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Die aktuell verbreitet niedrigen Zinsen mindern die Belastung durch die öffentliche Kreditaufnahme. Doch wird sich die Schuldenstandsquote EU-weit in Richtung auf das Maastricht-Kriterium von 60% des Bruttoinlandsprodukts zubewegen? Der Autor zeigt anhand modellhafter Betrachtungen, dass der Schuldenabbau über die Schuldenkrise in Griechenland hinaus für die gesamte Eurozone eine Aufgabe bleibt.

Mit Beginn des Anleihekaufprogramms (Public Sector Purchase Programme – PSPP; vereinfacht auch Quantitative Easing – QE genannt) der Europäischen Zentralbank (EZB) haben die Renditestrukturkurven bei Staatsanleihen im Euroraum neue Tiefstände erreicht. Für eine Reihe von Ländern bewegen sich Teile der Renditestrukturkurve sogar im negativen Terrain. Deutsche Staatsanleihen notierten Anfang Juni 2010 mit knapp 40% der gesamten ausstehenden Staatsschulden unter Null. Ca. 16% notierten sogar unterhalb des Einlagesatzes der EZB von -0,2%. Bei den französischen Staatsanleihen (Obligation Assimilable du Trésor – OAT) sahen die Zahlen ähnlich aus. In der gesamten Eurozone rentierte fast jede fünfte Staatsanleihe im negativen Bereich.1

Es stellt sich die Frage, ob die Renditetiefs die Staatsschulden zurückführen werden. Bekanntlich soll das Maastricht-Kriterium die öffentlichen Schulden auf maximal 60% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzen. Die nachfolgenden Grundüberlegungen zu einer modellhaften Betrachtung der Staatsschuldenentwicklung bauen auf Contessi auf, der wiederum auf Domar zurückgreift.2

Zentral ist das Verhältnis des realen Zinses, mit dem die öffentlichen Schulden refinanziert werden, zur realen volkswirtschaftlichen Wachstumsrate. Wird ein ausgeglichener Primärhaushalt unterstellt, ist für die Schuldendynamik entscheidend, dass der Realzins langfristig unterhalb der realen Wachstumsrate liegt. Nur dann kommt es zu einem Abbau der Staatsschulden über die Zeit. Der Staat wächst gleichsam aus seinen Schulden heraus, die Schuldenquote sinkt. Ist dies nicht der Fall, müssen Primärüberschüsse erzielt werden, um den Schuldenabbau voranzubringen. Holtfrerich und die von der Akademie der Wissenschaften Leopoldina einberufene Arbeitsgruppe zu den Staatsschulden sehen in dem Verhältnis von Wachstum und implizitem Zins „das wichtigste Kriterium für die Einschätzung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen bei anhaltender Nettoneuverschuldung.“3

Die Bedeutung des Zusammenspiels von Schuldentragfähigkeit, Nettoverschuldung und Wachstum spiegelt sich auch in den Maastrichter Kriterien zum Beitritt in die Gemeinschaftswährung wider. Die Verträge setzen für den EWU-Beitritt voraus, dass eine Schuldenquote von 60% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und eine Nettoneuverschuldung von 3% bei den öffentlichen Haushalten nicht überschritten werden. Damit sollte eine Stabilisierung, besser noch eine Rückführung der Schuldenquote erreicht werden. Aus damaliger Sicht (1992) erschien dies möglich. Die Unterzeichner der Verträge gingen davon aus, dass ein langfristiges, nominales Wachstum von 5% bei einer Inflationsrate von 2% auf Dauer realistisch bleibt. (Von diesen Wachstumsannahmen hat sich die Europäische Kommission allerdings verabschiedet.) Dass die beiden Kriterien selbst eher als eine Momentaufnahme der damaligen Erwartungen und politische Willensbekundung, mit einem möglichst großen Teilnehmerkreis zu beginnen, zu verstehen sind, und weniger als analytisch gefestigte Kenngrößen zur Schuldentragfähigkeit gewertet werden sollten, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung faktisch alle Länder außer Griechenland diesen beiden Kriterien gemäß hätten betreten können.4

Szenarioanalysen für den Wirkungszusammenhang von Niedrigzinsen und Schuldenquoten

Für die Szenariobetrachtungen wurde die Entwicklung der Schuldenquoten entlang der Formel

dt+1 = (1+rt+1) / (1+gt+1) * dt – pbt+1

gemäß Contessi und Domar untersucht.5 Die Schuldenquote d setzt den Schuldenstand des betrachteten Landes bzw. der Region in Relation zum BIP.

Ausgangspunkt waren die historischen wie aktuellen Schuldenquoten gemäß der Historical Public Debt Database des Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie des IMF World Economic Outlook.6 Davon ausgehend wurde untersucht, wie sich die reale Zinslast des öffentlichen Haushalts r, das jeweils über die Betrachtungszeiträume zunächst als konstant unterstellte Primärdefizit b (in Relation zum BIP) und die (reale) Wachstumsrate des BIP g entlang dieser Formel auswirken.

Die Betrachtung soll die Wirkungsweise der niedrigen impliziten Zinsen veranschaulichen, die auf den öffentlichen Schulden lasten. Für die weiteren Varianten wurden Annahmen bezüglich der Inflation p und des Primärhaushalts b getroffen. Das reale Wachstum wurde beispielhaft für vier Länder der EWU auf Basis der Daten der Europäischen Kommission geschätzt7 und aus den mit dem BIP gewichteten Wachstumsraten der Teilnehmerländer approximiert (vgl. Tabelle 1).8 Die Modellierung der impliziten Zinssätze, die auf die jeweiligen Haushalte entfallen, setzt an den aktuellen Schätzungen für die Jahre 2015 und 2016 der Europäischen Kommission an (vgl. Tabelle 2).9

Tabelle 1
Wachstumsschätzungen für das BIP
Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des realen BIP in %
  EWU Deutschland Frankreich Spanien Italien
2015 bis 2020 1,10 1,20 1,20 0,50 0,50
2021 bis 2030 1,39 0,90 1,40 1,80 1,20
2031 bis 2040 1,47 0,80 1,70 1,50 1,50
2041 bis 2050 1,52 1,00 1,80 1,00 1,50
2051 bis 2060 1,65 0,90 1,80 2,00 1,60

Quelle: Europäische Kommission; eigene Berechnungen, Stand: Mai 2015.

Tabelle 2
Implizite Realzinsen
In %
  EWU Deutschland Frankreich Spanien Italien
2015 2,8 2,4 2,3 3,2 3,2
2016 2,7 2,3 2,2 3,1 3,3

Quelle: Europäische Kommission; eigene Berechnungen, Stand: Mai 2015.

Die Beschränkung auf die vier Länder Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ergab sich aus der rein pragmatischen Überlegung, die Analyse nicht ausufern zu lassen, was eine Betrachtung aller Länder des Euroraums mit sich gebracht hätte. Entsprechend wurden die vier wirtschaftlich größten Länder der Eurozone gewählt, wobei diese sowohl die Kernunion (Deutschland und Frankreich), aber auch die Peripherieländer (Italien und Spanien) repräsentieren. Auch erscheinen ihre aktuellen Schuldenquoten als unterschiedlich genug, um zu differenzierten Aussagen zu gelangen.

Bei den Annahmen zu den künftigen Veränderungen des impliziten Zinssatzes auf die Staatsverschuldung wurde modellhaft berücksichtigt, dass dieser mit einem nachlaufenden Effekt auf Veränderungen der Zinsstrukturkurve reagiert. Das heißt: Renditeveränderungen an den Kapitalmärkten kommen nur zeitverzögert mit der Refinanzierung auslaufender Staatsanleihen bei den Finanzierungskosten für die öffentlichen Schulden an, da die Zinslast auf Veränderungen der Marktrenditen nur verzögert reagiert. Steigen die Renditen z.B. am Kapitalmarkt wieder, so kann es dennoch sein, dass der implizite Zins weiter sinkt, und dies solange höher rentierliche Altschulden mit aktuell niedrigeren, wenn auch insgesamt im Steigen begriffenen Zinsen refinanziert werden müssen.

Für den Euroraum und die betrachteten Mitgliedsländer wurde ein gleitender Rückgang vom jeweils impliziten Zinssatz von 2015 an auf ein Tief im Jahr 2020 unterstellt. Der dann modellgemäß einsetzende Zinsanstieg vollzieht sich bis 2030. Als Annäherung für ein „normales“ Zinsumfeld wurde die „Ultimate Forward Rate“ der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (European Insurance and Occupational Pensions Authority – EIOPA) gewählt, wie sie gemäß der Regularien für „Solvency II“ zum Einsatz kommt.10 Sie wird mit 4,2% für Staatsanleihen mit 15 und mehr Jahren Laufzeit angenommen, und sie setzt sich gemäß EIOPA aus den langfristigen Inflationserwartungen (2%) und der historischen Realverzinsung langlaufender Anleihen (2,2%) zusammen.

Da die Staatsanleihen in Deutschland und Frankreich eine durchschnittliche Laufzeit von etwas mehr als acht Jahren und im Falle Spaniens und Italiens von etwas mehr als zwölf bzw. neun Jahren haben,11 wurde für die durchschnittliche Rendite deutscher Anleihen ein ab 2030 wieder erreichter „Normalfall“ von 3,8% unterstellt. Da die Bundesanleihen de facto eine Benchmarkfunktion für die Bepreisung der Anleihen aus den anderen Ländern des Euroraums haben, wurden entsprechende Renditezuschläge („Spreads“) einberechnet.

Um ein Maß für marktgängige Renditezuschläge zu bekommen, wurden diese mit dem Durchschnitt der Phase vom Beginn der Währungsunion 1999 bis zum letzten Jahr ohne Krise (2007) angesetzt. Die eingerechneten Spreads bilden entsprechend einen Markt ohne Verzerrung durch die US-amerikanische Häuserpreiskrise und auch ohne die europäische Schuldenkrise ab und unterstellen für die Zukunft, dass die EWU störungsfrei fortgeführt wird. Für französische Staatsanleihen errechnet sich nach dieser Betrachtung ein Zuschlag von 7 Basispunkten, für spanische von 12 und für italienische von 25 Basispunkten. Für das gesamte Währungsgebiet lässt sich ein Renditezuschlag von 10 Basispunkten gegenüber Bundesanleihen aus der Historie ableiten. Werden alternativ die impliziten Zinsen nach Angaben der Europäischen Kommission aus den Jahren nach Einführung der Währungsunion und vor Ausbruch der Krisen herangezogen, kommt es zu ähnlichen Ergebnissen.12

Wie also sieht das Zusammenspiel von Niedrigzinsen und Schuldenentwicklung aus? Wann dürfte das Maastricht-Ziel einer Schuldenquote von 60% für die EWU insgesamt und Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien im Speziellen wieder erreicht sein? Die folgenden Szenarioanalysen zeigen die Entwicklungspfade auf.

Szenario 1: ausgeglichener Primärhaushalt, 2% Inflation

Vor dem Hintergrund der getroffenen Wachstumsannahmen und der Renditeerwartung wird bei dem Basisszenario unterstellt, dass die Inflation genau auf dem Zielwert der EZB von 2% liegt und der Primärhaushalt ausgeglichen ist. Das Ergebnis: Trotz des Niedrig-/Negativzinsumfeldes bei den getroffenen Annahmen kommt es nur – wenn überhaupt – temporär zu einem Rückgang der Schuldenquoten. Für Deutschland und Frankreich zeigt sich ein Rückgang über mehrere Jahre, bevor es entlang der Zinsentwicklung wieder zu einem Anstieg kommt (vgl. Abbildung 1). Im Falle Spaniens und Italiens entsteht bestenfalls eine Seitwärtsbewegung, bevor sich die Schuldenquoten wieder verschlechtern.

Abbildung 1
Entwicklung der Staatsschuldenquote in Deutschland
Staatsverschuldung in % des Bruttoinlandsprodukts
32122.png

Quelle: IMF: Historical Public Debt Database, IMF World Economic Outlook October; eigene Berechnungen, Stand: Mai 2015.

Kommt es erwartungsgemäß zu einer Normalisierung der Renditen, dann reicht ein ausgeglichener Primärhaushalt bei keinem der betrachteten Länder aus, um die Schuldenquote wieder auf 60% zurückzuführen, da auch in diesem, für die öffentlichen Haushalte günstigen Fall, die realen impliziten Zinsen entweder fast während des gesamten Zeitraums über den realen Wachstumsraten liegen (Spanien und Italien) oder sich entlang der unterstellten Zinsentwicklung von einem niedrigeren Niveau über diese hinaus entwickeln (Deutschland und Frankreich).

Beim Basisszenario wurde modellgemäß unterstellt, dass sich die Inflationsrate über den gesamten Zeitraum konstant auf 2%, dem Zielwert der EZB, bewegt. Das bedeutet auch, dass das QE-Programm sehr schnell den gewünschten Erfolg aufzeigen müsste, denn im aktuellen Zeitraum zeichnet sich eine Abkehr von den zeitweise negativen Inflationsraten nur ansatzweise und je nach Land sehr unterschiedlich ab. Wird mit einer Inflationsrate (Juni 2008) von 0,3% p.a. für den Euroraum modelliert, kommt es zu einer ungebrochenen Verschlechterung der Staatsschuldenquoten. Der reale implizite Zins übertrifft bei den aktuellen Inflationsraten in allen Fällen das reale Wachstum. Das heißt, selbst bei einem ausgeglichenen Primärhaushalt geht die Schuldenquote nicht zurück, sofern die Inflationsrate auf dem aktuellen Niveau verharrt. In zehn Jahren würde in diesem Fall die deutsche Schuldenquote bei über 80% liegen. In Frankreich würde sie bis 2025 auf über 108% ansteigen, in Spanien auf 119%, in Italien auf 165%.

Szenario 2: höhere Inflation hilft, aber …

Werden in der Szenarioanalyse durchgängig alternative Inflationsraten von 4% oder sogar 6% angenommen, stellt sich über die Zeit eine deutliche Verbesserung bei den Schuldenquoten ein, wobei das Schuldenkriterium allerdings erst in sehr unterschiedlich langen Zeiträumen wieder erreicht wird (vgl. Tabelle 3). Bei einer unterstellten Inflation von 4% würde es in Deutschland im Jahr 2021 erreicht. Am längsten würde Italien benötigen: bis über 2060 hinaus. Es bedarf also in Abhängigkeit des aktuellen Schuldenstandes trotz höherer Inflation in einigen Fällen eines sehr langen Atems. Bei einer unterstellten Inflation von 4% erreicht der Euroraum insgesamt das 60%-Kriterium im Jahr 2032, bei 6% im Jahr 2024.

Der Entlastungseffekt kommt allerdings nur zustande, weil unterstellt wurde, dass die Investoren sich über einen längeren Zeitraum bezüglich des Inflationsniveaus täuschen lassen. Das heißt, die Inflationsrate steigt zwar in den Beispielen auf 4% bzw. 6%, der nominale Zins bleibt aber davon unbeeinflusst und entwickelt sich entlang der Grundannahmen. Bei steigender Inflation und unverändertem Nominalzins sinkt ceteris paribus der Realzins, und dies umso mehr, je stärker die Inflation steigt. Dadurch wird der reale Zins unter die Wachstumsrate gedrückt, was zu dem Entlastungseffekt auf Seiten der Schulden führt. Der unterstellte Fall, dass sich die Inflation nicht in einem steigenden Zins und auch nicht in steigenden Staatsausgaben niederschlägt, wird allerdings mit ablaufender Zeit immer unrealistischer, d.h., je stärker die Investoren ihre Inflationserwartungen anpassen, desto schwächer wird der Entlastungseffekt bei den Schulden, da der Realzins zu steigen beginnt.

Tabelle 3
Basisvariante mit unterschiedlichen Inflationsraten
Jahr, in dem das Maastricht-Kriterium von 60% erfüllt wird
Inflation EWU Deutschland Frankreich Spanien Italien
2% Staatsschuldenanstieg
4% 2032 2021 2038 2048 > 2060
6% 2024 2019 2025 2028 2038

Quelle: eigene Berechnungen, Juni 2015.

Hilft mehr Wachstum beim Schuldenabbau?

In einem nächsten Schritt wird beispielhaft angenommen, alle Euroländer würden über die nächsten Jahrzehnte um durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte stärker wachsen, als die Europäische Kommission es erwartet. In diesem Fall zeigt sich ein nur marginal verändertes Bild.

Auch ein höherer Wachstumspfad ist in der Kombination mit dem Niedrigzinsumfeld nicht ausreichend, um bei der Variante mit 2% Inflation einen Rückgang der Schuldenquote zu ermöglichen (vgl. Tabelle 4). Selbst das dann höhere reale Wachstum reicht nicht aus, um die Schuldendynamik zu stoppen oder gar umzukehren, da auch bei einem um 0,5% höheren Wachstum die realen Zinsen nicht dauerhaft darunter liegen.

Tabelle 4
Variante mit höherem Wachstum
Jahr, in dem das Maastricht-Kriterium von 60% erfüllt wird,
Wachstum +0,5 Prozentpunkte gegenüber der Basisvariante
Inflation EWU Deutschland Frankreich Spanien Italien
2% >2060 Staatsschuldenanstieg
4% 2028 2020 2032 2037 2057
6% 2023 2019 2024 2026 2035

Quelle: eigene Berechnungen, Juni 2015.

Überschuss im Primärhaushalt entscheidend

Damit es zu einem schnellen Rückgang der Schuldenquoten kommt, ist der Primärhaushalt entscheidend, zumindest solange deutlich höhere Wachstumsraten, als die von der Europäischen Kommission unterstellten, nicht erreicht werden können. Kann ein Primärüberschuss von 1% des BIP erzielt werden, erreichen alle betrachteten Länder auch bei einer durchschnittlichen Inflation von 2% die 60%-Hürde – wenn auch in Abhängigkeit von ihren aktuellen Schuldenquoten und Wachstumsraten mit deutlich unterschiedlichen Zeitspannen (vgl. Tabelle 5).

Je nach aktuellem Schuldenstand und je nach Wachstumsaussichten und Inflationsannahmen kann es allerdings sehr lange dauern, bis das Schuldenkriterium wieder erreicht wird. Deutschland würde das Schuldenkriterium unter den getroffenen Annahmen im Jahr 2022 erreichen; Frankreich erst 2053; Spanien und Italien deutlich nach dem Jahr 2060 – zu lange also, um die unterstellten Annahmen bis dahin einfach als gegeben betrachten zu können.

Tabelle 5
Variante mit Primärüberschuss
Jahr, in dem das Maastricht-Kriterium von 60% erfüllt wird,
Primärüberschuss +1% gegenüber Basisvariante
Inflation EWU Deutschland Frankreich Spanien Italien
2% 2041 2022 2053 > 2060 >> 2060
4% 2025 2019 2027 2030 2046
6% 2022 2018 2023 2025 2032

Quelle: eigene Berechnungen, Juni 2015.

Was wäre ohne Niedrigzinsumfeld?

Die Niedrig-/Negativzinsphase verschafft den nationalen Haushalten temporär eine Entlastung. Diese reicht allerdings alleine nicht aus, um zu einer nachhaltigen Reduktion der Schuldenquoten zu führen. Die Schuldenentwicklung würde ohne Niedrigzinsen allerdings noch deutlich schwieriger vonstattengehen. Höhere Zinskosten müssten durch stärkere Einsparungen im Primärhaushalt kompensiert werden oder direkt durch höhere Steuern.

Was diese Entlastung bedeutet, wird am Beispiel Deutschlands deutlich. In Falle eines Zinssatzes von 5% würde sich die Schuldenquote Deutschlands bei 2% Inflation von aktuell knapp über 70% auf über 85% innerhalb der nächsten zehn Jahre verschlechtern. Es bedürfte deutlich höherer Inflationsraten, um im Rahmen der getroffenen Annahmen einen Rückgang der Schuldenquote zu bewirken. Bei 4% Inflation käme es zu einem ungebremsten, langsamen Anstieg. Bei 6% Inflation würde das Maastricht-Kriterium 2024 erreicht. Die unterstellten 5% entsprechen dem durchschnittlichen impliziten Zins der Jahre 1997 bis 2007, einem Zeitraum also vor Ausbruch der US-amerikanischen Häusermarkt- und Euro-Finanzkrise. Zum Vergleich: Für 2015 wird eine durchschnittliche Effektivverzinsung der deutschen Staatsschuld von 2,4% erwartet.

Abschließende Beurteilung

Die Analyse zeigt: Der positive Effekt der Niedrigzinsen für die öffentlichen Haushalte tritt nur temporär ein und entlang der zukünftigen Entwicklung des Zinsniveaus, zu dem sich die Staaten refinanzieren können.

Die Schuldendynamik verdeutlicht das Zusammenspiel von Wachstum und Refinanzierungskosten. Das heißt, die realen impliziten Zinsen, zu denen sich die Staaten refinanzieren, müssten dauerhaft noch deutlich niedriger sein, damit bei den betrachteten Ländern ein Herauswachsen aus den Schulden gelingt – oder die Wachstumsraten müssten die Erwartungen übertreffen.

Höhere Inflationsraten könnten unter den getroffenen Annahmen zu einem merklichen Rückgang der Schuldenquoten führen, allerdings nur, wenn sich die Anleger von der Inflationsentwicklung dauerhaft täuschen lassen. Höhere Inflationsraten scheiden als Stellgröße jedoch aus, da die Geldpolitik dann gegen das Gebot der Preisstabilität verstoßen würde.

Ohne Primärüberschüsse in den öffentlichen Haushalten kommt es auch bei ansonsten historisch günstigen Finanzierungsbedingungen für die Staatsschulden nicht zu einer dauerhaften Rückführung der Schuldenquote. Bei den Primärhaushalten liegt die eigentliche Lösung zum Schuldenabbau.

  • 1 Datengrundlage Bloomberg vom 10.6.2015, eigene Berechnungen.
  • 2 Vgl. S. Contessi: An Application of Conventional Sovereign Debt Sustainability Analysis to the Current Debt Crises, in: Federal Reserve Bank of St. Louis Review, Mai/Juni 2012, S. 199 f.; vgl. E. D. Domar: The „burden of the debt“ and the national income, in: American Economic Review, 34. Jg. (1944), H. 4, S. 798-827.
  • 3 Vgl. C.-L. Holtfrerich et al.: Staatsschulden: Ursachen, Wirkungen und Grenzen, Bericht, Halle 2015; vgl. C.-L. Holtfrerich: Staatsschulden: Ursachen, Wirkungen und Grenzen, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 8, S. 529-533. Dabei werden, wie bei dieser Analyse auch, nur die expliziten, also die bereits haushaltswirksamen Schulden betrachtet, nicht die impliziten. Bei einer Betrachtung der impliziten Schulden müssten die zukünftig aus heute bereits eingegangenen Verpflichtungen entstehenden Ausgaben des Staates mit einbezogen werden. Vgl. S. G. Cecchetti, M. Mohanty, F. Zampolli: The future of public debt: prospects and implications, Basel 2010.
  • 4 Vgl. C.-L. Holtfrerich et al., a.a.O.
  • 5 Anders als bei Contessi, wurde der Münzgewinn der Zentralbank in der Gleichung nicht gesondert betrachtet sondern implizit in den Primärhaushalt einberechnet.
  • 6 Vgl. International Monetary Fund: World Economic Outlook. Uneven Growth. Short- and Long-Term Factors, Washington 2015; vgl. ders.: Historical Public Debt Database, Fiscal Database, http://www.imf.org/external/ns/cs.aspx?id=262 (20.6.2015).
  • 7 Vgl. European Commission: The 2015 Ageing Report. Economic and budgetary projections for the 28 EU Member States (2013-2060), Brüssel 2015, S. 221.
  • 8 Vgl. Eurostat: GDP and main components (output, expenditure and income), http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=nama_10_gdp&lang=en (20.6.2015).
  • 9 Vgl. European Commission: Implicit Interest Rate for Gross Public Debt. Economic and Financial Affairs - Indicators -AMECO database, http://ec.europa.eu/economy_finance/ameco/user/serie/SelectSerie.cfm (20.6.2015).
  • 10 Vgl. EIOPA: Consultation Paper on a Technical document regarding the risk free interest rate term structure, Frankfurt a.M. 2014.
  • 11 Daten gemäß Bloomberg, Stand Juni 2015.
  • 12 Vgl. European Commission, a.a.O.

Title:Can Monetary Policy and Low Interest Rates Lead to a Sustainable Decline of Public Debt?

Abstract:Huge parts of the yield curve in several countries of the European Monetary Union entered negative territory after the European Central Bank started its Public Sector Purchase Programme (PSPP) in March 2015. The implicit interest rate for public deficits therefore has reached new lows after years of yield reductions. This paper will show that even such a favourable yield environment will not lead to a sustainable reduction of debt-to-GDP ratios and that it takes more than just low or negative yields to bring these ratios back in line with the Maastricht level of 60 per cent. This will be even more apparent when long-term yields head back to normal, driving the real rate of interest above the real rate of growth.

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DOI: 10.1007/s10273-015-1876-x