Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Wie mit dem Solidaritätszuschlag 25 Jahre nach der Wiedervereinigung umgegangen werden soll, ist umstritten. Vieles spricht für eine Integration in den Einkommensteuertarif. Sven Stöwhase und Martin Teuber haben im Dezemberheft 2014 des Wirtschaftsdienst auf die Verteilungswirkungen bei einer solchen Integration aufmerksam gemacht. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse mithilfe des ZEW-Mikrosimulationsmodells ergänzt.

Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen-, Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer in Deutschland. Das Aufkommen steht allein dem Bund zu. Der Solidaritätszuschlag wurde 1991 für ein Jahr befristet zur Finanzierung der Kosten des zweiten Golfkriegs eingeführt. 1995 folgte die Wiederbelebung zur Finanzierung der Kosten der Wiedervereinigung. 1998 wurde er von ursprünglich 7,5% der Steuerschuld auf 5,5% gesenkt. Heute, 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, besteht er noch immer. In steuerpolitischen Debatten wird in regelmäßigen Abständen seine Abschaffung gefordert. Die Rechtfertigung des Soli als Steuer zur Bewältigung der finanziellen Lasten der deutschen Wiedervereinigung verliert zunehmend an Plausibilität. Darüber hinaus gibt es verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Perpetuierung des Steuerzuschlags.1 Aus fiskalischen Gründen wird alternativ zu seiner Abschaffung auch vorgeschlagen, den Solidaritätszuschlag in die Einkommensteuer zu integrieren.

Stöwhase und Teuber haben kürzlich auf einige Komplikationen bei einer möglichen Integration des Solidaritätszuschlags in den Einkommensteuertarif hingewiesen, die Wirkungen jedoch nur für Beispielhaushalte illustriert.2

In diesem Beitrag werden die Verteilungs- und Aufkommenswirkungen, die sich bei einer Integration des Solidaritätszuschlags in die Einkommensteuer ergäben, empirisch geschätzt. Wir verwenden hierzu das Mikrosimulationsmodell des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und die Datenbasis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP).

Die Berechnungen zeigen, dass eine „naive“ Integration des Solidaritätszuschlags, bei der sämtliche Grenzsteuersätze mit einem Faktor von 1,055 multipliziert würden, ein Mehraufkommen für den Staat von jährlich etwa 800 Mio. Euro generieren würde. Der von Stöwhase und Teuber vorgeschlagene Alternativtarif, der auch den Freibetrag und die Milderungszone beim derzeitigen Solidaritätszuschlag berücksichtigt, wäre trotz unveränderter Grenzbelastungen ebenfalls nicht aufkommensneutral. Denn die Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags ist nach geltendem Recht nicht die tatsächliche Einkommensteuer, sondern eine fiktive Steuerzahlung unter Berücksichtigung der Kinderfreibeträge. Haushalte mit Kindern, die derzeit aufgrund der Günstigerprüfung die Freibeträge bei der Einkommensteuer nicht geltend machen, würden also schlechter gestellt. Die ZEW-Berechnungen weisen für den Alternativtarif ein Mehraufkommen von jährlich etwa 600 Mio. Euro aus. Mögliche Anpassungen beim Erwerbsverhalten sind in den Simulationen nicht berücksichtigt. Angesichts der Einkommenswirkungen von im Schnitt nur etwas über 1 Euro pro Monat und Haushalt dürften diese Erwerbsreaktionen aber zu vernachlässigen sein. Möchte der Staat mit einer Kindergelderhöhung jegliche Schlechterstellung der Haushalte vermeiden, so müsste das monatliche Kindergeld um etwa 17 Euro steigen. Die meisten Haushalte würden sich dann sogar leicht besserstellen, allerdings nur im Umfang von gut 2,50 Euro pro Monat. Für den Staat ergäbe sich eine effektive Belastung von etwa 1,4 Mrd. Euro pro Jahr.

Methodisches Vorgehen

Das detaillierte ZEW-Mikrosimulationsmodell3 erlaubt es abzuschätzen, wie sich Veränderungen im Steuer- und Transfersystem auf die öffentlichen Haushalte – d.h. das Steueraufkommen, die Einnahmen aus Sozialversicherungsbeiträgen und die Zahlung staatlicher Transferleistungen – sowie auf die Einkommensverteilung und zahlreiche verschiedene Haushaltstypen auswirken.

Wir abstrahieren von möglichen Reaktionen von Arbeitsangebot und -nachfrage, da die betrachteten Reformvarianten durchweg nur vergleichsweise geringe Auswirkungen auf das verfügbare Einkommen der Haushalte hätten. Trotz des statischen Kontextes geht das Mikrosimulationsmodell aber über einfache saldenmechanische Abschätzungen der Reformeffekte hinaus. Zum einen können die diversen Interaktionseffekte zwischen verschiedenen Abgaben und Leistungen berücksichtigt werden. Zum anderen erlaubt die Datenbasis, die Auswirkungen für die Gesamtheit aller unterschiedlichen Haushaltssituationen zu analysieren.

Als Datengrundlage für die Simulation dient die 2011er Welle des SOEP.4 Die repräsentative Stichprobe der Bevölkerung umfasst über 20 000 Personen in rund 11 000 Haushalten. Wir nutzen die im SOEP genannten Vorjahresangaben zu Einkommen und Beschäftigung und schrei­ben alle Einkommensangaben mittels des vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Verbraucherpreisindex fort. Um mögliche Verhaltensreaktionen und Beschäftigungsanpassungen aufgrund der Reformen zwischen dem Jahr der Beschäftigungsinformationen (2010) und dem Status quo (2015) zu berücksichtigen, simulieren wir die Änderungen des Arbeitsvolumens und der Löhne zwischen beiden Jahren.5

In einem ersten Schritt bilden wir das Steuer- und Transfersystem zum Rechtsstand 2015 nach. Dabei wird unter Berücksichtigung von Freibeträgen, Anrechnungspauschalen, Sonderausgaben sowie Abzugsbeträgen für außergewöhnliche Belastungen und sonstige Privataufwendungen das individuell verfügbare Nettoeinkommen für jeden Fall der Stichprobe gemäß dem jeweiligen Haushaltskontext berechnet. Anschließend werden die Ergebnisse mit den Fallgewichten multipliziert und damit auf die Gesamtpopulation hochgerechnet. Genauso werden für die betrachteten Reformvarianten die individuell zu leistenden Einkommensteuerzahlungen und die Nettoeinkommen der Haushalte ermittelt. Auf diese Weise können sowohl die Gesamteffekte als auch die Auswirkungen auf jeden einzelnen Haushalt analysiert werden.

Das zugrunde liegende Simulationsmodell ist in der Lage, die Steuer- und Transferzahlungen des geltenden Rechts sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene relativ exakt abzubilden. Im Kontext der diskutierten Reformen ist es etwa zentral, die doppelte Günstigerprüfung im Einkommensteuerrecht zwischen Kindergeld und Kinderfreibeträgen einerseits sowie Abgeltungsteuer und Einkommensteuertarif andererseits korrekt zu modellieren. Das Gleiche gilt gegebenenfalls für die Berücksichtigung und Anrechnung von Kindergeld und Lohnsteuerzahlungen auf Transferzahlungen wie das Arbeitslosengeld II. Nur wenn diese Interaktionen zwischen den verschiedenen Systemen umfassend modelliert werden, lassen sich die Effekte einer Änderung oder Abschaffung des Solidaritätszuschlags tatsächlich präzise abschätzen.

Ausgestaltung des Solidaritätszuschlags

Der Solidaritätszuschlag wird in der öffentlichen Wahrnehmung häufig auf einen einheitlichen Satz von 5,5% reduziert, der auf die Einkommensteuerzahlung zu entrichten sei. Dies ist jedoch aus zwei Gründen ungenau:

1. Die Bemessungsgrundlage ist nicht die tatsächliche Einkommensteuer, sondern eine fiktive Steuerschuld, bei der insbesondere die Kinderfreibeträge auch für diejenigen Haushalte berücksichtigt werden, die aufgrund der Günstigerprüfung das Kindergeld in Anspruch nehmen.

2. Es gibt nicht einen, sondern drei verschiedene Sätze für die Grenzbelastung durch den Solidaritätszuschlag. Unterhalb eines Freibetrags von 972 Euro Steuerschuld liegt die Belastung bei 0%.6 In einer sogenannten Milderungszone, die bei einem zu versteuernden Einkommen von 14 988 Euro endet, zahlen die Steuerpflichtigen zwar grundsätzlich bereits 5,5% der Bemessungsgrundlage (also der Einkommensteuerschuld), jedoch höchstens 20% des Differenzbetrags zwischen dieser Bemessungsgrundlage und dem Freibetrag. Dadurch werden zwar die Zahlungen gedeckelt, gleichzeitig beträgt die Grenzbelastung aber 20%. Erst beim Verlassen dieser Milderungszone, ab einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 14 988 Euro, beträgt die Grenzbelastung 5,5%.

„Naive“ Integration in den Einkommensteuertarif

Aus der Ausgestaltung des Solidaritätszuschlags folgt unmittelbar, dass eine „naive“ Integration des Solidaritätszuschlags, bei der sämtliche Grenzsteuersätze mit einem Faktor von 1,055 multipliziert würden, weder aufkommens- noch verteilungsneutral wäre. Die Simulationen des ZEW ergeben, dass sich dadurch jährlich etwa 800 Mio. Euro Mehraufkommen für den Staat ergäben (vgl. Tabelle 1, Spalte „Soli naiv“).7

Tabelle 1
Budgeteffekte im Vergleich zum Rechtsstand 2015
in Mrd. Euro pro Jahr
  Soli naiv Stöwhase/ Teuber Kindergeld
Gesamteffekt 0,8 0,6 -1,4
Steuern -0,7 -0,9 1,6
Davon Lohn- und Einkommensteuer 11,8 11,4 13,9
Davon Abgeltungsteuer 0,2 0,3 0,3
Davon Solidaritätszuschlag -12,7 -12,7 -12,7
Sozialversicherungen 0 0 0
Kindergeld 1,5 1,5 -3,2
Transferzahlungen (ALG II, Wohngeld, Kinderzuschlag) 0 0 0,3

Zahlen gerundet auf eine Nachkommastelle. Positive Werte bedeuten Mehreinnahmen (Steuern, Sozialversicherungen) oder Minderausgaben (Kindergeld, Transfers). Negative Werte stehen entsprechend für Mindereinnahmen und Mehrausgaben.

Quelle: Berechnungen mit dem ZEW-Mikrosimulationsmodell; Sozio-oekonomisches Panel (SOEP): Daten für die Jahre 1984-2011, Version 28, 2011, Rechtsstand 2015.

Ein unmittelbarer Effekt der Reform ist der Wegfall der Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag, der (simuliert) mit etwa 12,7 Mrd. Euro pro Jahr zu Buche schlägt. Im Gegenzug steigt durch den Zuschlag von 5,5% das Aufkommen aus der Einkommen- und Abgeltungsteuer. Der positive Wert von jährlich etwa 1,5 Mrd. Euro Einsparungen beim Kindergeld ergibt sich daraus, dass aufgrund der höheren Einkommensteuerbelastung mehr Haushalte die Kinderfreibeträge in Anspruch nehmen. Den Minderausgaben beim Kindergeld stehen entsprechend Mindereinnahmen bei der Lohn- und Einkommensteuer entgegen, die im in Tabelle 1 ausgewiesenen Wert von 11,8 Mrd. Euro bereits enthalten sind. Da durch die Reform das Nettoeinkommen der Haushalte leicht sinkt, kommt es zudem zu einem geringfügigen Anstieg bei den Transferausgaben im zweistelligen Millionenbereich (in der Tabelle nach Rundung jedoch als 0 ausgewiesen). Die Beiträge zur Sozialversicherung sind hingegen nicht betroffen.

Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Verteilungseffekte der Reform nach Familientyp, Kinderzahl und Dezilen des bedarfsgewichteten verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens. Im Schnitt kommt es zu einer sehr geringen monatlichen Belastung von 1,43 Euro pro Haushalt und Monat. Familien verlieren tendenziell etwas mehr als kinderlose Haushalte, da für letztere der Wegfall der fiktiven Bemessungsgrundlage irrelevant ist. Der Verlust steigt mit der Zahl der Kinder. Die größten Einkommenseinbußen treten im untersten Dezil auf, da diese heute häufig ganz vom Solidaritätszuschlag befreit sind, durch eine „naive“ Integration jedoch auch pauschal 5,5% zusätzlich auf die (geringe) Steuerschuld zahlen müssten. In den Dezilen 3 bis 5 kommt es ebenfalls zu etwas größeren Verlusten, da dieser Einkommensbereich vom Wegfall der Milderungszone betroffen ist. Haushalte in den oberen Dezilen der Einkommensverteilung verlieren hingegen tendenziell etwas weniger, da sich für sie die Grenzbelastung kaum ändert und sie – sofern sie Kinder haben – häufig bereits im Status quo die Kinderfreibeträge in Anspruch nehmen, sodass fiktive und tatsächliche Bemessungsgrundlage übereinstimmen. Die Unterschiede zwischen den Haushalten sollten aber vor dem Hintergrund der niedrigen Beträge und der hier nicht ausgewiesenen Stichprobenunsicherheit nicht überinterpretiert werden.

Tabelle 2
Veränderung der Durchschnittseinkommen
in Euro pro Monat
    Veränderung
  Status quo Soli naiv Stöwhase und Teuber Kindergeld
Gesamt 1986,80 -1,43 -1,08 2,56
Nach Familientyp
Singles 1171,50 -0,36 -0,07 0,01
Alleinerziehende 1311,30 -2,07 -1,86 7,83
Paare ohne Kinder 2269,70 -0,49 -0,05 -0,02
Paare mit Kindern 1985,10 -3,12 -2,78 6,28
Nach Kinderzahl
Keine 2050,40 -0,44 -0,06 0
Eins 2038,00 -2,33 -1,95 4,19
Zwei 1853,50 -3,34 -3,04 7,18
Drei 1646,20 -3,47 -3,24 9,97
Vier oder mehr 1457,20 -4,02 -3,86 12,71
Nach Dezilen des bedarfsgewichteten verfügbaren Einkommens
Ärmste 10% 766,80 -2,87 -0,17 3,82
2. Dezil 1062,90 -1,34 -0,85 5,25
3. Dezil 1252,20 -1,84 -1,38 4,01
4. Dezil 1435,60 -2,15 -1,72 3,26
5. Dezil 1622,50 -2,49 -2,08 3,02
6. Dezil 1829,70 -2,18 -1,81 2,28
7. Dezil 2090,20 -1,77 -1,41 1,71
8. Dezil 2423,40 -1,27 -0,9 0,93
9. Dezil 2954,10 -0,64 -0,38 0,45
Reichste 10% 5026,20 -0,43 -0,25 0,04

Quelle: Berechnungen mit dem ZEW-Mikrosimulationsmodell; Sozio-oekonomisches Panel (SOEP): Daten für die Jahre 1984-2011, Version 28, 2011, Rechtsstand 2015.

Gleiche Grenzbelastungen nur durch zusätzliche Progressionszonen im Einkommensteuertarif

Wie Stöwhase und Teuber zeigen, ließe sich die derzeitige kombinierte Belastung durch die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag aufgrund des „Solibuckels“ nur dann über den Einkommensteuertarif abbilden, wenn zwei zusätzliche Progressionszonen eingeführt würden.8 Tabelle 3 und Abbildung 1 zeigen den Verlauf des Tarifs. Stöwhase und Teuber weisen darauf hin, dass ihr Alternativtarif durch die zwei diskreten Sprungstellen einen Bruch mit dem derzeitigen linear-progressiven Tarif bedeuten würde; insbesondere die zweite Sprungstelle, also der Rückgang der Grenzbelastung von 29,60% auf 26,02%, sei politisch schwer durchsetzbar. Allerdings ist diese Sprungstelle bereits im aktuellen System aus Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vorhanden, sie würde also lediglich sichtbarer als bisher.

Tabelle 3
Tarifzonen und Grenzsteuersätze
  Geltendes Recht1 Alternativtarif
Beginn der Tarifzone in Euro Grenzsteuer­satz am Zonen­beginn/-ende2 in % Beginn der Tarifzone in Euro Grenzsteuer­satz am Zonen­beginn/-ende1 in %
1. Progressionszone 8 354 14,00/23,97 8 354 14,00/23,97
2. Progressionszone 13 469 23,97/42,00 13 469 23,97/23,97
3. Progressionszone - - 13 473 28,76/29,60
4. Progressionszone - - 14 988 26,02/44,31
1. Proportionalzone 52 881 42,00/42,00 52 881 44,31/44,31
2. Proportionalzone 250 730 45,00/ - 250 730 47,48/ -

1 Grenzsteuersätze ohne Solidaritätszuschlag.

2 Grenzsteuersätze in den Progressionszonen jeweils gerundet auf zwei Nachkommastellen.

Quelle: S. Stöwhase, M. Teuber: Ist eine Integration des Solidaritätszuschlags in den Einkommensteuertarif möglich?, in: Wirtschaftsdienst, 94. Jg. (2014), H. 12, S. 881.

Abweichungen in der Steuerschuld selbst bei gleichen Grenzbelastungen

Obwohl der in Tabelle 3 ausgewiesene Alternativtarif die derzeitigen Grenzbelastungen reproduziert, können sich dennoch für manche Haushalte Abweichungen von der derzeitigen Steuerschuld ergeben. Dies liegt zum einen an Sondertatbeständen (Progressionsvorbehalt und außerordentliche Einkünfte), die sich mit dem ZEW-Mikrosimulationsmodell jedoch nur eingeschränkt quantifizieren lassen und daher hier nicht behandelt werden.9

Zum anderen hätte eine Integration des Solidaritätszuschlags in den Einkommensteuertarif Folgen für die Steuerzahlungen der allermeisten Haushalte mit Kindern. Das liegt daran, dass die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag nicht die tatsächliche, sondern eine fiktive Einkommensteuerzahlung ist, bei der stets die Kinderfreibeträge Berücksichtigung finden.10 Die meisten Familien würden sich also aus diesem Grund durch die Reform schlechter stellen – eine Ausnahme bilden lediglich diejenigen Familien mit vergleichsweise hohem Einkommen, für die bereits im Status quo der Steuervorteil aus den Kinderfreibeträgen günstiger ist als das Kindergeld und für die mithin die fiktive und die tatsächliche Bemessungsgrundlage übereinstimmen.

Daraus folgt, dass auch der Alternativtarif – trotz gleicher Grenzbelastungen wie im Status quo – Aufkommens- und Verteilungswirkungen entfaltet. Wie die Berechnungen mit dem ZEW-Mikrosimulationsmodell zeigen, beliefe sich das jährliche Mehraufkommen auf etwa 600 Mio. Euro (vgl. Tabelle 1, Spalte „Stöwhase/Teuber“).11 Die Veränderungen der Einzelposten haben dieselben Vorzeichen wie im „naiven“ Szenario, fallen nun aber schwächer aus, da sich sämtliche Bewegungen allein aus dem Wegfall der fiktiven Bemessungsgrundlage ergeben, die Grenzbelastungen hingegen gleich bleiben.

Tabelle 2 zeigt die Verteilungseffekte des Szenarios. Die monatlichen Einkommenseinbußen fallen mit gerade einmal 1,08 Euro pro Haushalt sehr gering aus. Die Muster sind dieselben wie im Szenario der „naiven“ Integration: Zu den Verlierern zählen also tendenziell Haushalte mit Kindern in den mittleren Dezilen der bedarfsgewichteten Einkommensverteilung. Das ärmste Dezil ist nun kaum noch betroffen, da in dieser Reformalternative die Milderungszone berücksichtigt wird. Für Haushalte ohne Kinder ändert sich durch die Reform in der reinen Einkommensteuer nichts; die minimalen Veränderungen, die in Tabelle 2 auftreten, ergeben sich insbesondere durch die Interaktionen zwischen der Abgeltungsteuer (bei der eine einheitliche Erhöhung um 5,5% unterstellt wird) und der Einkommensteuer, für die der Tarif von Stöwhase und Teuber simuliert wird.

Abbildung 1
Grenzsteuersätze der Einkommensteuer im Status quo sowie nach Integration des Solidaritätzuschlags
31888.png

Quelle: eigene Berechnungen in Anlehnung an S. Stöwhase, M. Teuber: Ist eine Integration des Solidaritätszuschlags in den Einkommensteuertarif möglich?, in: Wirtschaftsdienst, 94. Jg. (2014), H. 12, S. 880.

Zielgenaue Kompensation durch Kindergelderhöhung schwierig

Wie von Stöwhase und Teuber diskutiert, ließe sich die Mehrbelastung der betroffenen Familien prinzipiell durch eine Kindergelderhöhung abfedern. Möchte man jegliche Schlechterstellung vermeiden, so müsste sich die Erhöhung an der maximalen Einbuße orientieren – wie Stöw­hase und Teuber zeigen, entspricht dies einer Kindergeld­erhöhung um monatlich 17 Euro. Die maximale Einbuße tritt dann auf, wenn sich der Haushalt durch die Berücksichtigung der Kinderfreibeträge im geltenden Recht gerade am Beginn der Milderungszone befindet.12 Familien, deren Einbußen durch die Veränderung der Bemessungsgrundlage geringer ausfallen, zählten dann im Saldo zu den Gewinnern der kombinierten Reform von Solidaritätszuschlag und Kindergeld. Entsprechend würde sich aber auch die fiskalische Bilanz verändern. Stöwhase und Teuber kommen in einer Überschlagsrechnung auf fiskalische Kosten von 2,8 Mrd. Euro für die Kindergelderhöhung. Sie vermuten, dass dem „vergleichsweise geringe Mehreinnahmen durch die beschriebenen Mehrbelastungen von Kindergeldbeziehern entgegenstehen“.13

Wir haben die entsprechende Reform mithilfe des Steuer-Transfer-Modells auf Basis der Daten des Sozio-oekonomischen Panels simuliert und gelangen dabei zu einer etwas günstigeren fiskalischen Bilanz. Wie Tabelle 1 zeigt, steigen durch die Reform die simulierten Ausgaben für das Kindergeld um etwa 3,2 Mrd. Euro. Dies ist leicht höher als die von Stöwhase und Teuber auf Basis der Zahlen für den tatsächlichen Kindergeldbezug ermittelten 2,8 Mrd. Euro, da wir auf Basis unserer Stichprobe die Zahl der Kinder mit Kindergeldbezug etwas überschätzen.

Wichtiger für die fiskalische Gesamteinschätzung sind jedoch die Kompensationsmechanismen, die die effektive Belastung für den Staat deutlich senken. Ein erster Effekt ergibt sich daraus, dass sich durch die Kindergeld­erhöhung die Günstigerprüfung zwischen Kindergeld und Kinderfreibeträgen (die annahmegemäß auf ihrem jetzigen Niveau verbleiben) verändert. Dadurch, dass weniger Haushalte die Freibeträge in Anspruch nehmen, steigt unter sonst gleichen Umständen das Einkommensteueraufkommen. Zweitens stehen den höheren Kindergeldausgaben aufgrund der Einkommensanrechnung Einsparungen beim Arbeitslosengeld II gegenüber. Drittens ergibt sich durch den Wegfall der fiktiven Bemessungsgrundlage beim Solidaritätszuschlag ein Mehraufkommen für den Staat von 1,6 Mrd. Euro – dies ist gerade die Wirkung, die durch die Kindergelderhöhung abgefedert werden soll.

Wie unsere Berechnungen zeigen, schießt dabei eine für alle Kinder einheitliche Erhöhung um 17 Euro über das Ziel hinaus: Unter Berücksichtigung der genannten Mechanismen ergibt sich eine effektive fiskalische Belastung von ca. 1,4 Mrd. Euro pro Jahr für den Staatshaushalt (vgl. Tabelle 1). Spiegelbildlich führt die kombinierte Reform aus Integration des Solidaritätszuschlags in die Einkommensteuer und Kindergelderhöhung für die privaten Haushalte zu einer leichten Besserstellung, die mit monatlich 2,56 Euro pro Haushalt jedoch sehr gering ausfällt (vgl. Tabelle 2). Anders als in den bisherigen Szenarien zählen nun die Familien zu den Gewinnern der Reform, während sich für kinderlose Haushalte nichts ändert. Die Gewinne steigen mit der Kinderzahl und konzentrieren sich in den unteren Dezilen der bedarfsgewichteten Einkommensverteilung; in den oberen Dezilen sind selbst nach der Kindergelderhöhung in manchen Fällen die Kinderfreibeträge günstiger, sodass die Erhöhung keine Konsequenzen für das verfügbare Einkommen hat.

Theoretisch wäre es denkbar, die Kindergeldanpassung gerade so auszugestalten, dass die kombinierte Reform für jeden einzelnen Haushalt und damit auch für den Staat selbst neutral ausfällt, abgesehen von Verwaltungskosten, die hier in den Simulationen nicht erfasst werden. Eine derart individualisierte Kindergeldzahlung, die zudem auf einem Vergleich mit einer kontrafaktischen Situation beruhen müsste (nämlich dem verfügbaren Einkommen vor der Reform), wäre aber kaum praktikabel. Auf entsprechende Modellrechnungen, die vor allem theoretischen Wert hätten, wird daher hier verzichtet.

Fazit

Im vorliegenden Beitrag haben wir die Verteilungs- und Aufkommenswirkungen zweier Varianten einer Integration des Solidaritätszuschlags in die Einkommensteuer simuliert. Unsere Berechnungen zeigen, dass eine „naive“ Integration des Solidaritätszuschlags ein Mehraufkommen für den Staat von jährlich etwa 800 Mio. Euro generieren würde. Der von Stöwhase und Teuber vorgeschlagene Alternativtarif, der auch den Freibetrag und die Milderungszone beim derzeitigen Solidaritätszuschlag berücksichtigt, wäre trotz unveränderter Grenzbelastungen ebenfalls nicht aufkommensneutral, da die Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags nach geltendem Recht nicht die tatsächliche Einkommensteuer ist, sondern eine fiktive Steuerzahlung unter Berücksichtigung der Kinderfreibeträge. Haushalte mit Kindern, die derzeit aufgrund der Günstigerprüfung die Freibeträge bei der Einkommensteuer nicht geltend machen, würden also schlechter gestellt. Möchte der Staat mit einer Kindergelderhöhung jegliche Schlechterstellung der Haushalte vermeiden, so müsste das monatliche Kindergeld um etwa 17 Euro steigen. Die meisten Haushalte würden sich dann sogar leicht besser stellen. Für den Staat ergäbe sich hieraus eine effektive Belastung von etwa 1,4 Mrd. Euro pro Jahr.

Die Analyse zeigt, dass der Solidaritätszuschlag nicht ohne Weiteres aufkommens- und verteilungsneutral in die Einkommensteuer integriert werden kann. Die Ursache hierfür liegt in der etwas vereinfachten Berechnung der Bemessungsgrundlage des „Solis“ (fiktive versus tatsächliche Einkommensteuer) sowie des „Solibuckels“ im Grenzsteuertarifverlauf. Angesichts der relativ geringen Einkommensverluste von im Schnitt nur etwas über 1 Euro pro Monat und Haushalt stellt sich jedoch die Frage, ob eine vollständige Kompensation der Haushalte, die bis zu 1,4 Mrd. Euro kosten würde und den Haushalten durchschnittlich 2,50 Euro pro Monat mehr Einkommen geben würde, notwendig ist. Ein Mittelweg wäre eine aufkommensneutrale Kompensation, die jedoch nicht alle Haushalte besser stellen würde. Hierfür müsste man das Kindergeld um etwas mehr als 5 Euro pro Monat erhöhen.

  • 1 Siehe dazu Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH: Verfassungskonformität und Zukunft des Solidaritätszuschlags – auch unter Berücksichtigung der Diskussion um den Abbau der kalten Progression, in: Deutsches Steuerrecht (DStR), H. 27/2014, Stuttgart 2014, S. 1309-1315.
  • 2 S. Stöwhase, M. Teuber: Ist eine Integration des Solidaritätszu-schlags in den Einkommensteuertarif möglich?, in: Wirtschaftsdienst, 94. Jg. (2014), H. 12, S. 879-886.
  • 3 Vgl. M. Löffler, A. Peichl, N. Pestel, H. Schneider, S. Siegloch: Effizient, einfach und gerecht: Ein integriertes System zur Reform von Einkommensteuer und Sozialabgaben, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 13. Jg. (2012), H. 3, S. 196-213. Eine ausführliche Darstellung und Dokumentation für Mikrosimulationsmodelle findet sich in M. Löffler, A. Peichl, E. Sommer, S. Siegloch, N. Pestel: Documentation IZAΨMOD v3.0: The IZA Policy Simulation Model, IZA Discussion Paper, Nr. 8553, 2014.
  • 4 Sozio-oekonomisches Panel (SOEP): Daten für die Jahre 1984-2011, Version 28, 2011.
  • 5 Vgl. A. Peichl, S. Siegloch: Accounting for Labor Demand Effects in Structural Labor Supply Models, in: Labour Economics, 19. Jg. (2012), H. 1, S. 129-138.
  • 6 Der Freibetrag entspricht einem zu versteuernden Einkommen von 13 473 Euro.
  • 7 Wir setzen das Szenario um, indem wir die Lohn-, Einkommen- und Abgeltungssteuerschuld pauschal um 5,5% erhöhen und im Gegenzug den Solidaritätszuschlag auf null setzen.
  • 8 S. Stöwhase, M. Teuber, a.a.O.
  • 9 Vgl. S. Stöwhase, M. Teuber, a.a.O., für eine Illustration anhand von Beispielhaushalten.
  • 10 S. Stöwhase. M. Teuber, a.a.O., gehen außerdem auf Abweichungen ein, die sich durch Abzugs- oder Hinzurechnungsbeträge zur tariflichen Einkommensteuer ergeben. Beispiele sind Abzüge wegen Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen oder eine Hinzurechnung, die sich aus der steuerlichen Behandlung von Riesterverträgen ergibt.
  • 11 Die Abgeltungsteuer wird in den Simulationen von der Einführung der neuen Tarifzonen ausgenommen. Stattdessen erhöhen wir die Steuerschuld pauschal um 5,5%, analog zur „naiven“ Integration.
  • 12 Paare mit einem Kind befinden sich im geltenden Recht bei gemeinsamer Veranlagung genau dann am Beginn der Milderungszone, wenn ihr zu versteuerndes Einkommen 33 954 Euro beträgt, denn (33 954 – 7 008)/2 = 13 473 Euro. Entfällt nun die Anrechnung der Kinderfreibeträge, dann entspricht die Bemessungsgrundlage der tatsächlichen Einkommensteuerschuld. Der Solidaritätszuschlag ist dann um 203 Euro höher als im Status quo. Pro Monat sind dies etwa 17 Euro.
  • 13 S. Stöwhase, M. Teuber, a.a.O., S. 885.

Title:Integration of the Solidarity Surcharge into the German Income Tax Schedule – Effects on Public Revenues and Distributional Consequences

Abstract:In order to cover the costs of the German reunification in 1990, the German government introduced a solidarity surcharge to the personal and corporate income tax. Twenty-five years later, the solidarity surcharge is still collected in addition to the regular income tax to finance the federal budget. It has recently been proposed to integrate the solidarity surcharge into the regular income tax schedule. In this paper, the authors analyse the redistribution and revenue effects of such a reform by using a highly detailed microsimulation model developed at ZEW Mannheim.


DOI: 10.1007/s10273-015-1826-7