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Populismus macht sich breit: das zeigen der Brexit, die Wahl Donald Trumps, die befürchteten Ergebnisse der Wahlen in den Niederlanden und Frankreich sowie das Erstarken der AfD in Deutschland. Erklärt wird dieser Trend häufig sozio-kulturell mit einer Skepsis gegenüber der modernen globalisierten Welt. Adalbert Winkler präsentiert einen anderen Erklärungsansatz, der den Blick vor allem auf die ökonomischen Gründe lenkt. Er beschreibt die Entwicklung der dominierenden ökonomischen Dogmen und deren Einfluss auf die Politik sowie die Veränderung der globalen wirtschaftlichen Verflechtungen und deren Folgen für die Beschäftigten. Abschließend analysiert er die Erfolgsaussichten einer Politik, die von Populisten zur Lösung der entstandenen Probleme angeboten wird.

In den Kommentarspalten herrscht seltene Einigkeit: mit der Wahl Donald Trumps hat endgültig das Zeitalter des Populismus begonnen.1 Kontrovers wird allerdings über die Ursachen des Aufstiegs populistischer Strömungen debattiert. Eine Seite betont vor allem ökonomische, eine andere verstärkt sozio-kulturelle Ursachen.2 Dieser Beitrag argumentiert, dass die beiden Ursachen praktisch nicht zu unterscheiden sind. Die sozio-kulturellen Beweggründe des Populismus haben nämlich eine starke ökonomische Grundlage. Diese ökonomische Grundlage hat zudem einen wahren Kern, ist also nicht populistisch. Deshalb ist eine Auseinandersetzung mit populistischen Strömungen, die allein auf sozio-kulturellen Argumenten beruht, wenig erfolgversprechend.

Ökonomische versus sozio-kulturelle Erklärungen des Populismus

Es ist unstrittig, dass in den entwickelten Volkswirtschaften seit den 1980er Jahren eine zunehmende Ungleichverteilung bei Einkommen und Vermögen festzustellen ist.3 Bekannt ist auch, dass je enger man „reiche Haushalte“ definiert, also die reichsten 5% oder gar das reichste 1%, die Divergenz der Einkommen und Vermögen dramatisch steigt. Hinzu kommt eine Stagnation bzw. sogar ein Rückgang der Realeinkommen weiter Bevölkerungskreise. So sind in den USA zwischen 1990 und 2015 die Realeinkommen der ärmsten 40% der Haushalte gesunken, die Realeinkommen der nächsten 40% marginal bzw. maßvoll gestiegen, während die oberen 20% einen Realeinkommenszuwachs um 27% erzielten.4 Schließlich ist die Einkommenserzielung selbst für viele Menschen im Laufe der Zeit immer prekärer geworden.

Strittig ist aber, ob der Aufstieg des Populismus überwiegend ökonomisch zu erklären ist. Gerade wenn und weil der Umverteilungsprozess von unten nach oben seit mehreren Jahrzehnten anhält, scheint er kaum ursächlich für das plötzliche Erstarken populistischer Strömungen zu sein. Plausibler ist es, sozio-kulturelle Faktoren als Haupt­ursachen auszumachen. Denn hier fanden in den letzten Jahren klar identifizierbare Entwicklungen statt, die eine populistische Reaktion erklären: die zunehmende Ablehnung konservativer Wertvorstellungen von Familie und Gesellschaft, die zurückgehende Bedeutung von Heimat und Nation in einer globalisierten Welt sowie politische Phänomene wie Massenmigration und internationaler, islamistischer Terrorismus.

Die Populismusdebatte und die US-Präsidentschaftswahl

Der überraschende Ausgang der US-Präsidentenwahl widerlegt diese Sichtweise. Denn es war vor allem die Arbeiterschaft und die (untere) Mittelschicht in traditionell demokratisch wählenden Gegenden in Staaten wie Michigan, Ohio, Pennsylvania und Wisconsin, die Trump die Mehrheit der Wahlmännerstimmen sicherten.5 Es ist unwahrscheinlich, dass diese Wähler versteckte Rassisten und Machos sind. Schließlich hatten sie noch vier Jahre zuvor mit dazu beigetragen, den ersten afroamerikanischen Präsidenten im Amt zu bestätigen. Wahrscheinlicher ist, dass ihnen Trump als der Kandidat erschien, der einen glaubwürdigen Ausweg aus ihrer ökonomischen Misere aufzeigte.

Um welche Misere handelt es sich? Nicht um jene der letzten acht Jahre. Denn die Obama-Administration erzielte bei der Bekämpfung der durch die Finanzkrise verursachten „Großen Rezession“ beachtliche Erfolge. Sie spielten aber im Wahlkampf keine Rolle, weil Trump den ökonomischen Blick auf die lange Frist lenkte. Er wies auf Fehlentwicklungen hin, die seit den 1980er Jahren zu beobachten sind: der Niedergang der industriellen Kerne und die stagnierenden Realeinkommen der (unteren) Mittelschicht. Mit seinem Wahlslogan „Make America Great Again“ ging er noch weiter in die Vergangenheit zurück, indem er an die 1950er Jahre erinnerte. Damals waren die USA nicht nur politisch und militärisch „großartig“6, sondern auch ökonomisch. Das Wirtschaftswachstum war hoch und es herrschte Vollbeschäftigung. Einkommen wie Vermögen waren viel gleicher verteilt als heute, die Arbeitsplätze sicherer und die Chancen für einen gesellschaftlichen und ökonomischen Aufstieg erheblich größer als heute. So wurde der Wahlkampf nicht zu einer Auseinandersetzung über die ökonomische Bilanz Obamas,7 sondern zu einem Vergleich „goldene 1950er“ versus „verlorene 1980er bis 2010er“. Dass er mit diesem Ansatz auch seine jüngsten republikanischen Vorgänger im Präsidentenamt für diese Fehlentwicklungen verantwortlich machte, kümmerte Trump wenig,8 da er sich als Kandidat gegen das Establishment verstand, dem Republikaner und Demokraten gleichermaßen angehören. Am Ende hatte er dann mit Hillary Clinton die ideale Gegenkandidatin, da sie dieses Establishment wie keine zweite verkörperte.

Trump „ernst nehmen“

Der Ausgang der Wahl überraschte viele Experten, weil sie im Gegensatz zu den Wählern Trumps Ankündigungen nicht ernst nahmen. Nach seinem Amtsantritt ist es höchste Zeit, dies zu ändern, also unabhängig davon, wie man politisch zu Trump steht, von der Annahme auszugehen, dass Trump mit seinen wirtschaftspolitischen Vorstellungen jene guten Zeiten zurückbringen will, die in den 1950er Jahren herrschten. Dazu ist es erforderlich vier Fragen zu beantworten:

  1. Warum gab es in den USA damals diese ökonomische Blüte?
  2. Warum verfolgten die Verantwortlichen in den letzten Jahrzehnten eine Wirtschaftspolitik, die die von Trump beklagten Fehlentwicklungen ermöglichten?
  3. Welche wirtschaftspolitische Strategie offeriert Trump, um an die goldenen Zeiten anzuknüpfen?
  4. Welche Rolle spielen in dieser Strategie sozio-kulturelle Faktoren, die für den Erfolg der Populisten eine zentrale Rolle spielen?

Nationaler Keynesianismus: als Amerikas großartig war

Die 1950er Jahre waren vom Wiederaufbau nach dem Krieg geprägt. Es ist daher naheliegend, die hohen Wachstumsraten und die vergleichsweise geringe Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung mit dieser speziellen Situation zu erklären. Dies würde implizieren, dass Trump – was immer er auch plant – scheitern und seine Wähler enttäuschen wird. Alternativ kann man aber auch argumentieren, dass die goldenen 1950er Jahre das Ergebnis guter Wirtschaftspolitik waren. Für die USA lässt sich die Wirtschaftspolitik der 1950er Jahre als „nationaler Keynesianismus“ kennzeichnen. Keynesianisches Gedankengut beherrschte die makroökonomische Politik dieser Zeit, die national gestaltet wurde.9 Dafür sorgte das 1944 etablierte Bretton-Woods-System, das feste Wechselkurse bei einem stark eingeschränkten internationalen Kapitalverkehr vorsah.10 Damit war jedes Land frei, eine an nationalen Zielen ausgerichtete Wirtschaftspolitik, insbesondere Geld- und Fiskalpolitik zu betreiben. Gleichzeitig war es aber auch allein dafür verantwortlich, wenn es seine Ziele, und dies hieß damals vor allem das Ziel Vollbeschäftigung, verfehlte. Auch innerhalb der eigenen Staatsgrenzen musste die Wirtschaftspolitik wenig Rücksicht auf die Finanzmärkte nehmen, da diese ebenfalls streng reglementiert waren. Zur Erinnerung: In Deutschland endete die Zinsbindung 1967, in den USA wurden die Zinsen auf Bankeinlagen erst 1981 vollständig liberalisiert.

Divergenzen und Ungleichgewichte zwischen den Volkswirtschaften drückten sich in den Leistungsbilanzen aus. Leistungsbilanzsalden größeren Ausmaßes führten zu einer Anpassung der Wechselkurse, die gemeinsam verabredet wurde: Überschussländer werteten auf, Defizitländer werteten ab.11 Dies verhinderte, dass eine Volkswirtschaft durch Handel „getötet“ werden konnte, wie es nun Trump China in Bezug auf die USA vorwirft.12 Entsprechend klein fielen die Leistungsbilanzsalden aus, sowohl absolut (vgl. Abbildung 1) als auch relativ, d.h. in % des BIP. Zudem sah das System von Bretton Woods zwar den freien Austausch von Gütern und Dienstleistungen vor, war aber keine Freihandelszone. Schließlich waren die nationalen Arbeitsmärkte weitgehend abgeschottet.

Abbildung 1
US-Leistungsbilanzsaldo, 1947 bis 2016
in Mrd. US-Dollar
US-Leistungsbilanzsaldo, 1947 bis 2016

Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis.

 

Internationale Angebotspolitik: der Politikwechsel der 1980er Jahre

Die Ära nationaler Wirtschaftspolitik endete in den 1970er Jahren. Die Ursache ist schnell identifiziert und lautet: Inflation (vgl. Abbildung 2). Getrieben wurde sie von einer fehlgeleiteten Makropolitik. Zum einen wurde die Fiskalpolitik viel zu expansiv, auch weil sie nicht nur am Ziel Vollbeschäftigung, sondern zunehmend auch an politischen Erfordernissen, in den USA: der Finanzierung des Vietnamkriegs und der Sozialprogramme („Great Society“) ausgerichtet wurde. Zum anderen führte die von keynesianischem Gedankengut inspirierte Makropolitik dazu, dass Arbeitnehmer und Gewerkschaften hohe Nominallohnsteigerungen fordern und durchsetzen konnten, ohne mit negativen Beschäftigungsentwicklungen rechnen zu müssen. Staat und Zentralbank garantierten in der mittleren Frist einen angespannten Arbeitsmarkt. So wurde die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve immer unelastischer, d.h. expansive Fiskal- und Geldpolitik führten immer mehr zu Preis- und immer weniger zu Mengeneffekten.13

Das erste Opfer dieses Politikversagens war das Bretton-Woods-System. Es kollabierte, weil bei festen Wechselkursen die höhere Inflation in den USA auf die anderen Staaten überzuschwappen drohte. Weder wollten die USA ihre an nationalen Zielen ausgerichtete Wirtschaftspolitik aufgeben noch die anderen Staaten entsprechende nominale Wechselkursaufwertungen akzeptieren, die sowohl zur Inflationsbekämpfung als auch zur Bekämpfung der realen Dollaraufwertung notwendig gewesen wären.14 So gingen 1973 die westlichen Volkswirtschaften zu flexiblen Wechselkursen über.

Damit war die Inflation aber noch nicht gebannt. Im Gegenteil: Die beiden Ölkrisen, 1973/74 und 1979/80, verschoben die Angebotskurve nach links und verschärften das Inflationsproblem. Gelöst wurde es letztendlich mit der Rücknahme der Vollbeschäftigungsgarantie. Dies erfolgte in Form der Volcker-Disinflation 1979 bis 1982, als die Federal Reserve das Vollbeschäftigungsziel klar dem Ziel Preisstabilität unterordnete und die USA die bis zu diesem Zeitpunkt schwerste Rezession der Nachkriegszeit erlebten. Seitdem hat die Federal Reserve ihr doppeltes Mandat, Vollbeschäftigung und Preisstabilität, immer so ausgelegt, dass sie bei einem Zielkonflikt Preisstabilität den Vorrang gibt.15 So entstand der neue geldpolitische Konsens, der Preisstabilität als primäres Ziel der Geldpolitik festschreibt.16 Zudem wurde die Fiskalpolitik nicht mehr als Stabilisierungsinstrument angesehen, womit ein weiterer Eckpfeiler keynesianischer Makropolitik verschwand, sondern als Instrument zur (langfristigen) Wachstumssicherung über Strukturreformen.17 Dies hieß vor allem Steuersenkungen für die Leistungsträger und ein Rückzug des Staates in Form von Liberalisierung und Privatisierung aus vielen Bereichen, die er zwischen 1933 und 1980 ökonomisch beeinflusst oder gar gestaltet hatte.

Besonders konsequent wurde die Liberalisierungsagenda in Bezug auf das nationale und internationale Finanzsystem sowie den Außenhandel angewandt. Bei freien Wechselkursen oder aber einseitig, d.h. nicht im Rahmen eines multilateralen Systems, fixierten Wechselkursen stiegen die Leistungsbilanzsalden weltweit stark an.18 Die Höhe der Salden hängt seitdem allein vom Finanzierungswillen der internationalen Finanzmärkte ab. Für viele Volkswirtschaften führte das zu Finanz- und Währungskrisen, wenn dieser Wille plötzlich ausblieb. Die Eurokrise zeigt, dass dies selbst für Länder gilt, die sich zu einem gemeinsamen Währungsraum zusammenschließen.19 Im Fall der USA waren und sind die Finanzmärkte (bzw. Zentralbanken von Ländern, die ihre Währung einseitig an den US-Dollar banden bzw. binden) aber stets bereit, auch sehr große Defizite (vgl. Abbildung 1) geräuschlos zu finanzieren. Mit anderen Worten: Ein monetärer Anpassungsprozess zur Reduzierung und Begrenzung von Salden findet seit 1973 oft nur noch in Form einer Krise20 oder gar nicht statt.

Insgesamt entstand ein makroökonomisches Politik­regime, das sich als „internationale Angebotspolitik“ bezeichnen lässt. Im Europa der EU gesellte sich unter der Überschrift der „Vier Freiheiten“ zur Liberalisierung des Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs die komplette Öffnung der Arbeitsmärkte. Dies führte insbesondere nach der EU-Osterweiterung zu erheblichen Migrationsbewegungen von den ärmeren in die reicheren EU-Staaten. Großbritannien ist dafür das Paradebeispiel, auch weil die siebenjährige Übergangsfrist zur Umsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht in Anspruch genommen wurde. Aber auch in den USA wuchs die Zahl der Zuwanderer, vor allem aus Mexiko, und damit das Arbeitsangebot.

Insgesamt hatte dieser Politikwechsel die Konsequenz, dass die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve in nahezu allen westlichen Volkswirtschaften immer elastischer wurde (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Gesamtwirtschaftliche Nachfrage- und Angebotskurven: 1950er bis 2000er Jahre
Gesamtwirtschaftliche Nachfrage- und Angebotskurven: 1950er bis 2000er Jahre

Quelle: eigene Zusammenstellung.

Damit gerieten Verteilungs­aspekte unter die Räder: Aus vormals mächtigen Arbeitnehmern – es sei nur an Heinz Klunckers Müllstreik aus dem Jahr 1974 erinnert – wurden die „Abgehängten“. Denn selbst in konjunkturellen Aufschwungphasen konnten nennenswerte Reallohnerhöhungen nicht mehr durchgesetzt werden, weil es immer Arbeitnehmer gab, zu Hause oder im Ausland, die bereit waren zum alten Lohnniveau zu arbeiten. Und unter dem neuen angebots­politischen Credo durfte der Staat auch nicht mehr eingreifen, weil er damit jene Wachstumskräfte, die mit der Liberalisierung entfesselt werden sollten, gehemmt hätte. Eine Entschädigung der Globalisierungsverlierer durch Ausgleichszahlungen, wie sie schon früh diskutiert wurde und heute verstärkt angemahnt wird, war daher gar nicht möglich, weil sie zu Mehrbelastungen von Unternehmen und Leistungsträgern geführt hätte. Bei offenen Grenzen für Güter, Dienstleistungen, Kapital und – in Europa – Arbeit wären diese dann in Länder und Regionen abgewandert, die auf solche Kompensationszahlungen ganz oder teilweise verzichtet hätten. Höhere Löhne waren ebenso ausgeschlossen, weil für das Ziel Vollbeschäftigung nun nicht mehr der Staat, sondern der Arbeitsmarkt, und das heißt vor allem die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften verantwortlich waren. Da man sich aber im „Standortwettbewerb“ befand, waren Lohn- und Einkommensverzichte ebenso „alternativlos“ wie eine Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse.21 „Erhaltung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ wurde zum Schlüsselargument, mit dem jeder Ruf nach Umverteilung bzw. Korrektur der Marktergebnisse abgelehnt werden konnte.

Schon vor 17 Jahren wurde diese wirtschaftspolitische Implikation der internationalen Angebotspolitik als „Golden Straightjacket“22 bezeichnet. Dem Nationalstaat wird eine Zwangsjacke übergestülpt, weil er wegen der Integration der Märkte seine Kontrolle über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, Beschäftigung und Einkommensverteilung verliert. Das inflationäre Scheitern des nationalen Keynesianismus vor Augen, war dies auch durchaus gewollt, galt es doch eine Wiederholung des Politikversagens der 1960er und 1970er Jahre auszuschließen. Rodrik wies daraufhin, dass dieser Kontrollverlust politisch nicht nachhaltig ist. Entsprechend warnte er vor Rückschlägen bei der Globalisierung, wenn es nicht gelingt, staatliche Kontrolle auf einer neuen, supranationalen Ebene wiederherzustellen.23 Dies ist jedoch selbst in der Eurozone nicht gelungen. Im Gegenteil: Man hat das „Golden Straightjacket“ in Form des Maastrichter Vertrages von 1992 institutionalisiert.24

Politisch unterstützt wurde dieser Wechsel vor allem von den konservativen und – im europäischen Sinne – liberalen Parteien, in Deutschland symbolisiert durch „die Bonner Wende“ von 1982. Seit Mitte der 1990er Jahre wurde er jedoch zunehmend von den US-Demokraten unter Präsident Clinton und den sozialdemokratischen Parteien in Europa, z.B. von Tony Blair und Gerhard Schröder, akzeptiert und in Regierungshandeln umgesetzt. Dies geschah nicht zuletzt, weil die alternative Strategie, nämlich die Rückkehr zum nationalen Keynesianismus mit direkter Umverteilungspolitik, wie sie z.B. die jeweils ersten Regierungen unter den sozialistischen Präsidenten Mitterand und Hollande in Frankreich probierten, unter den gegebenen Bedingungen schnell scheiterte. Viele Wähler dieser Parteien interpretierten diesen Kurswechsel aber so, dass nun auch US-Demokraten und Sozialdemokraten das „Ellbogenprinzip“ – so Helmut Schmidt in seiner letzten Rede als Bundeskanzler am 1. Oktober 1982 – übernommen hatten und sie mit ihren ökonomischen Problemen allein ließen.25 Entsprechend stark fallen seither die Verluste dieser Parteien aus. Da Konservative und Liberale keine ökonomische Alternative boten, sondern im Gegenteil einen noch stärkeren Rückzug des Staates befürworteten, wuchs die Zahl der Nichtwähler.26

Trumps Strategie (oder Rhetorik?): Wirtschaftsnationalismus

In den USA gelang es Trump, diese traditionell eher links wählenden Menschen zu erreichen, indem er sich von der „internationalen Angebotspolitik“ verabschiedete und ein wirtschaftsnationalistisches Konzept präsentierte.27 In diesem Konzept wird dem Nationalstaat seine Handlungsfähigkeit und Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung, einschließlich der Verteilung der Einkommen, zurückgegeben. Zentrale Elemente sind dabei die Einschränkung des Freihandels, insbesondere mit China, und die Begrenzung der Zuwanderung, symbolisiert durch die Mauer zu Mexiko. Dies ist kein Zufall, denn der US-Leistungsbilanzsaldo wuchs und passivierte sich in den Jahren nach dem Zerfall des Bretton-Woods-Systems erheblich (vgl. Abbildung 1). Das Handelsbilanzdefizit mit China, ca. 2% des Bruttoinlandsprodukts, bemisst sich seit Jahren auf mehr als zwei Drittel des gesamten US-Handelsbilanzdefizits. In Punkto Einwanderung stellten Mexikaner in den vergangenen Jahrzehnten die am stärksten wachsende Gruppe dar, auch wenn der Anteil mexikanischer Einwanderer an der Gesamteinwandererzahl in den letzten Jahren leicht rückläufig war.

Für die Wähler aus der unteren Mittelschicht ist der Wirtschaftsnationalismus attraktiv, weil er den Wettbewerbsdruck, dem sie seit vielen Jahren ausgesetzt sind, zu mildern verspricht. Makroökonomisch stellt der Wirtschaftsnationalismus daher ein Konglomerat struktureller Reformen mit dem Ziel dar, die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve wieder steiler zu gestalten bzw. nach links zu verschieben. Damit würde die Marktmacht der heimischen Anbieter von Gütern, Dienstleistungen und Arbeit steigen, die in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich erodierte. Schließlich ist ein Investitionsprogramm zur Modernisierung der Infrastruktur vorgesehen. Insgesamt weist der Wirtschaftsnationalismus daher Elemente auf, die durchaus an die goldenen 1950er Jahre erinnern, und damit einen Gegenentwurf zu der internationalen Angebotspolitik darstellen. Trumps politischer Erfolg beruht erneut auf einem Politikversagen: So wie es innerhalb des nationalen Keynesianismus nicht gelang, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, gelang es innerhalb der internationalen Angebotspolitik nicht, die Tendenz zu immer mehr Ungleichheit bei der Einkommens- und Vermögensverteilung einzudämmen. Trump und andere Populisten ziehen daraus die logische Konsequenz:28 ein anderes Konzept zu entwickeln, auch wenn dies bedeutet, dass die Globalisierung zurückgedreht wird.

Wirtschaftsnationalismus und sozio-kultureller Populismus

Die sozio-kulturelle Erklärung des Populismus bestreitet diese ökonomischen Zusammenhänge nicht, hält sie aber für sekundär, um Trumps Wahlsieg und den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in anderen westlichen Ländern zu erklären. Vielmehr wird die Wahl Trumps als Ablehnung der vom Establishment verkörperten liberalen Werte interpretiert: „Offenheit für Zuwanderung, Toleranz gegenüber anderen Religionen und Minderheiten, die Gleichberechtigung von Frauen – all das wird infrage gestellt.“29

Das Problem ist, dass die Durchsetzung dieser gesellschaftspolitisch liberalen Werte für viele Menschen unmittelbare negative ökonomische Konsequenzen hatte und hat, sodass sich gar nicht feststellen lässt, ob Populisten Stimmen aufgrund ihrer gesellschaftspolitischen oder ihrer ökonomischen Argumente gewinnen. Es ist eben so: Wenn das Angebot steigt und die Nachfrage nicht nachzieht, fallen die Preise. Dieser ökonomische Zusammenhang wird nicht außer Kraft gesetzt, wenn es hehre Motive sind, die zu einer Zunahme des Angebots führen. Alles andere unverändert, geraten Löhne unter Druck, wenn das Arbeitsangebot durch steigende Erwerbstätigkeit von Frauen, EU-Zuwanderung, legale und illegale Migranten aus Mexiko oder Flüchtlinge steigt, auch wenn dieser Anstieg von überwiegend nicht-ökonomischen Motiven (Gleichberechtigung, EU-Osterweiterung, Krieg in Syrien) ausgelöst wird. Die Preise auf den Gütermärkten sinken für jene Waren, die verstärkt aus China oder Osteuropa importiert werden, selbst wenn die Ausweitung des Handels einen entscheidenden Beitrag dazu leistet, Armut in den exportierenden Ländern zu reduzieren und auf globaler Ebene Wohlstand zu schaffen.

Populisten nutzen diese ökonomischen Zusammenhänge und verbinden sie mit ihrer gesellschaftspolitischen Kritik: Wenn traditionelle Werte – so wird es suggeriert – weiter gegolten hätten, also Frauen sich nach wie vor auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter konzentriert hätten, und wenn wir uns weiterhin zuerst als Nation begriffen hätten und nicht die EU gegründet und erweitert sowie uns um die Armut in der Welt gekümmert hätten, dann wäre verhindert worden, dass sich die Knappheitsverhältnisse am lokalen Arbeitsmarkt so zuungunsten des „kleinen Mannes“ verändert hätten. Es wäre dann selbstverständlich gewesen, zunächst einmal „unsere Leute“ zu schützen, gegen die Konkurrenz von Frauen und gegen Billigprodukte und Zuwanderung aus dem Ausland.30 Mit dem Schlachtruf „Wir wollen unser Land zurück“31 greifen die Populisten den Kontrollverlust der Nationalstaaten auf, der sich mit der Flüchtlingskrise in Europa nur in einer neuen Form zeigt, aber für eine große Zahl von Menschen die ökonomische Realität schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten widerspiegelt. Sie greifen ihn auf, indem sie den „kleinen Mann“ nicht nur ökonomisch, sondern auch und vor allem national und/oder ethnisch definieren, und damit über das Anprangern ökonomischer Fehlentwicklungen versuchen, Stimmen zu gewinnen, die es ihnen ermöglichen, ihre gesellschaftspolitischen Ziele durchzusetzen.32

Vieles spricht dafür, dass es diese Kombination von sozio-kulturellen und ökonomischen Faktoren war, die der „Elite“ die Niederlagen des Jahres 2016 beschert hat. Trump gewann, nicht obwohl sondern weil er mit nationalistischen und Macho-Elementen spielte. Denn damit untermauerte er seine Ernsthaftigkeit, dass er tatsächlich die ökonomischen Probleme der unteren Mittelschicht angehen wird. Clintons Versuche ihn gesellschaftspolitisch zu stellen, liefen somit ins Leere, weil sie nicht erkannte, dass viele Wähler gesellschaftspolitische Inhalte mit ihrer ökonomischen Interessenlage verbinden. Dadurch versäumte sie es, diesen Wählern Gründe an die Hand zu geben, dass liberale gesellschaftspolitische Vorstellungen auch mit einer Verbesserung ihrer ökonomischen Position Hand in Hand gehen würden. Genau dies leistete Trump, indem er die Abkehr von traditionellen wirtschaftspolitischen Grundsätzen der republikanischen Partei, Freihandel und ausgeglichener Haushalt, vollzog. Dies war entscheidend für seinen Sieg, weil er ohne diesen Kurswechsel den Medianwähler in Michigan und Ohio nicht hätte gewinnen können.33

Finanzkrise als Populismusverstärker

Dem kann entgegengehalten werden, dass angesichts Trumps Positionierung die Anhänger von Freihandel und Angebotspolitik für Clinton hätten stimmen müssen. Dass sie das nicht in ausreichender Zahl getan haben, zeigt daher, dass Clinton gesellschaftspolitisch als viel zu liberal galt, um diesen Wechsel zu vollziehen. Dann wären es letztendlich doch gesellschaftspolitische Faktoren gewesen, die die Wahl entschieden haben.

Naheliegender scheint aber die Hypothese zu sein, dass Clinton – die hier auch stellvertretend für die Mainstream-Parteien in Westeuropa stehen soll – kaum Anhänger von Freihandel und internationaler Angebotspolitik gewinnen konnte, weil die Zahl der Wähler, die diesen Ansatz unterstützt, in den letzten Jahren stark gesunken ist. Der Grund für diesen Schwund an Wählern ist erneut ein ökonomischer: die Finanzkrise.34 Die Finanzkrise hat den liberal-konservativen Wähler, das Bürgertum, der das Konzept der internationalen Angebotspolitik als Reaktion auf das Scheitern des nationalen Keynesianismus politisch wesentlich unterstützt hat, zum Zweifeln gebracht und gleichzeitig populistische Strömungen akzeptabel werden lassen.35 Dieser Popularitätsverlust lässt sich durch drei Überlegungen erklären:

1. Die Finanzkrise erschütterte das Vertrauen vieler Konservativer in das marktwirtschaftliche System. Denn mit der Finanzkrise kam es generell zu einem Rückgang der Einkommenszuwächse oder gar zu einer Stagnation der Einkommen.36 Damit wurden Abstiegs­ängste in Schichten transportiert, die sich bisher dagegen gefeit sahen, und sei es nur weil man von der liebgewonnenen Realrendite von 2% auf das bei Banken oder in Staatsanleihen sicher angelegte Finanzvermögen Abschied nehmen musste („Enteignung der Sparer“). Damit gibt es neue Wähler, die ebenfalls einen Retter aus ihrer ökonomischen „Misere“ suchen und ihn im Nationalstaat finden, der die nun bedrohlich gewordene Globalisierung begrenzt und alte Sicherheiten wiederherstellt.37

2. In der Finanzkrise wurden Maßnahmen zur Stabilisierung des Systems erforderlich, die liberalen – in Deutschland ordnungspolitischen – Grundprinzipien widersprechen bzw. zu widersprechen scheinen.38 Damit kollabierte die Unterstützung für „das System“ gerade bei dessen größten Befürwortern bzw. jenen, die es konzeptionell erschaffen haben, und drehte sich in oft beißende Kritik. Teilweise schlossen sie sich Parteien und Strömungen an, die heute als populistisch eingestuft werden. In Deutschland waren sie bei der AfD sogar Parteigründer.39 Aber der Kreis dieser Ultra­liberalen ist zu klein, um politische Relevanz zu gewinnen, nicht zuletzt weil in einer Finanzkrise die ökonomischen Implikationen einer ultraliberalen Politik der „schöpferischen Zerstörung“ für die große Mehrheit der Bevölkerung unattraktiv sind. So werden die Ultraliberalen in den neuen Parteien schrittweise marginalisiert. In der politischen Kommunikation bleibt aber die Kritik am System hängen, oft gepaart mit Warnungen vor dem jederzeit möglichen Zusammenbruch in Form von (Hyper-)Inflation, neuer Finanzkrise, ausufernder Staatsverschuldung und was uns sonst „alles noch auf die Füße fallen wird“, wenn man am „System“ festhält. Damit ist der Weg frei für den Systemwechsel, den der Wirtschaftsnationalismus anstrebt, und der sich nicht nur in makroökonomischer Steuerung erschöpft, sondern in konkreten Eingriffen in mikroökonomische Freiheiten, wie Trumps Tweets beinahe täglich zeigen.40 So wird aus Forderungen für eine ultraliberale Politik praktizierte Illiberalität, ökonomisch wie politisch.41

3. Die Rückbesinnung auf die Nation wird von manchen als Möglichkeit angesehen, liberales Gedankengut zu retten. Einschränkungen beim Freihandel sind vielleicht nicht gut, aber wenn sie im Inneren von Deregulierung und Steuersenkungen begleitet werden, dann ist das immer noch besser als ein Rückfall in einen wie auch immer gearteten „Sozialismus“42 oder die angeblich fortschreitende Bürokratisierung der Marktwirtschaft.43 Ähnliche Überlegungen gelten für die Makropolitik. Viele Liberale haben in den letzten Jahren die ihrer Ansicht nach viel zu expansive Geld- und Fiskalpolitik im Euroraum, die zu Vermögenspreisblasen und einem Abgleiten in die Weichwährungswelt führt, heftig kritisiert. Für das nach dem Brexit-Votum wieder „souverän“ werdende Großbritannien gelten offensichtlich andere Maßstäbe. Denn nun sind robuste Konjunktur, schwaches Pfund und Aktienkursrekorde, alles Auswirkungen einer extrem expansiven Geld- und Fiskalpolitik, die nach der Abstimmung noch einmal gelockert wurde, plötzlich Ausweis einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik eines eigenständigen Landes, das offensichtlich auch ohne die EU gut zurecht kommt.44

Ausblick: die Erfolgsaussichten des Wirtschaftsnationalismus

Der rasante Aufstieg populistischer Parteien basiert auf einer Verbindung von sozio-kulturellen mit ökonomischen Faktoren. Dabei haben zentrale Elemente der ökonomischen Argumente einen wahren Kern. Diesen nutzen Populisten dazu, sozio-kulturelle Positionen, die bisher als nicht mehrheitsfähig galten, zu befördern. Mit dem Brexit und mit der Wahl Trumps haben sie zwei Abstimmungen gewonnen. Es ist zu erwarten, dass sich mit einem wirtschaftsnationalistischen Konzept noch weitere Wahlen gewinnen lassen.

Daher bleibt zum Schluss die Frage, wie groß die Erfolgsaussichten dieses Konzepts sind, also ob es Donald Trump und Theresa May tatsächlich gelingen wird, aus ihren Ländern Volkswirtschaften zu machen, die für „jeden“ da sind,45 also an die goldenen 1950er – „the fair Deal“ – anknüpfen. Man könnte hier viele Gründe nennen, warum das Konzept scheitern wird. Sie wurden in den vergangenen Wochen auch verstärkt diskutiert.46 Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Analyse sind zwei besonders wichtig:

  • Nationale Wirtschaftspolitik verlangt nach einer internationalen monetären Flankierung, wie sie z.B. das Bretton-Woods-System lieferte. Diese Flankierung ist heute (noch?) nicht gegeben. Denn statt eines Wechselkurssystems, das als multilaterales Fixkurssystem bei weitgehend geschlossenem Kapitalverkehr gestaltet ist, existiert heute ein globales Finanzsystem, bei dem Länder unilateral bestimmen können, wie sie ihre Wechselkurspolitik gestalten. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten des wirtschaftsnationalistischen Konzepts, selbst wenn der viel befürchtete „Handelskrieg“ ausbliebe. Denn eine zunehmend protektionistische Politik der USA kann monetär durch entsprechende Wechselkuränderungen von den Partnern oder den Finanzmärkten konterkariert werden.47 Die Abwertung des mexikanischen Peso seit der Wahl Trumps liefert dafür einen Vorgeschmack. Im gegebenen monetär-finanziellen Umfeld ist es daher schwierig, protektionistische Politik in dem Sinne erfolgreich zu gestalten, dass sich die Wettbewerbssituation der bisherigen Globalisierungsverlierer tatsächlich entscheidend verbessert. Bis vor kurzem48 gab es allerdings keinen Hinweis, dass Trump an diesem Umfeld etwas ändern will, z.B. indem die USA selbst wechselkurspolitisch intervenieren49 oder gar den Kapitalverkehr begrenzen.
  • Nationale Wirtschaftspolitik ist anfällig für Inflation, weil es gerade ihr Ziel ist, die Angebotskurve unelastischer zu gestalten. Binnenwirtschaftlich hängen die Erfolgsaussichten der Trump’schen Strategie daher vor allem davon ab, inwieweit die Angebotskapazitäten in den USA nach wie vor unausgelastet sind50 und die Fiskalpolitik angesichts von Investitions- und Steuersenkungsprogrammen so stark nachfragebelebend wirkt, dass ähnlich wie in den 1960er Jahren und in vielen Episoden linkspopulistischer Regierungen inflationäre Tendenzen entstehen.51 Zumindest auf den Finanzmärkten wird dies als durchaus wahrscheinlich angesehen, und hat bereits zu höheren Zinsen und einem stärkeren US-Dollar geführt. Sofern die Federal Reserve einem Anstieg der Inflationsrate nicht tatenlos zusieht, wäre ein Wiedersehen mit der Kombination aus expansiver Fiskal- und restriktiver Geldpolitik zu erwarten, die die ersten Jahre der Reagan-Präsidentschaft kennzeichnete. Dies schwächt nicht nur die Konjunkturaussichten; auch eine Verbesserung der Einkommenssituation der unteren Mittelschicht ist unter diesen Bedingungen nicht zu erwarten, weil Steuersenkungen und Zinserhöhungen überwiegend den Beziehern hoher Einkommen und Vermögen zugutekommen. Zudem würden höhere US-Zinsen wohl einen Aufwertungsdruck für den US-Dollar erzeugen, der die handelspolitischen Ziele des wirtschaftsnationalistischen Konzepts konterkarieren würde.

Ein Scheitern des Wirtschaftsnationalismus ist also wahrscheinlich, aber nicht vorprogrammiert, schon gar nicht in der kurzen Frist. Aber selbst wenn Trump und andere Vertreter dieser Konzeption scheitern: Was kommt dann? Kehren die Wähler wieder zum Mainstream zurück?52 Wahrscheinlich ist das wohl nur dann, wenn es gelingt, entweder innerhalb der bisher verfolgten internationalen Angebotspolitik oder in Form eines neuen Konzepts jene ökonomischen Fehlentwicklungen anzugehen, die Trump thematisierte. Die Zukunft von liberaler Marktwirtschaft und Demokratie hängt davon ab.

  • 1 Links- wie Rechtspopulisten erkennt man an der Argumentationslinie, die „wir, das Volk“ gegen „die Elite“ stellt, vgl. M. Rode, J. Revuelta: The Wild Bunch! An empirical note on populism and economic institutions, in: Economics of Governance, 16. Jg. (2015), H. 1, S. 73-96.
  • 2 Vgl. z.B. K. J. Han: Income Inequality and voting for radical right-wing parties, in: Electoral studies, 42. Jg. (2016), S. 54-64; K. Rudzio, M. Schieritz: Ist die Ungleichheit schuld? Streitgespräch zwischen Clemens Fuest und Marcel Fratzscher über die Gründe für den Wahlsieg von Donald Trump, in: Die ZEIT vom 15.12.2016; F. Zakaria: Populism on the March, in: Foreign Affairs vom Nov./Dez. 2016, S. 9-15; M. Kazin: Trump and American Populism, in: Foreign Affairs vom Nov./Dez. 2016, S. 17-24; S. Berman: Populism Is Not Fascism, in: Foreign Affairs vom Nov./Dez. 2016, S. 39-44.
  • 3 Vgl. z.B. J. Roine, D. Waidenström: Long-Run Trends in the Distribution of Income and Wealth, in: Handbook of Income Distribution, Amsterdam 2015, S. 469-592.
  • 4 Vgl. S. Kaufmann: Die Abgehängten schlagen zurück, in: Frankfurter Rundschau vom 10.11.2016.
  • 5 Vgl. Z. Darvas, K. Efstathiou: Income inequality boosted Trump vote, 9.11.2016,http://bruegel.org/2016/11/income-inequality-boosted-trump-vote/ (2.2.2017).
  • 6 M. Haberman, D. E. Sanger: Transcript: Donald Trump Expounds on his Foreign Policy Views, in: The New York Times vom 26.3.2016.
  • 7 Noch 2012 war das anders. Damals machten die Republikaner um Mitt Romney Obamas angeblich schwache Bilanz bei Wirtschaftswachstum und Beschäftigung zum zentralen Wahlkampfthema. Sie scheiterten, weil es Obama gelang, Romney als Inkarnation jener Wirtschaftspolitik darzustellen, die für Rezession und zunehmende Ungleichheit verantwortlich war.
  • 8 Selbst Ronald Reagan blieb nicht von Kritik verschont, weil er den Freihandel förderte und NAFTA einleitete, vgl. M. Haberman, D. E. Sanger, a.a.O.
  • 9 Vgl. A. E. Holmans: The Eisenhower Administration and the Recession, 1953-5, in: Oxford Economic Papers, 10. Jg. (1958), Nr. 1, S. 34-54; sowie H. Hansen: Keynes after Thirty Years (With Special Reference to the United States), in: Weltwirtschaftliches Archiv, 97. Jg. (1966), S. 213-232, der am Ende seines Beitrags darauf hinweist, dass in Kontinentaleuropa, z.B. in Deutschland, dem Keynesianismus bei weitem nicht jene Bedeutung zukam wie in den USA. Die Betonung liegt daher eher auf „national“ und weniger auf „Keynesianismus“.
  • 10 Die USA stellten eine Ausnahme dar, was aber ohne makroökonomische Belange war, da ihrem Beispiel nur wenige andere Staaten, z.B. Kanada, folgten.
  • 11 H. James: The multiple contexts of Bretton Woods, in: Oxford Review of Economic Policy, 28. Jg. (2011), H. 3, S. 411-430.
  • 12 O.V.: America and the global economy, How Donald Trump thinks about trade, in: The Economist vom 9.11.2016, http://www.economist.com/news/united-states/21709921-americas-next-president-wants-pull-out-existing-trade-deals-and-put-future-ones (2.2.2017).
  • 13 Die Phillips-Kurven-Diskussion der 1970er und 1980er Jahre hat diese Zusammenhänge ausführlich thematisiert.
  • 14 H. James, a.a.O.
  • 15 In Europa wurde diese Rangfolge mit dem Maastricht-Vertrag Gesetz.
  • 16 M. Goodfriend: How the World Achieved Consensus on Monetary Policy, in: Journal of Economic Perspectives, 21. Jg. (2007), Nr. 4, S. 47-68.
  • 17 S. Cecchetti: The Problem With Fiscal Policy, 2002, http://www.artsrn.ualberta.ca/econweb/landon/cpi18.pdf (2.2.2017).
  • 18 Vgl. Y. Chang, S. B. Kim, J. Lee: Accounting for global dispersion of current accounts, in: Review of Economic Dynamics, 16. Jg. (2013), H. 3, S. 477-496.
  • 19 Vgl. A. Winkler: Debatte über Griechenland verfehlt Kern von Finanzkrisen, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 5, S. 278-279, http://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2010/5/debatte-ueber-griechenland-verfehlt-kern-von-finanzkrisen/ (2.2.2017); R. Baldwin et al.: Rebooting Consensus Authors: Rebooting the Eurozone – Step 1 – Agreeing a Crisis narrative, 2015, http://voxeu.org/article/ez-crisis-consensus-narrative (2.2.2017).
  • 20 Als Krisenvermeidungsstrategie verfolgen daher viele Staaten, insbesondere in Asien, eine Politik, die die Binnennachfrage eindämmt, um Leistungsbilanzdefizite wenn möglich zu vermeiden. Dies hat die globale Nachfrage erheblich geschwächt und damit jene „saving glut“ erzeugt (B. S. Bernanke: The Global Saving Glut and the U.S. Current Account Deficit, Remarks at the Sandridge Lecture, Virginia Association of Economists, Richmond, Virginia, 10.3.2005, https://www.federalreserve.gov/boarddocs/speeches/2005/200503102/ (2.2.2017)), die sich in den USA in hohen Leistungsbilanzdefiziten widerspiegelt, wenn und solange die US-Geld- und Fiskalpolitik an den Zielen Vollbeschäftigung und Preisstabilität festhält.
  • 21 Vgl. z.B. H.-W. Sinn: Lob der Globalisierung, in: Handelsblatt vom 25.8.2016.
  • 22 Vgl. D. Rodrik: How Far Will International Economic Integration Go?, in: Journal of Economic Perspectives, 14. Jg. (2000), H. 1, S. 177-186.
  • 23 Ebenda.
  • 24 Folglich ist die Eurozone unter diesen Bedingungen politisch nicht überlebensfähig und wird sich zumindest zu einer Fiskalunion weiterentwickeln müssen. Wenn dies – aus welchen Gründen auch immer (ursprünglich war das Projekt Währungsunion als Teil des Aufbaus eines gemeinsamen politischen Europas konzipiert) – nicht (mehr) gewollt ist, dann sind Forderungen, den Euro aufzugeben, nicht populistisch, sondern entsprechen der Logik, die D. Rodrik, a.a.O., skizziert.
  • 25 Vgl. A. Persuad: Brexit and other harbingers of a return to the dangers of the 1930s, 26.8.2016, http://voxeu.org/article/brexit-and-other-harbingers-return-dangers-1930s (2.2.2017).
  • 26 Vgl. A. Dernbach: Der Zusammenhang zwischen Nichtwählen und sozialer Lage ist eindeutig, in: Der Tagesspiegel vom 25.6.2015.
  • 27 Vgl. o.V.: Bannon: Finsternis ist gut, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.11.2016; P. Bump: Donald Trump got Reagan-like support from union households, in: Washington Post vom 10.11.2016. Ein ähnliches Konzept vertritt die neue britische Regierung, vgl. M. Theurer: Mays großer Knall, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.10.2016.
  • 28 Vgl. dazu auch D. Rodrik: Straight Talk on Trade, Project Syndicate, 15.11.2016; sowie L. Summers: How to embrace nationalism responsibly?, in: The Washington Post vom 10.7.2016.
  • 29 So Clemens Fuest im oben zitierten ZEIT-Gespräch, vgl. K. Rudzio, M. Schieritz, a.a.O.
  • 30 Insofern kann auch argumentiert werden, dass Trump nicht wegen der in den letzten Jahrzehnten zunehmenden vertikalen Ungleichheit, sondern wegen der zunehmenden horizontalen Gleichheit, nämlich der Gleichheit der Geschlechter, von Einheimischen und Zuwanderern, von Weißen, Farbigen und Latinos gewählt wurde, vgl. N. Lustig: Elections in America: It is also about rising equality, 29.11.2016, http://voxeu.org/article/equality-may-have-helped-trump-win (2.2.2017). Ähnliche Zusammenhänge lassen sich auch feststellen, wenn man die Entwicklung der Ungleichheit in der Welt insgesamt mit der Entwicklung der Ungleichheit innerhalb einzelner Staaten vergleicht. Während die Ungleichheit innerhalb der Welt abgenommen hat, hat sie innerhalb der Einzelstaaten zugenommen, vgl. F. Bourguignon: The Globalization of Inequality, Princeton University Press, New Jersey, 2015; C. Lackner, B. Milanovic: Global Income Distribution: From the Fall of the Berlin Wall to the Great Recession, 24.5.2014, http://voxeu.org/article/global-income-distribution-1988 (2.2.2017). Es kommt also auf die Perspektive an, ob man die Globalisierung unter Verteilungsgesichtspunkten als Erfolg oder Misserfolg kennzeichnet. Die politischen Implikationen dieser unterschiedlichen Perspektiven sind aber enorm: Wenn Wahlen für die ganze Welt stattfänden, würden die Kandidaten der internationalen Angebotspolitik wohl klar gewinnen. Da Wahlen aber nur innerhalb von Nationalstaaten abgehalten werden, haben ihre Kandidaten immer größere Schwierigkeiten, Mehrheiten zu finden. Im verkleinerten Maßstab haben dies die USA demonstriert: Wenn es sich am 8.11.2016 um eine US-Wahl gehandelt hätte, wäre Hillary Clinton am 20.1.2017 vereidigt worden; es war aber eine Wahl in fünfzig Bundesstaaten und deshalb ist Donald Trump US-Präsident.
  • 31 Vgl. O.V.: They want their countries back, in: The Economist vom 3.12.2016, S. 69.
  • 32 Zumindest im Wahlkampf schien es so zu sein, als sei unter den Populisten Trump davon noch am weitesten entfernt. Auch wenn er insbesondere die weiße, männliche untere Mittelschicht umwarb, vermied er es, diese Wählergruppe mit „dem Volk“ gleichzusetzen (M. Kazin, a.a.O.), das gegen „das Establishment“ zieht. Damit fiel seine ökonomische Botschaft auch bei Bevölkerungsgruppen, z.B. Frauen und Einwanderern aus Lateinamerika, auf fruchtbaren Boden, von denen man davon ausging, dass sie aufgrund seines gesellschaftspolitischen Verständnisses eigentlich nur Clinton wählen könnten. In Europa sprechen Populisten die Verlierer der Globalisierung aber gezielt als „Briten“, „Deutsche“, „Franzosen“, „Holländer“ an und kennzeichnen sie damit als Gruppen, die sich im Bedarfsfall auch ethnisch klar definieren bzw. eingrenzen lassen.
  • 33 Ted Cruz, dessen gesellschaftspolitische Thesen in manchen Bereichen noch weiter vom liberalen Mainstream entfernt sind als jene von Trump, hätte diese Stimmen wohl kaum erhalten, weil er an der internationalen Angebotspolitik festhalten wollte.
  • 34 Vgl. auch M. Funke, M. Schularick, C. Trebesch: The political aftermaths of financial crises: Going to extremes, 21.11.2015, http://voxeu.org/article/political-aftermath-financial-crises-going-extremes (2.2.2017).
  • 35 Entsprechend ist seit ca. zehn Jahren auch ein merklicher Rückgang des Anteils der Wählerstimmen für konservativ-liberale Parteien zu verzeichnen (bzw. deren „Übernahme“ durch populistische Strömungen, wofür die republikanische Partei in den USA und die Tories in Großbritannien Beispiele sind).
  • 36 Zum Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Stimmenanteil populistischer Parteien, vgl. H. P. Grüner, M. Brückner: The OECD’s growth prospects and political extremism, 16.5.2010, http://voxeu.org/article/global-crisis-and-political-extremism (2.2.2017).
  • 37 So wird z.B. oft suggeriert, dass Deutschland nur aus dem Euro austreten müsste, um Staatsanleihenkäufe und Niedrigzinsen zu beenden. Dass Nationalstaaten, wie Schweden, die Schweiz, die USA, Japan und Großbritannien in den letzten Jahren eine sehr ähnliche und zum Teil noch expansivere Geldpolitik gefahren haben, bleibt unerwähnt, vgl. A. Winkler: Dauerkritik an der Europäischen Zentralbank, in: Wirtschaftsdienst, 94. Jg. (2014), H. 7, S. 479-486, http://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2014/7/dauerkritik-an-der-europaeischen-zentralbank-falsch-angewendete-theorie-untergraebt-vertrauen-in-die/ (2.2.2017).
  • 38 Vgl. A. Winkler: Ordnung und Vertrauen: Zentralbank und Staat in der Eurokrise, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 14. Jg. (2013), H. 3/4, S. 198-218.
  • 39 Auch die österreichische FPÖ oder der Front National waren ursprünglich marktliberale Parteien.
  • 40 Vgl. M. Rode, J. Revuelta, a.a.O.
  • 41 Vgl. dazu auch J. v. Altenbockum: Partei der Fanatisierten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.1.2016.
  • 42 Das wäre der Wahlkampf „Trump gegen Sanders“ gewesen.
  • 43 Vgl. T. Mayer: Ein Macher im Weißen Haus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.1.2017.
  • 44 Vgl. H. Stelzner: Harter Brexit – aber für die EU, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.10.2016.
  • 45 „A country that works for everyone“ war der Slogan der Tories beim Parteitag im Oktober 2016.
  • 46 Ein Grund besteht in dem Argument, dass für die wachsende Ungleichverteilung gar nicht wirtschaftspolitische Konzeptionen und Globalisierung, sondern der technische Fortschritt zum großen Teil verantwortlich ist. Allerdings ist die Wachstumsrate des technischen Fortschritts in den letzten Jahrzehnten nicht außergewöhnlich hoch gewesen. Das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum hat sich seit dem Rückgang in den 1970er Jahren zwar wieder erholt, aber keine Dimensionen erreicht, die historisch gesehen ungewöhnlich sind. Gerade die Ungleichheit, die durch die Einkommens- und Vermögenszuwächse bei den oberen 10%, 5% oder gar 1% der Haushalte entstanden ist und – über ihre Symbolwirkung – eine für die Mainstream-Parteien und das marktwirtschaftliche System insgesamt stark negative politische Wirkung entfaltet, lässt sich kaum über Argumente erklären, die sich auf Entwicklungen beim technischen Fortschritt stützen. Dagegen sind größere, globalisierte Märkte ein zentraler Faktor für die Einkommens- und Vermögensentwicklung dieser „Superstars“, die dann auch jene begünstigen, die im Umfeld dieser Superstars arbeiten, vgl. F. Bourguignon, a.a.O.
  • 47 Vgl. dazu auch E. Farhi, G. Gopinath, O. Itskhoki: Trump’s Tax Plan and the Dollar, in: Project Syndicate vom 3.1.2017.
  • 48 Vgl. A. Armbruster: Trump: ‚Der Dollar ist zu stark – das bringt uns um‘, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.1.2017.
  • 49 Vgl. C. Reinhart: Will Dollar Strength Trigger Intervention in 2017, in: Project Syndicate vom 30.12.2016.
  • 50 Vgl. B. Eichengreen: What’s the problem with protectionism?, in: The Guardian vom 15.7.2016.
  • 51 Es ist allerdings unklar, inwieweit der republikanisch kontrollierte Kongress Trumps Plänen folgen wird bzw. expansive Effekte aus Innovationsprogrammen und Steuersenkungen durch Ausgabenkürzungen, gerade bei Programmen, die den unteren Einkommensschichten zugutekommen, konterkarieren wird.
  • 52 Offen bleibt die Frage, ob die Mainstream-Parteien überhaupt zurückkehren können, da Populisten, links wie rechts, auf ein ökonomisches Scheitern oft mit ökonomischer und politischer Repression reagieren. Selbst wenn die Aussichten dafür in den USA und in Großbritannien aufgrund der langen Verankerung der Demokratie gering sind, kann dies für andere Staaten nicht so leicht ausgeschlossen werden. Es sind diese Überlegungen, die auch Trump-Kritiker zögern lassen, ihm ein ökonomisches Scheitern zu wünschen.

Title:Macroeconomics and Populism

Abstract:Is the rise in populism driven by economic issues, e.g. inequality and stagnating incomes, or by social issues, e.g. illiberal views on gender, race and migration? This paper argues that it is impossible to distinguish between the two factors, as social issues have a profound impact on economic issues. Populists make use of this tight link and exploit the inability of mainstream policymakers to address the negative economic impact that open borders for goods, capital and labour have on a large number of people within their countries. The result is the return of economic nationalism, as it seems to provide policymakers with an opportunity to dismantle the policy constraints set by a globalised economy.


DOI: 10.1007/s10273-017-2093-6

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