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Alle drei großen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch haben Griechenland, Irland, Portugal und Spanien während der europäischen Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise signifikant benachteiligt. Dies lässt sich nur zu einem geringen Teil auf objektive Fundamentaldaten zurückführen. Das Reformziel der Ratingverordnung der Europäischen Union und auch des Ratinggesetzes der Großen Koalition, den Einfluss der Bonitätsbewertungen stark zu reduzieren, muss daher konsequent weiter verfolgt werden.

Ratingagenturen spielen eine zentrale Rolle im globalen Finanzsystem. Mit ihren Bewertungen schätzen sie das Ausfallrisiko von Anleiheprodukten ein, generieren also eine externe Meinung über die Fähigkeit und die Bereitschaft eines Schuldners, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Einzelne Investoren und damit potenzielle Gläubiger haben in der Regel nicht die Möglichkeit, die Bonität eines Schuldners zu beurteilen. Ihnen fehlen meist nicht nur die notwendigen Ressourcen, sondern auch die Zugänge zu den relevanten Informationen. Ratingagenturen können demgegenüber Verbund- und Skaleneffekte bei der Informationsgewinnung und -verarbeitung ausnutzen, so dass die Durchschnittskosten für ein einzelnes Rating vergleichsweise gering sind. Allerdings sind auch die großen Ratingagenturen informations- sowie kapazitätsbeschränkt – und deshalb nicht unfehlbar.

Das Rating von Unternehmen und Staaten stellt einen Informationsdienst dar, der Transaktionskosten verringert und somit den Pool potenzieller Kreditnehmer vergrößert. Die regelmäßige Neuberechnung der Ratings dient zudem auch als Aufsichtsdienst. Schuldner werden veranlasst, Korrekturmaßnahmen vorzunehmen, um Herabstufungen zu vermeiden. Während der Schuldenkrise im Euroraum sprachen allerdings viele Politiker von „Missbrauch“ und „Missbrauchsverhalten“ der Ratingagenturen. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Barroso bezichtigte die Agenturen sogar der „Befangenheit“ in ihrer Bewertung der „speziellen Situation in Europa“.1

Tatsächlich wirft schon eine oberflächliche Betrachtung der Länderratings über den Krisenzeitraum hinweg Fragen auf (vgl. Abbildung 1). Hatte im Jahr 2007 noch etwa die Hälfte der bewerteten Euroländer die Höchstnote und keines eine Bonität unterhalb der Kategorie „Gut“, erhielten nur fünf Jahre später noch maximal sechs Länder die Bestnote. Fünf der bewerteten Länder fielen entweder bereits unter die Grenze zum Junk-Bond-Status oder blieben nur knapp darüber. Diese starke und schnelle Verschlechterung der Ratings ist vor allem deswegen verblüffend, weil Langzeitratings Anleihen mit Laufzeiten zwischen zehn und 25 Jahren bewerten.

Abbildung 1
Ratings der drei großen Agenturen während der Verschuldungskrise1: 2007 im Vergleich zu 2012
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1 Die Schwelle zum spekulativen Bereich bzw. Junk-Status ist mit einer blauen Vertikale gekennzeichnet.

Quelle: S. Nauhaus: The Power of Opinion: More Evidence of a GIPS-Markup in Sovereign Ratings During the Euro Crisis, in: DIW Discussion Paper, Nr. 1501, Berlin 2015.

Das veränderte Gesamtbild ist einer außerordentlich hohen Zahl von Herabstufungen vor allem nach dem Jahr 2009 geschuldet (vgl. Abbildung 2). Zwischen 2007 und 2012 korrigierte Standard & Poor’s (S&P) seine Ratings insgesamt 45 Mal nach unten, wenn auch mit im Vergleich zu seinen beiden Konkurrenten kleineren Schritten. S&P stufte maximal drei Schritte auf einmal herab, Fitch hingegen bis zu vier und Moody’s sogar bis zu fünf Schritte. Griechenland beispielsweise wurde von Moody’s einmal um vier Stufen und dreimal um drei Stufen herabgesetzt. Unter die Grenze zum Junk-Bond-Status fiel Griechenlands Rating im Juni 2010. Da die unerwartete Herabstufung von A3 auf Ba1 jedoch auch wesentlich stärker ausfiel als erwartet, löste dieser Vorgang Turbulenzen an den Finanzmärkten aus. Die Risikoprämien für das Land stiegen stark an (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 2
Zahl und Höhe der Herabstufungen während der Verschuldungskrise
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Quelle: S. Nauhaus: The Power of Opinion: More Evidence of a GIPS-Markup in Sovereign Ratings During the Euro Crisis, in: DIW Discussion Paper, Nr. 1501, Berlin 2015.

Abbildung 3
Risikoprämien der GIPS-Länder1 seit 2008
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1 Risikoprämien sind hier definiert als Differenz zwischen der Zinsrate auf zehnjährige Anleihen des GIPS-Landes und Deutschlands.

Quelle: Datastream.

Ratings bestimmen Risikogewichte und lenken Investitionsströme

Die große Bedeutung der Ratingurteile für die Finanzmärkte speist sich aus der Regulierung. So definieren das Bankenregulierungspaket „Basel II“ und die Nachfolgeregelung „Basel III“ Mindestkapitalanforderungen für Kreditinstitute. Das Mindesteigenkapital ist ein bestimmter Prozentsatz des risikogewichteten Anlagevermögens der Bank.2 Für die Berechnung der Risikogewichte für die Aktiva können die Banken interne Risikomodelle oder die Ratings von regulatorisch anerkannten Agenturen verwenden. Auch in der Europäischen Union (EU) folgten viele Länder dem Beispiel der USA und ließen es zu – oder schrieben es sogar vor –, dass Ratings die Grundlage für die Risikobewertung der Vermögensposten in der Bilanz bilden. Das Risikogewicht und damit das geforderte Mindesteigenkapital ist umso höher, je schlechter das Rating für ein Wertpapier oder einen Kredit ausfällt. Besonders stark nehmen die Risikogewichte zu, wenn Staatsanleihen eine Bonitätsnote erhalten, die unterhalb der Schwelle zum Investmentbereich liegt, also in den spekulativen oder sogenannten Junk-Bond-Bereich fällt (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Risikogewichte für Staatsanleihen unter Basel II und Basel III
  Investmentbereich spekulativer Bereich
Credit Rating AAA bis AA- A+ bis A- BBB+ bis BBB- BB+ bis B- unter B- ungerated
Risiko- gewicht 0 20 50 100 150 100

Quelle: Bank für Internationalen Zahlungsausgleich: Low rates spur credit markets as banks lose ground, BIS Quarterly Review, 2013.

Für Banken innerhalb der EU ist diese Gewichtungsvorschrift relevant, wenn sie Anleihen von Nicht-EU-Staaten kaufen. Für Staatsanleihen von EU-Staaten erlaubt die vierte Fassung der Credit Risk Directive (CRD IV) den Banken, ein Risikogewicht von Null anzusetzen.3 Allerdings hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) Banken im Jahr 2012 erstmals vorgeschrieben, auch EU-Staatsanleihen in angemessenem Umfang mit Eigenkapital zu unterlegen.4 Absehbar scheint zudem, dass das Null-Risikogewicht für Staatsanleihen auf EU-Ebene dauerhaft außer Kraft gesetzt wird.5 Damit könnten die Urteile der Ratingagenturen künftig noch an Bedeutung gewinnen.6

Der Investmentbereich stellt jedoch auch für andere institutionelle Investoren eine wichtige Schwelle dar. Alterssicherungsfonds ist es z.B. üblicherweise verboten, Anleihen mit einem Rating im Nicht-Investment-Bereich zu halten. Die Grenze für diesen Bereich liegt im Falle von S&P und Fitch jeweils bei den Bonitätsnoten BBB- und im Falle Moody’s bei Baa3. Fällt das Rating von Staatsanleihen unter diese Marke, muss der Fonds das Wertpapier verkaufen.

Diese regulatorisch bedingten Gründe lassen erwarten, dass Anleihepreise und damit die Renditen auf Rating­sprünge überproportional reagieren. Verschlechtert sich das Rating eines Landes so, dass die Schwelle zum Junk-Bond-Status nicht mehr weit ist oder sogar unterschritten wird, reduzieren Investoren ihren Bestand an Staatsanleihen zum Teil drastisch. Im schlimmsten Fall kann es zu Notverkäufen, sogenannten Fire-Sales, kommen, sollte ein Staat abrupt um mehrere Ratingstufen abgewertet werden.7 Umgekehrt vereinfachen besonders gute Rating­noten den Zugang eines Staates zu den Kapitalmärkten und bewirken eine messbare Verringerung der Finanzierungskosten.

Subjektive und objektive Ratingkomponenten

Ratingagenturen sind üblicherweise sehr verschwiegen. Erst durch den öffentlichen Druck im Zuge der Finanzkrise haben die „Großen Drei“ damit begonnen, ihre Methodik detaillierter zu beschreiben. Die sogenannten Rating Manuals lassen darauf schließen, dass die drei Agenturen ähnliche Methoden zur Bestimmung eines Länderratings verwenden.

Analysten sammeln zunächst Informationen, anhand derer sie sogenannte Fundamentalfaktoren des Landes bewerten. Die Informationen stammen zum einen aus quantitativen Datenreihen, beispielsweise zur Schuldenlast oder zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines Landes. Da derartige Datenreihen größtenteils öffentlich zugänglich und somit nachvollziehbar sind, stellt dies den objektiven Teil eines Ratings dar. Eine Schlüsselkomponente, die der Öffentlichkeit verborgen bleibt, sind spezielle Informationen aus Interviews mit Analysten und Experten der zu bewertenden Länder. Das Geschäftsmodell beruht essenziell auf der Geheimhaltung solcher Informationen, da die Ratingagenturen als profitorientierte Firmen ihren Kunden Prämien für die Bereitstellung dieser Information berechnen und sich im Wettbewerb mittels überlegener Informationen durchsetzen wollen. Da die Fundamentaldaten für jedermann zugänglich sind und sich deshalb zwischen den Agenturen nicht unterscheiden, differenzieren sich diese ausschließlich durch die Informationen aus den Interviews. Die abgeschlossenen Bewertungen der Teilfaktoren werden einem Ratingkomitee präsentiert, in dem typischerweise eine Handvoll leitender Analysten über das endgültige Länderrating abstimmt, das kurz darauf der Öffentlichkeit präsentiert wird.

Das veröffentlichte Länderrating besteht immer aus einer objektiven und einer subjektiven Komponente. Die Methodik lässt sich formal durch die Gleichung

R = O + M

beschreiben. Dabei ist O die objektive, durch Datenreihen nachvollziehbare Komponente (z.B. BIP, Schuldenlast, Inflation, Bevölkerung etc.). M ist hingegen eine subjektive Komponente, die sich nicht direkt durch Fundamentaldaten erklären lässt.8 Für die empirische Analyse der Qualität der Ratingurteile während der Eurostaatsschuldenkrise ist indes nicht entscheidend, dass die subjektive Komponente M in die Bewertung mit einfließt. Vielmehr muss die Frage beantwortet werden, wie die drei großen Ratingagenturen ihren diskretionären Spielraum genutzt haben. Wurden Griechenland, Irland, Portugal und Spanien (GIPS-Staaten) von den Agenturen während der Krise genauso oder signifikant anders als die anderen Länder mit vergleichbaren Fundamentaldaten behandelt? Gärtner, Griesbach und Jung haben auf der Grundlage objektiver und subjektiver Faktoren deren jeweilige Anteile in den Ratings von Fitch untersucht9 und eine signifikante Benachteiligung der GIPS-Staaten im Zeitraum 2009 bis 2010 durch Fitch gefunden.10

Fitch hat allerdings den geringsten Marktanteil unter den drei großen Agenturen, so dass die Frage nach der generellen Gültigkeit des Befundes einer signifikanten Benachteiligung noch unbeantwortet ist. Um diese Lücke zu schließen, wird hier der Ansatz von Gärtner et al. auf die Urteile aller drei großen Agenturen angewandt. Der empirische Beobachtungszeitraum wird zudem um die wichtigen Jahre 2011, 2012 und 2013 erweitert.

Die Ratingnoten werden zunächst linear in eine Zahlenskala mit 21-Ratingpunkten (R) transformiert, wobei 21 die beste und 1 die schlechteste Bewertung repräsentiert (vgl. Tabelle 2). Das ökonometrische Schätzverfahren,

R = O + M + ε,

erklärt die Ratingpunkte durch zehn ökonomische und institutionelle Indikatoren (O), den üblichen Schätzfehler (ε) und die subjektive Komponente (M). Hinter der aggregierten Komponente M verbergen sich drei subjektiv determinierte Erklärungsfaktoren, (1) ein konstanter Aufschlag der Agenturen für GIPS-Länder, (2) ein Aufschlag für die Eurozone als Ganzes während der Krise und (3) ein kurzfristiger Aufschlag, der ausschließlich für die GIPS-Länder während der Krise gilt. Die Relevanz dieser drei subjektiven Faktoren für die Erklärung der Ratingnote wird mit Hilfe einer linearen Regressionsanalyse getestet.

Tabelle 2
Transformation der Ratingskala in Ratingpunkte
S&P und Fitch Moody’s Ratingpunkt S&P und Fitch Moody’s Ratingpunkt
AAA Aaa 21 BB+ Ba1 11
AA+ Aa1 20 BB Ba2 10
AA Aa2 19 BB- Ba3 9
AA- Aa3 18 B+ B1 8
A+ A1 17 B B2 7
A A2 16 B- B3 6
A- A3 15 CCC+ Caa1 5
BBB+ Baa1 14 CCC Caa2 4
BBB Baa2 13 CCC- Caa3 3
BBB- Baa3 12 CC Ca 2
      SD/D C 1

Quelle: S. Nauhaus: The Power of Opinion: More Evidence of a GIPS Markup in Sovereign Ratings During the Euro Crisis, DIW Discussion Paper, Nr. 1501, Berlin 2015.

Der dritte Faktor ist entscheidend für die Beantwortung der Frage nach der Ratingqualität. Die Befunde aus der Regressionsanalyse hierzu legen offen, dass alle drei großen Agenturen in den Krisenjahren 2009 bis 2013 speziell für die GIPS-Länder einen signifikanten Abschlag vorgenommen haben. Fitch hat die GIPS-Länder während der Krise um durchschnittlich 1,66 Ratingpunkte schlechter eingestuft als andere Länder mit vergleichbaren Fundamentaldaten, bei Moody’s betrug die Differenz 1,54 Punkte und S&P brachte es auf eine um 2,19 Punkte schlechtere Beurteilung. Die GIPS-Staaten wurden folglich während der Krise von allen drei großen Ratingagenturen signifikant benachteiligt.

Einfluss auf Zinsen

Die Finanzmärkte reagieren auf solche subjektiven Einschätzungen nicht notwendigerweise mit Zinsaufschlägen. Diese sind vor allem dann zu erwarten, wenn die Ratingabschläge eine starke Verkaufswelle auslösen, z.B. weil Pensionsfonds Anleihen, die durch die Herabstufung zum Junk-Bond geworden sind, nicht mehr halten dürfen.

Die ökonometrische Zerlegung des Ratings in eine objektive und eine subjektive Komponente sowie den Schätzfehler ermöglicht es, den Einfluss der objektiven Faktoren auf die Zinsaufschläge von jenen Auswirkungen zu trennen, die durch die Sonderbehandlung der GIPS-Staaten entstanden sind. Die Befunde zeigen, dass die Zinsbewegungen der Staatsanleihen durch alle drei Komponenten getrieben sind (vgl. Tabelle 3). Dabei übt allerdings der objektive Teil der Länderratings einen vergleichsweise geringen Einfluss auf die Risikoprämien aus. Würde die Ratingagentur S&P beispielsweise allein aufgrund öffentlich zugänglicher Daten die Kreditwürdigkeit eines Landes um einen Ratingpunkt herabstufen, stiege die Risikoprämie um 0,62 Prozentpunkte. Demgegenüber ist der Einfluss der subjektiven Komponente und auch des Schätzfehlers sehr viel größer. Herabstufungen der GIPS-Länder um einen Punkt – vollständig erklärt durch GIPS-Sonderbehandlung oder Schätzfehler – würden die Risikoprämie auf Staatsanleihen des betreffenden Landes im Durchschnitt um 1,41 beziehungsweise 0,97 Prozentpunkte erhöhen.

Tabelle 3
Einfluss der einzelnen Ratingkomponenten auf Risikoprämien
  Fitch Moody’s S&P Durchschnitt
O -0,62 -0,59 -0,64 -0,62
M -1,62 -1,34 -1,27 -1,41
ε -1,04 -0,80 -1,08 -0,97

Die einzelnen Komponenten, Objektiv (O), Meinung (M) und Schätzfehler (ε), sind jeweils als Ceteris-paribus-Effekte, also in Isolation zu interpretieren. Eine Verschlechterung des Ratings basierend ausschließlich auf der Meinungskomponente würde so im Durchschnitt zu einer Erhöhung der Risikoprämien von 1,41 Zinspunkten führen.

Quelle: S. Nauhaus: The Power of Opinion: More Evidence of a GIPS-Markup in Sovereign Ratings During the Euro Crisis, in: DIW Discussion Paper, Nr. 1501, Berlin 2015.

Die Märkte haben sich während der Staatsschuldenkrise im Euroraum also wesentlich stärker an den subjektiven Komponenten des Ratings orientiert als an den harten wirtschaftlichen und institutionellen Fakten. Das hatte zur Folge, dass gerade jene Ratingbestandteile, die nicht auf Fundamentaldaten zurückzuführen sind, die Risikozuschläge bewegten. Dieser Befund wirft erneut die Frage nach der Qualität der Ratings der großen drei Agenturen und nach der richtigen Regulierung des Ratingmarkts auf.11

Reformvorstöße zur Regulierung der Ratingagenturen

Der Bundestag hat im Juli 2014 das Gesetz zur Verringerung der Abhängigkeit von Ratings verabschiedet, das in weiten Teilen auch die Umsetzung der EU-Ratingverordnung CRA III umfasst.12 Kernstück des Gesetzes wie auch der EU-Verordnung ist die Vermeidung des „übermäßigen Rückgriffs auf Ratings“ in Gesetzestexten und Verordnungen.13 Darüber hinaus sollen Anleger über Veränderungen rechtzeitig informiert werden und Herabstufungen seitens der Ratingagenturen grundsätzlich auf drei pro Jahr beschränkt werden – abgesehen von einzelnen und begründeten Ausnahmefällen. Die Urteile selbst sollen erst nach Marktschluss am Freitag bekanntgegeben werden. Des Weiteren können Ratingagenturen für Fehler haftbar gemacht werden.14 Ziel des deutschen Gesetzes und der europäischen Verordnung ist es somit, den Einfluss der Agenturen zu verringern und gleichzeitig Rechenschaft und Haftbarkeit zu erhöhen.

Auch auf der anderen Seite des Atlantiks hat es mit dem Dodd-Frank-Act Neuerungen in Bezug auf die Rolle der Ratingagenturen gegeben. Diese sind zusammengenommen noch wesentlich detaillierter als in der EU. So sieht das US-amerikanische Gesetz eine rigorose Streichung von Verweisen auf Ratings in Gesetzestexten vor.15 In den USA registrierte Banken sollen sich somit ausschließlich auf eigene Risikomodelle zur Bewertung von Anleihen stützen. Ratings werden für regulatorische Vorgaben, etwa zur Berechnung der Mindestkapitalvorgaben, nicht mehr anerkannt.

Indem das Gesetz die Bewertung von Kreditrisiken an die Banken überträgt, beseitigt es zwar eine Ursache für den starken Einfluss von Bonitätsbewertungen der Ratingagenturen. Allerdings entsteht dadurch eine neue Komplikation: Die korrekte Einschätzung der Kreditrisiken ist nun stark von der Qualität der bankeninternen Risikomodelle abhängig, an deren Zuverlässigkeit es ebenso Zweifel gibt, wie die Europäische Bankenaufsichtsbehörde 2013 in einer Untersuchung festgestellt hat.16 Das Problem einer potenziell interessengeleiteten, gravierenden Unterschätzung von Risiken in den Bankbüchern – und daraus resultierend einer Unterkapitalisierung des Bankensektors zulasten des Steuerzahlers – kann also auch diese Regulierungsform nicht verhindern.

Aufsicht in der Europäischen Union

Seit dem Inkrafttreten des Europäischen Finanzaufsichtssystems (ESFS) im Juli 2011 unterliegen die Rating­agenturen in der EU der Aufsicht der in Paris ansässigen Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA). Die ESMA verlangt von den Ratingagenturen eine konsistente Bewertungsmethodik. Zu diesem Zweck überwacht sie deren Verhalten kontinuierlich und analysiert regelmäßig und systematisch gesonderte Wertpapiergruppen. Hierfür hat die Behörde Zugriff auf eine Vielzahl von Indikatoren und kann auch die Protokolle der Ratingkomitees einfordern.

Im Dezember 2013 hat die ESMA eine Reihe von Defiziten in Länderratings aufgelistet.17 In der Analyse wird unter anderem bemängelt, dass gesetzeswidrig Vorstandsmitglieder der Agenturen in die Ratingfindung eingeschaltet sind, die Methodenüberprüfung personell oft nicht streng von der Ratingfindung getrennt ist, die Ratinganalysten sehr viel Zeit für Forschungs- und Veröffentlichungstätigkeit verwenden, aus der Interessenkonflikte entstehen könnten, oft keine klare Trennung zwischen Kommunikationsabteilung und Analysten vorhanden ist und Beschwerden von Betroffenen nicht sorgfältig genug behandelt werden. Zudem berichtet die ESMA, dass Rating-Informationen nicht ausreichend vertraulich behandelt werden und zu wenig gegen das gesetzeswidrige vorzeitige Bekanntwerden von Ratingurteilen unternommen wird.

Der Fokus der Aufsicht liegt somit auf konsistent angewendeten Ratingmethoden und der Beseitigung von Interessenkonflikten. Die ESMA ist jedoch nicht legitimiert, die Güte der Ratings inhaltlich zu überprüfen oder infrage zu stellen. Doch gerade weil noch nicht abzusehen ist, wann der verpflichtende Rückgriff auf Ratings aus Gesetzen und Verordnungen tatsächlich vollständig verschwindet, wäre eine regelmäßige Überprüfung der Ratinggüte angebracht.

Fazit

Die Ratingnoten der drei großen Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch haben während der Staatsschuldenkrise im Euroraum die Zinsdifferenz griechischer, irischer, portugiesischer und spanischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen signifikant erhöht. Dass die Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit der GIPS-Länder während der Krise schlechter beurteilten, ist dabei auch den subjektiven Einschätzungen der Agenturen geschuldet; auf nachvollziehbare und öffentlich zugängliche Fundamentaldaten lassen sich die Ratings jedenfalls nur beschränkt zurückführen.

Solange die übergroße Bedeutung, die Ratings aufgrund von Verweisen in Gesetzestexten und Verordnungen erhalten haben, nicht abgemildert oder eliminiert ist, sollten die Bewertungsmodelle der Ratingagenturen auch inhaltlich behördlich geprüft werden. Eine entsprechende Erweiterung des Mandats der zuständigen Aufsichtsbehörden wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Dies würde zwar nicht die Ursache der Macht der Ratingagenturen beseitigen, mittelfristig jedoch das Missbrauchspotenzial dieser Macht einschränken.

Die Autoren danken Dirk Ulbricht für wertvolle Hinweise und Anregungen.

  • 1A. Fuchs, K. Gehring: The Home Bias in Sovereign Ratings, University of Heidelberg, Department of Economics, Discussion Paper Series, Nr. 552, 2013.
  • 2 D. Schäfer: Banken: Leverage Ratio ist das bessere Risikomaß, in: DIW Wochenbericht, 78. Jg. (2011), Nr. 46, S. 11-17; S. Binder, D. Schäfer: Banken werden immer größer, in: DIW Wochenbericht, 78. Jg. (2011), Nr. 32, S. 3-9. Vgl. auch Basel III: Basel Committee on Banking Supervision. A global regulatory framework for more resilient banks and banking systems, 2011, http://www.bis.org/publ/bcbs189.pdf.
  • 3 „The European CRDs have introduced […] a risk weight of 0% for ‚exposures to Member States‘ central government […]. […] instead of confining the zero risk weight to the standardised approach, (the CRDs) permit a generalised zero risk weight through the so-called ‚IRB permanent partial use‘ rules“. (Speech of Hervé Hannoun, Deputy General Manager Bank for International Settlements, at Financial Stability Institute High-Level Meeting Abu Dhabi, UAE, 26. Oktober 2011).
  • 4 Vgl. http://www.eba.europa.eu/risk-analysis-and-data/eu-capital-exercise/final-results.
  • 5 Weidmann fordert Unterlegung von Staatsanleihen mit Eigenkapital, Bundesbank: Voraussetzung für Bankenunion – Institute fühlen sich von Regulierungsflut überrollt, in: Börsen-Zeitung vom 20.11.2012, https://www.boersen-zeitung.de/index.php?li=1&artid=2012224012.
  • 6 D. Schäfer, D. Meyland: Verschärfte Eigenkapitalanforderungen für EU-Staatsanleihen: ein Schritt in Richtung eines stabileren Finanzsystems, in: DIW Wochenbericht, 82. Jg. (2015), Nr. 20, S. 475-485.
  • 7 J. De Haan, F. Amtenbrink: Credit rating agencies, DNB Working Paper, Nr. 278, 2011.
  • 8 S. Nauhaus: The Power of Opinion: More Evidence of a GIPS-Markup in Sovereign Ratings During the Euro Crisis, in: DIW Discussion Paper, Nr. 1501, Berlin 2015.
  • 9 M. Gärtner, B. Griesbach, F. Jung: PIGS or lambs? The European sovereign debt crisis and the role of rating agencies, in: International Advances in Economic Research, 17. Jg. (2011), Nr. 3, S. 288-299
  • 10 Vgl. dazu auch dies.: Die Macht der Meinungsmacher: Ratingagenturen und staatliche Verschuldungsdynamiken, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 4, S. 251-255.
  • 11 H.-H. Kotz, D. Schäfer: Rating-Agenturen: fehlbar und überfordert, in: D. Schäfer, W. Semmler, B. Young (Hrsg.): Nachhaltige europäische Konsolidierungspolitik – Chancen und Herausforderungen, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, Nr. 4/2013, S. 135-162.
  • 12 Europäische Kommission: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen, 2011, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/HIS/?uri=uriserv:OJ.L_.2013.146.01.0001.01.DEU.
  • 13 German action plan to reduce overreliance on CRA ratings, http://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2014/meldung_140414_massnahmenplan_ratings_fsb.htm.
  • 14 Vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-555_de.htm?locale=en.
  • 15 Securities and Exchange Commission: Report on review of reliance on credit ratings, 2011, http://www.sec.gov/news/studies/2011/939astudy.pdf.
  • 16 Vgl. http://www.eba.europa.eu/risk-analysis-and-data/review-of-consistency-of-risk-weighted-assets.
  • 17 European Securities and Markets Authority: Credit rating agencies sovereign ratings investigation – ESMA’s assessment of governance, conflicts of interest, resourcing adequacy and confidentiality controls, 2013, http://www.esma.europa.eu/system/files/2013-1780_esma_identifies_deficiencies_in_cras_sovereign_ratings_processes.pdf.

Title:Country Ratings During the Crisis in the Euro Area

Abstract:The Big Three credit rating agencies put Greece, Ireland, Portugal and Spain at a significant disadvantage during the European sovereign debt crisis. Their strong influence is likely due to the importance given to credit ratings by financial regulations. Both the EU’s credit rating directive and the Ratinggesetz of the German Bundestag assert that their objective is to markedly reduce this influence and allow for greater weight to be placed on fundamentals. They should pursue this objective vigorously.

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DOI: 10.1007/s10273-015-1886-8