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Die EU wollte den europäischen Energiebinnenmarkt noch im Jahr 2014 vollenden. Doch dürfte dieses Ziel deutlich verfehlt werden. Die Energiemärkte der Mitgliedstaaten bleiben insbesondere wegen unterschiedlicher mitgliedstaatlicher Regulierungseingriffe sehr heterogen. Für eine stärkere Harmonisierung genügen nach Ansicht der Autoren die derzeitigen Rechtsinstrumente der EU nicht, vielmehr sollte der Gesetzgeber tätig werden.

Nach dem Willen der Europäischen Union sollen die nationalen europäischen Energiemärkte stärker zusammenwachsen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken und eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten. Die Staats- und Regierungschefs haben im Europäischen Rat hierzu vorgegeben, dass der europäische Energiebinnenmarkt noch 2014 vollendet werden soll.1 Doch schaut man sich den derzeitigen Stand des Energiebinnenmarktes an, scheint dieses Ziel noch in weiter Ferne. Aufgrund zunehmender mitgliedstaatlicher Regulierungseingriffe bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Energiemärkten in Europa; teilweise sind sogar weitreichende Abschottungen einzelner Märkte zu erkennen. Dieser Zustand widerspricht vehement dem Gedanken eines einheitlichen europäischen Energiebinnenmarktes, der es sämtlichen Marktteilnehmern ermöglichen soll, unter (annähernd) gleichen Wettbewerbsbedingungen überall in der EU tätig zu werden. Aus rechtlicher Sicht stellt sich daher die Frage, ob der EU die notwendigen Kompetenzen und erforderlichen Instrumente zur Verfügung stehen, um einen funktionierenden europäischen Energiebinnenmarkt schrittweise herbeizuführen und in nicht allzu ferner Zukunft auch zu vollenden.

Ziel-, Kompetenz- und Interessenkonflikte

Nachdem die Energieversorgung in Europa über viele Jahre als rein nationale Aufgabe verstanden wurde, führte der Vertrag von Lissabon im gewissen Sinne zu einer energiepolitischen „Kehrtwende“: Die Energiefrage wurde zu einem treibenden Grundgedanken der Europäischen Union und zum Gegenstand einer stetig zunehmenden Europäisierung.2 Durch den Lissaboner Vertrag wurde etwa im Bereich der Energiepolitik eine geteilte Gesetzgebungskompetenz zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten eingeführt, wonach letztere ihre Zuständigkeit nur wahrnehmen dürfen, „sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat“3. Dies gilt nach Maßgabe von Art. 194 AEUV zwar nur für einige ausgewählte Bereiche der Energiepolitik, doch sollen diese die EU gerade in die Lage versetzen, das Funktionieren des Energiebinnenmarktes sicherzustellen.4 Gleichzeitig garantieren die „europäischen Verträge“ den Mitgliedstaaten, dass sie die Bedingungen für die Nutzung ihrer Energieressourcen und die allgemeine Struktur ihrer Energieversorgung frei bestimmen sowie zwischen verschiedenen Energiequellen frei wählen können.5 Dieser grundsätzliche Kompetenzkonflikt zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten lässt sich insbesondere anhand verschiedener, in den letzten Jahren vorgenommener mitgliedstaatlicher Markteingriffe nachvollziehen.

Um ihre ehrgeizigen, auf EU-Recht basierenden Klimaschutzziele zu erreichen, mussten viele Mitgliedstaaten ihr System der Energieversorgung anpassen und umweltfreundlicher sowie effizienter gestalten. Hierzu haben sie zunehmend regulierend in ihre jeweiligen Energiemärkte eingegriffen. Im Mittelpunkt dieser Markteingriffe stehen Fördersysteme für erneuerbare Energien, aber auch für die Kernenergie, Kraft-Wärme-Kopplungstechnologien oder konventionelle Erzeugungskapazitäten.6 Dies führt zum einen aufgrund heterogener Wettbewerbsbedingungen zu Investitionshemmnissen für ausländische Marktteilnehmer. Zum anderen – und dies ist weitaus schwerwiegender – stehen diese Fördersysteme in der Mehrzahl der Fälle nur inländischen Marktteilnehmern offen, was zu umfassenden Marktabschottungen führt. Allein wegen des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), nach dem ausschließlich in deutschen Kraftwerken produzierter Strom aus erneuerbarer Energie gefördert und vorrangig eingespeist wird, sind heute schon etwa 30%7 des deutschen Strommarktes dem europäischen Energiebinnenmarkt entzogen – Tendenz stark steigend.8

Gleichwohl will die EU das Ziel eines europäischen Energiebinnenmarkts nicht aufgeben, sondern die mitgliedstaatlichen Energiemärkte, einschließlich der energieregulatorischen Rahmenbedingungen, Schritt für Schritt harmonisieren. Diese Aufgabe erscheint jedoch schwieriger denn je. Gesetzliche Vorschriften zur Koordinierung von mitgliedstaatlichen Markteingriffen auf europäischer Ebene gibt es bislang nur wenige. Deshalb hat sich die EU, insbesondere die Europäische Kommission, in den letzten Jahren verschiedener „Soft-Law-Maßnahmen“9 und rechtlicher Verfahren10 bedient, um die Mitgliedstaaten innerhalb der bestehenden Gesetzeslage mittelbar zu einer Harmonisierung ihrer Energiemärkte zu zwingen. Nicht überraschend ergeben sich in diesem Zusammenhang Rechtsfragen, die im Folgenden näher dargestellt und erläutert werden. Insgesamt stellt sich die Frage, ob die Vollendung des Energiebinnenmarktes innerhalb der heutigen Gesetzeslage überhaupt erreicht werden kann.

Rechtliche Instrumente

Nach der gegenwärtigen Rechtslage steht der EU eine Reihe von rechtlichen Instrumenten offen, um gegen Diskriminierungen und Marktabschottungen im Energiesektor vorzugehen. Dies sind im Wesentlichen die Warenverkehrsfreiheit, das europäische Beihilferecht und die europäischen Zollbestimmungen.

Warenverkehrsfreiheit

Der freie Warenverkehr gemäß Art. 34 AEUV dient dem freien Verkehr von Waren auf dem gemeinsamen Markt.11 Auch der freie Verkehr von Strom wird von dieser Grundfreiheit geschützt.12 Da sie den Zugang zu sämtlichen mitgliedstaatlichen Märkten garantieren13 und nationale Marktabschottungen verhindern14 soll, hat sie eine elementare Bedeutung für das Funktionieren des europäischen Binnenmarktes. Ein bedeutsames Hindernis für den Warenverkehr im Stromsektor sind die Markteingriffe in den EU-Mitgliedstaaten. Vor allem die unterschiedliche Ausprägung der nationalen Förderinstrumente für erneuerbare Energien führt zu spürbaren Marktabschottungen, denn in der Regel profitieren von diesen nur im Inland produzierende Erzeuger. Bereits 2001 hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem PreussenElektra-Urteil mit der Frage der Zulässigkeit solcher auf inländisch produzierende Erzeuger beschränkte Förderregelungen beschäftigt. Die Richter entschieden damals, dass derlei Regelungen zwar prinzipiell gegen den freien Warenverkehr verstoßen, dass der Verstoß jedoch durch den Klima- und Umweltschutz gedeckt und damit gerechtfertigt sei.15 Als Folge dieses Urteils wurde über diese Fragestellung in den nachfolgenden Jahren nur noch vereinzelt in der Literatur diskutiert,16 obwohl gerade im Hinblick auf den stark steigenden Anteil von erneuerbaren Energien in den Mitgliedstaaten die knappe Rechtfertigung des EuGH
hätte durchaus erneut infrage gestellt werden können.

Erst Ende 2012 wendete sich ein schwedisches Gericht im sogenannten „Alands-Vindkraft-Fall“17 an den EuGH, um zu klären, ob ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit durch eine Förderregelung, die ausschließlich im Inland produzierende Stromerzeuger begünstigt, immer noch aus klimapolitischen Aspekten gerechtfertigt werden könne. Obwohl der Generalanwalt beim EuGH in seinem Schlussantrag eine andere Rechtsauffassung vertrat, entschieden die Richter erneut, dass solche Förderregelungen auch weiterhin wegen des Nutzens für den Umwelt- und Klimaschutz gerechtfertigt seien. Das Urteil wurde von vielen Seiten, auch der Bundesregierung, ausdrücklich begrüßt, da es das Vertrauen der Mitgliedstaaten in die bisherige EuGH-Rechtsprechung und die sekundärrechtlichen Vorgaben der Erneuerbare-Energien-Richtlinie18 bestätigte, nach denen die EU-Mitgliedstaaten „großen Freiraum haben, erneuerbare Energien entsprechend ihren jeweiligen nationalen, demokratisch legitimierten Überzeugungen zu fördern“19. Doch dürfte in dieser Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen sein, denn der Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit wird bei einem steigenden Anteil erneuerbarer Energien an den nationalen Energiemixen immer einschneidender und dürfte – wenn auch dem EuGH zufolge noch nicht jetzt – dann zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zu rechtfertigen sein.

Es ist gleichwohl nicht auszuschließen, dass der EuGH seine neue Rechtsprechung im „Alands-Vindkraft-Urteil“ auch auf andere Förderinstrumente (z.B. Kapazitätsmärkte oder die Nuklearenergieförderung) übertragen wird, sofern diese Marktabschottungen nach sich ziehen. Dies versucht allerdings die Kommission zu verhindern und argumentiert, dass den Erwägungen des Gerichts keine Allgemeingültigkeit zukäme. Es ist mithin anzunehmen, dass sie sich nicht von ihrem Weg zur Vollendung des Energiebinnenmarktes abbringen lassen wird20 und trotz des
EuGH-Urteils auch künftig gegen jede Art von nationalen Marktabschottungen im Energiesektor vorgehen wird.

Europäisches Beihilferecht

Das europäische Beihilferecht soll sicherstellen, dass für den Wettbewerb im Binnenmarkt schädliche Beihilfen vermieden und nationale Subventionsregime zunehmend zurückgefahren werden. Gemeinsame Regeln und Wettbewerbsbedingungen sollen die europäische Integration vorantreiben.21 Zusammen mit den europäischen Grundfreiheiten und dem Kartellrecht bildet es das zentrale Werkzeug zum Schutz vor Wettbewerbsverfälschungen innerhalb des gemeinsamen Marktes.22

Die Kommission hat sich im Bereich der Energiepolitik in den letzten Monaten wiederholt des Rechtsinstruments der beihilferechtlichen Kontrolle bedient und Verfahren gegen europäische Mitgliedstaaten eingeleitet, insbesondere hinsichtlich der Förderung der erneuerbaren Energien23 und der Nuklearenergie24. Durch die Einleitung dieser Verfahren wollte sie unter anderem die Mitgliedstaaten dazu bringen, ihre Förderregelungen zu „notifizieren“, d.h. ihre nationalen Regelungen der Kommission gegenüber offenzulegen und diese von ihr genehmigen zu lassen. Viele Mitgliedstaaten hatten dies in den vergangenen Jahren nicht für notwendig erachtet, da sie der Überzeugung waren, ihre nationalen Fördersysteme würden nicht die Voraussetzungen für eine Beihilfe im Sinne des europäischen Beihilferechts erfüllen. Ob die Unternehmen zu Recht ihre Regelungen nicht notifiziert haben oder die Kommission ihre Beihilfeverfahren hätte nicht einleiten dürfen, lässt sich in vielen Fällen nicht mit Gewissheit beantworten. Denn einige der Voraussetzungen, unter denen Energiefördersysteme als Beihilferegelungen qualifiziert werden können, sind bislang noch nicht abschließend durch die europäischen Gerichte entschieden worden.

Ein Beispiel betrifft etwa die Frage, ob ein von privaten Einrichtungen (z.B. Netzbetreibern) organisiertes Fördersystem, bei dem der Staat lediglich gesetzgeberisch tätig geworden ist und die hierfür erforderliche rechtliche Regelung verabschiedet hat, immer als beihilferechtlich unproblematisch einzuordnen ist. In seinem PreussenElektra-Urteil hatte der EuGH 2011 entschieden, dass in diesem Fall das Tatbestandsmerkmal der staatlichen Belastung nicht erfüllt ist, da keine „staatlichen Mittel“ an den Beihilfeempfänger übertragen werden.25 Um die beihilferechtliche Notifizierung in Fällen von privat organisierten Fördersystemen jedoch trotz dieses Urteils herbeizuführen und damit ein Mitspracherecht hinsichtlich der mitgliedstaatlichen Fördersysteme zu erhalten, begann die Kommission 2013 zu argumentieren, die Voraussetzungen für eine staatliche Beihilfe seien auch dann gegeben, wenn der Staat eine sehr detaillierte Methode zur Finanzierung eines Fördersystems vorgibt und die mit der Finanzierung betrauten privaten Einrichtungen streng von einer staatlichen Institution überwacht werden.26 Kritiker aus den Mitgliedstaaten werfen der Kommission seitdem vor, sie wolle lediglich mehr Einfluss bei der Ausgestaltung der nationalen Förderregelungen von erneuerbaren Energien erhalten; ihr Ziel sei es, „durch die Hintertür“27 des Beihilferechts Kompetenzen der Mitgliedstaaten im Energiesektor auf EU-Ebene zu ziehen.

Ob der EuGH der Rechtsauffassung der Kommission folgen und die Voraussetzungen für eine Notifizierung bereits unter den von der Kommission vorgebrachten Bedingungen bejahen wird, ist derzeit unklar. Argumente für die Rechtsauffassung der Kommission lassen sich jedenfalls der gegenwärtigen Rechtsprechung des EuGH nur im Ansatz entnehmen.28 Dass die Beihilfekontrolle aber in jedem Falle ein für die Kommission wirkungsvolles Rechtsinstrument ist, beweist etwa das wegen des EEG im Dezember 2013 eingeleitete Beihilfeprüfverfahren gegen Deutschland. Die Eröffnung dieses Verfahrens parallel zum nationalen Gesetzgebungsverfahren zur Reform des EEG führte dazu, dass sich die Bundesregierung eng mit der Kommission abstimmte, um ein „rechtssicheres“ Reformpaket verabschieden zu können und keine weiteren Verfahren gegen das neue EEG fürchten zu müssen. Daher hatte allein schon die Einleitung dieses Verfahrens der Kommission mehr Einflussnahme auf nationaler Ebene ermöglicht.

Mithin ist davon auszugehen, dass die Kommission auf ihrem Weg zu einer stärkeren Harmonisierung im Energiesektor auch weiterhin ihre Kompetenzen im Beihilferecht nutzen wird. Dies belegen auch die neuen Energiebeihilfeleitlinien 2014 bis 2020,29 die zum 1.7.2014 in Kraft getreten sind. Durch diese konkretisiert die Kommission die von ihr bei der Ausübung ihres Ermessensspielraums beachteten Grundsätze, was ihre Entscheidungen für betroffene Unternehmen transparenter machen und für mehr Rechtssicherheit sorgen soll.30 Die neuen Leitlinien legen dabei unter anderem fest, dass Förderregelungen im Prinzip auch anderen Mitgliedstaaten offenstehen sollen, um die Verfälschungen des Wettbewerbs insgesamt zu begrenzen. Solche Regelungen wolle sie „positiv bewerten“31. Zwar weisen sie keinen normativen Gesetzescharakter auf, doch bindet sich die Kommission durch sie bei der Ausübung ihres Ermessens selbst.32 Infolgedessen, und um potenzielle Verfahren der Kommission zu vermeiden, ist davon auszugehen, dass sie von den Mitgliedstaaten mit höchster Aufmerksamkeit bei der Ausgestaltung der nationalen beihilferechtlich relevanten Gesetzgebung berücksichtigt werden.

Zollbestimmungen

Neben dem europäischen Beihilferecht und der Warenverkehrsfreiheit hat die Kommission in den vergangenen Jahren auch vielfach argumentiert, dass national begrenzte Fördersysteme nicht mit den Zollbestimmungen der Art. 30 und 110 AEUV zu vereinbaren seien.33 Die Vorschriften verbieten grundsätzlich die Erhebung von Zöllen oder Abgaben gleich welcher Art, die gegenüber anderen europäischen Mitgliedstaaten eine diskriminierende Wirkung aufweisen.

Die Argumentation der Kommission setzt dabei an den Finanzierungsmechanismen von Fördersystemen an. Vielfach wird in den EU-Mitgliedstaaten die Förderung einer bestimmten Technologie finanziert, indem auf die Lieferung von Elektrizität an Letztverbraucher eine Abgabe erhoben wird (sogenannte Umlage). Auch in Deutschland werden verschiedene Fördersysteme über Umlagen finanziert, so z.B. das EEG34 oder das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz.35 Nach der Auffassung der Kommission werden bei solchen Fördersystemen, an denen nur inländische Marktakteure partizipieren können, Importeure prinzipiell dadurch diskriminiert, dass sie auf der einen Seite die Abgabe tragen müssen, auf der anderen Seite aber nicht wie die inländischen Marktakteure von ihr profitieren. Daher forderte die Kommission mehrfach, dass importierter Strom von diesen Umlagen befreit werden müsse.36 Abhängig von der jeweiligen Marktdurchdringung von erneuerbaren Energien in den einzelnen Mitgliedstaaten kann dies jedoch beträchtliche wirtschaftliche Auswirkungen haben, da importierter Strom im Vergleich zu im Inland produziertem Strom einen erheblichen Wettbewerbsvorteil hätte.

Die Rechtsauffassung der Kommission ist allerdings, abhängig von der konkreten individuellen Ausgestaltung von Fördersystemen in den einzelnen Mitgliedstaaten, in mehrfacher Hinsicht angreifbar: Fraglich ist oft schon, ob solche Umlagen einen „Zoll“ oder eine „Abgabe“ im Sinne der Art. 30 und 110 AEUV darstellen. Dies wird z.B. in Bezug auf die sogenannte EEG-Umlage in Deutschland vielfach bestritten,37 da eine Abgabe voraussetze, dass diese von staatlichen Stellen erhoben wird und nicht, wie überwiegend praktiziert, von privatwirtschaftlich organisierten Netzbetreibern.38 Darüber hinaus muss der „Zoll“ oder die „Abgabe“ auch eine diskriminierende Wirkung aufweisen. Zwar nimmt der EuGH ebenso wie die Kommission an, dass eine diskriminierende Wirkung darin liegen kann, dass eine Abgabe, die gleichermaßen in- und ausländischen Marktteilnehmern auferlegt wird, nur inländischen Marktteilnehmern zugutekommt.39 Dies dürfte jedoch im Fall von Energiefördersystemen oftmals nicht zutreffen. Am Beispiel des deutschen EEG zeigt sich etwa, dass die EEG-Umlage zwar in- und ausländischen Stromlieferanten auferlegt wird, sie aber gleichzeitig nur inländischen Stromerzeugern von grünem Strom zugutekommt. Eine Diskriminierung zwischen in- und ausländischen Lieferanten von konventionellem Strom dürfte daher nicht vorliegen. Zudem weist der Fördermechanismus des deutschen EEG die Besonderheit auf, dass der über das EEG vergütete Strom prinzipiell als sogenannter Graustrom behandelt wird, weswegen argumentiert wurde, dass eine diskriminierende Wirkung auch nicht zwischen in- und ausländischen Ökostromlieferanten gegeben sei.40 Hieran zeigt sich, dass die rechtliche Beurteilung von Fördersystemen unter den Art. 30 und 110 AEUV stark vom Einzelfall abhängig ist und die EU-Mitgliedstaaten nicht per se zu einer mit dem Energiebinnenmarkt konformen Ausgestaltung von Markteingriffen verpflichten dürfte.

Fazit

Die EU bekräftigt konsequent das Ziel, einen vollendeten, funktionierenden EU-Energiebinnenmarkt, der staatenübergreifend die gleichen oder zumindest annähernd vergleichbare Bedingungen für sämtliche Marktteilnehmer bietet, zu schaffen. Um dieses Ziel zu erreichen und um die Mitgliedstaaten im Energiebereich zu einem supranational abgestimmten Vorgehen zu bewegen, bedient sie sich verschiedener rechtlicher Instrumente, wie etwa des Beihilferechts, der Warenverkehrsfreiheit und der europäischen Zollbestimmungen.

Die Ausführungen belegen jedoch, dass einer Koordinierung der nationalen Regulierungen im Energiebereich, die einzig durch rechtliche Verfahren der Kommission erfolgen soll, Grenzen gesetzt sind. Effizienter wäre es daher, zumindest parallel zu solchen Verfahren, gesetzgeberisch tätig zu werden und die EU-Mitgliedstaaten auf gesetzlicher Ebene zu einer stärkeren Koordinierung ihrer Markteingriffe und damit zur Stärkung binnenmarktlicher Strukturen im Energiesektor zu bewegen.41 Dass hierfür im Lichte von Eurokrise und dem Aufstreben europakritischer Parteien die notwendigen politischen Mehrheiten gegebenenfalls nur schwer zu finden sind, sollte sie dabei nicht aufhalten. Denn eins hat sich in den letzten Jahren ohnehin schon gezeigt: Für die Vollendung des europäischen Energiebinnenmarktes braucht es einen langen Atem.


Der Aufsatz gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Autoren wieder.

  • 1 Europäischer Rat: Schlussfolgerungen zur Tagung des Europäischen Rates am 22.5.2013, EUCO 75/1/13 REV 1, S. 2 f.
  • 2 O. Däuper, in: W. Danner, C. Theobald: Energierecht, 80. EL, 2014, Rn. 3; S. Hobe: Energiepolitik, in: Europarecht 2009, Beiheft 1, S. 220; J. Scherb, in: J. Bergmann: Handlexikon der Europäischen Union, 4. Aufl., 2012, Energierecht, III. Ausblick.
  • 3 Vgl. Art. 2 Abs. 2 S. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
  • 4 Art. 194 Abs. 1 lit. a) AEUV.
  • 5 Siehe Art. 194 Abs. 2 AEUV.
  • 6 So setzt Deutschland auf erneuerbare Energien, während Frankreich und Großbritannien zur CO2-Minderung weiterhin auf Atomstrom setzen.
  • 7 Vgl. Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW): Erneuerbare Energien erreichen neuen Rekordwert, Presseerklärung vom 29.7.2014.
  • 8 Werden die Ausbauziele für erneuerbare Energien des § 1 EEG 2014 erfüllt, wären 2030 bereits 50% des deutschen Marktes gegenüber Stromimporten aus anderen Mitgliedstaaten abgeschottet. Zusätzliche Markteingriffe, etwa die Einführung von national begrenzten Kapazitätsmechanismen, die in Deutschland erwogen wird, würden zu einer noch intensiveren Marktabschottung führen.
  • 9 Die Kommission hat im November 2013 „Leitlinien für Mitgliedstaaten zu staatlichen Eingriffen in Strommärkte“ erlassen und die Mitgliedstaaten angehalten, staatliche Markteingriffe binnenmarktkonform auszugestalten, vgl. http://ec.europa.eu/energy/gas_electricity/internal_market_de.htm.
  • 10 Ein Beispiel ist das Beihilfeprüfverfahren der Kommission gegen Deutschland (SA.33995 (2013/C)) wegen der EEG-Förderregelungen und der Begrenzung der EEG-Umlage für stromintensive Unternehmen (im Folgenden Kommissionsentscheidung C(2013) 4424 vom 18.12.2013).
  • 11 J. D. Weller, in: J. Bergmann, a.a.O., Warenverkehr, I. Allgemeines.
  • 12 In rechtlicher Hinsicht wird Strom gemeinhin als Ware behandelt.
  • 13 Generaldirektion Unternehmen und Industrie (KOM): Der freie Warenverkehr, Luxemburg 2010, S. 8.
  • 14 M. A. Dauses, A. Brigola, in: M. A. Dauses: EU-Wirtschaftsrecht, 35. EL, 2014, Rn. 272.
  • 15 Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 13.3.2001 – Rs. C-379/98, PreußenElektra, Slg. 2001, I-2099, Rn. 73 ff.
  • 16 Vgl. C. Erk: Die künftige Vereinbarkeit des EEG mit Verfassungs- und Europarecht, Baden-Baden 2008; S. Klinski: EEG und Binnenmarkt: Zur Vereinbarkeit des EEG mit den aktuellen Bestimmungen zum Elektrizitätsbinnenmarkt und mit der Warenverkehrsfreiheit, Stellungnahme, 2005.
  • 17 EuGH: Vorabentscheidungsersuchen des Förvaltningsrätten i Linköping (Schweden), eingereicht am 6.12.2012, Ålands Vindkraft AB/Energimyndigheten, Rs. C-573/12.
  • 18 Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG, ABl. EG L 140/16 vom 5.6.2009.
  • 19 H. Falk (Bundesverband Erneuerbare Energie): EuGH-Urteil gute Nachricht für Stromkunden, Pressemitteilung vom 1.7.2014.
  • 20 Siehe hierzu das Beihilfeprüfverfahren der Kommission, bei dem sie versucht, die bisherige Rechtsprechung des EuGH in einem Sonderfall zu ergänzen: Beihilfeprüfverfahren der Kommission gegen Deutschland (Kommissionsentscheidung C(2013) 4424 vom 18.12.2013).
  • 21 F. Ekardt, A. Schmeichel: Erneuerbare Energien, Warenverkehrsfreiheit und Beihilfenrecht – Nationale Klimaschutzmaßnahmen im EG-Recht, in: Zeitschrift für Europarechtliche Studien, 11. Jg. (2009), H. 2, S. 205.
  • 22 EuGH, Urteil vom 20.9.1983 – Rs. C-171/83, Slg. 1989, Kommission/Frankreich, I-2621, Rn. 9; W. Cremer, in: C. Calliess, M. Ruffert: EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 107, Rn. 1.
  • 23 Prominente Beispiele sind das Beihilfeverfahren gegen das deutsche EEG (vgl. Kommissionsentscheidung C(2013) 4424 vom 18.12.2013), sowie das Beihilfeverfahren gegen das französische Fördersystem für erneuerbare Energie, vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_IP-14-327_en.htm.
  • 24 Vgl. etwa Kommissionsentscheidung C(2013) 9073 vom 18.12.2013 zum britischen Fördersystem zum Bau neuer Atomkraftwerke.
  • 25 EuGH, Urteil vom 13.3.2001 – Rs. C-379/98, PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099, Rn. 58 ff.
  • 26 Vgl. den Eröffnungsbeschluss der Kommission vom 18.12.2013, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013/C), C(2013) 4424 final, Rn. 120.
  • 27 Stiftung Umweltenergierecht: Erfordert das Europäische Beihilferecht die Einführung von Ausschreibungsverfahren im EEG?, Hintergrundpapier vom 16.7.2014, S. 5, http://www.stiftung-umweltenergierecht.de/fileadmin/pdf_aushaenge/Aktuelles/WueBericht__5_Beihilferecht_Erfordernis_Ausschreibungen_final_2014-07-16.docx.pdf.
  • 28 Vgl. M. Gerig: Die Vollendung des EU-Energiebinnenmarktes vs. nationale Marktabschottungen, Frankfurt a.M. u.a.O. 2014, S. 108 ff.
  • 29 Mitteilung der Kommission: Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020, (2014/C 200/01).
  • 30 R. Ellger, in: U. Immenga, E.-J. Mestmäcker: EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Rn. 74; W. Frenz: Handbuch Europa, Bd. 3, 1. Aufl. 2007, § 3, Rn. 747; N. Kortlüke et al.: Elektromobilität und Erneuerbare Energien, Bielefeld 2011, S. 43.
  • 31 Mitteilung der Kommission, a.a.O., Rn. 122.
  • 32 Stiftung Umweltenergierecht, a.a.O., S. 4.
  • 33 Vgl. Beihilfeentscheidung C (2006)2955 endg., Rn. 73 (bezüglich des österreichischen Ökostromgesetzes, Beihilfeentscheidung N 437/2009, Rn. 63 ff., bezüglich des rumänischen Fördersystems für Kraft-Wärme-Kopplung, Beihilfeentscheidung 2009/476/EG, Rn. 82, bezüglich des luxemburgischen Ökostromgesetzes sowie Beihilfeentscheidung C(2013) 4424, Rn. 245, bezüglich des deutschen EEG). Die Kommission hat bisher überwiegend versucht, ihre Rechtsauffassung im Wege von Beihilfekontrollverfahren durchzusetzen. Der Prüfungsmaßstab solcher Verfahren geht nach der Rechtsprechung des EuGH über das Beihilferecht im engeren Sinne hinaus, d.h. dass eine Beihilfe nicht mit dem gemeinsamen Binnenmarkt als vereinbar angesehen werden kann, wenn sie gegen andere Vorschriften der europäischen Verträge verstößt, vgl. EuGH vom 19.9.2000, Rs. C 156/98 (Deutschland/Kommission). Grundsätzlich stünde es der Kommission aber auch frei, Vertragsverletzungsverfahren gegen einzelne Mitgliedstaaten einzuführen, um ihre Rechtsauffassung durchzusetzen.
  • 34 Vgl. §§ 56 ff. EEG 2014.
  • 35 Vgl. § 9 KWKG.
  • 36 In einigen Mitgliedstaaten wird dies praktiziert, etwa in Österreich, vgl. C (2006)2955 endg., Rn. 73, und in Rumänien, vgl. N 437/2009, Rn. 64.
  • 37 Vgl. N. Grabmayr, A. Stehle, F. Pause, T. Müller: Das Beihilfeverfahren der EU-Kommission zum Erneuerbare-Energien-Gesetz 2012, Februar 2014, S. 29; oder Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI): Stellungnahme gegenüber
der Europäischen Kommission/Generaldirektion Wettbewerb betreffend den Beschluss der Kommission
vom 18.12.2013, S. 34.
  • 38 EuGH, Rs. C-206/06, Essent, Slg. 2008, I-5497, Rn. 47 f.
  • 39 Vgl. EuGH: Rs. C-206/06, Essent, Slg. 2008, I-5497, Rn. 43; vgl. auch Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), a.a.O., S. 34.
  • 40 N. Grabmayr, A. Stehle, F. Pause, T. Müller, a.a.O., S. 29 f.
  • 41 Beispielsweise könnten entsprechende Verpflichtungen für die Förderung von erneuerbaren Energien in die europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009/28/EG aufgenommen werden.

Title:Legal Instruments to Complete the European Internal Energy Market

Abstract:The EU intended to complete the creation of the internal energy market by the end of 2014. However, it appears that this goal will not be achieved. Due to diverse market interventions at the national level, energy markets still remain heterogenic. The authors conclude that for stronger harmonisation, further legislative action at the EU level is necessary, as current EU legal instruments are insufficient.

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DOI: 10.1007/s10273-014-1764-9