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Von den nationalen Regulierungsbehörden werden zwei Kostenmethoden zur Bestimmung der Terminierungsentgelte im Mobilfunkmarkt angewandt: Long-Run Incremental Costs (LRIC) und Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung (KeL). Der Autor ist der Auffassung, dass der von der Europäischen Kommission favorisierte LRIC-Ansatz nicht mit der mikroökonomischen Theorie übereinstimmt, da die Netzbetreiber nicht ihre gesamten Kosten abdecken können. Die Regulierungsbehörden sollten daher den KeL-Ansatz verfolgen, da dieser Wettbewerbspreise setzt und so die höchste soziale Wohlfahrt garantiert.

Auch mehr als 15 Jahre nach der Liberalisierung im Telekommunikationsmarkt unterliegen noch zahlreiche Bereiche der Telekommunikation der Regulierung.1 Momentan werden in diesem Bereich noch sieben Märkte reguliert.2 Eine neue Märkteempfehlung wird für den Sommer 2014 erwartet. Einer dieser Märkte ist der sogenannte Markt 7 „Anrufzustellung in einzelnen Mobilfunknetzen“. Reguliert wird auf diesem Markt das Entgelt für die Terminierung netzexterner Mobilfunkanrufe (Terminierungsentgelt). Die Bundesnetzagentur (BNetzA) berechnet die Terminierungsentgelte auf Basis der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung (KeL), die auch die Gemeinkosten umfasst, und somit entgegen einer Empfehlung der Europäischen Kommission über die Regulierung der Festnetz- und Mobilfunk-Zustellungsentgelte in der EU (Kostenempfehlung) steht,3 die die Gemeinkosten als nicht anrechenbar ansieht. Im Nachfolgenden werden die unterschiedlichen Kostenmethoden und ihre Auswirkungen auf den Mobilfunkmarkt untersucht.

Der Terminierungsmarkt

Im Mobilfunkmarkt gibt es eine Vielzahl von Anbietern, die entweder ein eigenes Netz (als Netzbetreiber)4 besitzen oder andere Netze (als virtuelle Netzbetreiber bzw. MVNOs)5 als Mieter benutzen. Aufgrund des vorherrschenden Wettbewerbs teilen sich die Endverbraucher auf unterschiedliche Netzbetreiber je nach ihren Präferenzen auf. Sobald Endverbraucher A des Netzbetreibers X den Endverbraucher B bei Netzbetreiber Y anrufen möchte, beginnt sein Anruf im Netz des X und endet im Netz des Y. Der Anruf des A wird sozusagen bei Y terminiert. Durch die Terminierung des Anrufs im Netz des Y entstehen dem Y Kosten, die dieser erstattet haben möchte.

Diesbezüglich gibt es zwei Ansätze. Nach dem Ansatz „Recieving Party Pays (RPP)“6 stellt der Netzbetreiber Y die Kosten für die Terminierung seinem Endkunden B in Rechnung. Nach dem Ansatz „Calling Party Pays (CPP)“ wird die Terminierung dem Netzbetreiber X, also dem abgehenden Netzbetreiber, in Rechnung gestellt. Der CPP-Ansatz führt jedoch dazu, dass der aufnehmende Netzbetreiber eine starke Marktmacht im Terminierungsmarkt erhält. Ein Mobilfunkanbieter wird nur dann Endkunden im Wettbewerb an sich binden können, wenn die Endkunden in sämtliche andere Netze zu akzeptablen Preisen telefonieren können. Ein Netzbetreiber, der über eine gewisse Marktmacht (z.B. in Form von hohen Kundenzahlen) verfügt, kann durch extrem hohe Terminierungsentgelte den Markteintritt von potenziellen Wetterbewerbern erschweren bzw. verhindern, da die Wettbewerber die hohen Terminierungsentgelte an die Endverbraucher weitergeben (müssen), um sich refinanzieren zu können. Im Terminierungsmarkt besitzt somit jeder Netzbetreiber quasi eine monopolistische Stellung. Die technischen Bedingungen und der CPP-Ansatz führen dazu, dass der Terminierungsmarkt als regulierungswürdig angesehen wird. Netzbetreiber sind verpflichtet, Anrufer aus anderen Netzen in ihr Netz zu lassen. Auch das Terminierungsentgelt wird von den Regulierungsbehörden festgesetzt.7 Der (nationale) Markt für Terminierungsentgelte, also die aus fremden, nationalen Mobilfunknetzen eingehenden Gesprächsminuten (vgl. Tabelle 1), umfasste 2010 etwa 15,48 Mrd. Gesprächsminuten, was einen Anteil von etwa 19% an den gesamten 82,06 Mrd. Gesprächsminuten im Mobilfunk in Deutschland ausmacht. Bei einem Terminierungsentgelt von 1,85 Cent/Minute8 entspricht dieses einem Marktvolumen von etwa 277 Mio. Euro.

Tabelle 1
Gesprächsminuten im Mobilfunk in Deutschland
in Mrd. Minuten (in %)
  2005 2006 2007 2008 2009 2010
in Mobilfunknetze ankommender Verkehr 41,41 (100) 49,89 (100) 61,16 (100) 71,37 (100) 76,23 (100) 82,06 (100)
aus nationalen Festnetzen 16,19 (39) 15,95 (32) 17,70 (29) 17,73 (25) 16,68 (22) 15,63 (19)
aus dem eigenen Netz (on-net) 15,08 (36) 22,66 (45) 32,30 (53) 40,76 (57) 45,06 (59) 49,45 (60)
aus fremden, nationalen Mobilfunknetzen 8,40 (20) 9,35 (19) 9,57 (16) 11,34 (16) 13,12 (17) 15,48 (19)
aus ausländischen Netzen (Fest- und Mobilfunknetz) 1,74 (4) 1,93 (4) 1,59 (3) 1,54 (2) 1,37 (2) 1,50 (2)

Quelle: Bundesnetzagentur: Tätigkeitsbericht Telekommunikation, 2010/11, Bonn 2013, S. 53.

Die Kostenmethodologie

Ziel der Regulierung ist es, eine wettbewerbsähnliche Situation zu schaffen. Preise und Entgelte sollen prinzipiell so reguliert sein, wie sie sich in einem vollständigen Wettbewerbsmarkt ergeben. Darüber hinaus sollten die regulierten Preise so gesetzt sein, dass für die im Markt tätigen Unternehmen hinreichend Investitionsanreize vorhanden sind.9 Aus diesem Grund sind auch die Pläne der Europäischen Kommission kritisch zu sehen, regulativ eine weitere Absenkung der Endkundenpreise zu fördern. Gerade für die notwendige Digitalisierung der europäischen Wirtschaft bedarf es Investitionen in den Netzausbau. Hier sollte hinreichend zwischen den Interessen der Endverbraucher an günstigen Tarifen und einer guten Netzqualität abgewogen werden.

In einem vollständigen Wettbewerb entspricht der Marktpreis den Grenzkosten. Zudem schneidet im Minimum die Grenzkostenkurven die konvex verlaufende Durchschnittskostenkurve, so dass im Gleichgewicht die Grenzkosten gleich den Durchschnittskosten sind (vgl. Abbildung 1). Dies führt dazu, dass bei einem Grenzkostenpreis alle (sowohl fixe als variable) Kosten gedeckt sind.10 Beim Mobilfunkmarkt handelt es sich jedoch um eine Netzindustrie. Diese kennzeichnet sich durch hohe Investitionskosten (Kosten des Netzaufbaus) und geringe variable Kosten. Die Annahme steigender Grenzkosten ist nicht mehr gegeben. Die Grenzkosten befinden sich stets unterhalb der Durchschnittskosten. Um seine Kosten zu decken, würde jedes Unternehmen nur zu einem Preis, der den Durchschnittskosten entspricht, langfristig seine Produkte anbieten bzw. in den Markt eintreten. Ein Wettbewerbspreis, der den Grenzkosten entspräche, würde Unternehmen nicht ermuntern, in den Markt einzutreten, weil die notwendigen Investitionen für den Markteintritt nicht gedeckt werden. Unter der Prämisse, dass die Regulierung eine Wettbewerbssituation (also mehrere Marktteilnehmer) schaffen und gleichzeitig zu entsprechenden Investitionen ermuntern soll, würde sich der von der Regulierungsbehörde festgesetzte Preis an den Durchschnittskosten orientieren, weil sich hierdurch sämtliche Kosten für den Netzaufbau amortisieren ließen.

Abbildung 1
Marktpreis im Wettbewerb und in Netzindustrien
31757.png

Quelle: Abbildung in Anlehnung an S. Wied-Nebbeling: Preistheorie und Industrieökonomik, Heidelberg 2009, S. 34 ff.

Da langfristig jedes Anlagevermögen ersetzt werden muss, werden alle Kosten als Variablen bzw. variable Kosten behandelt. Gemäß der Kostenempfehlung11 der Europäischen Kommission haben sich die Kosten an den langfristigen zusätzlichen Kosten (LRIC) zu orientieren. Bei der LRIC-Methode finden nur Kosten Berücksichtigung, die durch die Bereitstellung einer zusätzlichen Leistung entstehen und die vermeidbar sind. Hierunter versteht die Europäischen Kommission die Differenz zwischen den Gesamtkosten eines Betreibers, der sowohl netzinterne als auch netzexterne Anrufe terminiert, und den Gesamtkosten eines Betreibers, der nur netzinterne Anrufe terminiert.12 Berücksichtigt werden dürfen jedoch nur die verkehrsabhängigen Kosten, also Kosten, die aufgrund des steigenden Verkehrsaufkommens wegen der Terminierung netzexterner Anrufer entstehen. Verkehrsunabhängige Kosten werden nicht berücksichtigt. Die zu berücksichtigenden Kosten entsprechen somit den Grenzkosten und der jeweilige Netzbetreiber kann seine Kosten für die Terminierung nicht decken.

Um den Markteintritt zu erleichtern, besteht für Marktneulinge prinzipiell die Möglichkeit, höhere Stückkosten bzw. Terminierungsentgelte abzurechnen, bis sie eine effiziente Größenordnung erreicht haben. Gemäß der Europäischen Kommission sollte es etwa drei bis vier Jahre dauern, bis ein Marktneuling einen für einen effizienten Netzbetrieb notwendigen Marktanteil von 15% bis 20% aufweist.13 Ab diesem Zeitpunkt ist die LRIC-Kostenmethode zu verwenden. Begründet wird sie damit, dass hohe Terminierungsentgelte zu hohen Preisen und somit zu einem niedrigen Nutzungsvolumen führen. Ferner führen asymmetrische Marktanteile zu einem Zahlungsüberschuss von kleineren zu größeren Netzbetreibern. Bei kleineren Netzbetreibern geht prinzipiell ein größerer Anteil der abgehenden Anrufe in fremde Netze als dieses bei größeren Netzbetreibern der Fall ist.14 Da kleinere Netzbetreiber somit mit einem höheren Zahlungsabfluss zu kämpfen hätten, haben diese Wettbewerbsnachteile gegenüber größeren Wettbewerben. Hierdurch können diese nicht ähnlich attraktive Endkundenpreise anbieten, was mangels ausreichendem Wettbewerbsdruck zu insgesamt zu hohen Endkundenpreisen führt.15

Die BNetzA ermittelt die Kosten auf Basis der kosteneffizienten Leistungsbereitstellung gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 Telekommunikationsgesetz (TKG). Bei dem von der BNetzA verwendeten Modell handelt es sich um ein sogenanntes Bottom-up-Modell.16 Hierbei wird das Netz eines neu in den Markt eintretenden Netzbetreibers mit einem vorgegebenen hypothetischen Marktanteil von Grund auf modelliert. Die Kosten orientieren sich dann anhand einer optimalen Netzstruktur.17 Gemäß § 32 Abs. 1 TKG umfassen die KeL die LRIC der Leistungsbereitstellung, einen angemessenen Zuschlag für leistungsmengenneutrale Gemeinkosten sowie eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Diese Kostenmethode erfolgt in Übereinstimmung mit § 27 Abs. 1 TKG, wonach das Ziel der Entgeltregulierung die Verhinderung von missbräuchlicher Ausbeutung, Behinderung oder Diskriminierung von Endnutzern oder Wettbewerbern durch Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht ist.18

Die KeL-Methode, die einen angemessenen Zuschlag für leistungsmengenneutrale Gemeinkosten erhebt, widerspricht somit der LRIC-Methode der Kostenempfehlung der Europäischen Kommission, die eine Berücksichtigung von Gemeinkosten ablehnt. Im Januar 2013 übermittelte die BNetzA der Europäischen Kommission Maßnahmeentwürfe bezüglich der Mobilfunk-Zustellungsmärkte in Deutschland.19 Da die Berechnung der Terminierungsentgelte gemäß der KeL-Methode durch die BNetzA der Kostenempfehlung der Europäischen Kommission widersprach, hat diese eine zweite Untersuchungsphase nach Artikel 7a der Rahmenrichtlinie eingeleitet. Begründet hat die Europäische Kommission dies unter anderem damit, dass es das Ziel der Kostenempfehlung sei, in Europa eine einheitliche Kostenmethodologie zu etablieren. Abweichungen hiervon würden die Regulierungsharmonisierung in Europa verhindern und europaweit zu unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen führen. Zudem ziehen höhere Zustellungsentgelte auch höhere Kosten für alternative Dienstebetreiber nach sich, was deren Wettbewerbsfähigkeit einschränkt. Durch niedrigere Zustellungsentgelte können sich zum Vorteil des Endkunden innovative Dienste in einer größeren Auswahl entwickeln.

Die BNetzA ist jedoch bei ihrer ursprünglichen Auffassung geblieben. Sie begründet dieses unter anderem auch mit Verhältnismäßigkeitserwägungen, wonach eine weniger schwerwiegende Regulierung vorzuziehen ist, wenn eine schwerwiegendere Maßnahme (also z.B. die LRIC-Methode) nicht garantieren kann, dass die Regulierungsziele des Artikels 8 der Rahmenrichtlinie (2002/21/EG) besser erreicht werden. Ziele des Artikels 8 sind die Sicherstellung von größtmöglichen Vorteilen der Endverbraucher in Bezug auf Auswahl, Preise und Qualität, das Verhindern von Wettbewerbsverzerrungen, die Förderung effizienter Infrastrukturinvestitionen und Innovation sowie eine effiziente Nutzung von Funkfrequenzen. Der LRIC-Ansatz führt jedoch zu Wettbewerbsbehinderungen und deckt die Kosten des Netzbetriebes nicht, was zu fehlenden Investitionsanreizen führt. Ferner liegt keine endgültig gesicherte Evidenz vor, dass der LRIC-Ansatz zu sinkenden Endkundenpreise führt. Das ausschlaggebende Argument ist jedoch, dass der LRIC-Ansatz zu einem Preis führt, der sich in einer (fiktiven) Wettbewerbssituation nicht einstellen würde.

Abbildung 2
Entwicklung der Terminierungsentgelte
31197.png

Quelle: eigene Darstellung, BEREC, www.berec.europa.eu.

Die Terminierungsentgelte

Die Terminierungsentgelte sind seit 2004 um über 80% gesunken (vgl. Abbildung 2). Die Terminierungsentgelte Deutschlands befanden sich hierbei stets relativ nah (entweder minimal darüber oder darunter) am europäischen Durchschnitt. 2004 betrug das geringste Terminierungsentgelte 8,93 Cent pro Minute in Norwegen20 und das höchste 22,07 Cent pro Minute in Portugal. 2013 betrug das geringste Terminierungsentgelt 0,94 Cent pro Minute in Frankreich und das höchste 8,55 Cent pro Minute in Luxemburg.

Abbildung 3
Preisindex Mobilfunkservice
2005 = 100
31260.png

Quelle: eigene Darstellung, Destatis.

Für die Endkundenpreise dürfte es keine Rolle spielen, ob die Terminierungsentgelte auf LRIC- oder KeL-Basis berechnet werden. In den letzten Jahren sind die Preise für Mobilfunk aufgrund des zum Großteil funktionierenden Wettbewerbs enorm gesunken (vgl Abbildung 3). Potenzial für weitere Preissenkungen sollte kaum noch vorhanden sein, wie anhand der Preisentwicklung der letzten Jahre zu erkennen ist. Zudem bieten zahlreiche Mobilfunkanbieter Pauschalangebote an. Senkungen des Terminierungsentgelts würden die Pauschalangebote ohnehin nicht treffen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Mobilnetzbetreiber die Preissetzung der Pauschalangebote aufgrund veränderter Terminierungsentgelte anpassen, da anzunehmen ist, dass solche Endkunden eine geringe Preissensitivität bezüglich der jeweiligen Minutenpreise besitzen. Zudem herrschte in den letzten Jahren ein großer Preiskampf zwischen den Wettbewerbern. Dieser Preiskampf hat zu sinkenden Umsätzen geführt, wodurch ein für Netzinvestitionen notwendiger Kapitalzufluss vermindert wurde.21 Es ist davon auszugehen, dass einige Anbieter in Zukunft weniger auf Preiskampf und mehr auf Qualität (sprich verbesserte Netzinfrastruktur) setzen, so dass eher mit einem (leichten) Anstieg der Preise gerechnet werden kann/muss.22 Insgesamt lässt sich kein eindeutiger Zusammenhang zwischen den Terminierungsentgelten und den Mobilfunktarifen erkennen (vgl. Abbildung 4). Europaweit ist nicht ersichtlich, dass ein niedriges Terminierungsentgelt auch niedrige Mobilfunktarife nach sich zieht.

Abbildung 4
Verhältnis Terminierungsentgelte/Mobilfunktarif
in Cent/Minute
31321.png

Anmerkung: Die Abbildung umfasst die MTR und die Mobilfunktarife Anfang 2013 in Europa. Bei den Ländern wurde Luxemburg als Ausreißer aufgrund seines extrem hohen Terminierungsentgelts von 8,55 Cent pro Minute nicht berücksichtigt.

Quelle: eigene Berechnungen, BEREC, www.berec.europa.eu.

Ungeachtet des niedrigen R2 ist ein schwacher negativer Zusammenhang zwischen Terminierungsentgelt und Mobilfunktarif erkennbar. Zu dem gleichen Ergebnis kommt auch eine Studie aus dem Jahr 2012.23 Gemäß dieser Studie lässt sich entgegen theoretischer Vorhersagen kein direkter Zusammenhang zwischen Terminierungsentgelten und Endkundenpreisen empirisch nachweisen. Die positive Korrelation zwischen Entgelten und Endkundenpreisen gilt nur unter relativ strikten Annahmen, wie z.B. einteilige Tarife.24 Derartige Annahmen erweisen sich als praxisfern wie die zahlreichen Tarifangebote zeigen. Auch wenn eine eindeutige statistische Signifikanz nicht herleitbar ist, so kann dennoch festgehalten werden, dass niedrige Terminierungsentgelte nicht automatisch niedrige Mobilfunktarife nach sich ziehen. Vielmehr scheinen andere Faktoren eine dominantere Rolle bei der Preissetzung zu spielen. Dieses zeigt zudem die Wichtigkeit des Wettbewerbs der Regulierer. Sofern theoretische Modelle sich in der Praxis als nicht umsetzbar erweisen, muss der Regulierer adäquat reagieren können. Das kann er jedoch nur dann, wenn die jeweiligen nationalen Regulierungsbehörden ihren eigenen Handlungsspielraum wahrgenommen haben und so auf verschiedene in der Praxis erprobte Erfahrungen zurückgreifen können.

Zudem ist der Terminierungsmarkt ein zweiseitiger Markt. Die Kosten, die ein Mobilfunkanbieter einspart und möglicherweise durch niedrige Endkundenpreise an seine Kunden weitergeben kann, sind fehlende Einnahmen des anderen Mobilfunkanbieters, der dann möglicherweise diesen Verlust an Einnahmen durch höhere Endkundenpreise auszugleichen versucht. Es gibt empirische Evidenz dafür, dass eine Senkung des Terminierungsentgelts um 10% zu einer Erhöhung der Endkundenpreise um 5% führt. Dies lässt sich mit dem sogenannten Wasserbett-Effekt begründen, wodurch Mobilfunkanbieter den Wegfall von Terminierungsentgelten an anderer Stelle auszugleichen versuchen.25

Durch eine Verwendung des LRIC-Ansatzes könnten auch Wenigtelefonierer bzw. Telefonierer mit Prepaid-Karten – also tendenziell Kunden mit niedriger Zahlungsmöglichkeit – negativ betroffen sein. Bei der Preisgestaltung von Prepaid-Angeboten berücksichtigen die Unternehmen auch die Terminierungsentgelte. Prepaid-Kunden werden überdurchschnittlich oft angerufen. Ein niedrigeres Terminierungsentgelt würden die Unternehmen in Form von höheren Preisen an die Prepaid-Kunden weitergeben. Hiervon wäre also die Kundengruppe mit der niedrigsten Zahlungsmöglichkeit betroffen. Aufgrund der Tatsache, dass in Deutschland lediglich 16% der Haushalte ausschließlich einen Festnetzanschluss haben („Fixed-Only-Haushalte“), sollten sich geringere Terminierungsentgelte auch nicht auf die Preisstruktur im Festnetz auswirken. Zum einem bestehen hinreichende Substitutionsmöglichkeiten, zum anderen achten die Endverbraucher primär auf das Gesamtpaket (also Bündelpreise, Anschlussbreite etc.) und nicht auf die Kosten der einzelnen Gesprächsminute, so dass eine Kostenweitergabe durch die Telekommunikationsunternehmen unwahrscheinlich ist.26

Wettbewerb der Regulierer

Regulierung befindet sich stets im Spannungsfeld zwischen der Sicherstellung eines (fingierten) Wettbewerbs und dem Setzen von Investitionsanreizen. Marktreaktionen auf Regulierungsentscheidungen sind ex-ante nur sehr schwer abzuschätzen. Bereits minimale Änderungen können größere Marktreaktionen nach sich ziehen. Aus diesem Grund sollte den nationalen Regulierungsbehörden hinreichend eigener Spielraum gelassen werden. Durch einen Vergleich der jeweiligen nationalen Regulierung mit den entsprechenden Marktentwicklungen können rechtzeitig Fehlentwicklungen und -entscheidungen erkannt und korrigiert werden. Bei einer europaweit einheitlichen Regulierung fehlt es jedoch an entsprechenden Kontrollgruppen und Referenzerfahrungen. Die aktuellen Terminierungsentgelte (mit Ausnahme von Luxemburg) befinden sich allesamt in einer Größenordnung, deren absolute Differenzen hinnehmbar sind und keine größeren Marktverwerfungen nach sich ziehen. Darüber hinaus kann durch genügend eigenen Spielraum die jeweilige nationale Regulierungsbehörde hinreichend auf nationale Besonderheiten (wie z.B. Marktstruktur, Bevölkerungsdichte, Topographie etc.) reagieren.

Binnenmarkt

Eine (bedeutende) Beeinträchtigung des europäischen Binnenmarktes liegt beim KeL-Ansatz nicht vor. Insgesamt beträgt das Gesprächsvolumen aus ausländischen Netzen in inländische Mobilfunknetze 1,5 Mrd. Minuten. Unter der Prämisse, dass der LRIC-Ansatz in Deutschland zu einem Terminierungsentgelt führen würde, das 1 Cent pro Minute niedriger als das jetzige wäre, wären ausländische Netzbetreiber einer Mehrbelastung von 15 Mio. Euro jährlich ausgesetzt. Die fünf größten Mobilfunkbetreiber (Deutsche Telekom AG, Orange, Telecom Italia, Telefónica, Vodafone) in Europa besitzen einen Marktanteil von mehr als zwei Drittel. Unterschiedliche Terminierungsentgelte für diese Unternehmen über Ländergrenzen hinweg belasten zwar die Tochtergesellschaften sind für den Mutterkonzern jedoch aufkommensneutral, so dass keine finanzielle Zusatzbelastung vorliegt. Unter Berücksichtigung des Marktanteils liegt lediglich eine Mehrbelastung von weniger als 5 Mio. Euro für die national tätigen Mobilfunkbetreiber jährlich vor und ist im Hinblick auf den Gesamtumsatz des Mobilfunkmarktes marginal.27 Alternativ könnte man die Terminierungsentgelte zwischen in- und ausländischen Telekommunikationsunternehmen differenzieren, so dass für den grenzüberschreitenden Verkehr der LRIC-Ansatz und für den nationalen Verkehr der KeL-Ansatz angewandt wird. Diese wäre zwar ökonomisch nicht konsistent, würde aber dem Gedanken des europäischen Binnenmarkts Rechnung tragen.

Fazit

Entgegen der Ansicht der Europäischen Kommission ist der LRIC-Ansatz nicht unbedingt geeignet, niedrigere Endkundentarife herbeizuführen. Eine empirische Evidenz fehlt und der Ansatz stimmt auch nicht mit der ökonomischen Theorie überein. Vielmehr sind bei Verwendung des LRIC-Ansatzes Effekte zu befürchten, die dem Endverbraucher zum Nachteil gereichen. Um auf Marktreaktionen angemessen reagieren zu können, sollte der Wettbewerb der Regulierungsbehörden nicht durch allzu starre Vorschriften aus Brüssel – auch im Sinne des Subsidiaritätsprinzips – unnötigerweise eingeschränkt werden. Viel gravierender ist jedoch der Einwand, dass sich Regulierungsvorgaben nicht an wettbewerbsfremden, politischen Zielvorgaben – wie in diesem Fall niedrige Endkundentarife – orientieren dürfen, sondern sauber und vor allem wertungsfrei ökonomisch fundiert sein müssen.

Der Aufsatz stellt die persönliche Meinung des Autors dar und lässt keinerlei Rückschlüsse auf die Meinung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) bzw. der Bundesregierung zu.

  • 1 Siehe auch I. Henseler-Unger: Die Regulierung von Netzindustrien in Europa – am Beispiel der Telekommunikation, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), Sonderausgabe 2010, S. 13-18.
  • 2 Vgl. Empfehlung 2007/879/EG vom 17.12.2007.
  • 3 Vgl. Empfehlung 2009/396/EG vom 7.5.2009.
  • 4 Auch Mobile Network Operator (MNO).
  • 5 MVNO steht für Mobile Virtual Network Operator.
  • 6 RPP entspricht auch dem Grundsatz des „Bill and Keep“, wonach sich die Netzbetreiber die Terminierung nicht gegenseitig in Rechnung stellen.
  • 7 Zur potenziellen Auswirkung von RPP und CPP auf das Anrufverhalten siehe auch R. Dewenter, J. Kruse: Calling Party Pays or Receiving Party Pays? The Diffusion of Mobile Telephony with Endogenous Regulation, Discussion Paper, Nr. 10, Düsseldorf 2010.
  • 8 Die Werte für die Terminierungsentgelte/Mobile Termination Rates (MTR) entstammen den Termination Rates Benchmark Snapshots des Body of European Regulators for Electronic Communications (BEREC) und sind online abrufbar (www.berec.europa.eu).
  • 9 Vgl. R. Dewenter, J. Haucap, U. Heimeshoff: Regulatorische Risiken in Telekommunikationsmärkten aus institutionenökonomischer Perspektive, in: U. Blum (Hrsg.): Regulatorische Risiken, Das Ergebnis staatlicher Anmaßung oder ökonomisch notwendiger Intervention?, Baden-Baden 2009, S. 59-98.
  • 10 Zu den Grundlagen der Kostenfunktionen siehe auch S. Wied-Nebbeling: Preistheorie und Industrieökonomik, Heidelberg 2009; sowie H. Wiese: Mikroökonomik, Heidelberg 2010.
  • 11 Empfehlung der Kommission vom 7.5.2009 über die Regulierung der Festnetz- und Mobilfunk-Zustellungsentgelte in der EU (2009/396/EG).
  • 12 So Erwägungsgrund Nr. 14 der Kostenempfehlung.
  • 13 So Erwägungsgrund Nr. 17 der Kostenempfehlung.
  • 14 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 3 der Kostenempfehlung.
  • 15 Vgl. auch A.-K. Barth, U. Heimeshoff: Der angemessene Kostenmaßstab für Terminierungsentgelte – „Pure LRIC“ vs. „KeL“, in: Ordnungspolitische Perspektiven, Nr. 29, Düsseldorf 2012.
  • 16 Vgl. K. Hackbart, D. Ilic, W. Neu: Analytisches Kostenmodell für ein Mobilfunknetz, Bad Honnef 2012.
  • 17 Durch die Modellierung eines optimalen Netzes sollen Kosten, die durch Ineffizienzen der jeweiligen Netzbetreiber entstehen, außer Acht bleiben. Vgl. WIK: Analytisches Kostenmodell für das Breitbandnetz, Version 2.1, Bad Honnef 2013.
  • 18 Zur Kommentierung siehe auch K.-D. Scheurle, T. Mayer: Telekommunikationsgesetz – Kommentar, München 2008.
  • 19 Die Sache ist unter dem Aktenzeichen DE/2013/1424 registriert.
  • 20 Das niedrigste Terminierungsentgelt in einem EU-Land betrug 10,43 Cent pro Minute in Litauen.
  • 21 2008 betrug der Umsatz der in Deutschland führenden Telekommunikationsunternehmen Deutsche Telekom AG, Vodafone, Telefónica und E-Plus 45,13 Mrd. Euro, 2013 jedoch 44,02 Mrd. Euro. Im gleichen Zeitraum sind die Penetrationsrate und das Nutzungsvolumen allerdings gestiegen. Quelle: Statista, Unternehmensangaben.
  • 22 Die Deutsche Telekom AG hat mit ihrem Vorschlag zur Begrenzung des Datenvolumens bei Internetverträgen bereits einen entsprechenden Vorstoß gemacht.
  • 23 Frontier Economics: The Impact of recent cuts in mobile termination rates accross Europe, 2012, http://www.vodafone.com/content/dam/vodafone/about/public_policy/articles/mtr_impact_of_ec_recommendation.pdf (27.11.2013).
  • 24 Vgl. M. Armstrong: The Theory of Access Pricing and Interconnection, in: Handbook of Telecommunication Economics, Amsterdam 2002, S. 297-387.
  • 25 Vgl. C. Genakos, T. Valletti: Testing the „Waterbed“ Effect in Mobile Telephony, in: Journal of the European Economic Associaton, 9. Jg. (2009), H. 6, S. 1114-1142.
  • 26 Zu den Vor- und Nachteilen der jeweiligen Kostenmethoden siehe auch J. Kruse: Regulierung der Terminierungsentgelte des deutschen Mobilfunkmarkts?, Diskussionspapier, Nr. 1, Hamburg 2003; A.-K. Barth, U. Heimeshoff: Der angemessene Kostenmaßstab für Terminierungsentgelte – „Pure LRIC“ vs. „KeL“, Ordnungspolitische Perspektiven, Nr. 29, Düsseldorf 2012; J. Coppik: Wirkungen einer Einführung des Konzeptes der vermeidbaren Kosten auf den Endverbraucher, Ordnungspolitische Perspektiven, Nr. 42, Düsseldorf 2013.
  • 27 Bei einem Gesprächsvolumen von 82,06 Mrd. Minuten und einem angenommenen Preis von 9 Cent pro Minute ergibt sich für Deutschland bereits ein Marktvolumen von 7,4 Mrd. Euro.

Title:Pricing of Mobile Termination Rates

Abstract:This article analyses and compares two methods applied by national regulation authorities (NRAs) to determine mobile termination rates: “pure LRIC (long-run incremental costs)” and “LRIC+ (KeL)”. It can be shown that “pure LRIC”, favoured by the European Commission, is not coherent with standard microeconomic theory and hampers competition since “pure LRIC” does not cover all the costs borne by the mobile network operator. NRAs should apply “LRIC+” which is suited to set competition prices (since all costs are covered) and therefore guarantees the highest level of social welfare.

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DOI: 10.1007/s10273-014-1667-9

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