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Drei Jahre nach der Einführung des Mindestlohns lässt sich zeigen, dass die Löhne im Niedriglohnsektor wieder gestiegen sind. Nichtsdestotrotz gibt es weiter zahlreiche Umgehungen des Mindestlohns in Deutschland. Eine Schätzung zeigt, dass es dadurch zu jährlichen Lohnausfällen und entgangenen Sozialbeiträgen in Milliardenhöhe kommt.

Die Bilanz des gesetzlichen Mindestlohns fällt drei Jahre nach seiner Einführung positiv aus. Der von einigen Studien vorhergesagte starke Beschäftigungsrückgang blieb aus, obwohl die Löhne im Niedriglohnsektor erstmals seit längerer Zeit wieder stiegen. Auch die Erwerbsarmut ging bis 2016 um ca. 2,7 Prozentpunkte auf 17 % zurück, legt man die Quote der Geringverdiener mit Anspruch auf Aufstockung durch Arbeitslosengeld II (ALG II) zugrunde. Trotz dieser unbestreitbaren Verbesserungen gibt es weiter ein Problem mit zahlreichen Umgehungen des Mindestlohns. Etwa 8 % oder 2,2 Mio. der abhängig Beschäftigten erhielten im Jahr 2016 nicht den Mindestlohn, obwohl er ihnen zugestanden hätte. In der Summe kam es im Geltungsbereich des gesetzlichen Mindestlohns zu einem Verdienstausfall in Höhe von ca. 6,5 Mrd. Euro. Die Erwerbsarmut könnte demnach bei einer umfassenden Einhaltung des Mindestlohns nochmals erheblich abgesenkt werden. Der derzeit bei den für die Kontrolle des Mindestlohns zuständigen Behörden bestehende Personalmangel erfordert einen beschleunigten Stellenaufbau. Ferner zeigt sich, dass die geringe Tarifabdeckung und fehlende Mitarbeitervertretungen die Mindestlohn-Umgehungen begünstigen. In Betrieben mit Tarifbindung oder einem Betriebsrat wird der Mindestlohn deutlich häufiger eingehalten. Eine Stärkung des Tarifsystems in Verbindung mit effektiven Kontrollinstitutionen könnte einen bedeutenden Beitrag zur Bekämpfung der Erwerbsarmut leisten.

Deutliche Lohnsteigerungen im Gefolge des Mindestlohns

Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 sind die Löhne in einer Reihe von Niedriglohn-Branchen erstmals seit längerem wieder merklich gestiegen. Diese Entwicklung setzte bereits 2015 ein. Obwohl der Mindestlohn in der Regel nicht zu einem Überspringen der Niedriglohngrenze führte, waren die Lohnsteigerungen im Jahr der Mindestlohn-Einführung bei ungelernten Arbeitskräften (+9,1 % in Ostdeutschland, +6,7 % in Westdeutschland) sowie in ausgeprägten Niedriglohnbranchen wie dem Gastgewerbe (+9,9 %), dem Einzelhandel (+11,4 %) und der Fleischverarbeitung (+11,6 %) am stärksten.1

Auch bei einer Betrachtung der branchenübergreifenden Lohnverteilung sind die Steigerungen im Niedriglohnbereich sichtbar. So steht das Dezil D1 für einen Stundenlohn, der von 10 % der Beschäftigten nicht oder gerade noch erreicht wird. Dieser Stundenlohn lag im Jahr 2014 bei 8,08 Euro. Im Folgejahr war er mit 8,51 Euro in etwa auf den Mindestlohn gestiegen und im Jahr 2016 erreichte er 8,78 Euro (vgl. Abbildung 1). Der D1-Stundenlohn war also bis 2016 um knapp 9 % gestiegen.2 Dieser Trend ist auch in den unteren 5 % der Stundenlohn-Verteilung sichtbar. So wurde im Jahr 2014 ein Stundenlohn von 6,83 Euro von 5 % der Beschäftigten nicht oder gerade noch erreicht. Im Jahr der Mindestlohn-Einführung stieg der Wert zunächst auf 6,93 Euro und 2016 schließlich auf 7,58 Euro pro Stunde, was einer Steigerung um 11 % entspricht. Diese Lohnsteigerungen im Bereich der niedrigen Löhne heben sich merklich von der allgemeinen Lohnentwicklung ab: Der Stundenlohn in der Mitte der Verteilung (Median-Stundenlohn) ist im gleichen Zeitraum nur um 5 % von 15,40 Euro auf 16,17 Euro gestiegen (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Stundenlöhne beim 5 %- und 10 %-Quantil sowie beim Median
Stundenlöhne beim 5 %- und 10 %-Quantil sowie beim Median

Quelle: SOEP v33.1; eigene Berechnungen.

Die mit dem vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin herausgegebenen Datensatz des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) berechneten Stundenlöhne zeigen allerdings auch, dass der Mindestlohn noch nicht überall umgesetzt wurde, denn für die Berechnungen wurden nur Beschäftigte betrachtet, die unter die Regelung des gesetzlichen Mindestlohns fallen. Gleichwohl hat der Mindestlohn für viele Beschäftigte zu deutlichen Stundenlohnsteigerungen geführt.

Mindestlöhne und geschlechtsspezifische Entgeltungleichheit

Beschäftigung zu unangemessen niedrigen Löhnen ist ein Problem, das Frauen weit überdurchschnittlich betrifft.3 Dies gilt insbesondere auch in Deutschland, wo nach Zahlen der OECD gut ein Viertel (26,5 %) der weiblichen Vollzeitbeschäftigten unter die Niedriglohnschwelle fallen. Dies ist weit mehr als der Vergleichswert für Männer (14,8 % im Jahr 2016) und liegt auch erheblich über dem Durchschnitt der weiblichen Vollzeitbeschäftigten in den OECD-Ländern, von denen rund ein Fünftel (20,4 %) einer Niedriglohnbeschäftigung nachgehen.4 Ursächlich für die ausgeprägten Geschlechterungleichheiten in Deutschland ist auch die schwache Regulierung des Niedriglohnsektors.5 So ist die Tarifbindung in weiblich dominierten Branchen wie dem Einzelhandel deutlich geringer als beispielsweise im von Männern geprägten Baugewerbe.6 Auch die tariflichen Niedriglöhne sind schwerpunktmäßig in Dienstleitungsbranchen wie dem Friseurhandwerk und der Floristik zu finden, die traditionell einen hohen Anteil weiblicher Beschäftigter aufweisen.7

Abbildung 2
Gender Pay Gap beim 5 %- und 10 %-Quantil sowie beim Median
Gender Pay Gap beim 5 %- und 10 %-Quantil sowie beim Media

Quelle: SOEP v33.1; eigene Berechnungen.

In der internationalen Forschung hat sich deshalb die Einsicht durchgesetzt, dass Mindestlöhne – zumindest wenn sie hoch genug angesetzt werden – einen wesentlichen Beitrag zur Verringerung geschlechtsspezifischer Ungleichheiten leisten können.8 Dies trifft naturgemäß insbesondere für Entgeltunterschiede im unteren Bereich der Lohnverteilung zu. Berechnungen auf Grundlage des SOEP lassen erkennen, dass solch ein positiver Effekt auch in Deutschland eingetreten ist und Frauen überproportional von den diskutierten Entgeltsteigerungen profitiert haben. So lag der Gender Pay Gap im Jahr 2014 an drei prägnanten Stellen der Lohnverteilung einheitlich bei rund 20 % (vgl. Abbildung 2).9 In der Mitte der Lohnverteilung war dieser Wert in den Jahren 2015/2016 praktisch unverändert. Am unteren Rand der Lohnverteilung gab es hingegen nach Einführung des Mindestlohns eine deutliche Verbesserung zugunsten von Frauen. Beim Dezil D1 lässt sich eine Verringerung des Gender Pay Gap auf rund 15 % (2016) feststellen, und zwar trotz der Defizite bei der Durchsetzung des Mindestlohns. Beim 5 %-Quantil konnte sich dieser Trend noch nicht durchsetzen, was sicher mit den hier noch verbreiteten Mindestlohn-Umgehungen zusammenhängt.

Der Mindestlohn bleibt ein Niedriglohn

Eine weitere Möglichkeit, Veränderungen der Lohnverteilung zu messen, bietet die Messung der Niedriglohnschwelle. Als Vergleichsmaßstab dient der Stundenlohn, der genau in der Mitte (Medianwert bei 50 %) der Lohnverteilung liegt. Die Niedriglohnschwelle liegt bei zwei Dritteln des Median-Stundenlohns. Im Jahr 2014 lag sie bei 9,87 Euro. In den darauffolgenden Jahren folgte die Niedriglohnschwelle der allgemeinen Lohnentwicklung und stieg zunächst auf 10,05 Euro (2015) und danach auf 10,39 Euro (2016).10 Auch ein Mindestlohn von aktuell 8,84 Euro pro Stunde liegt somit unter der Niedriglohnschwelle.

Als ein Indikator für die Erwerbsarmut kann auch der Anteil „aufstockender“ Beschäftigter herangezogen werden. Es handelt sich um Beschäftigte, die neben ihrem Arbeitseinkommen Hartz-IV-Leistungen beziehen. Zur Berechnung erscheint der Datensatz des Panels Arbeitsmarkt und soziale Sicherung (PASS) besonders geeignet, da an der Befragung zu 50 % Arbeitslosengeld-II-Empfänger und viele Aufstocker teilnehmen (die Ergebnisse sind durch Gewichtungsfaktoren repräsentativ).11 Für einen Vergleich der Quoten vor und nach der Mindestlohn-Einführung erscheint es angemessen, die Stundenlohngrenze der Niedriglohngruppe etwas höher als den Mindestlohn zu setzen. Hierfür sprechen Hinweise, dass der Mindestlohn Lohnsteigerungen bis in den Bereich von Stundenlöhnen von ca. 10 Euro ausgelöst hat. Wie bei den oben berichteten Zahlen wurden auch für die Aufstocker-Quoten die Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn nicht berücksichtigt.12

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit einem Stundenverdienst oberhalb von 10 Euro hatten im Jahr 2014 nur eine Aufstocker-Quote von ca. 0,7 % (2016: 0,6 %). Für Stundenverdienste unter 10 Euro lag der Anteil bei deutlich höheren 7,6 %. Auch diese erhöhte Quote zeigt, dass die Schwelle von Hartz IV zuzüglich Wohnkosten im Haushaltskontext in der Mehrheit der Fälle durch zusätzliche Verdienste und/oder sozialstaatliche Leistungen (z. B. Kinderzuschuss) überschritten wurde. Trotzdem gab es nach der Mindestlohn-Einführung eine Verbesserung: Im Jahr 2016 sank die Aufstocker-Quote bei den geringeren Stundenverdiensten auf 6,5 %.

Ein Rückgang der Aufstocker-Quote um 1,1 Prozentpunkte mag auf den ersten Blick niedrig erscheinen. Allerdings kann nach Schätzungen davon ausgegangen werden, dass auf zwei aufstockende Beschäftigte etwa drei verdeckt arme Beschäftigte kommen, die staatliche Hilfen aus Scham oder aus anderen Gründen nicht in Anspruch nehmen.13 Unter Berücksichtigung der Dunkelziffer der verdeckten Anspruchsberechtigten führt dies im Vergleich der Jahre 2014 und 2016 zu einem Rückgang der (offenen und verdeckten) Aufstocker-Quote um knapp 3 Prozentpunkte auf etwa 17 %. Gleichwohl könnten eine bessere Kontrolle der Mindestlohn-Einhaltung und ein höheres Niveau des Mindestlohns die Aufstocker-Quote erheblich verringern.14 Beispielsweise hatten Beschäftigte mit einem Stundenverdienst von 9,50 Euro bis 10,50 Euro (in etwa die Niedriglohnschwelle des Jahres 2016) nach Berechnungen mit dem PASS-Datensatz im Jahr 2016 nur eine Aufstocker-Quote von 1,9 %. Inklusive der Anspruchsberechtigten, die kein aufstockendes Hartz IV beziehen, entspricht dieser Wert einer Quote der Erwerbsarmut von nur 5 %.15

Mindestlohn-Umgehungen und mögliche Messfehler

Trotz der auch 2016 noch anhaltenden Lohnsteigerungen im Niedriglohnbereich gibt es nach wie vor weitverbreitete Umgehungen des gesetzlichen Mindestlohns. Werden bei der Stundenlohn-Berechnung die vertragliche Arbeitszeit und bezahlte Überstunden des Vormonats zugrunde gelegt, erhielten 8 % oder 2,2 Mio. abhängig Beschäftigte16 nicht den gesetzlichen Mindestlohn, obwohl sie einen Anspruch darauf hatten.17 Dabei zeigt diese Quote eher die untere Grenze der Mindestlohn-Umgehungen an, denn eventuelle unbezahlte und nicht auf Arbeitszeitkonten gebuchte Überstunden konnten mit den vorhandenen Daten (SOEP-Datensatz) nicht berücksichtigt werden. Nach einer Schätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für das Jahr 2016 ergaben sich im Schnitt ca. 24 unbezahlte Überstunden pro Arbeitnehmer.18 Zudem kann nach internationalen Erfahrungen davon ausgegangen werden, dass unbezahlte Überstunden bei Mindestlohn-Umgehungen eine große Rolle spielen.19

Abbildung 3
Verteilung der Stundenlöhne zwischen 8 und 9 Euro, 2016
Verteilung der Stundenlöhne zwischen 8 und 9 Euro, 2016

Quelle: SOEP v 33.1; eigene Berechnungen.

Mit 1,8 Mio. bis 2,6 Mio. Beschäftigten weist auch das DIW mit dem SOEP-Datensatz berechnete ähnlich hohe Mindestlohn-Umgehungen aus,20 wobei die hier berichtete Zahl vor allem aufgrund der Berücksichtigung von Überstundenzuschlägen im Bereich der tariflichen Bezahlung höher liegt (zudem fasste das DIW auch die tariflichen Mindestlohn-Ausnahmebranchen Bau und Pflege etwas weiter als in der hier vorgenommenen Abgrenzung auf Basis von Informationen des WSI-Tarifarchivs).

Trotz der im Vergleich zur DIW-Studie ähnlichen Zahlen können Messfehler nicht ausgeschlossen werden. Beispielsweise können die Befragten des SOEP-Datensatzes gerundete Werte für den Monatslohn oder die Arbeitszeit angeben. Sollten viele Beschäftigte genau den Mindestlohn erhalten, würden Rundungen zu einer in etwa symmetrischen Streuung der berechneten Stundenlöhne rund um den Mindestlohn führen (ähnlich einer Glockenkurve). In der grafischen Darstellung der Stundenlohnverteilung zwischen 8 Euro und 9 Euro in Abbildung 3 ist eine derartige Streuung aber kaum zu erkennen. Die größte Häufung der Stundenlöhne in Abbildung 3 liegt bei etwa 8,60 Euro bis 8,70 Euro. Ein Grund ist vermutlich, dass für die Berechnung der Stundenlöhne konservativ 4,33 anstelle von rechnerischen 4,35 Arbeitswochen pro Monat angesetzt wurden (was die berechnete Quote der Mindestlohn-Umgehungen etwas verringert).21 Allenfalls die Stundenlöhne zwischen 8,40 Euro und 8,50 Euro treten im benachbarten Bereich etwas häufiger auf. Wird die Lohnschwelle für Mindestlohn-Umgehungen bei niedrigeren 8,40 Euro pro Stunde gesetzt, fällt die Umgehungsquote auf 7,5 % oder 2,03 Mio. abhängig Beschäftigte. Diese Werte liegen allerdings nur geringfügig unter den mit 8,50 Euro pro Stunde berechneten Werten.

Im Gegensatz zu den hier berichteten Werten errechnete das Statistische Bundesamt auf Grundlage der Verdienst­erhebung (VE) 2016 mit nur etwa 751 000 Mindestlohn-Umgehungen im Jahr 2016 eine deutlich geringere Zahl.22 Die Abweichung der VE-Zahlen von den mit SOEP berechneten Werten dürfte vor allem an der Freiwilligkeit der Unternehmensbefragung durch das Statistische Bundesamt liegen, die vermutlich zu einer erheblich geringeren Befragungsteilnahme von Betrieben mit einer Umgehung des Mindestlohns führte (Rücklaufquote der VE 2016: 6,3 %).23 Darüber hinaus wurden von den Betrieben in ca. 40 % der Fälle statt der relevanten tatsächlichen Arbeitszeit die vertraglichen Arbeitszeiten eingetragen.24 Auch dies dürfte zu einer Unterschätzung der Mindestlohn-Umgehungen führen.25

Viele Mindestlohn-Umgehungen im Dienstleistungssektor

Die nachfolgenden Zahlen dokumentieren den neuesten verfügbaren Stand des SOEP-Datensatzes und beziehen sich auf das Jahr 2016: Besonders viele Umgehungen des Mindestlohns gab es demnach im Hotel- und Gaststättengewerbe, wo ca. 34 % der (anspruchsberechtigten) Beschäftigten nicht den Mindestlohn erhielten, gefolgt vom Einzelhandel mit ca. 17 % Mindestlohn-Umgehungen (vgl. Abbildung 4). Auch ca. 43 % der Beschäftigten in privaten Haushalten (beispielsweise Minijobs für die Haushaltsführung oder zum Babysitting) blieb der Mindestlohn verwehrt. Hier dürfte die Einhaltung des Mindestlohns mit am schwierigsten zu kontrollieren sein. Allerdings sind Mindestlohn-Umgehungen nicht auf den Dienstleistungssektor beschränkt. So ist die Quote z. B. in der Nahrungsmittelindustrie mit ca. 15 % überdurchschnittlich hoch. Auch in der überwiegend durch Tarifbindung geprägten metallverarbeitenden Industrie erhielten ca. 4 % der Beschäftigten nicht den Mindestlohn, der ihnen per Gesetz zusteht. Das Branchen-Gefälle bei den Mindestlohn-Umgehungen beinhaltet besonders am oberen Ende die bekannten Beschäftigungsschwerpunkte von Frauen mit niedrigen Verdiensten, die zum Gender Pay Gap beitragen. Mindestlohn-Umgehungen sind daher bei Frauen mit etwa 11,5 % besonders häufig, während es bei den Männern nur ca. 4,6 % sind.

Abbildung 4
Mindestlohn-Verstöße in ausgewählten Branchen, 2016
Mindestlohn-Verstöße in ausgewählten Branchen, 2016

Quelle: SOEP v33.1; eigene Berechnungen, nur Branchen mit mindestens 40 000 betroffenen Arbeitnehmern im SOEP.

Betriebsräte und Tarifbindung begrenzen Mindestlohn-Umgehungen

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ist vor allem vor dem Hintergrund einer abnehmenden Tarifbindung in weiten Bereichen der Wirtschaft zu verstehen. Die tarifliche Bindung der Löhne hatte im Vorfeld der Mindestlohn-Einführung z. B. im Einzelhandel, im Hotel- und Gaststättengewerbe, bei Wach- und Sicherheitsdiensten nachgelassen.26 Darüber hinaus gab es im Vorfeld der Mindestlohn-Einführung auch eine Reihe von tariflichen Lohngruppen unter 8,50 Euro pro Stunde, die zum Teil jahrelang nicht mehr angepasst worden waren.27 Um dieser Entwicklung zu begegnen, wurden in einigen Branchen teilweise schon lange vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns tarifliche Mindestlöhne eingeführt, die per Gesetz allgemeinverbindlich erklärt wurden (z. B. im Bauhauptgewerbe 1997).

Auch die in den Niedriglohnbranchen häufig anzutreffenden Beschäftigungsformen wie Minijobs, Teilzeit- oder Leiharbeit sind durch Lohnabschläge gekennzeichnet, die sich nicht nur mit der Qualifikation oder anderen Merkmalen der Beschäftigten begründen lassen.28 Schon vor der Mindestlohn-Einführung wurde hier eine Reihe von Arbeitnehmerrechten oftmals nicht beachtet, wie es insbesondere für Minijobs wiederholt belegt ist.29 Es erscheint vor diesem Hintergrund plausibel, dass Probleme mit Mindestlohn-Umgehungen vor allem in den bisher schon problematischen Bereichen auftreten, in denen Arbeitgeber vermehrt auf Lohnkostenersparnis setzen.30

Welche Rolle Mitbestimmung und Tarifbindung für eine bessere Entlohnung der Beschäftigung und auch die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften spielen können, verdeutlichen die folgenden Zahlen: In tarifgebundenen Betrieben lag der Anteil der Mindestlohn-Umgehungen 2016 nur bei ca. 4,1 %. In Betrieben mit Betriebsrat erhielten nur ca. 3,1 % der Beschäftigten nicht den Mindestlohn. Bei Betrieben mit Betriebsrat und Tarifbindung lag der Anteil der Mindestlohn-Umgehungen 2016 nur bei 1,8 %. Hingegen fiel die Quote der Umgehungen in nicht tarifgebundenen Betrieben mit 13,6 % sehr viel höher aus. Gab es im Betrieb zusätzlich keinen Betriebsrat, lag die Quote bei noch höheren 15,6 %.

Zusätzlich zu den deskriptiven Statistiken wurde mit Daten des SOEP eine Regression durchgeführt, um weitere Risikofaktoren für Mindestlohn-Umgehungen abzubilden. Beispielsweise könnte es sein, dass mit zunehmender Betriebsgröße Kontrollen der Mindestlohn-Einhaltung wahrscheinlicher werden, da die für die Kontrolle des Mindestlohns zuständige Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) im Falle der Feststellung von Mindestlohn-Verstößen und/oder Schwarzarbeit möglicherweise auch größere Steuerrückzahlungen nachfordern könnte. Hinter der geringeren Quote der Mindestlohn-Umgehungen in Betrieben mit Betriebsrat und/oder Tarifbindung könnte daher auch ein Größeneffekt stehen, denn Betriebsräte und Tarifbindung sind in größeren Betrieben weiterverbreitet als in kleineren.

Tabelle 1
Bestimmungsfaktoren für das Risiko von Mindestlohn-Umgehungen
  Koeffizient 95 %-Konfidenzintervall1
Firmengröße        
5 bis 10 Mitarbeiter (Referenzkategorie)
11 bis 19 Mitarbeiter -0,518 *** -0,883 -0,153
20 bis 99 Mitarbeiter -0,598 *** -0,927 -0,269
100 bis 199 Mitarbeiter -0,534 ** -0,960 -0,108
200 bis 1999 Mitarbeiter -0,790 *** -1,181 -0,399
≥ 2000 Mitarbeiter -1,002 *** -1,413 -0,591
Branchen        
Industrie (Referenzkategorie)
Öffentlicher Dienst -0,284   -0,791 0,222
Handel 0,665 *** 0,296 1,034
Gastronomie/Hotels 1,471 *** 1,041 1,901
Sonstige Dienstleistungen 0,215   -0,095 0,526
Bildung        
Berufliche Ausbildung (Referenzkategorie)
Kein Berufsabschluss 0,681 *** 0,416 0,945
Universitäts-/ Fachhochschul-Abschluss -0,932 *** -1,283 -0,581
Arbeitnehmervertretung, Tarif
Kein Tarif und Betriebsrat (Referenzkategorie)
Betriebsrat -0,547 *** -0,849 -0,244
Haustarifvertrag -0,326   -0,725 0,072
Flächentarifvertrag -0,453 *** -0,732 -0,175
Entlohnung außer Tarif in tarifgebundenem Betrieb -0,984 ** -1,839 -0,129
Weitere Kontrollgrößen        
Frau 0,716 *** 0,469 0,964
Befristung 0,794 *** 0,491 1,097
Minijob 1,900 *** 1,627 2,173
Konstante -2,706 *** -3,082 -2,330

Logistische Regression (ungewichtet), N = 7252, Pseudo-R2 = 0,24. *** p < 0,01, ** p < 0,05.  1 Das Konfidenzintervall veranschaulicht die Präzision der Schätzung des Koeffizienten. Da im Rahmen von Befragungen nicht die gesamte Bevölkerung Deutschlands, sondern nur ein bestimmter Anteil der Einwohner befragt wird, kann der Mittelwert nicht mit 100 % Genauigkeit angegeben werden. Das Konfidenzintervall bildet einen Toleranzbereich ab, in dem der „wahre“ Koeffizient mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

Quelle: SOEP v33.1, nur Welle 2016; eigene Berechnungen.

Aus der Logit-Regression in Tabelle 1 geht allerdings hervor, dass es zwar einen signifikanten Größeneffekt gibt (in größeren Betrieben wird der Mindestlohn im Vergleich zur Referenzkategorie der Unternehmen mit fünf bis zehn Mitarbeitern häufiger eingehalten).31 Das Vorhandensein eines Betriebsrats und die Tarifbindung des Betriebs haben aber zusammen einen ähnlich großen negativen Einfluss auf den Umfang der Mindestlohn-Umgehungen. Außerdem sind Frauen und Personen mit geringerem Bildungsstand häufiger von Mindestlohn-Umgehungen betroffen. Auch ein Minijob-Arbeitsvertrag und das Vorliegen einer Befristung steigern das Risiko für Umgehungen erheblich. Im Vergleich zur Referenzkategorie der Industrie sind Mindestlohn-Umgehungen insbesondere in der Gastronomie häufiger, während sie im öffentlichen Dienst seltener sind.

Viele Mindestlohn-Umgehungen in Ostdeutschland und im Norden

Die zahlreichen Umgehungen in nicht tarifgebundenen Betrieben mit wenigen Mitarbeitern lassen ein großes regionales Gefälle bei der Nichteinhaltung des Mindestlohns erwarten. Tatsächlich liegt die Quote der Mindestlohn-Umgehungen im durch geringe Tarifbindung und kleinere Betriebe gekennzeichneten Ostdeutschland (ohne Berlin) mit etwa 12,6 % ausgesprochen hoch. Zum Vergleich: In Westdeutschland (ohne Berlin) lag diese Quote bei deutlich geringeren 7,3 %. Auch unter Berücksichtigung der statistischen Unsicherheit (Konfidenzintervall) ist die Quote der Mindestlohn-Umgehungen in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland (vgl. Tabelle 2). Ein regionaler Vergleich innerhalb Westdeutschlands offenbart ein starkes Nord-Süd-Gefälle, entsprechend der regionalen Arbeitsmarktstärke. Aufgrund der für die Bundesländer im SOEP-Datensatz kleineren Fallzahlen unterscheiden sich die Ergebnisse bei den westdeutschen Bundesländern aber nicht signifikant.

Tabelle 2
Regionale Verteilung der Mindestlohn-Umgehungen
  Betroffene Beschäftigte Anteil an allen Beschäftigten (%) Konfidenz-intervall (95 %)
Deutschland 2 165 882 8,0 [7,0; 8,9]
Ostdeutschland (ohne Berlin) 532 935 12,6 [10,1; 15,5]
Westdeutschland (ohne Berlin) 1 587 266 7,3 [6,2; 8,1]
Bundesländer ab 6 Mio. Einwohnern
Niedersachsen 211 593 8,9 [5,6; 12,1]
Nordrhein-Westfalen 505 414 8,6 [6,5; 11,1]
Hessen 116 038 5,6 [3,5; 7,3]
Bayern 259 084 5,6 [3,9; 7,6]
Baden-Württemberg 179 806 4,6 [2,9; 6,3]

Quelle: SOEP v33.1; eigene Berechnungen.

Lohnausfälle und entgangene Sozialbeiträge in Milliardenhöhe

Bei ca. 2,2 Mio. Umgehungen des gesetzlichen Mindestlohns sind nicht gezahlte Löhne in Milliardenhöhe zu erwarten. Nach Berechnungen mit dem SOEP-Datensatz erhielten Arbeitnehmer im Schnitt monatlich 251 Euro zu wenig. Insgesamt kam es 2016 zu Lohnausfällen von etwa 6,5 Mrd. Euro.32 Auch nach Berücksichtigung der statistischen Unsicherheit (Konfidenzintervall, Tabelle 3) beträgt der Lohnverlust noch mindestens 5 Mrd. Euro. Mit den Lohnverlusten einher gingen auch erhebliche Einnahmeausfälle der Sozialversicherungen in Höhe von etwa 2,8 Mrd. Euro. Die weit verbreiteten Mindestlohn-Umgehungen schädigten nicht nur die betroffenen Arbeitnehmer, sondern auch die Allgemeinheit der Beitragszahler. Würden die Löhne korrekt gezahlt, könnten entweder die Sozialbeiträge entsprechend gesenkt oder das Leistungsniveau der Sozialversicherungen erhöht werden.

Lohnverluste gab es auch in den Branchen mit vorübergehender Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns (z. B. Landwirtschaft West 8 Euro, Landwirtschaft Ost 7,90 Euro im Jahr 2016). Werden diese Mindestlöhne in den Ausnahmebranchen zugrunde gelegt, so erhielten ca. 8,2 % der dort beschäftigten Arbeitnehmer nicht den für sie vorgesehenen Mindestlohn. Hier kam es zu Lohnausfällen in Höhe von ca. 120 Mio. Euro im Jahr 2016. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von per Gesetz allgemeinverbindlich erklärten tariflichen Mindestlöhnen, die 2016 (teilweise schon seit längerem) über dem gesetzlichen Mindestlohn lagen. Wichtige Beispiele sind das Bauhauptgewerbe, die Altenpflege und die Gebäudereinigung. Diese Branchen wurden für die Berechnungen im SOEP per Branchen- und Berufsklassifikation abgegrenzt. Bei den ca. 27 % der Beschäftigten, die hier nicht den Branchen-Mindestlohn erhielten, gab es einen Lohnausfall von insgesamt etwa 2 Mrd. Euro. Auch die ausgefallenen Sozialbeiträge waren mit ca. 820 Mio. Euro beträchtlich. Insgesamt beliefen sich die Ausfälle an Löhnen und Sozialabgaben somit auf ca. 7,6 Mrd. Euro im Geltungsbereich des gesetzlichen Mindestlohns und auf ca. 10 Mrd. Euro bei Betrachtung aller Mindestlöhne (hierfür wurden nicht gezahlte Bruttolöhne und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung addiert).

Tabelle 3
Lohnausfälle und Mindereinnahmen der Sozialversicherung, 2016
  Betroffene Beschäftigte1 Lohnausfall Sozialbeiträge
Schätzwert in Mrd. Euro Konfidenzintervall (95 %) Schätzwert in Mrd. Euro Konfidenzintervall (95 %)
Gesetzlicher Mindestlohn 2 165 882 6,5 [5,04; 7,96] 2,84 [2,20; 3,42]
Branchenmindestlöhne          
Ausnahmebranchen (< 8,50 Euro) 61 398 0,12 [0,09; 0,17] 0,05 [0,04; 0,07]
Allgemeinverbindliche Mindestlöhne 759 355 1,99 [1,55; 2,63] 0,82 [0,64; 1,08]
Summe über alle Mindestlöhne 2 986 635 8,66 [7,10; 10,1] 3,71 [3,03; 4,31]

1 95%-Konfidenzintervalle (zur Erklärung siehe auch Anmerkung zu Tabelle 1): Bereich gesetzlicher Mindestlohn [1 906 122; 2 429 908], Ausnahmebranchen mit vorübergehendem geringerem Mindestlohn [33 912; 89 499], Branchen mit allgemeinverbindlichem Mindestlohn [635 124; 907 003], alle Arten von Mindestlöhnen [2 720 007; 3 290 062].

Quelle: SOEP v33.1; eigene Berechnungen mit durchschnittlichen Beitragssätzen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, Berücksichtigung der Beitragsbehandlung von Minijobbern und Beschäftigten in der Gleitzone (Midijobs).

Umfangreichere Kontrollen sind nötig

Unzureichende Kontrollen haben die Mindestlohn-Umgehungen in den Jahren 2015 und 2016 erleichtert. Im Jahr 2017 wurden insgesamt 52 209 Arbeitgeber durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) geprüft. Die Zahl der Kontrollen stieg damit im Vergleich zum Vorjahr um 29 %. Die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Mindestlohnverstößen stieg im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls in vergleichbarer Größenordnung um 33,5 % auf 4736.33 Die FKS konnte somit eine erhebliche Zahl von Verstößen gegen das Mindestlohngesetz und allgemeinverbindliche Branchenmindestlöhne feststellen, die anschließend auch zu Ermittlungsverfahren führten – und dies, obwohl die FKS in erster Linie Schwarzarbeit in Bezug auf Sozialversicherungs- und Steuerbetrug bekämpft. Somit wird klar, dass effektive Kontrollen entscheidend für die Umsetzung des Mindestlohngesetzes sind. Hierfür ist vor allem eine ausreichende Personalausstattung der Kontrollbehörden erforderlich, weshalb die Zahl der Kontrolleure schnellstmöglich auf 10 000 erhöht werden sollte. Aktuell verfügt die FKS nur über 7211 Planstellen, von denen aber nur 6429 besetzt sind (Stichtag 1. Dezember 2017). Für den Zeitraum 2018 bis 2022 ist bisher ein Aufbau von insgesamt 1400 weiteren Stellen vorgesehen.34 Vor dem Hintergrund von Sozialversicherungsbeitrags-Ausfällen in Milliardenhöhe wäre auch eine Erleichterung der Zusammenarbeit von Zoll und Prüfdienst der Sozialversicherung zu überlegen.

Überhöhte und falsch dokumentierte Arbeitszeiten sind eine weit verbreitete Mindestlohn-Umgehungsstrategie. Das zeigen z. B. Interviews mit Experten des Zolls.35 Hier wäre zu prüfen, ob die derzeitige Regelung zur Dokumentation der Arbeitszeiten die Beweisführung eventuell erschwert. Eine Aufbewahrungspflicht bzw. Einsehbarkeit von Arbeitszeitunterlagen am Arbeitsort könnte helfen. Die häufig vorgebrachten Argumente einer übermäßigen Bürokratie sind angesichts weit verbreiteter elektronischer Zeiterfassungssysteme und den Möglichkeiten des technischen Fortschritts irreführend (Stichwort: Prüfung der Möglichkeit von standardisierten Zeiterfassungs-Apps). Darüber hinaus sind sie gerade im Minijob-Bereich mit den bisher dokumentierten vielfachen Verstößen gegen Arbeitsstandards unabdingbar.36

* Ich bedanke mich bei Hartmut Seifert und Wolfram Brehmer für die kritische Diskussion des Textes sowie bei Irene Becker und den Mitarbeitern des WSI-Tarifarchivs für viele nützliche Hinweise.

  • 1 Vgl. M. Amlinger et al.: Stellungnahme zu den bisherigen Auswirkungen des Mindestlohns und seiner zukünftigen Anpassung, Schriftliche Anhörung der Mindestlohnkommission, WSI Policy Brief, Nr. 5, 2016.
  • 2 Schüler und Azubis und weitere Ausnahmen (z. B. Branchen) wurden nicht berücksichtigt. Berechnung mit vertraglicher Arbeitszeit, bezahlten Überstunden und tariflichen Überstundenzuschlägen.
  • 3 R. Asplund, I. Persson: Low pay – a special affliction of women, in: M. Gregory, W. Salverda, S. Bazen (Hrsg.): Labour market inequalities: problems and policies of low-wage employment in international perspective, Oxford, New York 2000, S. 53-81; J. Rubery, D. Grimshaw, H. Figueiredo: How to close the gender pay gap in Europe: towards the gender mainstreaming of pay policy, in: Industrial Relations Journal, 36. Jg. (2005), H. 3, S. 184-213.
  • 4 OECD: OECD Earnings Database, Paris 2018.
  • 5 R. George: Niedriglohn und Geschlecht im europäischen Vergleich, in: WSI-Mitteilungen, 64. Jg. (2011), H. 10, S. 548-555.
  • 6 P. Ellguth, S. Kohaut: Tarifbindung und betriebliche Interessenvertretung: Ergebnisse aus dem IAB-Betriebspanel 2016, in: WSI-Mitteilungen, 70. Jg. (2017), H. 4, S. 278–286.
  • 7 R. Bispinck: Mindestlöhne und Tarifpolitik – Ergebnisse des WSI-Niedriglohn-Monitoring, WSI-Mitteilungen, 70. Jg. (2017), H. 7, S. 523-532.
  • 8 J. Rubery, D. Grimshaw: Gender and the Minimum Wage, in: S. Lee, D. McCann (Hrsg.): Regulating for Decent Work. Advances in Labour Studies, London 2011, S. 226-254.
  • 9 Zur Berechnungsmethode siehe C. Klenner: Gender Pay Gap: Die geschlechtsspezifische Lohnlücke und ihre Ursachen, Policy Brief WSI, Nr. 7, Düsseldorf 2016.
  • 10 Diese Niedriglohnschwelle ist etwas geringer als der von Kalina und Weinkopf für das Jahr 2015 berichtete Wert, vor allem weil bei tariflichen Verdiensten Überstundenzuschläge von in der Regel 25 % berücksichtigt wurden, was die berechneten Stundenlöhne absenkt. Außerdem wurden bei der oben genannten Zahl Auszubildende und Schüler nicht berücksichtigt (gegenläufiger Effekt, wobei es im SOEP-Datensatz nur wenige Schüler gibt). Sonderzahlungen sind ebenfalls nicht enthalten. Vgl. T. Kalina, C. Weinkopf: Niedriglohnbeschäftigung 2015 – bislang kein Rückgang im Zuge der Mindestlohneinführung, IAQ Report, Nr. 6, 2017.
  • 11 Vgl. M. Trappmann et al.: The PASS panel survey after six waves, in: Journal for Labour Market Research, 46. Jg. (2013), H. 4, S. 275-281.
  • 12 Zudem berücksichtigt der Vergleich keine Minijobber, für die in der PASS-Befragung im Jahr 2014 noch keine vertraglichen Arbeitszeiten erhoben wurden (Stundenlöhne wurden hier mit vertraglichen Arbeitszeiten kalkuliert). Vgl. Mindestlohnkommission: Erster Bericht zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns. Bericht der Mindestlohnkommission an die Bundesregierung nach § 9 Abs. 4 Mindestlohngesetz, Berlin 2016, S. 55.
  • 13 Becker und Hauser führen hierzu eine Modellrechnung durch, deren auf der Verdienststrukturerhebung (VSE) basierte Zahlen hier für die Untergruppe der Erwerbstätigen kombiniert wurden. Zwar sind dies nicht die neuesten Ergebnisse, es kann aber davon ausgegangen werden, dass sich am Verhalten der Arbeitnehmer nichts Wesentliches geändert hat. Vgl. I. Becker, R. Hauser: Dunkelziffer der Armut, Düsseldorf 2005, S. 98 f., 108 f.; K. Bruckmeier et al.: Mikroanalytische Untersuchung zur Abgrenzung und Struktur von Referenzgruppen für die Ermittlung von Regelbedarfen auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008, Simulationsrechnungen für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Endbericht, 17.6.2013, S. 20.
  • 14 Dies gilt zumindest unter der Annahme, dass sich die Haushaltszusammensetzung von Arbeitnehmern mit Stundenlöhnen in den verglichenen Bereichen nicht wesentlich unterscheiden, was anhand der für die Bedürftigkeit relevanten Kriterien der Haushaltsgröße und des Wohnorts im Einzelnen zu prüfen wäre.
  • 15 Das zugrundeliegende 95 %-Konfidenzintervall der Aufstocker-Quote spannt von 1 % bis 3,6 %. Daraus folgt eine Spannweite des Konfidenzintervalls inklusive verdeckter Armut von 2,8 % bis 9,6 %.
  • 16 Die hier einfließende Beschäftigtenzahl von ca. 27,2 Mio. für das Jahr 2016 ist deutlich geringer als der vom Statistischen Bundesamt berichtete Wert von 43,5 Mio. Erwerbstätigen. Neben einigen fehlenden Lohndaten besteht die Ursache vor allem in umfangreichen Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn: Auszubildende, Schüler, Praktikanten, vormalige Langzeitarbeitslose im ersten halben Jahr der Beschäftigung, ca. 750 000 Arbeitnehmer in Branchen mit vorübergehenden geringeren tariflichen Mindestlöhnen wie der Landwirtschaft, ca. 2,83 Mio. Arbeitnehmer mit höheren Mindestlöhnen wie im Bau und in der Altenpflege. Auch Selbständige (ca. 4 Mio.) und Beamte (ca. 2 Mio.) wurden nicht betrachtet.
  • 17 Das 95 %-Konfidenzintervall zur Abbildung der statistischen Schätz­unsicherheit reicht von 7 % bis 8,9 %.
  • 18 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Durchschnittliche Arbeitszeit und ihre Komponenten in Deutschland, Stand: Mai 2017, pdf-Download am 29.1.2018.
  • 19 T. Schulten et al.: Umsetzung und Kontrolle von Mindestlöhnen: Europäische Erfahrungen und was Deutschland von ihnen lernen kann, Studie im Auftrag der G.I.B. – Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung mbH, Arbeitspapier, Nr. 49, 2014, S. 30 ff.
  • 20 P. Burauel et al.: Mindestlohn noch längst nicht für alle – Zur Entlohnung anspruchsberechtigter Erwerbstätiger vor und nach der Mindestlohnreform aus der Perspektive Beschäftigter, in: DIW Wochenbericht, Nr. 49, 2017.
  • 21 Das Vorgehen entspricht einer in den Betriebsprüfungen des Zolls akzeptierten Praxis, von der Arbeitgeber aber natürlich nach oben hin abweichen können.
  • 22 Vgl. Statistisches Bundesamt: Verdiensterhebung 2016: Erhebung über die Wirkung des gesetzlichen Mindestlohns auf die Verdienste und Arbeitszeiten der abhängig Beschäftigten, Wiesbaden 2017, S. 29.
  • 23 Vgl. ebenda, S. 6.
  • 24 P. Burauel et al., a. a. O., S. 1113.
  • 25 Vgl. T. Schulten, a. a. O.
  • 26 Vgl. A. Amlinger, a. a. O., S. 8.
  • 27 WSI-Tarifarchiv: Tarifliche Vergütungsgruppen im Niedriglohnbereich 2012: Eine Untersuchung in 41 Wirtschaftszweigen, Elemente qualitativer Tarifpolitik, Nr. 75, 2013.
  • 28 W. Brehmer, H. Seifert: Sind atypische Beschäftigungsformen prekär? Eine empirische Analyse sozialer Risiken, in: Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung, 41. Jg. (2008), H. 4, S. 501-531; M. Dütsch, Z. J. Juhasz, O. Struck: Beschäftigungsformen in Deutschland. Entwicklungen, Determinanten und Folgen, Gütersloh 2011; D. Voss, C. Weinkopf: Niedriglohnfalle Minijob, in: WSI-Mitteilungen, 65. Jg. (2012), H. 1, S. 5-12.
  • 29 Vgl. G. Fischer et al.: Situation atypisch Beschäftigter und Arbeitszeitwünsche von Teilzeitbeschäftigten: Quantitative und qualitative Erhebung sowie begleitende Forschung, IAB-Forschungsprojekt im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Endbericht, o. O. 2015; R. Bachmann et al.: Nachfolgestudie zur Analyse der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (Minijobs) sowie den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns, Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Essen, November 2016.
  • 30 Für Minijobs vgl. T. Pusch, H. Seifert: Unzureichende Umsetzung des Mindestlohns bei Minijobbern, in: Wirtschaftsdienst, 97. Jg. (2017), H. 3, S. 187-191.
  • 31 Im SOEP wurde in der Welle 2016 nach der Unternehmensgröße und nicht nach der Betriebsgröße gefragt.
  • 32 Die entgangenen Löhne bei Teilzeitbeschäftigten (unter 30 Arbeitsstunden pro Woche) sind mit ca. 130 Euro im Monat deutlich geringer.
  • 33 Die Kontrollen und eingeleiteten Ermittlungsverfahren erstreckten sich dabei nicht nur auf den Geltungsbereich des gesetzlichen Mindestlohns, sondern z. B. auch auf Branchenmindestlöhne, vgl. Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/660 – Bundestagsdrucksache 19/875, 2018, S. 5 ff.
  • 34 Deutscher Bundestag: Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Michael Meister vom 20. Dezember 2017, Anfrage der Bundestagsabgeordneten Müller-Gemmeke, Bundestagsdrucksache 19/317, 2017.
  • 35 T. Schulten et al., a. a. O.
  • 36 R. Bachmann et al., a. a. O.

Title:Three Years of Minimum Wage After in Germany: Substantial Wage Increases, But Also Many Violations

Abstract:Three years after the introduction of the minimum wage in 2015, the assessment of its labour market impact is positive. Contrary to early warnings, there has been no apparent decline in employment in most affected parts of the labour market. The share of the working poor who were eligible for drawing in-work benefits declined by 2.7 percentage points. Nevertheless, there still is a pressing problem of 2.2 million minimum wage violations. Those occur more often in establishments that do not have worker representation and are not covered by collective bargaining. Women and East Germans are also more often affected. Lost wages and social insurance contributions in 2016 were as high as €10 billion.

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DOI: 10.1007/s10273-018-2283-x