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Die jüngsten Wahlen zum Deutschen Bundestag und die bevorstehenden Europawahlen im Mai 2014 bieten die einmalige Chance, einen längst überfälligen Paradigmenwechsel in der Europapolitik vollziehen zu können. Dabei möchte ich mich am Vorabend des geplanten Abschlusses der Koalitionsverhandlungen im Bund nicht der Frage widmen, ob die Verhandlungspartner von CDU und SPD bei der Formulierung der entsprechenden Passagen des Koalitionsvertrages diese Herkulesaufgabe tatsächlich im erforderlichen Umfang gemeistert haben.

Ich möchte Ihnen als Vertreter eines der wirtschaftsstärksten deutschen Länder vielmehr die Eckpunkte eines umfassenden neuen europäischen Krisenmanagements skizzieren. Dieses trägt nach vier Jahren der Flickschusterei und des Lavierens die berechtigte Hoffnung in sich, die EU in den kommenden Jahren nicht nur in fiskalischer, sondern auch in wirtschaftlicher, sozialer und demokratischer Hinsicht wieder in ruhigeres Fahrwasser bringen zu können. Denn eines ist klar: Wegen der anhaltenden Krise in Europa – sowohl der Finanzkrise als auch jener des Vertrauens in die EU-Politik – ist es dringend notwendig, dass sich auch die deutschen Länder mit Reformvorschlägen in die aktuelle Diskussion über Maßnahmen zur dauerhaften Krisenbewältigung einbringen. So hat sich Baden-Württemberg in den vergangenen zweieinhalb Jahren nicht nur im Bundesrat, sondern auch auf interparlamentarischer und interregionaler Ebene für die Demokratisierung der Europäischen Union und für eine gerechtere Wirtschafts- und Währungsunion engagiert. Wir haben uns nicht nur dafür eingesetzt, dass Bundestag und Länder an den Entscheidungen der „Euro-Rettung“ umfassend von der Bundesregierung beteiligt werden. Nein, wir haben uns auch Gedanken dazu gemacht, wie eine solche Rettung besser funktionieren kann. Wir haben in Europa gewaltige Fragen zu lösen: Wie soll die Zukunft der EU aussehen? Welche Änderungen brauchen wir?

Klar ist, wir brauchen in einigen Bereichen mehr Europa. Dazu gehört der Finanz- und Wirtschaftsbereich. Wir brauchen eine Fiskalunion und eine starke wirtschaftliche Koordinierung. Das geht nicht ohne ein sozialeres Europa. Wir brauchen Solidarität nicht nur bei den großen Fragen der Schuldenkrise, bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik, sondern auch für jeden EU-Bürger. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass ein Sozialstaat nach dem anderen in Europa unter dem Deckmantel der Krisenlösung geschliffen wird. Das heißt europaweiter Mindestlohn, Arbeitnehmerrechte stärken, insbesondere im Binnenmarkt.

In manchen Bereichen brauchen wir aber auch weniger Europa. Deshalb verdamme ich die Initiativen der Briten und der Niederländer nicht in Bausch und Bogen. Nur als einzelnes Beispiel will ich hier den Bereich der Daseinsvorsorge anführen: Die ganze Palette der Daseinsvorsorge (Dienstleistungskonzession, Wasser etc.) muss auch weiterhin national und regional vor Ort bleiben.

Und wir brauchen ein stärker demokratisch legitimiertes Europa, vor allem wenn wir Europa weitere Rechte übertragen. Das heißt zum einen eine stärkere Rolle des Europäischen Parlaments (z.B. Initiativrecht, Mitwirkung bei Euro-Rettungsschirmen etc.) und den Ausbau der Kommission zu einer europäischen Regierung mit entsprechender Kontrolle.

Aus Landessicht ist mir besonders wichtig, dass auch eine demokratische Kontrolle von EU-Maßnahmen durch die nationalen Parlamente erfolgt. Hier hat gerade Baden-Württemberg viel erreicht (Mitwirkungsrechte beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), beim Fiskalpakt, bei der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und bald auch beim Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EuZBLG)). Es geht aber nicht nur um die Kontrolle der nationalen Parlamente in ihrem jeweiligen Mitgliedstaat. Als Pendant zu den Gipfeln der europäischen Exekutiven brauchen wir ein interparlamentarisches Gremium aller europäischen nationalen Parlamente. Sie müssen in ihrer Gesamtheit vor allem die finanzbezogenen Entscheidungen der europäischen Regierungen wirksamer kontrollieren (Europäisches Semester). Ich hoffe sehr, dass sich das Gremium nach Art. 13 des Fiskalvertrages zu einem derartigen Kontrollzentrum entwickelt. Dessen konstituierende Sitzung Mitte Oktober 2013 stimmt mich jedenfalls zuversichtlich. Darüber hinaus wird es zwingend sein, mit einigen zweiten Kammern aus Ländern wie Frankreich und Polen eine „Kerngruppe“ von nationalen Parlamentariern voranzubringen, die im kleineren Kreis als Impulsgeber dienen können. Neben der großen Architektur der EU geht es natürlich vor allem um die Lösung der jetzt anliegenden konkreten Probleme. Es liegt auf der Hand, dass die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung nicht das gewünschte Ergebnis gebracht haben. Wir brauchen eine echte Fiskalunion und eine schnelle Vollendung der Bankenunion.

Fiskalunion

Der Fiskalpakt alleine trägt nicht. Es ist zwar richtig, dass auch die Staatsverschuldung angegangen werden muss. Es ist auch richtig, dass die notleidenden Länder weiter zur Konsolidierung angehalten werden. Mit Blick auf den Besuch des griechischen Ministerpräsidenten am 22. November 2013 in Berlin bedeutet das beispielsweise für Griechenland ganz konkret, endlich einen funktionierenden Steuervollzug aufzubauen.

Gleichzeitig muss aber verhindert werden, dass sich die Staaten kaputtsparen. Wer Konsolidierung nur mit Sparen erreichen will, verkennt die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Perspektive. Es klingt paradox: Aber was verhindert hätte, in die jetzige Situation zu geraten, verhindert auch – weil zu spät eingesetzt – der Situation wieder zu entkommen. Allzu strikte Sparauflagen dürfen nicht die notwendigen Wachstumschancen zerstören.

Neben der notwendigen Konsolidierung der nationalen Haushalte muss daher zugleich eine nachhaltige Wachstumsstrategie für diese Staaten aufgelegt werden. Wachstumsprogramme in Gestalt eines neuen Marshallplans sind das Gebot der Stunde, damit die Wirtschaft angekurbelt und die Wettbewerbsfähigkeit in den betroffenen Ländern gesteigert werden kann. Hier ist erneut die Solidarität der EU gefordert. Die EU-Strukturfonds können wichtige Impulse liefern. Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur sind dabei unabdingbar. Um aber echte Wirkung zu zeigen, brauchen wir neben den Strukturfondsmitteln des mehrjährigen Finanzrahmens der EU zusätzliche Unterstützung durch einen flankierenden EU-Wachstumsfonds. Dieser Fonds könnte durch eine Einlage der EZB mit Grundkapital versehen werden, die laufende Refinanzierung könnte durch einen Teil des Aufkommens der Finanztransaktionssteuer abgedeckt werden.

Wir brauchen aber nicht nur auf der Ausgaben-, sondern auch auf der Einnahmenseite der Haushalte strukturelle Änderungen, um die Krise zu lösen und zukünftigen Generationen keinen immensen Schuldenberg zu hinterlassen. Denn allein mit einer weiteren Ausgabenkürzung werden wir eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht erreichen. Deshalb brauchen wir unbedingt auch ein europäisches Bündnis zur Stärkung der Staatseinnahmen.

Dazu sind mehrere Maßnahmen der Steuerharmonisierung notwendig, die nicht nur zu einer gleichmäßigen Besteuerung der Unternehmen innerhalb der EU führen, sondern auch dabei helfen, den Steuerwettbewerb zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu verringern. Deshalb begrüßen wir den Richtlinienentwurf der EU-Kommission zur Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB) ausdrücklich. Der Entwurf ist ein erster und wichtiger Schritt zur Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung.

Darüber hinaus halten wir es für zentral, dass auch Spekulanten und Banken ihren Beitrag zur Lösung der Krise leisten. Inzwischen haben sich elf EU-Länder auf die Einführung der Finanztransaktionssteuer im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit geeinigt. Als weitere wichtige Elemente zähle ich zudem eine erweiterte Zinsrichtlinie, einen europaweit gleichartigen Steuervollzug und die Bekämpfung des Steuerbetrugs sowie die Harmonisierung der Mehrwertsteuer und die verstärkte Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs.

Schnelle Vollendung der Bankenunion

Die Finanzmärkte und allen voran die Banken haben einen wesentlichen Anteil an den globalen krisenhaften Entwicklungen in den letzten Jahren. Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 formulierten die G20 die Forderung, dass künftig kein Akteur, kein Produkt und kein Markt ohne Regulierung und ohne Aufsicht bleiben dürfen. Seitdem ist zwar einiges zur Umsetzung der G20-Beschlüsse getan worden, vor allem von Seiten der EU. Aber aus meiner Sicht eben noch nicht genug: Ein Hauptziel muss es sein, den großen – sogenannten systemrelevanten – Banken durch strengere Regulierung und Überwachung das Erpressungspotenzial gegenüber den Regierungen zu nehmen. Die begonnene Bankenunion muss daher zügig weiter voran gebracht werden. Neben der Umsetzung von Basel III und einer europaweit einheitlichen Bankenaufsicht brauchen wir vor allem einen einheitlichen Mechanismus zur Abwicklung und Sanierung von Banken und eine wirksame Regulierung der Schattenbanken.

Die europäische Bankenaufsicht durch die EZB ist nun mit Beschluss der EU-Finanzminister vom Oktober 2013 endlich auf den Weg gebracht und soll ab Herbst 2014 ihre Arbeit aufnehmen. Dann wird die EZB etwa 130 Institute direkt überwachen, davon ca. 25 in Deutschland. Wichtig ist, dass die EZB-Aufsicht auf systemrelevante Banken beschränkt wird. Die Aufsicht über kleine und mittlere, regional tätige Banken verbleibt weiterhin bei den nationalen Behörden. Das Prinzip der Subsidiarität wird damit gewahrt.

Aber: Die europäische Bankenaufsicht ist nur ein Baustein. Auf Dauer ist es nicht sinnvoll, Banken auf europäischer Ebene zu beaufsichtigen, deren Abwicklung oder Sanierung dann aber auf nationaler Ebene durchzuführen. Dann nämlich bliebe die einheitliche Bankenaufsicht nur ein zahnloser Tiger. Wollen wir den Bankensektor nachhaltig bereinigen, dann brauchen wir neben einer schlagkräftigen Bankenaufsicht auch ein leistungsfähiges europäisches Abwicklungs- und Sanierungsregime. Bei den jetzt in die entscheidende Phase tretenden Verhandlungen über den Verordnungsentwurf der Kommission müssen wir die Schwerpunkte richtig setzen: Allem voran muss der Grundsatz gelten, dass der Steuerzahler bzw. der Mitgliedstaat von der Haftung für die in Schieflage geratenen Banken entlastet wird. Haftung und Verantwortung müssen konsequent miteinander gekoppelt werden.

Wir haben uns im Bundesrat am 20.9.2013 auch dafür ausgesprochen, kleine und mittlere Institute – ebenso wie bei der Bankenaufsicht durch die EZB – auszunehmen. Gesunde nationale Systeme wie die Verbünde der Sparkassen und Genossenschaftsbanken bedürfen keines EU-weiten Rettungssystems. Ein zentraler Punkt – für den sich die Landesregierung im Bundesrat mit einem Ergänzungsantrag explizit stark gemacht hat – ist zudem, dass bei Schaffung des geplanten Europäischen Abwicklungsfonds eine Doppelbelastung deutscher Banken aufgrund der bereits in Deutschland anfallenden Bankenabgabe unbedingt vermieden wird.

Wichtig ist auch die Regulierung der Schattenbanken. Reguläre Geschäfte wurden auf nicht regulierte Institute verschoben. Schätzungen zufolge hat 2011 das Volumen der bisher unregulierten Schattenbanken rund 51 Billionen US-Dollar betragen (so der Finanzstabilitätsrat)! Das entspricht der Hälfte aller Bankaktiva und ist damit systemrelevant. Für mich ist deshalb ein ganz zentraler Punkt: Schattenbanken müssen in Zukunft genauso strikt kontrolliert werden wie normale Banken. Erst im Oktober 2013 hat der Bundesrat auf Antrag Baden-Württembergs hierzu gefordert, dass eine tiefere Regulierungs- und Aufsichtsdichte erforderlich ist. Auch Schattenbanken sollen einen Puffer vorhalten müssen, der dem Eigenkapital von Banken vergleichbar ist. Zentral ist nach meinem Dafürhalten außerdem, dass auch Schattenbanken künftig einer effektiven Aufsicht unterstellt werden.

Genauso wie im nationalen Kontext wird ein erfolgversprechender Neustart der fiskalischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der EU allerdings nur dann gelingen, wenn wir den teilweise hoch verschuldeten EU-Mitgliedstaaten bei der Altschuldenproblematik unter die Arme greifen. Wir brauchen einen mit klaren Regelungen – insbesondere mit Blick auf die Refinanzierungsverpflichtungen – versehenen Altschuldentilgungsfonds, mit dem notleidende EU-Mitgliedstaaten verbesserte Refinanzierungsbedingungen erhalten. Wir würden uns doch selbst in die Tasche lügen, wenn wir einen solchen Fonds mit der Behauptung ablehnten, damit sei der Haftungsunion „Tür und Tor“ geöffnet. In Wirklichkeit gibt es diese Haftungsunion mit dem Eurorettungsschirm ESM doch schon längst. Am Ende dürfte aber eine Währungsunion ohne eine Lösung für deren Altschulden nicht überlebensfähig sein.

Fazit

Das von mir skizzierte vier Säulen-Konzept von Steuerharmonisierung, Wachstumsanreizen, Bankenregulierung und Altschuldenmanagement ist nach meiner festen Überzeugung gut geeignet, die Europäische Union wieder als einen ernstzunehmenden Finanz- und Wirtschaftsakteur im globalen Kontext zu etablieren. Wir müssen jetzt daran arbeiten, dieses Konzept mit Leben zu erfüllen. Allen voran müssen die ersten Schritte sein, dass Steuerschlupflöcher in ganz Europa geschlossen und Investitionen in Wachstum und Arbeit getätigt werden sowie die zerstörerische Kraft der Finanzmärkte durch Regulierung und Bankenkontrolle zügig gebändigt wird.

Title:Reorientation of European Policy

Abstract:The economic power of the euro countries should be strengthened by growth incentives, in the form of an additional European growth fund, which should also be funded by financial transaction tax revenues. The current level of debt requires a strengthening of government revenues. Taxes must be collected more effectively, and tax harmonisation should eliminate imbalances in the EU. The banking union should be a central component of crisis management. Moreover, the lingering debt problem must be solved.

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DOI: 10.1007/s10273-014-1649-y

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