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Die Konjunktur in Deutschland, die sich bis Sommer 2018 in einem lang anhaltenden, kräftigen Aufschwung befand, ist im Herbst ins Stottern geraten. Im dritten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) preis- und saisonbereinigt um 0,2 % gesunken. Dieser Rückgang war vor allem durch die infolge von Änderungen der Abgas-Prüfstandards in der Autoindustrie verursachten Produktionskürzungen und Zulassungsstaus bedingt; nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums wurde dadurch das Wirtschaftswachstum um 0,4 Prozentpunkte gedämpft. Aber selbst wenn man diesen Effekt herausrechnet, hat sich die konjunkturelle Dynamik merklich abgeschwächt. Die Produktions- und Auslieferungsprobleme in der Autoindustrie schlugen sich auf der Verwendungsseite „naturgemäß“ vor allem im Export und im privaten Konsum nieder; beide Aggregate verzeichneten auch deshalb im dritten Quartal Rückgänge. Da die Importe weiter zunahmen, war der außenwirtschaftliche Gesamtimpuls auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum stark negativ. Hingegen wurde in Ausrüstungen und Bauten wiederum mehr investiert, und auch die staatlichen Konsumausgaben stiegen wieder. Zur tendenziellen Abschwächung der Konjunktur haben aber sicherlich auch die zunehmenden politischen Unsicherheiten, wie die von den USA ausgehenden Handelsstreitigkeiten, die Brexit-Querelen oder der Haushaltsstreit zwischen Italien und der EU beigetragen. Die Zahl der Erwerbstätigen ist gleichwohl – selbst im dritten Quartal 2018 – weiter gestiegen, auf nunmehr über 45 Mio. Umgekehrt ist die Zahl der Arbeitslosen weiter zurückgegangen; die Arbeitslosenquote (in % aller zivilen Erwerbspersonen) sank im Oktober auf 4,9 %. Das ist die beste Arbeitsmarktsituation seit der Wiedervereinigung. Die Verbraucherpreise haben in den vergangenen Monaten vor allem aufgrund stark gestiegener Ölpreise spürbar angezogen; im Oktober 2018 erreichte die Inflationsrate 2,5 %. Inzwischen sind die Ölpreise allerdings wieder drastisch gefallen; die Inflationsrate wird folglich in den letzten beiden Monaten dieses Jahres wieder sinken (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Eckdaten für Deutschland
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %

2017

2018

2019

2020

Bruttoinlandsprodukt1

2,2

1,6

1,4

1,7

Private Konsumausgaben

1,8

1,2

1,3

1,4

Staatliche Konsumausgaben

1,6

1,0

1,5

1,2

Anlageinvestitionen

3,3

3,2

3,4

2,9

Ausrüstungen

3,7

4,5

4,2

4,0

Bauten

2,7

3,4

3,2

2,3

Sonstige Anlagen

1,3

0,2

2,3

2,0

Inlandsnachfrage

2,0

2,1

2,0

1,5

Ausfuhr

4,6

2,2

3,4

4,9

Einfuhr

4,8

3,4

4,1

4,7

Arbeitsmarkt
Erwerbstätige

1,4

1,3

0,6

0,3

Arbeitslose (in Mio.)

2,53

2,34

2,23

2,17

Arbeitslosenquote2 (in %)

5,4

5,0

4,7

4,6

Verbraucherpreise

1,8

2,0

2,1

2,1

Finanzierungssaldo des Staates (in % des BIP)

1,0

1,9

1,6

1,4

Leistungsbilanzsaldo3 (in % des BIP)

7,9

7,4

7,4

7,4

1 Preisbereinigt.  2 Arbeitslose in % der inländischen Erwerbspersonen (Wohnortkonzept).  3 In der Abgrenzung der Zahlungsbilanzstatistik.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Deutsche Bundesbank; Bundesagentur für Arbeit; ab 2018 Prognose des HWWI. .

Vieles spricht dafür, dass ein erheblicher Teil der Ausfälle in der Autoindustrie vom dritten Quartal im vierten Quartal 2018 nachgeholt wird. Das reale BIP dürfte sich dann wieder merklich erhöhen, stärker als rein konjunkturell bedingt. Im Jahresdurchschnitt 2018 wird deshalb noch ein Zuwachs von 1,6 % erwartet. Der Arbeitsmarkt entwickelte sich 2018 trotz der sich abschwächenden Konjunktur sehr robust und erzielt sowohl bei der Zahl der Beschäftigten wie auch bei der Arbeitslosenquote mit weniger als 5 % Arbeitslosen neue Bestmarken. Dabei wurde die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erneut überdurchschnittlich ausgedehnt. Mit zunehmendem Beschäftigungsgrad zeigen sich natürlich auch Anspannungen am Arbeitsmarkt. Die jahresdurchschnittliche Teuerungsrate wird nach dem jüngsten Preisschub, auch wenn dieser zum Jahresende hin wieder abebbt, 2 % betragen.

Die weiteren Konjunkturperspektiven werden von nicht unerheblichen politischen Risiken überschattet. Das weltwirtschaftliche Umfeld hat sich ebenfalls leicht eingetrübt, sicherlich zum Teil bereits als Folge der erhöhten politischen Unsicherheiten. Hier wird davon ausgegangen, dass die Handelsbeziehungen Deutschlands speziell zu den USA durch Verhandlungen von außerordentlichen Belastungen, wie hohen Strafzöllen, frei gehalten werden können, der Brexit in einigermaßen geordneten Bahnen erfolgt und der Haushaltsstreit zwischen Italien und der EU soweit geregelt wird, dass er nicht in eine neuerliche Eurokrise mündet. Aber auch dann werden Unsicherheiten die Wirtschaftssubjekte zu vorsichtigerem Handeln veranlassen, das, auch wenn die binnenwirtschaftlich günstigen Rahmenbedingungen die inländische Nachfrage stützen, letztlich die konjunkturelle Dynamik abschwächt. Weniger expansive Exporte werden zusammen mit vorsichtigeren Investitionen auch zu einem geringeren Anstieg der Beschäftigung und damit der Einkommen und des privaten Konsums führen. Auch wenn die Baunachfrage und der staatliche Konsum kaum vermindert zunehmen werden, wird die konjunkturelle Dynamik tendenziell nachlassen.

Alles in allem dürfte die deutsche Wirtschaft unter diesen Bedingungen im Jahresdurchschnitt 2019 um knapp 1 ½ % wachsen, etwas unterhalb des Potenzialwachstums, das bei gut 1 ½ % liegt (vgl. Abbildung 1). Das in den vergangenen Jahren deutlich über dem Potenzial liegende Wachstum hat aber auch zu einer Überauslastung der deutschen Wirtschaft geführt, was ebenfalls das weitere Wachstumstempo gedämpft hätte. Die Lage am Arbeitsmarkt wird sich dabei weiter verbessern, wenn auch ebenfalls nicht mehr so stark wie in den vergangenen Jahren; dabei macht sich auch der zunehmende Fachkräftemangel als Engpass bemerkbar. Die Inflationsrate der Verbraucherpreise dürfte 2019, auch wenn sich die Energiepreise wieder stabilisieren, durchschnittlich gut 2 % betragen. Dabei dürften sich dann die in einigen Regionen deutlich gestiegenen Mietpreise stärker niederschlagen.

Abbildung 1
Preisbereinigtes BIP in Deutschland
Preisbereinigtes BIP in Deutschland

Saison- und arbeitstäglich bereinigt mit Census-Verfahren X-12-Arima

1 Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet. 2 Zahlenangaben: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %.

Quellen: Statistisches Bundesamt; ab 4. Quartal 2018 Prognose des HWWI.

Die Konjunkturperspektiven für 2020 sind ähnlich wie für 2019, da kaum davon ausgegangen werden kann, dass die bestehenden Unsicherheiten bis dahin vollständig ausgeräumt werden können bzw. sich bis dahin gänzlich auflösen. Ohne neue Belastungen könnte sich dann der Konjunkturanstieg in gemäßigtem Tempo fortsetzen. Die deutsche Wirtschaft würde 2020 kalenderbereinigt erneut um knapp 1 ½ % wachsen; nur wegen einer höheren Zahl an Arbeitstagen würde das jahresdurchschnittliche Wachstum 1,7 % betragen. Die Arbeitsmarktsituation wird sich dann kontinuierlich leicht verbessern. Die Inflationsrate der Verbraucherpreise könnte bei gut 2 % verharren.

Die Risiken für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft kommen vor allem von außen. Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass die von den USA ausgehenden Handelskonflikte, die für den Brexit entscheidenden politischen Prozesse in Großbritannien wie auch das Verhalten der italienischen Koalitionsregierung kaum vorhersehbar sind, ganz abgesehen von etwaigen neuen Problemfeldern. Rapide Verschlechterungen des außenwirtschaftlichen Umfelds würden auch die deutschen Exporte belasten und in der Folge die Investitionen der Unternehmen, deren Einstellungsbereitschaft und letztlich die Binnennachfrage insgesamt. Schlussendlich haben die USA bereits mit Zinssteigerungen begonnen, die bei weiteren Anhebungen insbesondere die Finanzsituation vieler Entwicklungs- und Schwellenländer beeinträchtigen könnten.

Angesichts der absehbaren Verlangsamung der Wirtschaftsentwicklung in Deutschland wird teilweise über wirtschaftspolitische (Gegen-)Maßnahmen diskutiert. Trotz Abschwächung des Aufschwungs sind traditionelle konjunkturpolitische Stimulierungsmaßnahmen aufs Erste sicherlich nicht erforderlich, denn das erwartete Wirtschaftswachstum bleibt immer noch annähernd auf Potenzialpfad, und das bei Rekordbeschäftigung und Fachkräftemangel, und die Inflationsrate bewegt sich bereits knapp über der 2 %-Stabilitätsschwelle. Wichtig bleibt vielmehr, dass die Bundesregierung auf internationaler Ebene weiterhin ihren Einfluss geltend macht, sodass die vornehmlich von außen kommenden Risiken möglichst nicht virulent werden und die außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen destabilisieren, mit der Folge einer ungünstigeren Wirtschaftsentwicklung als vorab beschrieben. Die dank der bislang guten Konjunktur hohen staatlichen Haushaltsüberschüsse ermöglichen vielmehr eine zukunftsorientierte Wachstums­politik. Insbesondere Investitionen in die Infrastruktur, Bildung und Digitalisierung würde die weitere Wirtschaftsentwicklung mittel- und langfristig stützen.

Jörg Hinze
j-hinze@hwwi.org

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DOI: 10.1007/s10273-018-2386-4