Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Fachkräfteeinwanderung: Nachschub für Niedriglohnsektor?

Von Katharina Molitor, Eric Seils

Lange Zeit überboten sich die dramatischen Meldungen zum Fachkräftemangel in der Bundesrepublik. In immer neuen Schätzungen wurde die Zahl der fehlenden Fachkräfte und der damit verbundenen horrenden „Verluste“ für die Volkswirtschaft beziffert. Insbesondere die Zahlen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) sind extrem übertrieben: Laut seinem Arbeitsmarktreport können 48 % der Unternehmen offene Stellen längerfristig nicht besetzen, weil Fachkräfte fehlen. Insgesamt soll es sich um 1,6 Mio. Stellen handeln. Zudem soll der Fachkräftemangel gerade in jenen Branchen ein Geschäftsrisiko darstellen, in denen die Qualifikationsanforderungen gering sind! Beispielhaft hebt der Unternehmerverband mit der Leiharbeit, dem Gastgewerbe, dem Straßengüterverkehr, der Sicherheitswirtschaft und dem Gartenbau klassische Niedriglohnbranchen mit geringen Qualifikationsanforderungen hervor. Darüber hinaus zeigt sich der Unternehmerverband besorgt über die Folgen eines Mangels an „Doormen“ im Einzelhandel und Türstehern bei öffentlichen Veranstaltungen. Wie bizarr das Zahlenwerk des DIHK ist, lässt sich schon daran ablesen, dass das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) den Fachkräftemangel im selben Jahr auf nicht einmal 440 000 Stellen veranschlagt. Auch einen Arbeitskräftemangel bei Helfertätigkeiten kann das IW nicht erkennen.

Obschon sich die Kapitalseite der Wirtschaft über die Diagnose des Problems keinesfalls einig ist, so doch über dessen Lösung: Zuwanderung aus Drittstaaten. Tatsächlich ist eine verstärkte Fachkräfteeinwanderung durchaus sinnvoll. Schon heute gilt dies etwa für die Pflege. Auch die Finanzierung sozialer Sicherungssysteme kann von einer Fachkräfteeinwanderung profitieren. Das von den Unternehmerverbänden dominierte Eckpunktepapier der Koalition begünstigt jedoch eher eine Einwanderung von Arbeitskräften mit unbedeutenden Qualifikationen. In der aktuellen Fassung des Eckpunktepapiers ist etwa die ersatzlose Streichung der sogenannten Positivliste vorgesehen. Die Positivliste beschränkt die Arbeitseinwanderung aus Drittstaaten auf Berufe, in denen tatsächlich Mangel vorherrscht. Die Abschaffung der Positivliste wird also die Einwanderung von „Fachkräften“ aus Berufen ermöglichen, in denen gar kein Mangel vorliegt und die eine nur geringe schulische Vorbildung erfordern. Solche Qualifikationen sind in Drittstaaten reichlich vorhanden. Diese Regelung wird daher eher zu einer Einwanderung von Hotelpersonal, Lkw-Fahrern, Landschaftsgärtnern und Sicherheitspersonal führen als einen Zustrom von IT-Fachleuten auslösen. Auch die im Eckpunktepapier vorgesehene Einwanderung zur Arbeitsuche zieht Arbeitskräfte mit geringer Qualifikation an. Wenn in einem Beruf ein derart gravierender Mangel an Fachkräften herrscht, dass dieser nicht einmal unter Rückgriff auf den riesigen, von Arbeitslosigkeit geplagten europäischen Arbeitsmarkt zu decken ist, dann liegt es im Interesse der Unternehmen, begehrten Fachkräften aus Mangelberufen eine Stelle zuzusagen. Ansonsten würden solche Leute nämlich gar nicht kommen. Die Einwanderung zur Arbeitsuche ist daher vor allem für Arbeitskräfte mit unbedeutenden Qualifikationen von Interesse. Gleichzeitig würde dies den Ausbau des Niedriglohnsektors begünstigen, da die Zugewanderten auch unterbezahlte Stellen annehmen werden, nur um in Deutschland bleiben zu können.

Eine erfolgreiche Einwanderungspolitik braucht also strikte Regeln, die auf qualifizierte Fachkräfte zugeschnitten sind. Eine ersatzlose Streichung der Positivliste und die Einwanderung zur Arbeitsuche sind daher unbrauchbar. Die Einwanderungspolitik darf nicht dem Erhalt des Niedriglohnsektors dienen.

Autoindustrie: Die Politik und der Diesel

Von Alexander Eisenkopf

Seit Monaten beherrschen Meldungen über anstehende Fahrverbote für Diesel-Pkw in deutschen Städten die Medien. Unter starkem Handlungsdruck hat der Koalitionsausschuss der Bundesregierung Anfang Oktober ein „Konzept für saubere Luft und Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten“ verabschiedet. Hauptbestandteile sind großzügige Prämien der Autohersteller für den „Umtausch“ älterer Fahrzeuge sowie Regelungen für eine geplante Hardware-Nachrüstung von Dieselfahrzeugen. In allen Städten, in denen der NO2-Jahresmittelwert den Grenzwert von 40 µg je m³ Luft überschreitet, unterstützt der Bund die Hardware-Nachrüstung mit SCR-Systemen bei schweren Kommunalfahrzeugen sowie Handwerker- und Lieferfahrzeugen. Für 14 besonders belastete Städte, die Jahresmittelwerte von über 50 µg NO2 je m³ Luft aufweisen, soll das Bundesimmissionsschutzgesetz geändert werden, damit Fahrzeuge der Euroklassen 4 und 5, die weniger als 270 mg/km Stickoxid ausstoßen, auch in Zukunft einfahren dürfen. Für Fahrzeuge, die diesen Grenzwert überschreiten, haben die deutschen Automobilhersteller zugesagt, betroffenen Dieselfahrern großzügige Umtauschangebote zu machen. Außerdem werden für Hardware-Nachrüstungen genehmigungsrechtliche Voraussetzungen geschaffen. Der Bund erwartet, dass der jeweilige Automobilhersteller die Kosten für den Einbau übernimmt. Diese Regelungen sollen auch für Bewohner angrenzender Landkreise und Pendler aus anderen Herkunftsgebieten gelten.

Die Kritik an der Politik hat sich nach der Verabschiedung des Dieselpakets eher noch verstärkt. So kommt die Automobilindustrie nach vielfacher Einschätzung zu gut weg, da es keine flächendeckende Verpflichtung zur Hardware-Nachrüstung gibt. Doch wo ist die rechtliche und ökonomische Handhabe dafür? Jenseits der Thematik bei VW gab es für alle Fahrzeuge gültige Typgenehmigungen und Zulassungen. Hardware-Nachrüstung ist zudem nach Einschätzung vieler Experten kein so einfaches Unterfangen. Unter diesen Voraussetzungen wird die Nachrüstung von Pkw wahrscheinlich nur in homöopathischen Dosen stattfinden: Das ist aber durchaus zu begrüßen wie auch die geplante Nachrüstung von schweren Kommunalfahrzeugen mit SCR-Katalysatoren. Die geplanten Umtauschprämien für Dieselfahrzeuge der Euronorm 4 und 5 sind dagegen eine Bankrotterklärung der Politik: Manifestiert sich deren Handlungsfähigkeit darin, vorher mit der Industrie im Hinterzimmer verhandelte Rabatte für den „Umtausch“ von Fahrzeugen zu verkünden? Der Überbietungswettbewerb der Autohersteller im Hinblick auf Nachlässe sollte nicht den Blick darauf versperren, dass Neuwagenkäufer heute regelmäßig von sehr hohen Rabatten auf die Listenpreise profitieren und die in der Presse genannten Zahlen daher ohne jeden ökonomischen Aussagewert sind. Da auch Gebrauchtwagen Teil des Angebots sein sollen, können zudem die derzeit kaum verwertbaren und damit wenig werthaltigen Flotten von Euro-6-Leasing- oder Mietwagenrückläufern wieder in den Markt eingespeist werden. Aus volkswirtschaftlicher Sicht kritisch zu bewerten ist zudem eine mögliche Verschrottung durchaus noch viele Jahre voll funktionsfähiger Fahrzeuge als staatlich incentivierte Vernichtung von Volksvermögen.

Auch nach dem Dieselpaket geht die Diskussion munter weiter. Es werden aber mittlerweile auch die wirklich relevanten Themen angesprochen: Welchen Sinn haben die Grenzwerte der EU eigentlich, und darf die EU angesichts des Subsidiaritätsprinzips überhaupt so massiv in lokale Belange eingreifen? Wurden die Messstationen wirklich richtlinienkonform aufgestellt? Wo hat die Politik bei der Übersetzung der Imissionsgesetzgebung in Emissionsvorschriften versagt? Diese und andere Fragen werden sich in den nächsten Monaten umso drängender stellen, je weniger die beschlossenen Maßnahmen sich als geeignet erweisen, drohende Fahrverbote abzuwenden.

Baukindergeld: Eigentlich Bauträgergeld

Von Claus Michelsen

Wer in den Genuss des jüngst beschlossenen Baukindergelds kommen möchte, sollte sich beeilen. Eine jährliche Prämie von 1200 Euro je kindergeldbezugsberechtigten Spross unter 18 sind für die Dauer von zehn Jahren ausgelobt, sofern der Schritt in die eigenen vier Wände gewagt wird. Bis zum 31.12.2020 muss entweder die Baugenehmigung für das noch zu errichtende Eigenheim gestellt oder der Kaufvertrag für die zukünftige Familienwohnung unterzeichnet sein. Wem es heute noch am notwendigen Nachwuchs fehlt, müsste dringend aktiv werden. Den Antrag bei der KfW darf stellen, wessen Haushaltseinkommen 90 000 Euro brutto bei einem geförderten Kind unterschreitet – für jedes weitere steigt die Grenze um 15 000 Euro. Erklärtes Ziel ist es, mehr Familien über die Schwelle ins Eigenheim zu hieven. Groß war dann auch die Freude unter den Koalitionären, als nach einem Monat bereits 24 399 Haushalte die neue Förderung in Anspruch nehmen wollten. Förderanträge können nach dem Einzug in das neue Heim gestellt werden. Allerdings ist dies eher ein Zeichen für die Fehlkonstruktion des Instruments, denn als Erfolg zu werten. Der kurzfristige Anreiz dürfte bei der Finanzierung kaum helfen und in einem Markt, der langen Zyklen folgt, vor allem zu Mitnahmeeffekten und Preissteigerungen führen.

Trotz der vielerorts stark gestiegenen Immobilienpreise sind es dank der positiven Einkommensentwicklung und der äußerst günstigen Zinsen selten die laufenden Belastungen aus den Kreditraten, die Familien vom Kauf einer eigenen Immobilie abhalten. Viele haben der Marktentwicklung nicht hinterher sparen können und kommen deshalb nicht zum Zug, weil die Eigenkapitaldecke für einen Immobilienkauf zu dünn ist. Dabei hilft das Baukindergeld aber nicht weiter, denn gewährt wird ein Zuschuss zur laufenden Belastung der nicht – weil als Zuschuss und nicht als gesetzlicher Anspruch konzipiert – wie früher die Eigenheimzulage als Eigenkapitaläquivalent bei Banken hinterlegt werden kann. Das Baukindergeld dürfte also von Haushalten in Anspruch genommen werden, die über das nötige Guthaben auf dem Festgeldkonto verfügen. Deren Einkommen ist meist in der oberen Hälfte der Verteilung zu suchen und so ist das Baukindergeld mehr ein Zuschuss zum Urlaubsbudget, denn ein notweniger Finanzierungsbeitrag für den Eigenheimerwerb.

Mitnahmeeffekte sind aber schon allein deshalb wahrscheinlich, weil ein Kauf oder eine Bauplanung nicht von jetzt auf gleich umgesetzt werden. Alle bislang bewilligten Förderanträge sind Geschenke an die begünstigten Haushalte, ohne dass auch nur einer seine Entscheidung von dem Instrument abhängig gemacht hätte – denn keine Bank und kein Bauherr konnten vor ein, zwei Jahren mit dieser Förderung rechnen. Dies dürfte für viele weitere Haushalte zutreffen, die bereits geplant, gebaut oder gekauft haben und in der nächsten Zeit Förderanträge stellen.

Diejenigen, die tatsächlich ins Grübeln kommen und einen Kauf wegen der Förderung in Erwägung ziehen, stoßen in den Städten auf einen leergefegten Markt. Der Wettbewerb um die verbliebenen Bauplätze und Immobilien ist groß. Das Baukindergeld verschiebt die Grenze des Finanzierbaren weiter nach oben und wird so vor allem bei Verkäufern für Freude sorgen – dorthin dürfte bei rigidem Angebot ein großer Teil der Förderung fließen. Und wenn dann noch Handwerker beauftragt werden sollen, machen sich die Restriktionen der Bauwirtschaft bemerkbar. Diese ist noch stärker ausgelastet als zu Zeiten des letzten Baubooms in den 1990er Jahren. Es ist aber nicht zu erwarten, dass die Bauwirtschaft angesichts des dreijährigen Strohfeuers ihre Kapazitäten ausweitet. Wahrscheinlicher ist, dass Unternehmen die zusätzliche Zahlungsbereitschaft abschöpfen. Die bereits jetzt galoppierenden Bau- und Immobilienpreise dürften weiter zulegen – so wird die als Baukindergeld eingeführte Unterstützung zu einem Bauträgergeld.

Populismus: Stabilität und Demokratie bedroht

Von Lars Brozus

In immer mehr konsolidierten Demokratien werden Wahlen zusehends stärker von identitätspolitischen als von sachpolitischen Auseinandersetzungen geprägt. Allein in diesem Jahr ließ sich dies etwa in Italien, Schweden, Brasilien und zuletzt bei den Midterm-Elections in den USA beobachten. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung, denn die Aufladung von Wahlkämpfen mit Identitätsfragen verändert die politische Kultur unweigerlich in eine Richtung, die Kompromisse erschwert. Die Fähigkeit zum lagerübergreifenden politischen Kompromiss ist jedoch eine wichtige Bedingung für gute Regierungsführung. Die Politisierung von Identität, die vor allem durch populistische Parteien und Bewegungen vorgenommen wird, bedroht daher nicht nur die politische Kultur, sondern auch die gesellschaftliche Stabilität.

Im Zentrum steht bei identitätspolitischen Auseinandersetzungen die Frage der Zugehörigkeit zu einer Gruppe bzw. zu mehreren Gruppen. Gekennzeichnet sind diese durch bestimmte Merkmale wie etwa ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung, Weltanschauung oder religiöse Überzeugung. Die individuelle Identität als Person wie auch die kollektive als Teil der Gesellschaft wird durch Zugehörigkeit zu solchen Gruppen geformt. Das kann durch freiwillige Zuordnung geschehen, aber auch durch „Identitätszuweisung“ von außen.

Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch eine Pluralität an Lebensentwürfen aus, die verschiedene dieser Merkmale miteinander kombinieren können. Das ermöglicht multiple Gruppenzugehörigkeiten und Identitätskonfigurationen. Populistische Parteien und Bewegungen attackieren bevorzugt solche Identitätskonfigurationen, die gesellschaftlich als Minderheit gelten: wir gegen die Anderen. Sie definieren Identität nicht inklusiv als individuelle Zuordnungsleistung, sondern exklusiv, d. h. bestimmt durch als unveränderlich erklärte Merkmale. Am deutlichsten ausgeprägt zeigt sich die Konfliktlinie zwischen Identitäts- und Sachpolitik gegenwärtig in den USA. In politischer Hinsicht äußert sich dies in der Identifikation mit Demokraten oder Republikanern. Diese parteipolitische Zuordnung überlagert die klassischen sozialen, kulturellen und ethnischen Konfliktlinien. Die Kernwählerschaft beider Parteien ist in erster Linie daran interessiert, sich zu ihrer „politischen Heimat“ zu bekennen, da diese einen zentralen Teil ihrer persönlichen und gesellschaftlichen Identität ausmacht. Sachpolitische Aspekte treten demgegenüber in den Hintergrund – selbst dann, wenn individuelle ökonomische Nachteile drohen. Unter gut verdienenden Demokraten sprechen sich beispielsweise mehr Wähler dafür aus, höhere Einkommen progressiv zu besteuern, als unter der gering verdienenden Parteianhängerschaft.

Parteiübergreifende Zusammenarbeit, lange ein Erfolgsmerkmal des amerikanischen Parlamentarismus, wird aufgrund dieser identitätspolitischen Aufladung immer schwieriger. Mandatsträger, die mit dem politischen Gegner zusammenarbeiten, riskieren den Vorwurf des Verrats an der eigenen Sache. Im erbarmungslosen Selektionskampf des amerikanischen Vorwahlsystems kann dies dazu führen, dass Konkurrenten auftauchen, die mit ideologischer Reinheit und politischer Kompromisslosigkeit für sich werben. Die Konsequenz: erfahrene und moderate Parlamentarier treten entweder nicht mehr an oder werden von diesen Konkurrenten geschlagen. Es ist kein Zufall, dass bei den Midterm-Elections auf der republikanischen Seite vor allem Kandidaten gewonnen haben, die von US-Präsident Trump unterstützt wurden. Sie sind ihm und seinem Mantra des „Gewinnen wollen um jeden Preis“ entsprechend verpflichtet. Schlechte Aussichten für die Demokratie in den USA.


DOI: 10.1007/s10273-018-2365-9

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.