Sorge vor Ausweichreaktionen der Bezieher hoher Einkommen in Form von Kirchenaustritten sein. Zugegeben ist ein Ausweichen bei der Einkommensteuer nicht so einfach wie ein Kirchenaustritt. Dennoch bestehen auch hier – insbesondere für Spitzenverdiener – entsprechende Möglichkeiten. Denkbar sind Wohnsitzverlagerungen ins Ausland, legale und illegale Gestaltungen zur Steuervermeidung oder einfach ein Zurückführen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit (Substitution durch Freizeit). Bei der von der Kirche geforderten stärkeren Umverteilung, also wohl bei Steuererhöhungen (insbesondere einer stärkeren Progression durch höhere Grenzsteuersätze für hohe Einkommen) werden diese Gefahren steigen. Hierzu äußerte sich die Kirche aber nicht.
Ihre eigene Einnahmepolitik als Maßstab genommen, müsste sich die Kirche für einen Rabatt für Spitzenverdiener auch bei der Einkommensteuer einsetzen, um beispielsweise Profisportlern den Verbleib oder den Rückumzug nach Deutschland schmackhaft zu machen. Auch die Kritik der Kirche an der im Vergleich zum regulären Einkommensteuertarif niedrigeren Abgeltungsteuer (25%) erscheint aus diesem Blickwinkel inkonsequent. So wurde die Abgeltungsteuer aus dem Grund eingeführt, Anreize für Ausweichreaktionen im Bereich der Kapitalerträge zu begrenzen. Das Ziel, Kirchenaustritte mithilfe der Kappung zu vermeiden, läuft auf eine Strategie der Maximierung der Einnahmebasis hinaus. Gleichzeitig kritisiert die Kirche regelmäßig die Fixierung vieler Bürger auf das Monetäre. Insgesamt kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.
Die Kirche versteht sich als Glaubens- und Wertegemeinschaft. Sie sollte daher die Wirkung der Kappung intern offen kommunizieren, zur Diskussion stellen und dabei gegenüber ihren Mitgliedern mit hohem Einkommen Überzeugungsarbeit für einen Verbleib in der Kirche leisten. Dies bedeutet nichts anderes als eine interne Abstimmung mit den Füßen über die von der Kirche allgemein geforderte Belastungsverteilung. Das Gewähren einer Bleibeprämie in Form der Kappung steht hingegen keinesfalls in Einklang mit dem beschriebenen Selbstverständnis der Kirche. Wer zur Glaubens- und Wertegemeinschaft gehören will, muss auch die von ihr als angemessen betrachteten Belastungseffekte für sich gelten lassen. Das Bundesverwaltungsgericht hat der Kirche als Organisation kürzlich den Rücken gestärkt und klargestellt, dass ein teilweiser Kirchenaustritt nicht möglich ist.3 Wer sich der Kirchensteuer verweigert, kann danach kein Mitglied der Kirche mehr sein. Der deutsche Staat hingegen kann Bürgern, die ihren Wohnsitz verlegen, um der Besteuerung auszuweichen, nicht die Staatsbürgerschaft aberkennen.
Außerdem erscheint die Sorge bezüglich der Ausweichreaktionen (Austritten) bei der Kirchensteuer bei Wegfall der Kappung überbewertet. Eine Kappung auf 3,0% lässt den Grenzsteuersatz der Kirchensteuer gerade einmal um rund 1 Prozentpunkt sinken. Ihr Wegfall würde den Kirchensteuer-Grenzsteuersatz also um diesen Wert wieder erhöhen. Die Kappung macht bei einem zusätzlichen Einkommen von 100 Euro damit nur rund 1 Euro aus. Berücksichtigt man noch die Möglichkeit, die Kirchensteuer als Sonderausgabe bei der Einkommensermittlung abzuziehen, ergibt sich netto ein Belastungsunterschied von nicht einmal 60 Cent. Ob diese Differenz wirklich entscheidend sein kann, bleibt fraglich. Dem Ansatz, die Kirchensteuer mit der Kappung auf einen bestimmten Anteil am zu versteuernden Einkommen zu deckeln, dürfte die Annahme zugrunde liegen, dass für die Entscheidung über Austritt oder Verbleib nicht (nur) der Grenz-, sondern (auch) der Durchschnittssteuersatz wesentlich ist. Ist es aber nicht wahrscheinlich, dass auch der absolute Betrag, den Kirchenmitglieder zu zahlen bereit sind, individuell unterschiedlich ist? Die Vielzahl der Kirchenaustritte von Beziehern auch niedriger sowie mittlerer Einkommen deutet zumindest in diese Richtung. Die Kirche richtet ihre Bleibeprämie aber allein auf die Bezieher hoher Einkommen aus. Angesichts der Spanne der im Bundesgebiet bestehenden Kappungssätze, drängen sich noch mehr Zweifel auf. Auch in Regionen ohne Kappungsgrenze – wie Bayern – ist der Kirche die Finanzierungsbasis bisher nicht weggebrochen.4 Dort, wo ein niedriger Kappungssatz gilt, ist die Berechtigung für die Kappung damit noch fragwürdiger. Zumindest eine Erhöhung des Kappungssatzes auf die andernorts geltenden 4% sollte hier außer Frage stehen.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Kirche zunächst einmal vor der eigenen (Kirchen-)Tür kehren sollte. Sie sollte die gesellschaftlich konsentierten Verteilungswirkungen des Einkommensteuertarifs vollständig auch im Rahmen der Kirchensteuer umsetzen und auf eine Kappung verzichten. Solange sie aber innerhalb ihrer eigenen Organisation, an einer Begünstigung hoher Einkommen festhält, fehlt ihr die Legitimation, eine noch stärkere Umverteilung innerhalb der Gesamtgesellschaft zu fordern.
- 1 In diese Richtung äußerten sich z.B. der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch am 31.3.2013 gegenüber dem Deutschlandfunk, der Erzbischof von Berlin Rainer Maria Woelki am 30.3.2013 gegenüber dem Tagesspiegel und der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Martin Dröge in seiner Predigt am 31.3.2013 im Berliner Dom.
- 2 Die Kirchensteuer-Kappungssätze sind dazu lediglich durch 0,09 zu dividieren.
- 3 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.9.2012.
- 4 Angesichts ihrer starken Stellung in der Gesellschaft dürfte die (römisch-katholische) Kirche in Bayern zugegebenermaßen aber weniger stark von Kirchenaustritten bedroht sein, als die Kirchen im übrigen Bundesgebiet.