Zurzeit sprechen bereits viele von einem drohenden Handelskrieg. Daher ist es sinnvoll zu hinterfragen, was schlimmstenfalls passieren kann. Die einfache Botschaft lautet, dass Handelsgewinne hoch und Handelskriege teuer sind. So ist etwa ein Viertel des weltweiten Realeinkommens auf Handelsgewinne zurückzuführen. Außerdem würde ein Handelskrieg fast ein Viertel dieser Handelsgewinne zerstören und erheblichen Schaden anrichten.
Ein weltweiter Handelskrieg, also das vollständige Zusammenbrechen jeglicher handelspolitischen Kooperation, ist das Worst-Case-Szenario der Handelspolitik. Dazu kam es zuletzt in den 1930er Jahren kurz nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, ausgelöst unter anderem durch massive Zollerhöhungen der USA. Damals hat die USA mit dem Smoot-Hawley Tariff Act von 1930 die Zölle auf mehr als 900 Importgüter teilweise drastisch erhöht und damit eine Protektionismus-Spirale in Gang gesetzt. Diese trug schließlich zu einem beispiellosen Einbruch des Welthandels und einer weiteren Zuspitzung der Weltwirtschaftskrise bei.
Diese Erfahrung gab später den Anstoß für eine umfassende Institutionalisierung der internationalen Handelskooperation. Der Durchbruch war die Unterzeichnung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) im Jahr 1947, das 1995 in der Welthandelsorganisation (WTO) aufgegangen ist. Die GATT/WTO bildet zusammen mit einem weitverzweigten Netzwerk regionaler Handelsabkommen das heutige Welthandelssystem. Es hat sich bislang als Garant der internationalen Handelskooperation bewährt und zuverlässig bestehende Zollvereinbarungen geschützt sowie weitere Zollsenkungen vorangetrieben.
Dieses Welthandelssystem ist nun durch die handelspolitische Neuorientierung der USA bedroht. So hat Präsident Trump mit der Handelspolitik seiner Vorgänger gebrochen und seinen Wählern weitreichende protektionistische Maßnahmen in Aussicht gestellt. Zum Beispiel droht er US-amerikanischen Handelspartnern wie Deutschland mit hohen Zöllen, kritisiert regionale Handelsabkommen wie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) mit scharfen Worten und stellt WTO-Beschlüsse wie die Aufnahme Chinas im Jahr 2001 infrage. Sollten solchen Worten entsprechende Taten folgen, wäre dies ein schwerer Schlag für das Welthandelssystem, das selbstredend auf die Unterstützung der großen Handelsmächte angewiesen ist. Die soeben beschlossenen Schutzzölle von 25 % auf Stahl und 10 % auf Aluminium geben in diesem Zusammenhang weiteren Anlass zur Sorge.
Diese aktuelle Situation nehme ich zum Anlass, kurz den Stand der Forschung zur Messung von Handelsgewinnen und Handelskriegskosten zu skizzieren. Ich beziehe mich dabei vor allem auf zwei eigene Forschungsarbeiten.1 Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich an dieser Stelle vorwegnehmen, dass wir uns derzeit weder in einem Handelskrieg befinden noch eindeutig auf dem Weg in einen solchen sind. Aber es erscheint mir dennoch angebracht zu sein, den US-Präsidenten einmal beim Wort zu nehmen und zu fragen, was schlimmstenfalls passieren könnte.
Handelsgewinne
Die Handelsgewinne eines Landes beschreiben den Teil des Realeinkommens, der dem Außenhandel zuzuschreiben ist. Sie werden üblicherweise als Prozentsatz des Autarkieeinkommens angegeben, also dem Realeinkommen in einem hypothetischen Szenario ganz ohne Handel. Ein Handelsgewinn von 50 % bedeutet z. B., dass das tatsächliche Realeinkommen um 50 % höher ist als es ohne Handel wäre, also ein Drittel des tatsächlichen Realeinkommens dem Außenhandel zuzuschreiben sind.
Handelsgewinne kann es aus einer ganzen Reihe von Gründen geben. Ein wesentlicher Grund ist ganz einfach, dass Handel eine internationale Arbeitsteilung durch Spezialisierung ermöglicht. Es ist wohl unumstritten, dass Arbeitsteilung durch Spezialisierung eine entscheidende Quelle unseres Wohlstands ist. Und es gibt keinen Grund, warum das Potenzial zur Arbeitsteilung an den Landesgrenzen erschöpft sein sollte, sodass man schon rein intuitiv von Handelsgewinnen ausgehen muss. Die volkswirtschaftliche Forschung hat die Existenz von Handelsgewinnen mittlerweile mit einer Vielzahl theoretischer und empirischer Untersuchungen nachgewiesen. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass dies nur bedeutet, dass Länder insgesamt vom Handel profitieren und nicht, dass auch jeder einzelne Bürger profitiert, denn Handel hat in der Regel natürlich auch Verteilungseffekte.
Die Wissenschaft hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in der Messung von Handelsgewinnen gemacht. Der Durchbruch war die Entdeckung von Arkolakis et al., dass die Handelsgewinne in einer ganzen Reihe von gängigen Handelsmodellen mit einer einheitlichen Formel berechnet werden können.2 Diese Formel hängt nur von der Binnenhandelsquote und der Handelselastizität ab. Die Binnenhandelsquote misst den Anteil des nationalen Einkommens, das für inländische Produkte ausgegeben wird. Je geringer diese Quote, desto wichtiger ist der Außenhandel und desto größer sind ensprechend die Handelsgewinne. Die Handelselastizität misst die prozentuale Verringerung bilateraler Handelsströme pro prozentualem Anstieg der bilateralen Handelskosten (und damit auch der Preise). Je geringer diese Elastizität, desto wichtiger sind die Importgüter für Konsumenten und desto größer sind die Handelsgewinne.
Berechnungen anhand dieser Formel kamen zunächst zu dem Ergebnis, dass die Handelsgewinne gering sind. Dies war doppelt enttäuschend für Handelsökonomen, schien es doch zu bedeuten, dass entweder das Fachgebiet nebensächlich oder das Modellrepertoire unzureichend ist. Allerdings liefert eine einfache Erweiterung der Analyse von Arkolakis et al. deutlich plausiblere Antworten.3 Die wesentliche Einsicht ist, dass Handelsgewinne hauptsächlich von „kritischen Gütern“ abhängen, also Gütern, die in einem Land dringend benötigt werden. Dies könnten z. B. wichtige Medikamente oder besondere Maschinen sein, die eine Volkswirtschaft alleine nicht produzieren kann. Die Formel von Arkolakis et al. konnte diese Einsicht nicht abbilden, da sie vereinfachend nur von einem einzigen Wirtschaftssektor ausging.4
Eine Erweiterung der Formel basiert auf einem Modell mit beliebig vielen Ländern und beliebig vielen Wirtschaftssektoren, die alle durch Input-Output-Beziehungen verbunden sind.5 Sie hängt wiederum hauptsächlich von Binnenmarktquoten und Handelselastizitäten ab, die sich nun allerdings je nach Wirtschaftssektor unterscheiden. Einige wenige Sektoren mit geringen Handelselastizitäten genügen, um hohe Handelsgewinne zu produzieren, da dies dann besonders kritische Sektoren sind. Man würde z. B. erwarten, dass wichtige Medikamente eine geringe Handelselastizität haben, da Konsumenten wohl nur wenig auf Preissteigerungen reagieren würden. Dies wird im ursprünglichen Modell von Arkolakis et al. nicht berücksichtigt, was letztlich zu einem Aggregationsfehler führt.6
Berechnungen anhand dieser erweiterten Formel bestätigen, dass die Handelsgewinne für die meisten Länder erheblich sind. Zusammengefasst ist insgesamt ca. ein Viertel des weltweiten Realeinkommens, durchschnittlich ca. ein Drittel des Realeinkommens eines Landes und ca. ein Drittel des deutschen Realeinkommens dem Außenhandel zuzuschreiben. Außerdem sind ca. 90 % der Handelsgewinne auf nur 10 % der Handelsgüter zurückzuführen, was die Bedeutung von „kritischen Gütern“ unterstreicht. Die wichtigste Statistik ist nach wie vor die nationale Binnenmarktquote in dem Sinne, dass sie den Großteil der Variation der Handelsgewinne im Länderquerschnitt erklärt.
Handelsgewinne sind ein hilfreicher Ausgangspunkt für die weitere Analyse, da sie die theoretische Obergrenze der Handelskriegskosten bilden. So kann es nie schlimmer kommen als ganz ohne Handel, die Handelskriegskosten müssen also ein Bruchteil der Handelsgewinne sein.
Handelskriege
Handelskriege lassen sich mit den gängigen Handelsmodellen als ein Gefangenendilemma erklären, also eine Situation in der individuell rationales Verhalten zu einem suboptimalen Ergebnis führt. So hat in diesen Modellen jedes Land einen Anreiz einseitig Zölle zu verhängen, um dadurch auf Kosten seiner Handelspartner zu profitieren. Wenn dies aber alle Länder gleichzeitig versuchen, kommt es anstatt zu einseitigen zu gegenseitigen Zöllen, was dann lediglich die Handelsgewinne reduziert. Dies eröffnet wiederrum Spielräume für kooperative Zollverhandlungen durch die sich alle Länder besserstellen können. Die genauen Mechanismen unterscheiden sich von Modell zu Modell – mal verbessern einseitig verhängte Zölle das Einfuhrtauschverhältnis (Terms-of-Trade-Effekte), mal verschieben sie Gewinne hin zu inländischen Unternehmen (Profit-Shifting-Effekte) und mal ziehen sie zusätzliche Unternehmen aus dem Ausland an (Firm-Delocation-Effekte).
In der von mir entwickelten Methodologie kann man sowohl Handelskriege als auch Zollverhandlungen simulieren.7 Diese Methodologie basiert auf einem quantitativen Handelsmodell mit beliebig vielen Ländern und beliebig vielen Sektoren, das mit Informationen über Handelsvolumen, Zölle und Handelselastizitäten kalibriert werden kann. Ein interessantes Detail ist, dass ich nicht von einem rein wohlfahrtsmaximierenden Staat ausgehe, sondern auch Partikularinteressen in Betracht ziehe, da diese in der handelspolitischen Praxis eine große Rolle spielen.
Bei Anwendung der Methodologie auf einen Datensatz mit sieben Regionen (Brasilien, China, die EU, Indien, Japan, die USA und einen Rest der Welt) und 33 Wirtschaftssektoren aus Industrie und Landwirtschaft aus dem Jahr 2007 ergibt sich, dass in einem Handelskrieg Zölle von knapp 60 % erhoben und fast ein Viertel der Handelsgewinne vernichtet würden. Dies entspricht von der Größenordnung her dem Handelskrieg in den 1930er Jahren und legt nah, dass die Kosten eines Handelskrieges sehr hoch wären. Eine wichtige Einschränkung ist allerdings, dass die Handelsgewinne in diesem vereinfachten Modell in der Regel geringer sind als die aus der zuvor besprochenen Schätzung. Dies kommt vor allem daher, dass die Wirtschaft in nur 33 breiten Sektoren abgebildet und deswegen keine wirklich „kritischen Güter“ betrachtet werden.
Zudem stellt sich auch die Frage, wie viel durch weitere Zollverhandlungen noch erreicht werden könnte. Es ergibt sich, dass schon 85 % der möglichen Einkommensgewinne aus Zollverhandlungen realisiert sind, wir also viel näher am Best-Case- als am Worst-Case-Szenario sind. Das bedeutet auch, dass es viel wichtiger ist, einen erneuten Handelskrieg zu verhindern als eine weitere Handelsliberalisierung zu erreichen. Dies ist z. B. für die Bewertung des Erfolges der WTO von Bedeutung. So wird oft bemängelt, dass die WTO noch nicht viel zur weiteren Handelsliberalisierung beigetragen hat, dabei wird aber oft vergessen, dass sie bislang sehr erfolgreich einen erneuten Handelskrieg verhindert hat. Das war zuletzt nach der Finanzkrise von 2007 bis 2008 von großer Bedeutung. Jetzt kommt es zu einem erneuten Test.
Kurz gesagt: Handelsgewinne sind groß und Handelskriege teuer. Wenn dem so ist, wie kommt es dann, dass Handelsabkommen in Europa und den USA trotzdem so umstritten sind?
Kontroversen
Meiner Einschätzung nach gibt es zwei wesentliche Gründe für die aktuelle Skepsis gegenüber Handelsabkommen. Erstens sind moderne Handelsabkommen weit mehr als nur Zollabkommen und schließen Vereinbarungen z. B. zum Investorenschutz, zur Kooperation in Regulierungsfragen und zum Schutz von geistigem Eigentum ein. Ein Großteil der öffentlichen Kritik betrifft genau diese weitergehenden Vereinbarungen die leider bislang nur unzureichend erforscht sind. Zweitens hat Handelsliberalisierung teils bedeutende Verteilungseffekte, sodass die gesamtwirtschaftlichen Handelsgewinne in den Hintergrund rücken können. Ein bekanntes Beispiel sind die negativen Auswirkungen von Chinas WTO-Beitritt auf lokale US-Arbeitsmärkte, die von David Dorn et al. dokumentiert wurden.8
Schlussfolgerungen
Das Ziel dieses Beitrags war es, kurz den Stand der Forschung zu Handelsgewinnen und Handelskriegskosten zu beschreiben. Die einfache Botschaft ist, dass Handelsgewinne groß und Handelskriege teuer sind. Etwa ein Viertel des weltweiten Realeinkommens sind auf Handelsgewinne zurückzuführen und damit deutlich höher als bislang gedacht. Außerdem würde ein Handelskrieg fast ein Viertel dieser Handelsgewinne zerstören und damit erheblichen Schaden anrichten.
- 1 Vgl. R. Ossa: Why Trade Matters After All, in: Journal of International Economics, 97. Jg. (2015), H. 2, S. 266-277; R. Ossa: Trade Wars and Trade Talks with Data, in: American Economic Review, 104. Jg. (2014), H. 12, S. 4101-4146.
- 2 K. Arkolakis, A. Costinot, A. Rodriguez-Clare: New Trade Models, Same Old Gains?, in: American Economic Review, 102. Jg. (2012), H. 1, S. 94-130.
- 3 Ebenda.
- 4 Ebenda.
- 5 R. Ossa: Why Trade Matters ..., a. a. O.; K. Arkolakis et al., a. a. O.
- 6 K. Arkolakis et al., a. a. O.
- 7 R. Ossa: Trade Wars ..., a. a. O.
- 8 D. Autor, D. Dorn, G. Hanson: The China Syndrome: Local Labor Market Effects of Import Competition in the United States, in: American Economic Review, 103. Jg. (2013), H. 6, S. 2121-2168.