TTIP: Endgültig gescheitert?
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat die TTIP-Verhandlungen für gescheitert erklärt. Dabei kann er selbst die Verhandlungen gar nicht scheitern lassen, denn diese führt von europäischer Seite allein die EU-Kommission. Die dort zuständige Kommissarin Cecilia Malmström hat flugs erklärt, gar nichts sei gescheitert, und auch Bundeskanzlerin Angelika Merkel beeilte sich zu versichern, dass selbstverständlich weiterverhandelt werde. Insofern stellt die Aussage von Gabriel nicht viel mehr als eine Prognose dar, aber diese Prognose hat eine sehr hohe Eintrittswahrscheinlichkeit. Dazu haben auch die Verlautbarungen des französischen Staatssekretärs für Außenhandelsfragen, Matthias Fekl, beigetragen, Frankreich werde Ende September beim Außenministertreffen in Bratislava den „klaren und definitiven Abbruch“ der Verhandlungen beantragen.
Ob dieser Antrag tatsächlich gestellt und angenommen oder ob aus dem klaren und definitiven Abbruch nicht doch noch eine Suspendierung wird, bleibt abzuwarten. Klar ist indes schon heute, dass ein solches Scheitern wohl keine Katastrophe wäre. Denn hier verhandeln zwei Regionen miteinander, die bereits jetzt nicht allzu weit vom Freihandel entfernt sind. Der weitere Abbau noch verbliebener Handelsschranken wäre sicherlich mit Wachstums- und Beschäftigungsgewinnen verknüpft, aber nicht mit allzu großen. Dafür müsste die EU, wenn sie zu einem raschen Abschluss kommen will, eine Reihe stattlicher Kröten schlucken, die ihr von der US-Seite zugemutet werden.
Die dickste Kröte hockt beim Investorenschutz. Hierzu hatte die EU-Kommission – nicht zuletzt auf Drängen von Sigmar Gabriel – im Herbst 2015 einen Entwurf vorgelegt, der auf die Etablierung eines TTIP-Investitionsgerichtshofs setzt (ohne ihn explizit so zu nennen). Von solch einem Gerichtshof hätte erwartet werden können, dass er zu abgewogeneren Urteilen gelangt wäre und eine Kontinuität in der Rechtsprechung entwickelt hätte, die den von der US-Seite favorisierten privaten Schiedsgerichten weitgehend fehlt. Im CETA-Abkommen zwischen Kanada und der EU, das sich zurzeit im Prozess der Ratifizierung befindet, ist ein solcher Gerichtshof vorgesehen, bei TTIP beharren die USA dagegen auf privater Schiedsgerichtsbarkeit.
Zum zweiten geht es um die öffentliche Beschaffung. Der Staat in Europa ist weitgehend daran gewöhnt, sein Beschaffungswesen nach wettbewerblichen Gesichtspunkten zu gestalten. Davon sind die USA weit entfernt. Nach wie vor gilt der Buy American Act aus dem Jahr 1933, der die Gebietskörperschaften dazu anhält, im Inland hergestellte Produkte zu bevorzugen. Verbindliche Zusagen, das zu ändern, können die TTIP-Verhandler aber nur für die Bundesebene treffen, nicht dagegen für die Ebenen der einzelnen Staaten und Kommunen. Da (zumindest außerhalb des Militärbereichs) das Beschaffungswesen stark von kommunalen Aktivitäten dominiert wird, würde ein unter Zeitnot ausgehandeltes TTIP-Abkommen wohl dazu führen, US-Unternehmen einen Marktzugang in Europa zu verschaffen, der in der Gegenrichtung weitgehend versperrt bliebe.
Das dritte Problem ist die regulatorische Kooperation. Tatsächlich haben erst die TTIP-Leaks im Mai 2016 ans Licht gebracht, dass sich die US-Seite darunter sehr viel mehr vorstellt als die gegenseitige Information und Konsultation bei Gesetzesvorhaben mit regionenübergreifenden Auswirkungen. Die US-Seite verlangt bei solchen Vorhaben die ausführliche Prüfung von Alternativen – andernfalls müssten die Gesetzesvorhaben in der Schublade verbleiben. Wenn die EU diese Kröte schluckte, wäre ihre legislative Souveränität in nicht hinnehmbarer Weise beschnitten.
Dennoch wäre es schade um TTIP. Bei einem Scheitern könnte die EU auf lange Sicht auch bei anderen Handels- und Investitionsabkommen gelähmt sein. Verhandlungen mit China und Indien beispielsweise, die sich bereits in der Planung befinden und bei denen es um den Abbau wirklich substanzieller Handelshürden geht, könnten mit ins Trudeln geraten. In der Handelsdiplomatie wird dieses Argument als Fahrrad-Theorem bezeichnet, nach dem umkippt, wer den Schwung verliert. Möge der Schwung zurückkehren, wenn sich der Pulverdampf der Wahlkämpfe diesseits und jenseits des Atlantiks gelegt haben wird.
Italiens Bankensektor: Unter Druck
Seit nunmehr acht Jahren kommt der italienische Bankensektor nicht in ruhiges Fahrwasser – und das obwohl zunächst milliardenschwere staatliche Rettungsprogramme aufgelegt wurden. Italiens Bankensektor ist der älteste Europas. Die Banca Monte dei Paschi di Siena, die drittgrößte italienische Bank, ist gerade wieder einmal gerettet worden. Die privatwirtschaftlich organisierte Rettungsaktion mit frischem Kapital und der Idee, die notleidenden Kredite an einen Finanzinvestor zu verkaufen, hat verhindert, dass sich eine neue Bankenkrise epidemisch ausbreitet. Dennoch sind die Aktienkurse etlicher Bankhäuser unter Druck geraten. Die Anleger haben das Signal verstanden. Jede Rettung ist nichts anderes als das Symptom einer entschleunigten Bankenreform.
In Italien haben sich die notleidenden Kredite im Bankensektor seit der internationalen Finanzkrise 2008 nicht verringert – sondern vermehrt. Es ist von 360 Mrd. Euro die Rede – erfahrungsgemäß geben solche Zahlen eher die Größenordnung als die faktische Summe wieder. Der größte Teil dieser jetzt als problematisch eingestuften Finanzierungen geht auf Kreditgeschäfte mit dem italienischen Unternehmenssektor zurück. Das Insolvenzrisiko der Unternehmen wurde in das Kreditrisiko der Geschäftsbanken transformiert. Zur aktuellen Bankenkrise in Italien waren also gar keine komplexen, internationalen Finanzprodukte notwendig. Sie ist hausgemacht.
Die aktuelle Krise des italienischen Bankensektors ist jedoch nur teilweise ein Resultat eines Geschäftsmodells, das auf Risiko setzt. Das Risiko von Kreditausfällen ist in konjunkturell schwachen Zeiten besonders hoch. Banken konnten das auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zurückgehende Risiko in der Vergangenheit relativ gut einschätzen. Jetzt jedoch haben sich die Rahmenbedingungen des Bankgeschäfts stark verändert. Jahre nach der internationalen Finanzkrise hat die Europäische Union neue Regulierungsvorschriften vorgelegt und nimmt gerade die größeren Banken genauer unter die Lupe. Dazu kommt die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Für Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB fallen inzwischen negative Zinsen an. Das Kreditgeschäft an Unternehmen soll so belebt werden.
Die großen Banken hatten in der internationalen Finanzkrise gelernt, dass es der Politik in Europa schwer fällt, Bankenschließungen mitzutragen. Klare Kapitalschnitte und radikale Maßnahmen wurden 2008 vermieden. Die bedingungslose, staatliche Bankenrettung ist mit den neuen Spielregeln nicht mehr möglich. Heute ist eine Einbeziehung von Gläubigern und damit Anlegern, aber auch Sparern ein zentrales Element von staatlichen Bankenrettungsprogrammen. Jede staatliche Bankenrettung hätte weitreichende Konsequenzen – nicht nur für das Vertrauen in die Kreditinstitute, sondern auch für die Alterssicherung.
Der italienische Bankensektor ist ein Beispiel für die Folgen einer verschleppten Bankenreform. Auch wenn der deutsche Bankensektor strukturell anders aufgestellt ist, so sind es auch hier immer wieder die größeren Kreditinstitute, die in die Schlagzeilen geraten. In der EU ist der Finanzsektor immer noch im Umbruch. Das Thema Bankenrettung wird so noch lange erhalten bleiben.
Brexit: Konsequenzen für den EU-Haushalt
Ein Argument der Brexit-Befürworter lautete, Großbritannien würde jede Woche die exorbitante Summe von 350 Mio. £ an die EU überweisen. Tatsächlich ist Großbritannien trotz des sogenannten Britenrabatts der zweitgrößte Nettozahler in der EU, auch wenn sich die Summe auf nur ca. 160 Mio. £ pro Woche beläuft. Die Briten tragen damit rund 6% zum EU-Budget bei, während Deutschlands Anteil mehr als doppelt so groß ist. Der Brexit wird also Auswirkungen auf das EU-Budget haben und zu Ausgabenkürzungen oder Einnahmeerhöhungen führen müssen. Bleiben die Ausgaben ungekürzt, würde das für Deutschland eine Erhöhung um rund 2,5 Mrd. Euro pro Jahr bedeuten, ausgehend von derzeit rund 30 Mrd. Euro. Auch wenn der Effekt bescheiden ist, werden Erhöhungen der EU-Beiträge in den Mitgliedstaaten momentan politisch nicht gut ankommen.
Andererseits wird man in der zerstrittenen EU kaum in der Lage sein, sich auf Haushaltskürzungen zu einigen. Die weniger entwickelten Staaten werden weiter auf Strukturhilfen bestehen, und Länder wie Frankreich werden sich gegen Kürzungen im Agrarbereich sträuben, was die beiden größten Posten ausmacht. Zudem wird immer wieder betont, dass man mit Großbritannien ein Mitgliedsland verliert, das traditionell auf schlanke Budgets pochte. Wenn sich das politische Gleichgewicht in der EU durch den Brexit verschiebt, befürchten viele Beobachter zukünftig entsprechend weniger Ausgabendisziplin. Die Kommission ihrerseits wird darauf beharren, dass die Mittel unvermindert hoch bleiben, hat deren Präsident Juncker doch ehrgeizige Investitionsziele formuliert. Kürzungen sind also eher nicht zu erwarten.
Wie stark der Effekt auf das Budget sein wird, hängt in erster Linie davon ab, ob Großbritannien vollständig als Zahler ausfällt, wovon jedoch nicht auszugehen ist. Universitäten, Banken und andere Unternehmen werden drängen, weiter Zugang zum europäischen System von Forschungsförderung, Binnenmarkt und sogar eingeschränkter Personenfreizügigkeit zu behalten. Wenn sich aber Großbritannien entschließen sollte, neben Norwegen, Island und Liechtenstein Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum zu bleiben, wäre der Budgetffekt minimal, da diese Länder ebenfalls zum EU-Budget beitragen. In diesem Fall würden die britischen Zahlungen lediglich um 9% zurückgehen, da man auch den Britenrabatt verlieren würde. Sollte man sich stattdessen für das weniger enge Schweizer Modell entscheiden, gingen die Beiträge der Briten um etwas mehr als die Hälfte zurück.
Aber während die Schweiz, ähnlich wie Großbritannien, vor gut zwei Jahren entschieden hat, die Freizügigkeit von Personen nicht mehr akzeptieren zu wollen, ist mittlerweile klar geworden, dass diese eigentlich eindeutige Entscheidung nicht so radikal umgesetzt werden soll. Ein aktueller Vorschlag dort ist, Notfallklauseln zu schaffen, die die Freizügigkeit der Personen einschränken und Inländervorrang bei Arbeitsplätzen schaffen. Ähnlich gelagert ist ein Vorschlag des Brüsseler Thinktanks Bruegel, wonach die EU „Kontinentale Partnerschaften“ eingehen solle, die die Personenfreizügigkeit einschränken, aber jene von Gütern, Kapital und Dienstleistungen erhalten. Angesichts des Widerstands auch in vielen EU-Ländern gegen die Zuwanderung ist davon auszugehen, dass ein so gelagerter Vorschlag gute Chancen hat, am Ende akzeptiert zu werden, wenn auch gegen den sicheren Widerstand der Kommission. Wenn das aber so kommt, ist ein vollständiger Bruch Großbritanniens mit der EU nicht zu erwarten. Stattdessen erscheint ein „Brexit light“ im Moment wahrscheinlicher, der nur geringe Auswirkungen auf das Budget der EU haben wird.
Gesetzliche Krankenversicherung: Parität – mehr Symbol als Wirkung
Die Leistungsausgaben der Krankenkassen steigen im langfristigen Trend stärker als die beitragspflichtigen Einkommen der Versicherten: Von 1991 bis 2015 sind die Leistungsausgaben pro Jahr je Mitglied um 3,2% gewachsen, die beitragspflichtigen Einkommen hingegen nur um 1,9%. Entsprechend ist der durchschnittliche Beitragssatz in dieser Zeit von 12,3% auf 15,5% gestiegen – dass er nicht noch stärker stieg, ist dem seit 2004 gezahlten Bundeszuschuss zu verdanken, der im letzten Jahr 11,5 Mrd. Euro betrug. Die jüngsten Gesundheitsreformen mit ihren ausgabensteigernden Elementen haben die Schere weiter geöffnet, und der bevorstehende Alterungsprozess der Bevölkerung wird den Trend weiter verstärken.
Entweder hebt daher der Gesetzgeber den Beitragssatz für die Beiträge an den Gesundheitsfonds an, so dass dieser den Krankenkassen entsprechend steigende Mittel zuweisen kann. Oder die Unterdeckung der Ausgaben der Kassen nach den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds erhöht sich, und sie müssen ihre Zusatzbeiträge anheben. Während Erhöhungen der Beitragssätze zum Gesundheitsfonds paritätisch von Versicherten einerseits und Arbeitgebern (bei Erwerbstätigen) und Rentenversicherungsträgern (bei Rentnern) andererseits getragen werden, treffen steigende Zusatzbeiträge allein die Versicherten. Ob die Arbeitgeber an den steigenden Beitragssätzen beteiligt werden sollten oder nicht, wird kontrovers diskutiert. Das erstmalige Abrücken von der Beitragsparität bei der gemeinsam von der damaligen rot-grüner Bundesregierung und der CDU/CSU beschlossenen Gesundheitsreform 2003 stand ganz im Zeichen der Agenda 2010 von Kanzler Schröder. Die Lohnnebenkosten sollten gesenkt werden, um dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken und Beschäftigungsimpulse zu geben.
Festgeschriebene Arbeitgeberbeiträge machen es möglich, die aufgrund der hohen Beschäftigungsintensität im Gesundheitswesen positiven binnenwirtschaftlichen Effekte steigender Kassenausgaben ohne negative Effekte bei den Lohnnebenkosten zu realisieren. Nicht überraschend hat seit der Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge das Engagement der Politik für Kostendämpfung im Gesundheitswesen spürbar abgenommen. Dies ist eine ambivalente Nachricht: Ineffizienzen werden weniger energisch angegangen, aber es werden auch weniger Versorgungslücken aufgerissen, und chronisch Kranke werden eher von Leistungskürzungen und Erhöhung von Zuzahlungen verschont. Im Gegenteil hat die Gesundheitspolitik Bereiche identifiziert, in denen sie zutreffenderweise davon ausgeht, dass Unterversorgung besteht (etwa: Palliativversorgung) und hier die Leistungen der Krankenkassen sogar ausgebaut.
Inwieweit es bei festgeschriebenen Arbeitgeberbeiträgen tatsächlich per Saldo zu einer Entlastung der Arbeitgeber kommt, ist im Übrigen ungewiss. Denn die Verteilungsspielräume in den Tarifverhandlungen sind größer. Umgekehrt würden sich die Arbeitgeber bemühen, steigende Lohnnebenkosten durch geringere Lohnzuwächse auch auf die Arbeitnehmer abzuwälzen. Eine Wiedereinführung der Parität würde somit partiell zu einer Rückverlagerung von Lohnkosten zu Lohnnebenkosten führen. Insgesamt zeigt sich: Wer nicht in erster Linie ideologisch vorgeprägt ist, wird kaum zu einem eindeutigen Urteil kommen.
Wenn sich die Politik für eine Wiedereinführung der Parität entscheidet, sollte sie allerdings in jedem Falle nicht zu krankenkassenspezifischen Unterschieden der Arbeitgeber-Beitragssätze zurückkehren, wie sie vor 2009 bestanden. Die Kassenwahlentscheidung der Versicherten sollte auf ihre Präferenzen rekurrieren und nicht unter dem Einfluss des an der Minimierung von Lohnnebenkosten interessierten Arbeitgebers stehen.