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Die Zukunftsfähigkeit des gesetzlichen Rentensystems wird durch Familien mit Kindern sichergestellt. Anders als im Steuerrecht existieren in der Sozialversicherung jedoch keine Kinderfreibeträge, sodass Erwerbstätige mit und ohne Kinder die gleichen Rentenversicherungsbeiträge zahlen. Dieser Beitrag untersucht die Einführung eines Kinderfreibetrags auch in der Rentenversicherung und beziffert die Auswirkungen auf Staatshaushalt, Einkommensverteilung und Arbeitsmarkt.

In der umlagebasierten Rentenversicherung finanzieren heutige Beitragszahler die aktuelle Rentnergeneration. Die Beitragszahler von heute sind gleichzeitig die Rentner von morgen, sodass eine neue Generation nötig ist, die mit ihren Beiträgen die Renten von Eltern und Großeltern schultert. Dieser sogenannte Generationenvertrag fußt darauf, dass immer wieder Kinder geboren werden, deren Beiträge die Rentenansprüche älterer Generationen finanzieren. Familien mit Kindern sichern somit aktiv die Zukunft des gesetzlichen Rentensystems. Die finanzielle Belastung der Kindererziehung schlägt sich jedoch nicht in der Beitragsgestaltung nieder, denn Beschäftigte mit Kindern zahlen bei gleichem Einkommen die gleichen Rentenbeiträge wie Versicherte ohne Kinder.

Ein Vorschlag zur Entlastung von Familien mit Kindern ist es, in der Rentenversicherung Kinderfreibeträge einzuführen. In diesem Beitrag untersuchen wir die Verteilungswirkungen, die fiskalischen Auswirkungen und die Arbeitsmarkteffekte einer solchen Reform.1 Analog zu den Regelungen in der Einkommensteuer simulieren wir die Einführung eines Kinderfreibetrags in Höhe von 7248 Euro pro Kind bei den Arbeitnehmerbeiträgen zur Rentenversicherung.2 Ebenfalls analog zum Einkommensteuerrecht berücksichtigen wir den Freibetrag für Kinder bis zum 18. Lebensjahr bzw. bei Ausbildung, freiwilligem sozialen Jahr usw. bis zum 25. Lebensjahr. Mit Erreichen der Beitragsbemessungsgrenze verringert sich kontinuierlich die Entlastungswirkung der Reform. Übersteigt das Bruttoeinkommen abzüglich des Kinderfreibetrags die Beitragsbemessungsgrenze, ergibt sich keine Entlastungswirkung. Der simulierte Kinderfreibetrag hat keinen Einfluss auf spätere Rentenansprüche. In der folgenden Analyse werden neben der Einführung eines Kinderfreibetrags ohne Gegenfinanzierung auch zwei Varianten mit Gegenfinanzierung (durch höhere Rentenversicherungsbeiträge oder höhere Mehrwertsteuer) simuliert.

Methodisches Vorgehen

Die Analyse wurde mithilfe des ZEW-Mikrosimulationsmodells durchgeführt.3 Das Modell erlaubt es, die Auswirkungen einer Reform im Steuer-, Abgaben- und Transfersystem auf die öffentlichen Haushalte, die individuellen Arbeitsanreize und die Beschäftigungsentwicklung sowie auf die Einkommensverteilung zu untersuchen. Dabei werden sowohl die Sofortwirkung ohne Verhaltenseffekte als auch längerfristige Beschäftigungswirkungen nach Lohn- und Arbeitsnachfrageanpassungen in den Blick genommen.

Als Datengrundlage dient das Sozio-oekonomische Panel (SOEP).4 Die repräsentative Stichprobe der Bevölkerung umfasst über 20 000 Personen in rund 11 000 Haushalten. Die im SOEP genannten Vorjahresangaben zu Einkommen und Beschäftigung werden mittels des vom Statistischen Bundesamtes veröffentlichten Verbraucherpreisindex auf das Jahr 2016 fortgeschrieben. Um mögliche Verhaltensreaktionen und Beschäftigungsanpassungen aufgrund der Reformen zwischen dem Jahr der Beschäftigungsinformationen und dem Status quo zu berücksichtigen, werden die Änderungen des Arbeitsvolumens und der Löhne zwischen beiden Jahren simuliert.

Ausgangspunkt der Simulation ist die Nachbildung des deutschen Steuer- und Transfersystems zum Rechtsstand 2016. Dabei werden Freibeträge, Anrechnungspauschalen, Sonderausgaben sowie Abzugsbeträge für außergewöhnliche Belastungen und sonstige Privataufwendungen berücksichtigt und gemäß des jeweiligen Haushaltskontexts das verfügbare Nettoeinkommen für alle Befragten berechnet und anschließend auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet.

Um die Effekte auf das Arbeitsangebot zu simulieren, werden die Arbeitsangebotsentscheidungen der Haushaltsmitglieder als optimale Wahl zwischen einer begrenzten Zahl von möglichen Arbeitszeitkategorien simuliert. Durch Eingriffe in das Steuer- und Transfersystem verändert sich der Nutzen einzelner Arbeitszeitkategorien und dadurch möglicherweise auch die aus Sicht der Haushalte optimale Arbeitszeitentscheidung. Das ZEW-Mikrosimulationsmodell berücksichtigt darüber hinaus auch die Arbeitsnachfrageseite. Es wird also abgebildet, dass Veränderungen im Arbeitsangebot den Lohn beeinflussen. Das Modell ermittelt dann in einer Reihe von Rückkopplungsschleifen das neue Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt.5

Illustration der Reform

Die Auswirkungen der Reform (noch ohne Gegenfinanzierung) werden zunächst anhand eines Beispielhaushalts mit einem Alleinverdiener und zwei Kindern in Westdeutschland illustriert. Abbildung 1 zeigt den Verlauf der Rentenbeiträge im Status quo und im Reform­szenario. Die Gleitzone im Midijob-Bereich (von 5400 bis 10 200 Euro) entfällt für diesen Musterhaushalt, da das Einkommen dort unterhalb des Freibetrags für zwei Kinder liegt (14 496 Euro). Für Einkommen zwischen dem Ende der Midijob-Zone und der Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenversicherung (74 400 Euro) beträgt die Entlastung bei den Rentenversicherungsbeiträgen konstant 677,69 Euro pro Kind, also 1355,38 Euro für zwei Kinder. Mit Erreichen der Beitragsbemessungsgrenze sinkt die Differenz zwischen Reform­szenario und Status quo. Übersteigt das Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze um mehr als die Kinderfreibeträge, dann ist die Entlastungswirkung gleich null.

Abildung 1
Rentenbeiträge für ein Alleinverdiener-Paar mit zwei Kindern
Rentenbeiträge für ein Alleinverdiener-Paar

Quelle: ZEW-Mikrosimulationsmodell auf Basis des SOEP v30.

Aufgrund der zahlreichen Interaktionen im Steuer- und Transfersystem kommt die Entlastung durch die niedrigeren Rentenversicherungsbeiträge jedoch nicht eins zu eins bei den Haushalten an. In Abbildung 2 ist daher der Verlauf des verfügbaren Einkommens in Abhängigkeit des Bruttoeinkommens für den Beispielhaushalt dargestellt. Die Abbildung zeigt deutlich, dass die Reform für Einkommen unterhalb von 16 600 Euro keine Entlastung bewirkt, da niedrigere Rentenbeiträge in diesem Bereich vollständig durch den schrittweisen Entzug von Transferleistungen aufgehoben werden. Erst wenn das Einkommen die Mindesteinkommensgrenze für den Kinderzuschlag übersteigt, wird der Haushalt finanziell entlastet. Mit Auslaufen der Transferansprüche ergibt sich eine konstante Entlastung, die mit Erreichen der Beitragsbemessungsgrenze langsam ausklingt.

Abbildung 2
Verfügbares Haushaltseinkommen eines Alleinverdiener-Paars mit zwei Kindern
Verfügbares Haushaltseinkommen eines Alleinverdiener-Paars mit zwei Kindern

Quelle: ZEW-Mikrosimulationsmodell auf Basis des SOEP v30.

Bei der Berechnung des für den Kinderzuschlag relevanten Einkommens werden sowohl die Einkommensteuer als auch die Rentenversicherungsbeiträge vom Bruttoeinkommen abgezogen. Durch die Reform sinken bei gleichem Lohn die Rentenbeiträge, während gleichzeitig die Steuern steigen. Die Beitragsersparnis übersteigt allerdings die höheren Steuerzahlungen. Deshalb werden sowohl die Mindesteinkommensgrenze als auch die maximale Einkommensgrenze für den Kinderzuschlag schon bei einem niedrigerem Bruttoeinkommen erreicht als im Status quo. Es gibt daher Einkommensbereiche, in denen sich Haushalte durch die Reform schlechter stellen würden als im Status quo. Um diese Schlechterstellung zu beseitigen, ziehen wir bei der Berechnung des für den Kinderzuschlag relevanten Einkommens statt der tatsächlichen Abgaben die Rentenbeiträge ab, die ohne Kinderfreibeträge in der Rentenversicherung gezahlt würden.

Abbildung 3 zeigt für einen Einkommensbereich zwischen 15 000 und 35 000 Euro die Reformvarianten mit und ohne Beseitigung der Schlechterstellung. In der Variante ohne Schlechterstellung (hellblau) verläuft die Budgetgerade immer oberhalb oder gleich dem Status quo (dunkelblau); für die Reformvariante mit Schlechterstellung (grau) ist das nicht der Fall. Der Anspruch auf den Kinderzuschlag beginnt und endet in Variante I bei niedrigerem Bruttoeinkommen als in Variante II und im Status quo, weil nun niedrigere Rentenbeiträge vom für den Kinderzuschlag relevanten Einkommen abgezogen werden. In der Variante mit Beseitigung der Schlechterstellung läuft der Kinderzuschlag bei leicht höherem Einkommen aus als im Status quo. Die Steuerzahlungen sind nämlich in dieser Variante bei gleichem Bruttoeinkommen höher; gleichzeitig werden in dieser Variante die zur Berechnung des für den Kinderzuschlag relevanten Einkommens herangezogenen Rentenbeiträge konstant gehalten.

Abbildung 3
Verfügbares Haushaltseinkommen, Ausschnitt eines Alleinverdiener-Paars mit zwei Kindern
Verfügbares Haushaltseinkommen, Ausschnitt eines Alleinverdiener-Paars mit zwei Kindern

Quelle: ZEW-Mikrosimulationsmodell auf Basis des SOEP v30.

Beschäftigungseffekte

Abbildung 4 zeigt die Beschäftigungswirkungen der Einführung von Kinderfreibeträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung im Vergleich zum Status quo. Dabei sind nicht nur die verstärkten Erwerbsanreize und die entsprechende Ausweitung des Arbeitsangebots, sondern auch die Nachfrageanpassung auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt. Im Zusammenspiel von steigendem Angebot und nicht vollständig elastischer Nachfrage kommt es zu (hier minimalen) Lohnsenkungen und einem neuen Gleichgewicht. Die Beschäftigungswirkung ist also nicht ganz so groß, wie es eine Schätzung nur der (hier nicht separat ausgewiesenen) Arbeitsangebotseffekte vermuten ließe.

Abbildung 4
Veränderung der Beschäftigung nach Arbeitsnachfrageanpassungen
Veränderung der Beschäftigung nach Arbeitsnachfrageanpassungen

Quelle: ZEW-Mikrosimulationsmodell auf Basis des SOEP v30.

Der Beschäftigungszuwachs bewegt sich in allen drei Szenarien im Bereich von etwa 20 000 bis 25 000 Vollzeit­äquivalenten (ein Vollzeitäquivalent entspricht annahmegemäß 40 Wochenstunden) bzw. einer ähnlichen Zahl an Personen, die dem Arbeitsmarkt neu zur Verfügung stehen (Partizipation). Erwartungsgemäß ist der Effekt ohne eine Gegenfinanzierung am stärksten, da die Erwerbsanreize nicht durch höhere Belastungen an anderer Stelle gedämpft werden. Eine Beitragserhöhung für alle Versicherten, also auch kinderlose Beschäftigte, schwächt den positiven Beschäftigungseffekt deutlich ab. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Gegenfinanzierung durch einen höheren Mehrwertsteuersatz. In diesem Fall sind die positiven Beschäftigungseffekte leicht geringer als bei einer Gegenfinanzierung durch einen höheren Beitragssatz.

Einkommens- und Verteilungswirkungen

Tabelle 1 zeigt die Veränderung der äquivalenzgewichteten verfügbaren Einkommen im Vergleich zum Status quo für alle drei Ausgestaltungen des Reformszenarios.6 Dargestellt ist die Veränderung unter Berücksichtigung der beschriebenen Lohn- und Beschäftigungsreaktionen. Die Tabelle zeigt die durchschnittliche Veränderung in (äquivalenzgewichteten) Euro pro Jahr, aufgeschlüsselt nach Familientyp, Zahl der Kinder und Dezil des verfügbaren Einkommens.

Tabelle 1
Bedarfsgewichtete verfügbare Einkommen
in Euro pro Jahr
  Verfügbares Einkommen im Status quo Veränderung im Vergleich zum Status quo
Ohne Gegen-finanzierung Gegen- finanzierung durch Beitragssatz Gegen- finanzierung durch Mehrwertsteuer
Alle Haushalte 21 231 88 73 39
Nach Haushaltstypen
Single-Haushalt 18 859 -12 -24 -59
Alleinerziehend 13 906 227 221 199
Paar ohne Kinder 24 544 -24 -44 -86
Paar mit Kindern 20 706 257 243 218
Nach Zahl der Kinder im Haushalt
Keine 22 250 -19 -24 -76
Eins 22 975 182 163 136
Zwei 18 091 292 282 257
Drei 16 699 321 315 291
Vier oder mehr 12 348 344 349 344
Nach Dezilen des bedarfsgewichteten verfügbaren Einkommens
Ärmste 10% 7 341 118 118 120
Dezil 2 10 296 159 157 135
Dezil 3 12 106 132 125 101
Dezil 4 14 118 122 113 94
Dezil 5 16 030 90 79 35
Dezil 6 18 361 69 56 28
Dezil 7 21 209 52 35 -7
Dezil 8 25 315 45 24 -11
Dezil 9 31 952 48 16 -29
Reichste 10% 60 830 33 -10 -76

Anmerkung: Die in der Tabelle gezeigten Durchschnittswerte werden auf Basis aller Haushalte in Deutschland berechnet. Sie enthalten auch Rentnerhaushalte sowie andere Haushalte ohne sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, etwa Selbstständige oder Erwerbslose. Die Kategorie Paare enthält verheiratete und unverheiratete Paarhaushalte, wobei bei ersteren eine steuerliche Zusammenveranlagung angenommen wird.

Quelle: ZEW-Mikrosimulationsmodell auf Basis des SOEP v30.

Für Haushalte ohne Kinder ergibt sich in allen Szenarien ein Rückgang beim verfügbaren Einkommen. Dies hat zwei Gründe: Zum einen sinkt durch die Reform das Lohnniveau etwas, zum anderen müssen in den Varianten mit Gegenfinanzierung die Haushalte ohne Kinder höhere Beiträge zur Rentenversicherung bzw. höhere Mehrwertsteuersätze tragen, ohne durch eigene Freibeträge entlastet zu werden. Im Reformszenario mit höheren Beitragssätzen verbucht lediglich das einkommensstärkste Zehntel der Haushalte einen leichten Einkommensrückgang. Bei Gegenfinanzierung über einen höheren Mehrwertsteuersatz ergeben sich im Durschnitt Verluste in den oberen vier Dezilen, wobei die Verluste mit dem Einkommen steigen und für die obersten 10% am deutlichsten ausfallen.

Im Durchschnitt über alle Haushalte ergibt sich allerdings ein Plus im verfügbaren Einkommen. Dies ist selbst bei den beiden Szenarien mit aufkommensneutraler Gegenfinanzierung der Fall, da die höheren Beitragssätze nicht allein von den Beschäftigten, sondern auch arbeitgeberseitig getragen werden. Bei der Finanzierung über den Mehrwertsteuersatz tragen unter anderem auch die öffentliche Hand, und umsatzsteuerbefreite Unternehmen und Touristen aus dem Ausland einen Teil der Kosten. Im Vergleich der beiden aufkommensneutralen Varianten schneidet die Gegenfinanzierung durch einen höheren Beitragssatz besser ab: Die absoluten Zugewinne beim verfügbaren Einkommen fallen hier höher aus als bei einer Gegenfinanzierung durch einen höheren Mehrwertsteuersatz.

Tabelle 2 weist die Wirkungen der Reform auf wichtige Verteilungsmaße aus. Die Einführung eines Kinderfreibetrags in die Rentenversicherung reduziert den Gini-Koeffizienten nur geringfügig, da dieser besonders sensibel auf Veränderungen in der Mitte der Verteilung reagiert. Die relativ gesehen größten Gewinner der Reform befinden sich aber in den unteren Einkommensgruppen. In der Mitte der Verteilung fallen die Zugewinne beim verfügbaren Einkommen nicht so stark ins Gewicht, folglich sind auch die Auswirkungen auf den Gini-Koeffizienten relativ gering. Die Armutsrisikoquote wird ebenso durch die Reform nur leicht gesenkt, da gegebenenfalls gezahlte und nun niedrigere Rentenversicherungsbeiträge durch den Transferentzug nivelliert werden und sich deshalb kaum auf das verfügbare Einkommen auswirken.

Tabelle 2
Veränderung verschiedener Verteilungsmaße
  Ohne Gegenfinanzierung Gegenfinanzierung durch Beitragssatz Gegenfinanzierung über Mehrwertsteuer
Ohne Beschäfti-
gungs-
anpassung
Mit Beschäfti-
gungs-
anpassung
Ohne Beschäfti-
gungs-
anpassung
Mit Beschäfti-
gungs-
anpassung
Ohne Beschäfti-
gungs-
anpassung
Mit Beschäfti-
gungs-
anpassung
Gini -0,002 -0,002 -0,002 -0,002 -0,003 -0,003
P90/P10 -0,069 -0,069 -0,074 -0,079 -0,074 -0,081
Armutsrisikoquote -0,002 -0,003 -0,002 -0,004 -0,006 -0,006

Anmerkung: Der Gini-Koeffizient ist ein Maß der Ungleichverteilung, das Werte zwischen null (Gleichverteilung) und eins (Konzentration aller Einkommen auf eine Person) annehmen kann. Mit P90/P10 wird das Verhältnis vom neunten zum ersten Einkommensdezil angegeben. Die Armutsrisikoquote beziffert den Anteil der Personen, deren Haushaltseinkommen weniger als 60% des Medians der äquivalenzgewichteten Einkommen beträgt.

Quelle: ZEW-Mikrosimulationsmodell auf Basis des SOEP v30.

Die Berücksichtigung der Mehrwertsteuer hebt die Ungleichheitsmaße im Status quo auf ein etwas höheres Niveau.7 Eine Erhöhung des Standardsatzes der Mehrwertsteuer um 0,46 Prozentpunkte führt dann, im Vergleich zur Gegenfinanzierung über den Beitragssatz, zu ähnlichen Rückgängen bei den Verteilungsmaßen. Der relativ zu den anderen Szenarien starke Rückgang in der Armutsrisikoquote ist durch die im Modell angenommene Indexierung des Arbeitslosengeldes II an das Bruttopreisniveau zu erklären. Aufgrund dieser Annahme führt ein steigender Mehrwertsteuersatz unmittelbar zu einem höherem Arbeitslosengeld-II-Satz.

Fiskalische Effekte der Reform

In der Reformvariante ohne Gegenfinanzierung und Arbeitsmarktanpassungen belaufen sich die Kosten der Reform auf ca. 3,9 Mrd. Euro pro Jahr (vgl. Tabelle 3). Nach Anpassung von Löhnen und Beschäftigung steigen die Kosten auf 4,5 Mrd. Euro. Das neue Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt kann als langfristiger Effekt der Reform gesehen werden. Die höheren Kosten bei Berücksichtigung der Arbeitsnachfrageanpassungen sind auf niedrigere Stundenlöhne zurückzuführen, die nicht durch die gestiegene Beschäftigung ausgeglichen werden. Intuitiv funktioniert dies folgendermaßen: Durch die Reform hat ein exemplarischer Haushalt mit zwei Kindern und einem Alleinverdiener, der brutto 43 200 Euro verdient, ca. 1200 Euro mehr an verfügbarem Einkommen. Er könnte nun einen niedrigeren Bruttolohn akzeptieren, beispielsweise 42 000 Euro, und wäre netto noch immer bessergestellt als vor der Reform.

Eine Gegenfinanzierung über einen 0,6 Prozentpunkte höheren Rentenversicherungsbeitrag, der die Kosten der Reform ausgleicht, würde ohne Verhaltensanpassungen zu einem leichten Minus von 300 Mio. Euro im Gesamtbudget führen (vgl. Tabelle 3). Nach Beschäftigungsanpassung ist das Budget ausgeglichen. Bei Gegenfinanzierung durch eine Mehrwertsteuererhöhung würden sich die Kosten der Reform ohne Verhaltensanpassung auf ca. 400 Mio. Euro belaufen. Erneut ist aufgrund der Aufkommensneutralität das Budget nach Beschäftigungsanpassung ausgeglichen.

Tabelle 3
Fiskalische Wirkung im Vergleich zum Status quo
in Mrd. Euro pro Jahr
  Ohne Gegenfinanzierung Gegenfinanzierung durch Beitragssatz Gegenfinanzierung über Mehrwertsteuer
  Ohne Beschäfti-
gungs-
anpassung
Mit Beschäfti-
gungs-
anpassung
Ohne Beschäfti-
gungs-
anpassung
Mit Beschäfti-
gungs-
anpassung
Ohne Beschäfti-
gungs-
anpassung
Mit Beschäfti-
gungs-
anpassung
Einkommensteuer 0,7 0,3 0,3 0,3 0,7 0,7
Mehrwertsteuer         3,6 3,6
Sozialversicherung -5,2 -5,4 -1,0 -0,9 -5,2 -5
Davon Rentenversicherung -5,2 -5,3 -1,0 -1,0 -5,2 -5,1
Davon Arbeitslosen- versicherung 0 0 0 0 0 0
Davon Krankenversicherung 0 -0,1 0 0,1 0 0,1
Transferzahlungen 0,5 0,6 0,5 0,6 0,5 0,6
Davon ALG II 0,1 0,2 0,1 0,2 0,1 0,2
Gesamt -3,9 -4,5 -0,3 0 -0,4 0

Anmerkung: Positive Werte bedeuten Mehreinnahmen (Steuern) oder Minderausgaben (Transferzahlungen). Negative Werte stehen entsprechend für Mindereinnahmen (Rentenversicherung) und Mehrausgaben.

Quelle: ZEW-Mikrosimulationsmodell auf Basis des SOEP v30.

Fazit

Die vorliegende Studie untersucht die Einführung eines Kinderfreibetrags bei den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Es werden sowohl die Entlastungswirkungen für Familien als auch die fiskalischen Konsequenzen für das Staatsbudget und die Effekte auf den Arbeitsmarkt geschätzt. Zur aufkommensneutralen Gegenfinanzierung der Reform werden zwei Szenarien – eine Anhebung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung und eine Anhebung des Mehrwertsteuersatzes – simuliert.

Die Kosten für die Einführung eines Kinderfreibetrags in Höhe von 7248 Euro pro Kind würden sich auf ca. 4,5 Mrd. Euro (3,9 Mrd. Euro) belaufen, wenn Lohn- und Verhaltensanpassungen (nicht) berücksichtigt würden. Die durchschnittliche Entlastung für einen Haushalt mit zwei Kindern beträgt etwa 290 Euro pro Jahr (bezogen auf das äquivalenzgewichtete verfügbare Einkommen und ohne Gegenfinanzierung der Reform). Im Schnitt über alle Haushalte beträgt sie in etwa 90 Euro. Insgesamt würden durch die Reform die Familien mit Kindern jedes Jahr um etwa 2,1 Mrd. Euro entlastet.8

Bei den unteren Einkommenskategorien wird der positive Effekt eines Kinderfreibetrags durch verstärkten Transferentzug aufgehoben, sodass Haushalte im untersten Zehntel weniger stark profitieren als etwa Haushalte in der unteren Mittelschicht. In der Folge fällt der Rückgang der Einkommensungleichheit und der Armutsrisikoquote nicht allzu groß aus. Für eine nach Lohn- und Beschäftigungsanpassungen aufkommensneutrale Finanzierung über eine Erhöhung des Rentenbeitragssatzes müsste dieser um 0,6 Prozentpunkte steigen. Bei einer Gegenfinanzierung über die Mehrwertsteuer müsste der reguläre Satz um 0,46 Prozentpunkte erhöht werden. Sowohl bei der Veränderung des äquivalenzgewichteten verfügbaren Einkommens als auch bei den Beschäftigungswirkungen schneidet die Finanzierung über einen höheren Rentenversicherungsbeitrag besser ab als die Finanzierung über einen höheren Mehrwertsteuersatz. Ein weiterer Vorteil der Finanzierung über höhere Beitragssätze ist, dass Familien ohne rentenversicherungspflichtiges Einkommen durch diese Form der Gegenfinanzierung nicht schlechter gestellt würden.

  • 1 Dieser Artikel basiert auf einem Gutachten zur Einführung von Kinderfreibeträgen in der Sozialversicherung, das die Autoren im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie erstellt haben.
  • 2 Bei Ehepartnern wird der Freibetrag in der Regel hälftig geteilt. Wäre das zu verbeitragende Einkommen eines Partners nach Abzug des Freibetrags negativ, wird dem anderen Partner die Differenz gutgeschrieben. Ist ein Ehegatte nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt, erhält der andere Partner den gesamten Freibetrag. Liegt ein Ehegatte in der Gleitzone, wird vorrangig dem regulär beschäftigten Partner der Freibetrag zugeteilt.
  • 3 Eine ausführlichere Darstellung des methodischen Vorgehens findet sich im Gutachten. Mithilfe des ZEW-Mikrosimulationsmodells wurden in der Vergangenheit bereits zahlreiche Reformvorschläge evaluiert, siehe etwa C. Fuest, M. Löffler, A. Peichl, H. Stichnoth: Integration des Solidaritätszuschlags in die Einkommensteuer – Verteilungs- und Aufkommenswirkungen, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 5, S. 319-324, http://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2015/5/integration-des-solidaritaetszuschlags-in-die-einkommensteuer/ (31.3.2017).
  • 4 Sozio-oekonomisches Panel (SOEP), Daten der Jahre 1984-2013, Version 30, 2015.
  • 5 Siehe A. Peichl, S. Siegloch: Accounting for Labor Demand Effects in Structural Labor Supply Models, in: Labour Economics, 19. Jg. (2012), H. 1, S. 129-138, für weitere Details.
  • 6 Die Äquivalenzgewichtung verwendet die modifizierte OECD-Skala, in der der Haushaltsvorstand ein Gewicht von eins, jede weitere Person über 14 Jahren ein Gewicht von 0,5 und jedes Kind unter 14 ein Gewicht von 0,3 erhält. Für ein Paar mit zwei Kindern unter 14 Jahren wird z.B. das verfügbare Einkommen durch 2,1 dividiert, für ein Paar mit zwei Kindern über 14 Jahren hingegen durch 2,5. Bei gleichem verfügbaren Einkommen von etwa 20 000 Euro beträgt das äquivalenzgewichtete Einkommen für den Haushalt mit jüngeren Kindern also 9524 Euro und für den Haushalt mit älteren Kindern 8000 Euro.
  • 7 Nach Berücksichtigung der Mehrwertsteuer im Status quo, also ohne die Reform des Kinderfreibetrags, läge der Gini bei 0,361; das P90/P10 Verhältnis bei 4,081 und die Armutsrisikoquote bei 0,139.
  • 8 Bezogen auf das äquivalenzgewichtete verfügbare Einkommen und ohne Gegenfinanzierung der Reform, nach Beschäftigungsanpassung.

Title:Child Allowance in the Public Pension System – Behavioural Responses and Distributional Effects

Abstract:The future of the German pay­as­you­go public pension system is dependent on families with children. In contrast to German tax law, there are no child allowances in the social insurance system. As a result, workers with and without children pay the same pension insurance contributions. This article analyses the introduction of a child allowance into the public pension system in Germany. We quantify the fiscal, distributional and behavioural effects of such a reform.

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DOI: 10.1007/s10273-017-2128-z