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Deutschland hat nicht unerhebliche Mengen an unkonventionellen Erdgasreserven, die in tiefen Lagen in Schiefergestein gebunden sind. Die Diskussion um die Frage, ob diese beachtlichen Reserven durch moderne Bohr- und Fördertechniken (sogenanntes Hydraulic Fracturing – „Fracking“) gehoben werden sollten, spitzt sich derzeit zu. Die Autoren nutzen die Theorie erschöpfbarer Ressourcen, Erkenntnisse zur globalen Klimaerwärmung und die Investitionstheorie und sprechen sich dafür aus, mit der Extraktion abzuwarten.

Fracking in Deutschland kann einen Beitrag zur deutschen Energieversorgung leisten, reduziert zeitweilig die Abhängigkeit von ausländischen Energielieferanten, schafft den Heimatmarkt für die Entwicklung einer exportfähigen Fracking-Technologie und kann die Leistungsbilanz weiter verbessern. Ein ressourcenarmes Land wie Deutschland könne es sich nicht leisten, auf diesen eigenen Beitrag zur Energieversorgung zu verzichten.1 Das sagen die Befürworter. Die Gegner verweisen vor allem auf mögliche unvorhersehbare ökotoxikologische und gesundheitliche Risiken sowie seismologische Fragen, die mit der Förderung von unkonventionellen Erdgasreserven verbunden sind.2

Dies ist kein Beitrag zur Gefahrenabschätzung oder zur Abschätzung des positiven Potenzials. Der Beitrag lenkt vielmehr den Blick auf die zeitliche Dimension, die sich mit der Frage nach der Nutzung einer erschöpfbaren natürlichen Ressource stellt. Die Frage des „Wann“ ist bei dieser Art von Ressourcen von entscheidender Bedeutung. Ihre Beantwortung bezieht dabei die internationale Gesamtlage mit ein und nutzt Erkenntnisse der Theorie erschöpfbarer Ressourcen, zur globalen Klimaerwärmung und der Investitionstheorie bei Unsicherheit.

Erschöpfbare natürliche Energieressourcen

Die Theorie der optimalen Nutzung natürlicher Ressourcen hat aufbauend auf frühe grundlegende Erkenntnisse3 Aussagen dazu abgeleitet, wie ein gegebener weltweiter Bestand erschöpfbarer Ressourcen optimal genutzt werden sollte. Dabei spielen Abbaukosten unterschiedlicher Vorkommen eine zentrale Rolle. Grob gesprochen (unter Vernachlässigung steigender Grenzkosten der Extraktion in einzelnen Lagerstätten) sollte ein Bestandsabbau so erfolgen, dass Vorkommen, die mit geringen Kosten abgebaut werden können, zuerst abgebaut werden sollten.4 Ein zeitlicher Abbaupfad, nach dem kostengünstige Lagerstätten zuerst abgebaut werden, verlagert die höheren Extraktionskosten in die Zukunft. Durch diese Kostenverlagerung entsteht ein Zinsvorteil, der gesamtwirtschaftlich wohlfahrtssteigernd ist. Bei dieser Überlegung geht es nicht darum, Kosten auf künftige Generationen zu verlagern, sondern darum, dass sich ein und derselbe Entscheidungsträger bei einem gegebenen Ertragsstrom besserstellen kann, wenn er eine Ausgabe in bestimmter Höhe nicht heute, sondern erst in zehn Jahren tätigen muss. Wer mit der Extraktion wartet und die Extraktionskosten heute verzinst anlegt, der streicht bei der Auszahlung in zehn Jahren nach Abzug der dann fälligen Extraktionskosten die Zinsgewinne ein. Ein späterer Abbau wird auch dann vorteilhafter, wenn die Abbaukosten schwer zugänglicher Lager durch den technischen Fortschritt in der Zukunft deutlich sinken.

Diese optimale Abbauregel gilt auch für die Nutzung von konventionellen Gasvorkommen im Verhältnis zu unkonventionellen Vorkommen und für die Reihenfolge der Nutzung unkonventioneller Vorkommen. Wichtig ist dabei, dass das Abbauprodukt, Erdgas, ein homogenes Produkt ist, unabhängig davon, ob es aus konventionellen oder unkonventionellen Vorkommen gewonnen wird. Entsprechend sollte die Reihenfolge der Extraktion ganz entscheidend von den Extraktionskosten abhängen. Geht man davon aus, dass die Erschließung unkonventioneller Vorkommen höhere Extraktionskosten verursacht, sollten also zunächst die kostengünstigeren Vorräte, d.h. die konventionellen Gasvorkommen erschöpft werden. Für dieses Argument sollte es gleichgültig sein, wie sich die konventionellen und unkonventionellen Vorräte auf unterschiedliche Länder verteilen. Es wäre also sinnvoll, zunächst die gut zugänglichen Lagerstätten zu extrahieren. Experten beschreiben die unkonventionellen Erdgaslager in Europa als in der Tendenz kleiner und stärker unterteilt, in größeren Tiefen, heißer und unter höherem Druck, was sich unweigerlich nachteilig auf die Extraktionskosten auswirke.5 Auch vergleichsweise höhere Umweltauflagen, insbesondere in dicht besiedelten Gebieten, können die Extraktion verteuern.

Ein Land ist arm oder reich in Abhängigkeit von den natürlichen Rohstoffen und anderen Vermögenswerten, die das Land besitzt. Es wird nicht dadurch reicher, dass es diese Rohstoffe so schnell wie möglich fördert. Durch frühzeitiges Fördern verändert ein Land nur die Portfoliozusammensetzung seines Vermögens. Es wandelt seinen natürlichen Ressourcenreichtum in einen Einnahmenstrom um. Wenn es diese Einnahmen konsumiert, wird es im Verlauf des Extraktionsprozesses sogar ärmer. Um angesichts der Extraktion der natürlichen Bodenschätze gleich wohlhabend zu bleiben, müsste das Land die Ressourcenrente, also die Erträge, um die die Extraktionserlöse die Extraktionskosten übersteigen, sparen und investieren.6

Für die deutsche Debatte folgt daraus: Verhältnismäßig hohe Extraktionskosten in Deutschland im Vergleich zu vielen konventionellen und unkonventionellen Lagerstätten im Ausland lassen es geraten erscheinen, die deutschen Vorräte erst einmal im Boden zu belassen und gegebenenfalls später zu fördern. Sofern sich Deutschland nicht darauf einlässt, die Erträge aus einer Ressourcenextraktion in Deutschland zu investieren, wird es durch die Förderung seiner Bodenschätze heute eher ärmer als reicher.

Das Problem der Klimaerwärmung

Bei der Nutzung von fossilen Energieressourcen entstehen Klimagase. Erdgas schneidet dabei gegenüber Erdöl oder gar Kohle recht gut ab. Die gleiche Energiemenge lässt sich aus Erdgas unter Entstehung von weit weniger CO2-Emissionen erzeugen als durch Verbrennung von Mineralöl oder gar Kohle.7 Insofern könnte der Fund unkonventioneller Gasvorkommen als Segen empfunden werden, denn so würde es möglich, durch Substitution von Öl oder Kohle durch Erdgas bei gleichem Energieverbrauch die Klimabilanz zu verbessern. Allerdings wird beim Fracking bis zu 30% mehr klimaschädliches Methan freigesetzt als bei der Förderung konventionellen Erdgases.8 Unter klimaschutzpolitischen Gründen spricht das dafür, unkonventionelles Erdgas später zu extrahieren. Wenn es jedoch technisch möglich wird, das übermäßige Entweichen von Methan zu verhindern, wird die Nutzung von unkonventionellem Erdgas auch klimapolitisch interessant. Erdgas aus konventionellen Lagern und Erdgas aus unkonventionellen Vorkommen wären dann auch im Hinblick auf ihre Klimaschädlichkeit perfekte Substitute. Dies spricht jedoch keinesfalls für einen frühzeitigen Abbau der unkonventionellen Vorräte. Das Problem der Klimaerwärmung mag es insgesamt sinnvoll erscheinen lassen, die Nutzung von Erdgas zu intensivieren, doch die klimapolitische Vorteilhaftigkeit von Erdgas gegenüber anderen Energieträgern verändert nicht die optimale Reihenfolge, in der unterschiedliche Erdgaslager genutzt werden sollen.

Für die deutsche Debatte über das Für und Wider des Frackings folgt: Klimapolitische Überlegungen liefern kein stichhaltiges Argument für eine möglichst frühzeitige Extraktion unkonventioneller Erdgasvorräte. Noch unmaßgeblicher ist die Klimaproblematik für die Frage, ob unkonventionelle Vorräte in Deutschland extrahiert werden sollten oder nicht. Die Extraktion in Deutschland stünde in enger Substitutionsbeziehung zu Erdgasimporten und wäre damit im besten Falle klimaneutral.

Unvollkommene Eigentumsrechte

Eine wichtige Determinante der Abbaugeschwindigkeit natürlicher Ressourcen ist die Rechtssicherheit am Besitz einer natürlichen Ressource. Nur wer nicht fürchten muss, seinen Besitz an den Bodenschätzen bzw. den Extraktionsrechten zu verlieren, wenn er nicht zeitnah extrahiert, kann sich das Warten leisten. Für die Neigung der Besitzer von Lagerstätten, die Extraktion in die Zukunft zu verlagern, spielt die Rechtssicherheitsfrage damit eine zentrale Rolle. Für einen Diktator, der jeden Tag mit einem Putsch rechnen muss, der ihn aus dem Land vertreibt, ist das Warten keine gute Option. Er extrahiert lieber möglichst schnell und transferiert die Gewinne aus dem Verkauf auf sein Schweizer Bankkonto oder verpulvert sie.9

Unsichere Eigentumsrechte führen in der Praxis dazu, dass erschöpfbare Ressourcen dort, wo die Besitzer vor einer Enteignung bangen, viel zu schnell abgebaut werden. Dadurch entsteht heute ein großes Angebot, weil diese Ressourcenbesitzer bereit sind, ihre Ressourcen selbst zu Dumpingpreisen zu verkaufen. Für Ressourcenbesitzer, die keine Enteignung fürchten müssen, lohnt es sich daher abzuwarten, bis die von Enteignung betroffenen Rohstoffbesitzer ihre Lager geplündert haben und die Phase der Dumpingpreise vorüber ist. Dann kommt es nämlich zu substanziellen Preiserhöhungen, von denen der geduldige Rohstoffbesitzer profitieren kann, da es den Wert seiner im Boden belassenen Vorräte steigert. Mit Geduld lässt sich so der Barwert der Vorräte eines Landes deutlich erhöhen. Als Konsument von Erdgas kann man sich in dieser Zeit an den niedrigen Preisen, zu denen andere Länder das Erdgas verkaufen, erfreuen.

Für die deutsche Debatte folgt daraus: Solange andernorts auf der Welt über die Ausbeutung bedeutender Erdgasvorkommen von Regierungen und Unternehmen entschieden wird, deren Extraktionsrechte von Enteignung bedroht sind, sollte Deutschland sein Erdgas im Boden lassen und lieber das billige Erdgas importieren, das andernorts gefördert wird. Zugleich kann sich der deutsche Staat bzw. seine Bevölkerung als direkter oder indirekter Besitzer daran freuen, dass die Ressourcen im Boden in Deutschland an Wert gewinnen.

Die Extraktionsanreize für Unternehmen und das, was gut für den Staat und seine Bevölkerung ist, fallen mutmaßlich auseinander. Jedenfalls gibt es einen guten Grund, dies zu glauben. Sogenannte „bergfreie“ Bodenschätze, wie auch Kohlenwasserstoffe, gehören in Deutschland nach den Bestimmungen des Bundesberggesetzes nicht dem Besitzer des Bodens, unter dem sie lagern. Möchte ein Unternehmen Bodenschätze fördern und verkaufen, benötigt es eine Bewilligung und muss hierfür Abgaben leisten (Feldesabgabe, Förderabgabe). Das Bundesberggesetz (BBergG) setzt dabei bestimmte Vorgaben, die Länderregierungen sind indes ermächtigt, von diesen Vorgaben durch Rechtsverordnung abzuweichen.10 Die konkrete Ausgestaltung dieser Regelungen zu den Förderabgaben bestimmt letztlich, ob Extraktionsunternehmen den unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten richtigen Extraktionszeitpunkt wählen, oder die Lagerstätten zu früh oder zu spät abbauen. Das Bergbaurecht schafft jedoch explizite Anreize für private Unternehmen, die Bestände schnell zu extrahieren, denn es sieht die Möglichkeit vor, die Bewilligung für die Gewinnung der Bodenschätze bzw. das Bergwerkseigentum zu widerrufen. Damit sind auch für private Unternehmen, die in Deutschland Schiefergas fördern wollen, die Eigentumsrechte unsicher und damit deren Anreiz größer, Schiefergas schneller zu fördern als volkswirtschaftlich effizient ist.11

Dem Extraktionsunternehmen den richtigen Anreiz zu setzen, ist schwierig. Würde die gesamte oder ein fester Anteil der Ressourcenrente beim Unternehmen zu Buche schlagen, und könnte das Unternehmen damit rechnen, dass sich daran im Zeitverlauf nichts ändert, hätte es im Idealfall die richtigen Anreize, den volkswirtschaftlich optimalen Abbaupfad zu wählen. Dieser Idealfall dürfte in der Regel kaum anzutreffen sein und nur ein sehr ausgeklügelter Vertrag zur Regelung der Förderabgaben könnte das Unternehmen dazu bewegen, einen optimalen Abbaupfad auch tatsächlich zu wählen. Man kann im Allgemeinen eher erwarten, dass Unternehmen schlechte Sachwalter des Allgemeinwohls sind, wenn es darum geht, über den optimalen Zeitpunkt der Extraktion zu entscheiden. Sie verdienen nicht so sehr an der Ressourcenrente oder an ihrem Anstieg, sondern an der Extraktion selbst, und das mitunter lieber heute als morgen.

Die Theorie irreversibler Investitionen

Unsicherheit spielt bei unkonventionellen Gasvorräten eine zentrale Rolle. Es geht dabei weniger um die Unsicherheit über den Umfang der Reserven. Es geht um die Unsicherheit über die möglichen Folgekosten der Erdgasextraktion. So wird auch im ersten für das Bundesumweltamt erstellten Gutachten zum Fracking betont,12 dass zu einer fundierten Beurteilung der Risiken von Fracking und zu dessen technischen Beherrschbarkeit bislang viele und grundlegende Informationen fehlen. In diesem Zusammenhang werden mögliche Schäden an Grundwasser, Landschaft und die gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung genannt.13 Die Erfahrungen mit den Nachwirkungen des Frackings reichen bereits viele Jahre zurück und die eingesetzten Technologien wurden weiterentwickelt und verbessert. Aus den Erfahrungen mit dem Steinkohlebergbau wissen wir jedoch, wie lange mögliche Eingriffe in den Boden nachwirken können, und wie schwierig es ist, Folgeschäden eindeutig zu prognostizieren. Sie mögen gering sein, oder aber bedeutend. Solche Kosten sind, was die Abbauentscheidungen angehen, sehr vergleichbar mit Extraktionskosten, nur dass sie eben Jahre oder Jahrzehnte nach dem eigentlichen Extraktionszeitpunkt entstehen können, und dass die Unsicherheit über diese Kosten groß ist.

Hier kommt die Theorie irreversibler Investitionen ins Spiel.14 Es kann sinnvoll sein, irreversible Investitionen in Projekte selbst dann aufzuschieben und in die Zukunft zu verlagern, wenn diese Investitionen aus heutiger Sicht im Erwartungswert profitabel sind. Vor allem aber können Investitionen, über die man erst in der Zukunft entscheidet, im Erwartungswert profitabel werden, wenn sie es aus heutiger Perspektive nicht sind.

Warum das Warten eine gute Idee sein kann, lässt sich am Kauf eines Lottoscheins illustrieren. Stellen wir uns vor, man könnte mit der Kaufentscheidung eines ausgefüllten Lottoscheins warten, bis die Gewinnzahlen gezogen sind. Und stellen wir uns vor, der Preis, den wir zahlen müssen, wenn wir uns zum Kaufen entscheiden, wäre vor und nach der Ziehung der gleiche. Dann könnten wir mit der Kaufentscheidung bis nach der Ziehung warten und nur dann kaufen, wenn die Nettoauszahlung positiv ist. Was bei Lottoscheinen offensichtlich nicht möglich ist, weil uns niemand einen Lottoschein mit sechs Richtigen zum Nennwert verkaufen würde, ist bei risikobehafteten Realinvestitionen oftmals möglich. Erwartet man als Besitzer eines Rohstoffvorkommens, dass, in Abhängigkeit davon, ob eine alternative Technologie verfügbar wird, der Preis des betreffenden Rohstoffs mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% steigt und sich die Ausbeutung lohnt, und mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% fällt und sich die Ausbeutung nicht lohnt, dann mag sich der Bau der Mine im Erwartungswert heute bereits rechnen oder nicht. Man kann aber mit dem Bau der Mine warten, bis die Preisentwicklung stattgefunden hat. Wenn der Rohstoffpreis steigt, hat man nichts falsch gemacht. Wenn aber der Rohstoffpreis fällt, oder wenn die Folgekosten sich als hoch herausstellen, kann man Fehlinvestitionen vermeiden.

Angewandt auf unkonventionelle Gasvorräte würde diese Theorie empfehlen, die Hebung der Vorräte eher aufzuschieben, bis die Folgen des Einsatzes dieser Technologie für Natur, Boden, Landschaft, Tiere und Menschen besser bekannt sind. Lernen kann man dabei von denjenigen, die ungeduldiger sind und frühzeitig mit Fracking beginnen. Entscheiden kann man, wenn die Fakten auf dem Tisch liegen.15 Stellt sich in 30 Jahren heraus, dass die negativen Folgen eher gering sind, dann sollte man zu diesem zukünftigen Zeitpunkt extrahieren. Erweisen sich die Folgen als dramatisch, dann sollte man auf die Hebung der Vorräte auch in der Zukunft verzichten. Insofern ist es einfach ein Glücksfall, dass die konventionellen Gasvorräte auf der Welt insgesamt eine so große zeitliche Reichweite haben.16 Man muss zwischenzeitlich auf Erdgas nicht verzichten und kann trotzdem mit der Förderung der unkonventionellen Vorräte warten, bis die Informationen über die Folgekosten auf dem Tisch liegen. Da die konventionellen Vorräte noch für viele Jahrzehnte ausreichen, ist das Warten auf bessere Information sogar praktisch kostenlos. Das liefert also nur einen weiteren Grund zu warten.

Aus deutscher Sicht folgt aus der Optionstheorie deshalb ebenfalls die Devise „abwarten“. Das gilt umso mehr, als einige andere Länder die Technologie bereitwillig einsetzen. Diese Länder machen sich so zum Versuchskaninchen. Deutschland kann in Ruhe zusehen und von den langfristigen Ergebnissen dieser Experimente lernen. Das mag zynisch klingen, entspricht aber ganz einer an den Interessen der eigenen Bevölkerung orientierten Politik. Diese zielt schließlich darauf ab, die Ressourcenvorräte optimal zu nutzen und zugleich den Erhalt der Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung zu beachten.

Auch in Hinblick auf den Optionswert des Wartens muss man fürchten, dass Unternehmenskalkül und gesamtwirtschaftliches Kalkül divergieren. Ein wohlmeinender Staat sollte bei seiner Planung und der Entscheidung über die Nutzung unkonventioneller Reserven Unsicherheiten über die Folgekosten berücksichtigen. Das sollte ihn zum Abwarten veranlassen. Unternehmen würden ein ähnliches Kalkül betreiben, wenn sie die möglichen langfristigen Kosten des Frackings vollständig tragen müssten. Tatsächlich kann man davon nicht ausgehen. Unternehmen können für sehr langfristige Folgeschäden kaum wirklich zur Verantwortung gezogen werden. Die heute entstehenden Überschüsse könnten sie an ihre Aktionäre ausschütten. Sollte es dann Jahrzehnte später zu massiven Folgeschäden kommen, hilft ihnen die Haftungsbeschränkung, der Kapitalgesellschaften unterliegen. Sie können darauf verweisen, dass ihre Kassen leer sind, und schlimmstenfalls entziehen sie sich der finanziellen Verantwortung durch Geschäftsaufgabe.

Die Problematik wird an den Beispielen der Steinkohleförderung und ihrer langfristigen Folgekosten (Grundwasser, Bodenverwerfungen) und insbesondere der Kernenergie und der Kosten des Kernkraftwerkrückbaus nur zu deutlich. In beiden Fällen ist sichtbar, wie schwierig es werden wird, die betreffenden Unternehmen wirklich für die gesamten Folgekosten in die Verantwortung zu nehmen. Dieses Problem kann der Staat eindämmen, wenn er mit der Konzessionierung abwartet und damit der Neigung privater Unternehmer begegnet, solche unsicheren Projekte frühzeitig in Angriff zu nehmen.

Politische Argumente: Versorgungssicherheit und Technologievorsprung

Der Erdgasmarkt wird zunehmend zu einem multilateralen Markt. Frühere bilaterale Abhängigkeiten zwischen einzelnen Produzenten und Abnehmern (Norwegen-Deutschland oder Russland-Deutschland) verringern sich. Gasverflüssigung gewinnt an Bedeutung. Sobald in Deutschland hinreichend viele geeignete Abnahmestellen für Flüssiggas auf Schiffen gebaut werden, kann Deutschland von vielen Anbietern kaufen. Und solange es Anbieter gibt, die um ihre Eigentumsrechte fürchten, finden sich immer Anbieter auf dem Weltmarkt, die nur allzu gerne einspringen, sollte ein anderer Anbieter aus politischen Gründen ausscheiden. Die Versorgungssicherheit ist insofern hoch, solange es einen internationalen Markt mit vielen Anbietern gibt. Das ist in diesem und in den kommenden Jahrzehnten wohl der Fall. Die Versorgungssicherheit wird indes immer schlechter, je mehr Anbieter aus dem Markt ausscheiden.

Eine Politik, die auf Versorgungssicherheit abzielt, ist daher ebenfalls gut beraten, mit der Förderung der eigenen Bodenschätze abzuwarten. Man kann die deutschen Gasvorkommen nur einmal heben. Wenn es wirklich um Versorgungssicherheit und Autarkie in der mittleren und längeren Frist geht, dann ist es wohl das Beste und Billigste, wenn man die heimischen Vorräte schont und sich in der Gegenwart aus den frei zugänglichen Exporten der anderen Nationen bedient. Anders als künstlich angelegte Gasspeicher, die installiert und gewartet werden müssen, ist das Aufbewahren von natürlichen Ressourcen in ihren natürlichen Lagerstätten nicht mit Kosten verbunden.

Die Diskussion um die Technologieführerschaft und die Möglichkeiten, eine profitable Exportindustrie für Fracking-Technologie aufzubauen, ist ein weiteres gern genanntes Argument für den baldigen Beginn des Frackings in Deutschland. Aber was spricht dagegen, dass deutsche Unternehmen, die auf dieses Argument setzen, schon heute die Möglichkeit nutzen, sich an der Entwicklung dieser Technologie in anderen Ländern zu beteiligen und um dort ihre Erfahrungen zu sammeln?

Zusammenfassung

In der deutschen Debatte um unkonventionelle Erdgasvorräte in Deutschland sind die Fronten verhärtet. Die Extraktionsindustrie möchte die Vorräte mit Volldampf heben. Die Fracking-Gegner möchten am liebsten ein Nein für die Ewigkeit zementieren. Tatsächlich spricht vieles dafür, die Vorräte derzeit im Boden zu lassen und abzuwarten. Im Boden versprechen die Vorräte eine sehr gute Rendite, die Lagerung dort ist nahezu kostenlos und leistet einen Beitrag zur Energiesicherheit in der Zukunft. Die Vorräte bleiben somit eine wertvolle Option, auf die man nicht vorschnell und leichtfertig verzichten sollte. Andere Länder betätigen sich unterdessen als Versuchskaninchen und produzieren Fakten und Daten, die in 20 oder 30 Jahren eine valide Aussage dazu zulassen, was diese Option wirklich wert ist.

Falsch wäre es jedenfalls, allein auf die Wirtschaftlichkeitsüberlegungen der Extraktionsindustrie zu vertrauen. Es gibt Gründe zu befürchten, dass die Extraktionsindustrie bei der Wahl des Zeitpfads die Veränderung des Marktwerts der Erdgaslager über die Zeit nicht adäquat berücksichtigt. Und es gibt Gründe, weshalb sie den möglichen langfristigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgekosten nicht in hinreichendem Umfang Rechnung trägt. Somit sollte nicht nur die Entscheidung, ob Schiefergas in Deutschland gefördert werden sollte, dem Staat vorbehalten bleiben, sondern auch die Entscheidung, wann die Förderung der deutschen Schiefergasressourcen gegebenenfalls erfolgen sollte.

  • 1 Die Schätzungen der technisch gewinnbaren Ressourcen aus Schiefergas in Deutschland werden auf etwa das Zehnfache der konventionellen Erdgasressourcen beziffert. An den geschätzten Schiefergasreserven der Welt haben sie einen Anteil von ca. 1%. Vgl. hierzu Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe: Abschätzung des Erdgaspotenzials aus dichten Tongesteinen (Schiefergas) in Deutschland, Hannover 2012, S. 30-31, die auch auf die erheblichen Unsicherheiten in den Schätzungen und die lückenhafte Datenlage hinweist.
  • 2 Sie können dabei auf zwei vom Umweltbundesamt in Auftrag gegebene Studien hinweisen. In der ersten Studie werden insbesondere die Gefährdung des Grundwassers durch das Anzapfen und Fördern dieser unkonventionellen Vorräte und die damit verbundenen ökotoxikologischen und gesundheitlichen Risiken betont. Vgl. H. G. Meiners et al.: Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten – Risikobewertung, Handlungsempfehlungen und Evaluierung bestehender rechtlicher Regelungen und Verwaltungsstrukturen, Umweltbundesamt, Dessau 2012. In der Folgestudie werden darüber hinaus auch die Klimawirkungen und die seismologischen Fragen des Frackings thematisiert. Vgl. U. Dannwolf, A. Heckelsmüller: Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas insbesondere aus Schiefergaslagerstätten, Teil 2 – Grundwassermonitoringkonzept, Frackingchemikalienkataster, Entsorgung von Flowback, Forschungsstand zur Emissions- und Klimabilanz, induzierte Seismizität, Naturhaushalt, Landschaftsbild und biologische Vielfalt, Umweltbundesamt, Dessau 2014.
  • 3 Vgl. R. M. Solow: The economics of resources or the resources of economics, in: American Economic Review, 64. Jg. (1974), S. 1-14; J. Stiglitz: Growth with exhaustible natural resources: efficient and optimal growth paths, in: Review of Economic Studies, Symposium on the Economics of Exhaustible Resources, 41. Jg. (1974), S. 123-137.
  • 4 Vgl. R. M. Solow, F. Y. Wan: Extraction costs in the theory of exhaustible resources, in: Bell Journal of Economics, 7. Jg. (1976), S. 359-370; und M. C. Kemp, N. V. Long: On the optimal order of exploitation of deposits of an exhaustible resource, in: M. C. Kemp, N. V. Long (Hrsg.): Exhaustible Resources, Optimality and Trade, Amsterdam u.a.O. 1980, S. 31-44.
  • 5 Vgl. H. Rogers: Shale gas – the unfolding story, in: Oxford Review of Economic Policy, 27. Jg. (2011), H. 1, S. 138.
  • 6 Vgl. zu diesen Überlegungen J. M. Hartwick: International equity and the investing of rents from exhaustible resources, in: American Economic Review, 66. Jg. (1977), S. 972-974.
  • 7 Vgl. z.B. V. Quaschning: Regenerative Energiesysteme: Technologie – Berechnung – Simulation, 8. Auflage, München 2013.
  • 8 Vgl. R. W. Howarth, R. Santoro, A. Ingraffea: Methane and the Greenhouse-Gas Footprint of Natural Gas from Shale Formations, in: Climatic Change, 106. Jg. (2011), S. 679-690.
  • 9 Vgl. L. V. Ngo: Resource extraction under the uncertainty about possible nationalization, Journal of Economic Theory, 10. Jg. (1975), S. 42-53; K. A. Konrad, T. E. Olsen, R. Schöb: Resource extraction and the threat of possible expropriation: the role of Swiss Bank accounts, Journal of Environmental Economics and Management, 26. Jg. (1994), S. 149-162.
  • 10 Die Erteilung der Bergbauberechtigung wird im BBergG in §7 (Aufsuchung der bergfreien Bodenschätze), §8 (Bewilligung für die Gewinnung dieser Bodenschätze) und §9 (Erwerb des Bergwerkseigentums) geregelt. Beim Fracking muss ferner ebenso wie im BBergG eine wasserrechtliche Erlaubnis und Bewilligung, entsprechend den §§8 und 12 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG), eingeholt werden. Zu einer ausführlichen Darstellung der rechtlichen Bedingungen vgl. A. Seuser: Unkonventionelles Erdgas. Begehrte Ressource mit Unwägbarkeiten, in: Natur und Recht, 34. Jg. (2012), S. 8-18.
  • 11 Die Gewinnung der Bodenschätze ist zu widerrufen, wenn die Gewinnung nicht innerhalb von drei Jahren nach der Erteilung der Bewilligung aufgenommen oder länger als drei Jahre unterbrochen wurde (§ 18 Satz 3 BBergG), und das Bergwerkseigentum ist zu widerrufen wenn die regelmäßige Gewinnung länger als zehn Jahre unterbrochen worden ist (§ 18 Satz 4 BBergG).
  • 12 Vgl. H. G. Meiners et al., a.a.O.
  • 13 Vgl. zu Überblicken: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, a.a.O., S. 33 ff.; und Sachverständigenrat für Umweltfragen: Fracking zur Schiefergasgewinnung: Ein Beitrag zur energie- und umweltpolitischen Bewertung, Stellungnahme, Nr. 18, 2013, S. 22 ff.
  • 14 Vgl. hierzu R. S. Pindyck: Irreversibility, Uncertainty, and Investment, in: Journal of Economic Literature, 29. Jg. (1991), H. 3, S. 1110-1148.
  • 15 In diese Richtung gehen auch die Empfehlungen im ersten Gutachten für das Umweltbundesamt vgl. H. G. Meiners et al., a.a.O., S. D3. Dort wird empfohlen, ein späteres Fracking von vorab klar zu erfüllenden Entscheidungskriterien abhängig zu machen und umgekehrt die für einige Regionen vorgeschlagenen, generellen Verbote des Frackings neu zu überdenken.
  • 16 Beim derzeitigen weltweiten Verbrauch geht man davon aus, dass die bereits bekannten konventionellen Erdgasreserven noch für rund 130 Jahre ausreichen werden. Vgl. hierzu Shell: Erdgas – Eine Brückentechnologie für die Mobilität der Zukunft?, Shell Erdgaskraftstoff-Studie 2013, S. 9.

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Title:Hydraulic Fracturing in Germany – an Option for the Future Only

Abstract:Extraction of shale gas in Germany (fracking) is better left as an option for the future. Today, owners of deposits in many other countries have uncertain property rights and extract too quickly. German deposits may appreciate in value if left in the ground. They also better contribute to national energy security there than if extracted and depleted. Waiting also allows Germany to learn from the mistakes of others and to take this new information and the improvements in extraction technology into account when deciding about extraction in the future. Such decisions should not be left to the resource extraction industries. Their objectives are likely to differ from the objective of maximising the rent from the nation’s shale gas.


DOI: 10.1007/s10273-014-1728-0