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Die Federal Reserve steht aktuell vor einer ihrer wichtigsten Entscheidungen der letzten Jahre. Sie muss über den optimalen Zeitpunkt des ersten Zinsschrittes seit der Krise entscheiden. Der wichtigste Leitzins der Welt verharrt seit Dezember 2008 in der Spanne von 0,00% bis 0,25% (vgl. Abbildung 1). Über den Zeitpunkt des ersten Zinsschrittes sind sich die Direktoriumsmitglieder an der Spitze der US-Notenbank allerdings alles andere als einig. Während sich die Präsidentin Janet Yellen für den ersten Zinsschritt noch Ende dieses Jahres ausspricht, werden Stimmen im Direktorium lauter, die Zinswende erst 2016 anzugehen.

Abbildung 1
Zinsentwicklung in den USA
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Quellen: Macrobond, HWWI.

Die nun anstehende Zinswende ist zweifelsohne nicht zu vergleichen mit den bisherigen am Ende eines „normalen“ Konjunkturzyklus. Noch nie lag der US-Leitzins für so lange Zeit auf so niedrigem Niveau. Zusammen mit dem enormen Wertpapierankaufprogramm, das im Oktober 2013 beendet wurde, ließ dies nicht nur die Liquidität am US-Finanzmarkt stark anschwellen, auch die globalen Finanzmärkte wurden so unter Mithilfe der Fed durch die Krise geleitet. Die erhöhte Liquidität sollte temporär die Märkte stabilisieren, insbesondere die Vermögenspreise stützen, und Zeit für strukturelle Anpassungen verschaffen. Die über einen langen Zeitraum niedrigen Zinsen sollten zudem einen expansiven Effekt auf Investitionen und Konsum auslösen und damit wieder für Preisdruck sorgen.

Allerdings haben sich die Finanzmärkte in den letzten Jahren an das billige Geld „gewöhnt“, und es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, welche Schockwirkung von einer Zinswende in den USA auf die globalen Finanzmärkte ausgehen könnte. Eine allzu rasch erfolgende Zinswende könnte insbesondere Schwellenländer durch den induzierten Kapitalabfluss in Bedrängnis bringen. Diese Sorge geht auch bei vielen Finanzmarktteilnehmern um. Aus diesem Grund muss ein nun geplanter Exit behutsam erfolgen, um keine starken Eruptionen auszulösen, die das immer noch fragile Weltfinanzsystem ins Wanken bringen würde.

Die momentan sehr unterschiedlichen Auffassungen im Direktorium der Federal Reserve über den ersten Zinsschritt gründen auch auf unterschiedlichen konjunkturellen Einschätzungen. Die konjunkturellen Indikatoren, die die US-Zentralbank nutzt, um ihren optimalen Zinspfad zu bestimmen, legen immer noch keine einheitliche Interpretation nahe. Während interne Faktoren mehr und mehr für einen robusten Aufschwung der amerikanischen Volkswirtschaft sprechen, deutet das weltwirtschaftliche Umfeld momentan eher darauf hin, diesen ersten Zinsschritt noch einmal aufzuschieben. Auch der nach wie vor sehr niedrige Preisdruck in den USA (0,0% annualisierte Inflationsrate im September) würde eher für einen späteren Zinsschritt sprechen.

Der US-Arbeitsmarkt, der als wichtigster Indikator der konjunkturellen Lage besondere Aufmerksamkeit durch die Zentralbank erhält, zeigt sich dagegen immer robuster. So lag die Arbeitslosenquote zuletzt bei 5,1% im September 2015 und hat sich damit in den letzten fünf Jahren nahezu halbiert. Während des Wertpapierankaufprogramms kommunizierte die Fed immer wieder, dass bei Erreichen der 6%-Marke für die Arbeitslosenquote von einem robusten Arbeitsmarkt gesprochen werden kann. Allerdings hob sie diese Zielmarke für eine Zinswende nachträglich mit der Begründung auf, dass durch eine noch geringere Arbeitslosenquote der Lohndruck verstärkt würde, was wiederum eine positive Wirkung auf den schwachen Preisdruck ausüben könnte. Kritiker einer frühen Zinswende weisen darauf hin, sich nicht zu stark auf diesen einen Wert des Arbeitsmarktes zu konzentrieren und führen die gesunkene Partizipationsquote an. Dieser Indikator ist aber eher struktureller als konjunktureller Natur und daher für die Evaluierung durch die Federal Reserve ungeeignet, wenngleich auch direkte Krisenursachen verantwortlich sind. Der Beschäftigungsaufbau ist zudem kontinuierlich (142 000 neue Stellen im September) obwohl sich die Dynamik merklich abgeschwächt hat (vgl. Abbildung 2). Diese Indikatoren zeigen, dass sich der Arbeitsmarkt in einer guten Grundverfassung befindet, auch wenn die Dynamik zum Teil schwächer ist, als dies Analysten im Vorfeld erwartet hatten.

Abbildung 2
Arbeitsmarktdaten, USA
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Quellen: Macrobond, HWWI.

Das weltwirtschaftliche Umfeld hingegen hat sich in den letzten Monaten vermehrt eingetrübt. Insbesondere die Sorgen um das chinesische Wachstum haben erneut die Volatilität auf den globalen Finanzmärkten erhöht. Das chinesische Bruttoinlandsprodukt wies im dritten Quartal ein annualisiertes Wachstum von 6,9% auf und auch die Industrieproduktion hatte im September nur um 5,7% im Vergleich zum Vorjahresmonat zugelegt – weniger als dies Analysten erwartet hatten. Gerade die intensive Verflechtung vieler Schwellenländer mit den USA könnte zu umfangreicher Kapitalflucht führen, wenn die Federal Reserve den ersten Zinsschritt wagt und sich gleichzeitig die Schwellenländer als konjunkturell fragil zeigen. Damit könnte es zu erneuten Turbulenzen auf den globalen Finanzmärkten kommen und die ohnehin schwache Dynamik der Weltwirtschaft weiter abschwächen. Dies sind vermutlich die zentralen Argumente, die die Kritiker im Direktorium anführen. Eine Zinswende würde ihrer Meinung nach noch bis ins nächste Jahr aufgeschoben werden müssen.

Die Federal Reserve befindet sich folglich in dem Dilemma, dass interne und externe Faktoren keine eindeutige Sprache sprechen und von den Notenbankern als unterschiedlich wichtig beurteilt werden. Normalerweise wird argumentiert, dass die US-Zentralbank stärker interne Faktoren bei ihrer Zinspolitik berücksichtigen kann, da sie die größte Volkswirtschaft der Welt und zugleich die wichtigste Reservewährung der Weltwirtschaft steuert. Bei der Zinsentscheidung am 28. Oktober 2015, bei der die Zinswende abermals aufgeschoben wurde, war die Kommunikation der US-Zentralbank wiederum eindeutiger auf interne Faktoren ausgerichtet, die sich größtenteils so entwickeln, wie es die Federal Reserve für einen ersten Zinsschritt erwartet. Auf diese Weise wurden die Markterwartungen bezüglich einer möglichen Zinswende im Dezember wieder erhöht, nachdem die Kommunikation im September noch stärker einen Aufschub in das nächste Jahr implizierte. Damit dürfte weder eine Verschiebung noch der erste Schritt der Zinswende im Dezember unerwartete Reaktionen an den Märkten auslösen.

Genauso wichtig wie der optimale Zeitpunkt des ersten Zinsschrittes ist nach Meinung vieler Ökonomen die Schnelligkeit der weiteren Zinsschritte, also wie schnell die Federal Reserve wieder zu einem normalen Zinsniveau zurückkehren will. So könnte sie nach einem ersten Zinsschritt zunächst einmal eine Pause bis zum nächsten Zinsschritt einlegen. Kommuniziert sie dies explizit, ist eine schockartige Kapitalflucht aus den Schwellenländern nicht zu erwarten. Die Kommunikation des mittelfristigen Zinspfades dürfte für die Märkte damit wichtiger sein als die Frage des ersten Zinsschrittes. Insofern ist die Forward Guidance, wie sie nun in der Krise eingesetzt worden ist, um langanhaltend niedrige Zinsen zu garantieren und damit die Unsicherheit über die zukünftige Geldpolitik zu verringern und die Märkte zu stabilisieren, auch für die Zinswende selbst essenziell.

Die gegenwärtige Situation der US-Zentralbank verdeutlicht, wie schwierig eine wirkungsvolle Geldpolitik in der Krise und wie schwer ein anschließender Exit aus einer expansiven Geldpolitik ist. Momentan sind die traditionellen Kanäle der geldpolitischen Transmission „verstopft“ und die überschüssige Liquidität ist überwiegend in die Vermögensmärkte geflossen. Dies hat zwar die Vermögenspreise stabilisiert, birgt aber bei zu lange anhaltenden niedrigen Zinsen die Gefahr von Preisblasen. Durch einen nun erfolgenden Exit könnten also neue Instabilitäten entstehen. Allerdings würde die Federal Reserve die Märkte mit einer Zinswende wieder verstärkt in die Eigenständigkeit übergeben und dies sollte das Ziel bei einer Beendigung der Krisenpolitik sein.

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DOI: 10.1007/s10273-015-1905-9