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Auf dem G20-Gipfel wurde 2009 beschlossen, dass insbesondere OTC-Derivate-Transaktionen künftig überwiegend über Zentrale Gegenparteien (Central Counterparties) abgewickelt werden sollten. Weltweit beträgt das pro Jahr abgewickelte Volumen von Zins-, Währungs- und Aktienderivaten mehr als 400 Billionen US-$. Nach dem Brexit stellt sich die Frage, ob das derzeit überwiegend in London abgewickelte Clearing von Euro-OTC-Derivaten auf eine Zentrale Gegenpartei in der EU verlagert werden sollte. Gegner einer solchen Relokation befürchten hohe Kosten für die Marktteilnehmer. Die bislang vorliegenden Kostenschätzungen sind jedoch viel zu hoch.

Aufgrund der Erfahrungen aus der Finanzkrise wurde auf dem G20-Gipfel in Pittsburgh 2009 unter anderem die Notwendigkeit festgestellt, dass insbesondere Over-the-Counter-Derivate-Geschäfte (also außerbörsliche Geschäfte) künftig überwiegend über sogenannte Zentrale Gegenparteien (Central Counterparties, CCP) abgewickelt werden sollten. Diese CCP treten zwischen die ursprünglichen Kontrahenten einer Finanztransaktion, indem sie Finanzinstrumente zu vereinbarten Konditionen von einem Verkäufer erwerben und diese zu den gleichen Konditionen an den Käufer veräußern. Das ursprüngliche Geschäft zwischen zwei Kontrahenten wird also durch zwei gegenläufige Geschäfte zwischen den Kontrahenten und dem CCP ersetzt.1 Da die CCP das Erfüllungsrisiko der jeweiligen Geschäfte tragen, wird vermieden, dass bei Ausfall eines Vertragspartners das Risiko der Nichterfüllung unmittelbar die anderen Vertragspartner belastet, sodass durch Kettenreaktionen systemische Risiken für das Finanzsystem entstehen können. Da CCP die zentrale Verrechnung (Clearing) von Finanztransaktionen übernehmen, stellen diese für die Stabilität und Integrität des internationalen Finanzsystems kritische Finanzmarktinfrastrukturen dar.

Volumen und Ausgangslage

Abbildung 1 verdeutlicht die Größe der globalen OTC-Derivate-Märkte. Weltweit beträgt das pro Jahr abgewickelte Nominalvolumen von Zins-, Währungs- und Aktienderivaten mehr als 400 Billionen US-$. Den größten Teil machen mit einem Anteil von ca. 75 % Zinsderivate aus. Davon entfallen ca. 30 % auf in Euro denominierte Zinsderivate, von denen wiederum ca. 97 % über die Clearing-Tochtergesellschaft London Clearing House Clearnet (LCH) der London Stock Exchange (LSE) abgewickelt werden. Die Eurex hat derzeit einen Marktanteil von ca. 1 % beim Clearing von OTC-Zinsderivaten in Euro, die US-amerikanische CME (Chicago Mercantile Exchange) ca. 2 %. Die Bedeutung anderer Clearinghäuser ist vernachlässigbar. Im Zuge des anstehenden Brexit stellt sich die Frage nach den Auswirkungen auf das Clearing von auf Euro lautenden OTC-Derivaten.2

Bereits 2011 wurde die Frage aufgeworfen, ob und unter welchen Voraussetzungen das Clearing von Euro-OTC-Derivaten in Großbritannien und damit außerhalb der Eurozone erfolgen kann. Die Position der EZB war, dass dieses Geschäft unter Aufsichtsgesichtspunkten innerhalb der Eurozone angesiedelt sein müsste.3 Dies wurde jedoch 2015 vom Europäischen Gerichtshof mangels Zuständigkeit der EZB verneint.4 Seither gibt es zwischen der Bank of England sowie der EZB ein Abkommen über einen verstärkten Informationsaustausch und eine eng abgestimmte Aufsicht.5

Nun stellt sich angesichts des anstehenden Brexit die Frage erneut, ob und unter welchen Voraussetzungen das Clearing von Euro-OTC-Derivaten künftig in Großbritannien und damit nicht nur außerhalb der Eurozone, sondern auch außerhalb der EU angesiedelt sein darf. Das Clearing-Geschäft insgesamt gehört zu den profitabelsten Geschäftsfeldern der LSE Group und ist daher von erheblicher strategischer Bedeutung für den Finanzplatz London. Schätzungen zufolge sind mit dem gesamten Post-Trading-Geschäft etwa 10 000 Arbeitsplätze betroffen, von denen ein erheblicher Teil bei einer Relokation des Euro-OTC-Derivate-Geschäfts in die EU verlorengehen könnte.6 Der Vorstandsvorsitzende der London Stock Exchange spricht sogar von ca. 100 000 betroffenen Arbeitsplätzen.7 Dabei werden die hinter diesen Zahlen stehenden Annahmen nicht offengelegt. Allerdings erscheinen diese Schätzungen sehr hoch, wenn man von ca. 700 Beschäftigten der LCH Clearnet und ca. 950 Beschäftigten in der LCH-Gruppe ausgeht.8 Daher wundert es nicht, dass sich Lobbyisten, vereinzelte Marktteilnehmer und politische Akteure am Finanzplatz London vehement für die Beibehaltung des Status quo im Clearing-Geschäft einsetzen. Als Argumente werden die mit einem integrierten, währungsübergreifenden Liquiditätspool verbundenen Kostenvorteile im Clearing für die Marktteilnehmer angeführt.9 Die Regulierung und Aufsicht über die betreffenden Central Counterparties in Großbritannien, die nach dem Brexit aus Sicht der EU Drittstaaten-CCP werden, sei auch nach dem Brexit wegen der Äquivalenz der einschlägigen Bestimmungen unproblematisch.

Abbildung 1
OTC-Derivate – ausstehende Nominalvolumina
OTC-Derivate – ausstehende Nominalvolumina

Quelle: Bank für Internationalen Zahlungsausgleich.

Ob Regulierung und Aufsicht über die LCH Clearnet nach Maßgabe der einschlägigen europäischen Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Drittstaatenregelungen als äquivalent einzustufen sind, bleibt einer Prüfung der EU-Kommission und der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority) vorbehalten. Was im Einzelnen unter Äquivalenz mit Blick auf die Regulierung und Finanzmarktaufsicht in dem jeweiligen Drittstaat zu verstehen ist, hängt sehr stark von den betreffenden Produkt-, Dienstleistungs- und Marktsegmenten ab.10 In jedem Fall muss die EU-Kommission die Äquivalenz bestätigen und eine Registrierung bei der ESMA erfolgen.

Die Befürworter einer Verlagerung des auf Euro lautenden Clearinggeschäfts von OTC-Derivaten in die EU heben hervor, dass aus europäischer Sicht systemrelevante CCP einer direkten Aufsicht mit entsprechenden Sanktionsbefugnissen durch europäische Aufsichtsbehörden unterliegen sollten. Schließlich sei zu erwarten, dass eine Schieflage eines systemrelevanten CCP direkt oder indirekt die Geldpolitik der zuständigen Zentralbanken beeinflussen kann. Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission am 13.6.2017 einen entsprechenden Entwurf für eine Änderung der betroffenen Verordnungen vorgelegt.11

Nach der Verordnung zur European Market Infrastructure Regulation (EMIR) werden CCP in der EU derzeit von Kollegien beaufsichtigt, denen nationale Aufsichtsbehörden, die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA sowie weitere Behörden angehören können. Diese werden von der Behörde des Herkunftsmitgliedstaats koordiniert. Dies bedeutet, dass es divergierende Aufsichtspraktiken für CCP in der EU geben kann, z. B. bei der Zulassung oder Verfahren für die Modellvalidierung. Um Regulierungsarbitrage zu vermeiden, hat die EU-Kommission auf diese neu entstehenden Risiken und die Notwendigkeit einer stärkeren aufsichtlichen Konvergenz hingewiesen.

Darüber hinaus soll die überarbeitete EMIR-Verordnung sicherstellen, dass die künftige Rolle der Zentralbanken in den CCP-Kollegien in den Bereichen gestärkt wird, in denen sich die Mandate der Zentralbanken und Aufsichtsbehörden überschneiden (insbesondere in Bereichen wie Interoperabilität und Kontrolle von Liquiditätsrisiken). Um der wachsenden Bedeutung von CCP im Allgemeinen und von Drittstaaten-CCP im Besonderen für die globale und europäische Finanzstabilität Rechnung zu tragen, sieht der Entwurf vor, die Aufsichtsbefugnisse der Europäischen Behörden bei Drittstaaten-CCP deutlich zu verstärken und die Zulassungsvorschriften für Drittstaaten-CCP künftig nach deren Systemrelevanz zu differenzieren. Insbesondere sieht der Vorschlag der EU-Kommission vor, dass die ESMA im Einvernehmen mit den betroffenen Zentralbanken der EU feststellen kann, dass aufgrund von Größe, Komplexität und Systemrelevanz selbst eine vollumfängliche Anwendung der EMIR-Verordnung auf diese Drittstaaten-CCP nicht ausreichen würde, um die Risiken für die europäische Finanzstabilität hinreichend zu mindern. In diesem Fall kann die Aufsichtsbehörde ESMA im Benehmen mit den jeweiligen EU-Zentralbanken der Kommission empfehlen, das betreffende CCP nur dann anzuerkennen, wenn dieses in einem Mitgliedstaat zugelassen ist und sich dort niedergelassen hat.

Aus ökonomischer Sicht wird diskutiert, ob und in welcher Höhe mit Kosten für die Marktteilnehmer durch eine Verlagerung der auf Euro denominierten OTC-Derivate zu rechnen sei. Denn durch die Relokation wird der bislang einheitliche Markt fragmentiert und somit die Marktliquidität durch die Schaffung zweier Liquiditätspools verringert. Derartige Kosten würden dann entstehen, wenn sich infolge der Relokation auf ein EU-CCP die eingeforderten Sicherheitsleistungen (hier vor allem die Initial Margin) und die Kapitalanforderungen der Clearing-Mitglieder erhöhen würden.12 Letztlich würden sich diese Kostensteigerungen in einem höheren Bid-Offer-Spread niederschlagen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Effizienzvorteile von CCP aus Sicht der Marktteilnehmer umso höher sind, je stärker die von den CCP eingeforderte Initial Margin sowie die Kapitalanforderungen der Clearing-Mitglieder reduziert werden können. Diese entstehen dadurch, dass gegenläufige Geschäfte aufgerechnet (Netting) bzw. Geschäfte mit identischem oder vergleichbarem Risikoprofil zu einer Position komprimiert werden (Compression) und darüber hinaus auf Portfolioebene gegenläufige Geschäfte in unterschiedlichen Währungen sowie zwischen börsengehandelten und OTC-Derivaten risikoseitig aufgerechnet werden können (Cross Margining). Diese Vorteile sind tendenziell umso größer, je größer die Kundenbasis und je breiter das Produktportfolio ist. Die exakte Berechnung der Initial Margin durch die CCP wird nur konzeptionell offengelegt und ist somit für Externe nicht im Einzelnen nachvollziehbar. Daher ist es ohne Zugang zu den Modellalgorithmen nicht möglich, die Gründe für Veränderungen der Initial Margin im Detail zu analysieren. Dies gilt sowohl für das London Clearing House LCH als auch für die Eurex oder andere CCP.

Potenzielle Kosten einer Relokation des Euro-OTC-Derivate-Clearing

Welche zusätzlichen Kosten könnten potenziell durch eine Verlagerung des Clearings von Euro-OTC-Derivaten von Großbritannien in den Euroraum entstehen?

Erhöhung der Initial-Margin-Anforderungen

Das Initial-Margin-Volumen, das von Clearing-Mitgliedern bei den CCP als Sicherheit hinterlegt werden muss, ist tendenziell umso geringer, je besser die Risiko-Netting- und Cross-Margining-Effekte auf Portfolioebene des jeweiligen CCP sind. Diese Vorteile durch bessere Aufrechnungs- und stärkere Diversifikationseffekte hängen insbesondere von der Diversität der Kundenstruktur ab und steigen in der Regel mit der Zahl der Clearing-Mitglieder und der Zahl der abgewickelten Kontrakte.

Daraus folgt, dass es durch eine Verlagerung beispielsweise des auf Euro lautenden OTC-Derivate-Portfolios von LCH Clearnet auf neu zu gründende oder bestehende CCP in der EU (EU-CCP) mit geringerer Breite und Tiefe des Clearing-Portfolios zu verringerten Diversifikations- bzw. Netting-Effekten kommen kann. Eine Relokation des Euro-OTC-Portfolios wäre daher voraussichtlich zunächst mit einer Erhöhung der Initial-Margin-Anforderungen verbunden.

Ob und wie lange nach dem Zeitpunkt der Verlagerung diese Erhöhung der Initial-Margin-Anforderungen tatsächlich bestehen bleibt, hängt jedoch von den bestehenden Verrechnungs- bzw. Netting-Möglichkeiten und von der künftigen Entwicklung des Portfolios des aufnehmenden CCP in der EU ab. So ist zu berücksichtigen, dass es in Abhängigkeit vom Geschäftsmodell des aufnehmenden EU-CCP zu anderweitigen Netting-Effekten etwa zwischen OTC-Produkten und börsengehandelten Derivaten (Exchange Traded Derivatives, ETD) kommen kann, die die oben angeführten potenziellen Erhöhungen der Initial-Margin-Anforderungen ganz oder teilweise kompensieren können. Außerdem ist zu erwarten, dass auch beim aufnehmenden EU-CCP im Zeitablauf die Möglichkeiten eines währungsübergreifenden Portfoliomargining durch die Akquisition von Fremdwährungsgeschäft ansteigen werden.

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es nach Erkenntnissen der Aufsichtsbehörde ESMA erhebliche Unterschiede bei den von den CCP angewendeten Methoden zur Festlegung der Initial Margin und der Beiträge zu den Default Funds gibt.13 Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass es je nach CCP zu einer großzügigeren Handhabung von Portfolio-Margining-Effekten kommen kann. Dieser Aspekt kann im Rahmen dieser Ausarbeitung nicht berücksichtigt werden.

Zusätzlicher Eigenkapital-Bedarf bei Clearing-Mitgliedern

Ein weiterer Effekt kann auf der Ebene der Clearing Mitglieder durch eine Verlagerung des Euro-OTC-Geschäfts dadurch entstehen, dass die gestiegenen Initial-Margin-Anforderungen und die damit einhergehenden Beiträge zum Default Fund des CCP mit zusätzlichem Eigenkapital zu hinterlegen sind. Ob und in welchem Umfang zusätzliches Eigenkapital bei den Clearing-Mitgliedern vorzuhalten ist, hängt unter anderem davon ab, wie das Risiko der jeweiligen CCP eingeschätzt wird. Bei der Kalkulation der zusätzlichen Eigenkapitalerfordernisse seitens der Clearing-Mitglieder geht man in der Regel von einem Risikogewicht von 2 % aus.

Bei den ebenfalls zu berücksichtigenden zusätzlichen Beiträgen zu einem Default Fund des CCP kann es zu deutlich höheren Risikogewichten kommen. Die derzeit geltende Methodik14 kann durchaus dazu führen, dass die Eigenkapital-Anforderungen bei 20 % bis 25 % der zusätzlichen Beiträge zum Default Fund liegen. Wie hoch das Verhältnis zwischen den Beiträgen zum Default Fund und der korrespondierenden Initial Margin ist, kann ebenfalls ohne detaillierten Einblick in die Initial-Margin-Modelle und die jeweiligen Portfolios nicht ermittelt werden. Allerdings kann man einen ersten groben Anhaltspunkt erhalten, indem man sich stichtagsbezogen das Verhältnis von Initial Margin und Default-Fund-Beiträgen bei den großen Clearing-Häusern ansieht.

Die sich aus diesen beiden Effekten ergebenden erhöhten Eigenmittelanforderungen sind daraufhin zu überprüfen, ob diese gleichzeitig auch zur Erfüllung der Eigenmittelanforderungen der Banken nach dem Leverage Ratio (derzeit 3 % des nicht risikogewichteten Exposures) ausreichen würden.

Erhöhung der Transaktionskosten durch verringerte Marktliquidität

Die London Stock Exchange argumentiert, dass es bei einer erzwungenen Relokation des Euro-OTC-Derivate-Clearing zu einer verringerten Marktliquidität und damit steigenden Kosten aufgrund der Fragmentierung in einen kleineren „Onshore-Market“ in der EU einerseits und in einen deutlich größeren internationalen „Offshore-Market“ außerhalb der EU in London andererseits kommen würde. Ferner wird angeführt, dass EU-basierte Kunden von SwapClear15 bei einer Verschlechterung der Marktpreise um 1 Basispunkt bei OTC-Zinsderivaten im Vergleich zum Status quo jährlich wiederkehrende Kosten von bis zu 20 Mrd. US-$ tragen müssten.16 Dies entspräche für einen Zeitraum von fünf Jahren einer kumulativen Kostensteigerung in Höhe von 100 Mrd. US-$.

Hinter dieser Aussage steht die Annahme steigender Handelskosten für die Clearing-Mitglieder aufgrund erhöhter Eigenmittelanforderungen insbesondere durch die Anwendung des Leverage Ratios auf die Handelsaktivitäten. Diese sind ceteris paribus umso geringer, je stärker durch Netting- und Kompressioneffekte das Net Exposure der jeweiligen Clearing-Mitglieder reduziert werden kann. Dabei wird von der London Stock Exchange weder nachvollziehbar begründet, warum es nicht nur temporär, sondern auch dauerhaft zu einer solchen Kostensteigerung kommen sollte, noch die unterstellte Größenordnung einer Spread-Ausweitung um 2 Basispunkte substantiiert. Denn auch bei einer durch die Relokation ausgelösten Fragmentierung des Liquiditätspools von OTC-Zinsderivaten in Euro wäre nur dann eine Erhöhung der Bid-Offer-Spreads der Händler angezeigt, wenn sich dadurch deren Netting- und Kompressionsmöglichkeiten deutlich verschlechtern würden. Dies wird von der London Stock Exchange vor allem damit begründet, dass nur ein geringer Teil (ca. 14 %) des Liquiditätspools von EU-Marktteilnehmern stammt und die Händler damit in einem kleineren „Onshore-Market“ deutlich schlechtere Netting-Möglichkeiten hätten.

Dies ist aber kein Automatismus. Denn das Argument der London Stock Exchange berücksichtigt nicht, dass hohe Netting-Effizienzen bereits bei relativ niedrigen Clearing-Volumina vor allem dann erreichbar sind, wenn das EU-CCP über eine ausgewogene Endkundenstruktur verfügt, die es den Händlern erlaubt, ein möglichst risikoneutrales und damit kosteneffizientes Portfolio zu managen. Zum anderen ist bei einer Relokation eine rasche Veränderung der Marktstrukturen zu erwarten, sodass etwaige anfängliche Nachteile bei der Marktliquidität temporärer Natur sein dürften. Denn die Händler werden ihre Portfolios so steuern, dass sie ähnliche Netting- und Kompressionseffekte durch eine Allokation neuer Deals auf die EU-CCP erreichen. Dafür spricht allein schon die enorme realökonomische Bedeutung der EU im Vergleich zu Großbritannien.

Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass in einem überschaubaren Zeitraum auch nennenswertes Geschäft von nicht in der EU ansässigen Unternehmen vor allem mit Euro-Zinsswaps auf ein EU-CCP übertragen wird und dieses über eine Verbreiterung und Vertiefung des Kunden- und Produktportfolios mehr Liquidität in der EU anziehen wird. Daher dürfte selbst im Falle einer anfänglichen Spread-Ausweitung dieser Effekt nicht von dauerhafter Natur sein. Darüber hinaus ist die von der London Stock Exchange genannte Größenordnung einer Spread-Ausweitung um 2 Basispunkte nicht nachvollziehbar. Dies würde einer Verfünffachung des derzeit marktüblichen Spreads von ca. 0,5 Basispunkten auf 2,5 Basispunkte entsprechen. Dies erscheint in einem so hoch kompetitiven Markt nicht realistisch. Dies bestätigt auch die London Stock Exchange in ihrem Positionspapier.17

Tabelle 1
Kosten- und Liquiditätseffekte einer möglichen Relokation von Euro-OTC-Derivaten in die Eurozone
Autor Schätzung Kosten- und Liquiditätseffekte Methode Kritische Aspekte
ClarusFT1 Erhöhung der Initial Margin um 77 Mrd. US-$ • Stark vereinfachte Schätzung der Initial-Margin-Effekte, beruht auf proprietären Modellen von ClarusFT • Initial Margins werden implizit als Kosten eingestuft • Starke Vereinfachung der Modellannahmen; Approximation des Portfolios durch 12y Swaps • Keine Offenlegung der Berechnungsmethodik der Cross-margining-Effekte • Willkürliche Annahme gegenläufiger Positionen insbesondere zwischen Euro/US-Dollar • Keine Berücksichtigung von Risikokonzentrationen bei Clearing-Mitgliedern • Keine detaillierte Berücksichtigung von Positionsdaten




Europäische Kommission2 Erhöhung Initial Margin um 6,8 Mrd. Euro bis 10 Mrd. Euro • Vertrauliche Daten; keine Offenlegung der Modellberechnungen • Keine Transparenz über Modell und Datenbasis
London Stock Exchange3 Erhöhte Handelskosten: 125 Mrd. US-$ in fünf Jahren bei Relokation von Swaps in allen Währungen, ca. 100 Mrd. US-$ bei Begrenzung der Relokation auf Swaps in Euro • Annahme, dass execution prices bei IRS sich um 1 Basispunkt verschlechtern (d. h. Spread-Ausweitung um 2 Basispunkte) • Keine Transparenz über Modell und Datenbasis • Höhe der Spread-Ausweitung um 2 Basispunkte entspricht Verfünffachung der aktuellen Spreads • Sensitivitätsrechnung hat nur Szenariocharakter

Association for Financial Markets in Europe/Boston Consulting Group4 Erhöhung Initial Margin: 30 Mrd. Euro bis 40 Mrd. Euro (40 % bis 50 %) sowie zusätzliche Default Fund Contributions von 3 Mrd. Euro bis 4 Mrd. Euro (20 % bis 30 %) • Anwendung eines „Re-weighting“-Ansatzes auf der Basis von Laufzeiten und Volatilitäten • Impact Assessment einer Relokation nicht nachvollziehbar • Annahmen ebenfalls sehr vage beschrieben; insbesondere Initial Margin Impact nicht transparent; zusätzliche Kapitalanforderungen an clearende Banken basieren auf zahlreichen Annahmen

1 ClarusFT: Moving Euro Clearing out of the UK: the $77bn problem?, 28.9.2016, https://www.clarusft.com/moving-euro-clearing-out-of-the-uk-the-77bn-problem/. 2 European Commission: EU equivalence decisions in financial services policy: an assessment, Staff Working Document, Brüssel, 27.2.2017.
3 London Stock Exchange: European Commission‘s 13 June 2017 proposal regarding third-country CCPs, 20.7.2017. 4 AFME, BCG, Clifford: Bridging to Brexit: Insights from European SMEs, Corporates and Investors, London 2017.

Quelle: eigene Übersicht.

Niemand kann derzeit genau vorhersagen, wie stark sich die Fragmentierung des OTC-Clearing-Marktes auf die Höhe der Spreads auswirken wird. Allerdings weisen die OTC-Derivate-Märkte ein hohes Maß an Konditionentransparenz und Wettbewerbsintensität auf. Dies gilt sowohl für die Ebene der Händler als auch für die CCP selbst. Ein realistischeres Szenario, das in diesem Papier präsentiert wird, berücksichtigt die erhöhten Handelskosten, die insgesamt ca. 0,15 Basispunkte bezogen auf das Transaktionsvolumen betragen bzw. zu einer entsprechenden Ausweitung des Bid-Offer-Spreads führen können. Dieser Effekt dürfte sich aber innerhalb von ca. fünf Jahren nivellieren.

Überblick über die bestehende Kostenschätzung bei einer Relokation von Euro-OTC-Derivaten

Zurzeit kursieren sehr unterschiedliche Zahlen über die Höhe der mit einer Relokation für die Marktteilnehmer zu erwartenden Kosten.18 Tabelle 1 gibt einen Überblick über die derzeit kursierenden Zahlen. Zunächst ist festzuhalten, dass sämtliche derzeit diskutierten Beträge über die Höhe und zeitliche Verteilung der Kosten einer Verlagerung von auf Euro denominierten OTC-Derivate-Kontrakten auf einer Vielzahl von Annahmen beruhen, die von den jeweiligen Autoren nicht oder nur teilweise transparent gemacht werden.

Beurteilung der bestehenden Studien:

  • Die vorliegenden Berechnungen basieren oftmals auf einer statischen Betrachtungsweise, d. h. sich verändernde Marktstrukturen und die daraus gegebenenfalls folgenden Portfoliozusammensetzungen werden post Brexit nicht berücksichtigt:
    • Es wird nicht berücksichtigt, dass die Clearing-Mitglieder durch die Verlagerung zusätzliche Netting-Effekte etwa zwischen OTC-Produkten und börsengehandelten Derivaten (Exchange Traded Derivatives, ETD) erzielen können, die beim abgebenden CCP nicht oder nur in geringerem Umfang möglich sind.
    • Es ist nicht auszuschließen, dass post Brexit auch ein erheblicher Teil des auf US-Dollar lautenden Derivategeschäftes mit der Zeit von Großbritannien in die EU27 abwandert, da sich die Handelsaktivitäten zahlreicher Kunden der britischen CCP in die EU27 verlagern dürften. Damit können die Cross- Margining-Vorteile, die es derzeit noch im marktführenden britischen CCP (LCH Clearnet) gibt, über die Zeit verschwinden.
  • Steigende Initial-Margin-Anforderungen werden implizit als Kosten eingestuft. Relevant sind jedoch nur die Funding-Kosten sowie die zusätzlichen Eigenkapitalkosten:
    • Es ist zu konstatieren, dass die Initial Margin selbst keine Kosten im ökonomischen Sinne darstellen, sondern Sicherheitsleistungen, die finanziert werden müssen. Insofern ist es nicht sinnvoll, die Höhe der Initial Margin per se als Kosten anzusetzen, sondern allenfalls die Funding-Kosten der Clearing-Mitglieder, die je nach Rating schwanken.
    • Hinzu kommen die Eigenkapitalkosten, die auf eine erhöhte Initial Margin und Beiträge zum Default Fund entfallen.
  • Die zusätzlichen Liquiditätserfordernisse aufgrund gegebenenfalls erhöhter Collateral-Leistungen sind separat zu bewerten. Diese liegen nach den Schätzungen der London Stock Exchange19 bei ca. 11 Mrd. US-$ und sind im Vergleich zu den verfügbaren Liquiditätsreserven der Banken überschaubar.
  • Unzureichende Datenbasis: Die den jeweiligen Schätzungen zugrunde liegende Datenbasis ist ein wesentlicher Faktor im Hinblick auf die Aussagefähigkeit der Schlussfolgerungen. Diese wird jedoch nicht hinreichend offengelegt. Eine detaillierte Schätzung von einmaligen und laufenden Kosten einer Verlagerung erfordert den Zugang zu detaillierten Positionsdaten der betreffenden Clearinghäuser in Großbritannien und zu den Clearinghäusern, die potenziell als aufnehmende CCP in Frage kommen. Daher ist auch die hier vorgenommene Kostenschätzung als vorläufig einzustufen.
  • Intransparenz der Methodik bei der Berechnung der Initial Margin und Default Fund Contributions:
    • CCP verwenden sehr unterschiedliche Modelle zur Festlegung von Initial Margin und Beiträgen zum Default Fund. Da es derzeit keine einheitliche Regulierung bzw. Aufsicht über die zugelassenen CCP gibt, ist nicht auszuschließen, dass modellimmanente Determinanten dafür verantwortlich sind, dass die Initial-Margin-Anforderungen je nach CCP stark variieren. Denn derzeit werden zwar durch die ESMA Peer Reviews durchgeführt,20 die auf diesen Umstand hinweisen, aber die gegenwärtige Aufsichtsstruktur mit Kollegien unter Federführung der zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden (National Competent Authorities, NCA) sorgt nicht für die erforderliche Aufsichtskonvergenz. Dieser Effekt sollte bei Vergleichsrechnungen berücksichtigt werden. Ähnliche Beobachtungen kann man auch im Bereich der Bankenregulierung machen, wo seit geraumer Zeit eine kritische Diskussion interner Ratingverfahren von Banken stattfindet, da diese zum Teil auf sehr unterschiedliche Ratings und damit Eigenkapital-Anforderungen für gegebene Kreditrisiken kommen.
    • Die jeweils verwendete Methodik zur Berechnung der prognostizierten Veränderungen der Initial Margin und der Beiträge zum Default Fund wird im Detail nicht offengelegt. Bei dem von LCH Clearnet unter anderem verwendeten Portfolio-Modell PAIRS (Portfolio Approach to Interest Rate Scenarios) handelt es sich nach offiziellen Angaben um einen „Expected Short Fall“- bzw. „Contingent Value at Risk“-Ansatz, der auf historischen Daten beruht und darauf abzielt, für die Clearing-Mitglieder bzw. deren Kunden eine maximal mögliche Collateral-Effizienz über Produkte und Währungen hinweg zu ermöglichen. Über PAIRS hinaus werden zusätzliche Margin-Anforderungen in Abhängigkeit von den Liquiditätsrisiken und Kreditrisiken der Clearing-Mitglieder als add-ons einbezogen.21
    • Ein etwas anderer Ansatz, der jedoch ebenfalls eine Maximierung der Cross-Margining-Potenziale anstrebt, wird von der Eurex Clearing verfolgt. Hier kommt im Rahmen des Modells PRISMA eine Kombination aus vergangenheitsbezogenem Mark-to-Market- und einem zukunftsgerichteten Value-at-Risk-basiertem Portfolioansatz zum Tragen, das eine produkt-, laufzeit- und währungsübergreifende Diversifikation der Kontraktrisiken zum Gegenstand hat.22
    • Beide Berechnungsmethoden liegen im Einzelnen nur den zuständigen Aufsichtsbehörden vor.

Eigene Schätzung der Kosten einer Relokation

Die vielfach zitierte Schätzung von ClarusFT geht davon aus, dass sich die Initial Margin verdoppeln würde, wenn man die auf Euro lautenden OTC-Derivate aus LCH Clearnet herauslösen würde, während eine Untersuchung der Association for Financial Markets in Europe von einer Steigerung um ca. 40 % bis 50 % ausgeht.23 Der in diesem Beitrag vorgestellten Schätzung (vgl. Tabelle 2) werden die von der London Stock Exchange selbst veröffentlichten Daten zugrunde gelegt, nach denen mit einer Steigerung der Initial Magin für in der EU ansässige Unternehmen in Höhe von ca. 29 % zu rechnen ist. Da die Schätzungen von ClarusFT sich ebenfalls auf das SwapClear-Portfolio der London Stock Exchange beziehen, erübrigt sich eine weitere Betrachtung der ClarusFT-Berechnungen, da diese eine offenbar unzutreffende Approximation der Auswirkungen einer Herauslösung des Euro-OTC-Bestands darstellen.

Tabelle 2
Eigene Schätzung der Kosten
Annahmen  
Nominalvolumen SwapClear (gesamt, in Mrd. US-$) 299 000
Nominalvolumen EU-basierte Unternehmen in Mrd. US-$ 41 000
Initial Margin des von der Verlagerung betroffenen OTC-Clearing-Portfolios in Großbritannien in Mrd. US-$ ca. 111
davon EU-Unternehmen in Mrd. US-$ ca. 35
Erhöhung der Initial-Margin-Anforderungen für die Clearing-Mitglieder (CM) insgesamt bei einer Segregation der Euro-OTC-Derivate in Mrd. US-$ ca. 11
davon EU-Unternehmen in Mrd. US-$ ca. 5
Funding-Kosten für zusätzliches Collateral in Basispunkten 50 bp
Zusätzlicher Beitrag zum Default Fund in % der zusätzlichen Initial Margin (konservativer Ansatz) 15%
Durchschnittliche Eigenkapitalkosten der Clearing- Mitglieder in % p. a. 8 %
Risk Weight Initial Margin in % 2 %
Eigenkapitalunterlegung einer zusätzlichen Default Fund Contribution in % des Face Value 25 %
Übergangsperiode für Angleichung Netting Efficiency 5 Jahre
Indikative Schätzung einer Erhöhung der Trading-Kosten1 (in Mrd. US-$)
Annahme Replacement Costs des Relokationsportfolios 0
Netting-Ratio (Worst Case bei neu gegründetem EU CCP) 0 %
TEX2 ~ Notional Value3 • 1,5 % • 0,4 (in Mrd. US-$) 246
Eigenmittelanforderungen (Leverage Ratio = 3 %) in Mrd. US-$ 7,4
Eigenkapitalkosten (8 % p. a.) in Mrd. US-$ p. a. ca. 0,590
Linear hochgerechnet auf fünf Jahre in Mrd. US-$ ~3
Indikative Schätzung der erhöhten Funding- und Kapitalkosten auf erhöhte Initial Margin und Default Fund Contributions (in Mio. US-$)
Zusätzliche durchschnittliche Funding-Kosten Cash Collateral in Mio. US-$ p. a. 25
Zusätzliche Eigenkapitalanforderungen (Initial Margin und Default Fund) der EU-Unternehmen in Mio. US-$ ca. 200
Zusätzliche Eigenkapitalkosten (@ 8 % p. a.) in Mio. US-$ p. a. ca. 16
Summe aus zusätzlichen Funding-Kosten und Eigenkapitalkosten in Mio. US-$ p. a. ca. 41
Linear hochgerechnet auf fünf Jahre in Mio. US-$ ca. 200
Gesamtkosten
Gesamtkosten p. a. in Mio. US-$ ca. 631
Gesamtkosten kumuliert für fünf Jahre in Mio. US-$ ca. 3200

1 Erhöhung der Trading-Kosten, falls sich durch verschlechterte Netting-Möglichkeiten infolge des Leverage Ratios die Kapitalanforderungen bei gleichem Transaktionsportfolio erhöhen. 2 TEX (Trade Exposure) stellt die für die Berechnung des Leverage Ratio relevante Risikoposition des Nominalvolumens dar. 3 Nominalvolumen EU basierter Unternehmen.

Quelle: eigene Darstellung.

In jedem Fall sind diese derzeit im Raum stehenden Kosten einer Relokation viel zu hoch angesetzt, da z. B. mit Blick auf die Initial Margin nur die Funding-Kosten bzw. zusätzlichen Eigenkapitalkosten zu berücksichtigen sind. Wenn man in diesem Zusammenhang unterstellt, dass die Initial Margin im Sinne eines Bodensatzes dauerhaft vom Clearing-Mitglied vorzuhalten ist, kann man durchaus durchschnittliche Funding-Kosten in Höhe von 50 Basispunkten als realistische Approximation zugrunde legen.24

Da infolge der expansiven Geldpolitik der EZB zumindest derzeit der Bankensektor in der Eurozone über einen erheblichen nicht durch Kreditvergabe genutzten Liquiditätspuffer verfügt, dürften die Opportunitätskosten für die Bindung des zusätzlichen Collaterals überschaubar sein. Allein die im Eurosystem von den Banken vorgehaltenen Liquiditätsreserven lagen zum 31.12.2016 trotz negativer Einlagenzinsen bei ca. 1, 3 Billionen Euro. Hinzu kommen sonstige liquide Aktiva im Bankensektor, die diese Zahl noch multiplizieren.

Nachfolgend werden die von der London Stock Exchange selbst verwendeten Zahlen zum Stichtag 28.4.2017 zugrunde gelegt, um zu verdeutlichen, wie hoch die mit einer Relokation verbundenen Kosten sein könnten, wenn man auf derselben Datenbasis aufsetzt (vgl. Tabelle 2).25 Zur Schätzung der potenziellen Kosteneffekte einer Verlagerung werden die direkten CCP-Kosten (Booking fee, Collateral fee, Maintenance fee) nicht berücksichtigt, da diese Kostendifferenzen zwischen dem abgebenden und aufnehmendem CCP bezogen auf das Gesamtvolumen vernachlässigbar sind. Die Schätzung erhöhter Trading-Kosten stellt ebenfalls nur eine Approximation dar.26 Bezieht man die Gesamtkosten auf das transferierte Nominalvolumen, ergibt sich eine rechnerische Erhöhung der Transaktionskosten von ca. 0,15 Basispunkte. Diese wäre allerdings nur temporärer Natur.

  • Durch die Relokation kann es also temporär zu einer Erhöhung der Eigenmittelanforderungen auf das Handelsgeschäft (Leverage Ratio) kommen. Diese könnte bis zu 7,4 Mrd. US-$ betragen, wenn die Netting-Effizienz im aufnehmenden EU-CCP schlechter ist als im abgebenden CCP. Unter Kostengesichtspunkten sind nur die darauf entfallenden Eigenkapitalkosten in Höhe von ca. 590 Mio. US-$ p. a. relevant.
  • Zusätzlich sind die Funding-Kosten für die erhöhten Initial-Margin-Anforderungen sowie die steigenden Eigenkapitalkosten zu berücksichtigen, die sich aus den zusätzlichen Eigenkapitalanforderungen für die Initial Margin (Risikogewicht von 2 %) und für die Default Fund Contributions (bis zu 25 % der Beiträge) ergeben. Insgesamt betragen die sich daraus ergebenden zusätzlichen Eigenkapitalanforderungen ca. 200 Mio. US-$. Auch davon sind jedoch unter Kostengesichtspunkten nur die Cost of Equity anzusetzen, die gegenwärtig bei durchschnittlich ca. 8 % p. a. liegen.27 Daraus folgt also eine jährliche zusätzliche Belastung von Funding- und Eigenkapitalkosten in Höhe von ca. 41 Mio. US-$.
  • Die Gesamtkosten einer Relokation können also bis zu 631 Mio. US-$ p. a. betragen. Wenn man eine Übergangsfrist von fünf Jahren unterstellt, in der sich die Netting-Effizienz des abgebenden Großbritannien-CCP und dem aufnehmenden EU-CCP angleichen dürften, wären kumulative Funding- und Eigenkapitalkosten von bis zu ca. 3,2 Mrd. US-$ anzusetzen.

Tatsächlich ist die hier vorgestellte Kostenschätzung als Obergrenze anzusehen, da im aufnehmenden EU-CCP die Cross-Margining-Effekte zwischen Exchange-traded- und OTC-Derivaten solche Effekte signifikant mitigieren sollten.

Schlussfolgerungen

  • Die bisher vorliegenden Schätzungen von etwaigen Kosten einer Relokation des Clearing von in Euro lautenden OTC-Derivaten in die EU sind hinsichtlich Methodik, der zugrunde liegenden Annahmen und der Datenbasis in weiten Teilen nicht transparent und konzeptionell fragwürdig. Die vorläufige Berechnung der Verlagerungskosten des Autors trennt in diesem Aufsatz Kosten- und Liquiditätseffekte und beruht auf öffentlich verfügbaren Informationen der London Stock Exchange. Darüber hinaus wurden im Hinblick auf die mit einer Relokation für eine Übergangsperiode zu erwartenden erhöhten Anforderungen an Initial Margin und Beiträgen zum Default Fund vorsichtige Annahmen zugrunde gelegt. Die größte Unsicherheit liegt in der gegebenenfalls temporär zu erwartenden Zunahme der Bid-Offer-Spreads. Die Höhe und zeitliche Verteilung dieser Effekte hängt wesentlich von den sich infolge der Relokation verändernden Strategien der Marktteilnehmer ab. Aufgrund der hohen Transparenz und Wettbewerbsintensität auf diesen Märkten erscheint die von der London Stock Exchange vorgenommene Szenariorechnung, die von zusätzlichen Transaktionskosten von bis zu 100 Mrd. US-$ ausgeht, unrealistisch. Ein plausibles Alternativszenario, das hier vorgeschlagen wird, geht von einer temporären Kostensteigerung in Höhe von ca. 0,15 Basispunkten des Transaktionsvolumens aus, die innerhalb von fünf Jahren aufgrund sich angleichender Netting-Effizienzen verschwinden wird.
  • Angesichts der dynamischen Veränderungen auf den betreffenden Wertpapiermärkten, dem ohnehin schon sehr hohen Wettbewerbsdruck unter den Marktteilnehmern und dem Commodity-Charakter der angebotenen Clearing-Services stellt meine Schätzung der mit einer Relokation verbundenen kumulativen Kosten für einen Zeitraum von fünf Jahren in Höhe von ca. 3,2 Mrd. Euro eher eine Obergrenze der zu erwartenden Kosten dar.
  • Die zusätzlichen Liquiditätsanforderungen sind angesichts der hohen Liquidität im Finanzsektor nicht entscheidungsrelevant.
  • Aufgrund der strategischen Bedeutung des OTC-Derivate-Clearing mit Blick auf die Vermeidung systemischer Risiken erscheinen die mit einer Relokation verbundenen Kosten vernachlässigbar, zumal diese nur vorübergehender Natur sein dürften.
  • In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es nach Erkenntnissen der ESMA erhebliche Unterschiede bei den von den CCP angewendeten Methoden zur Festlegung der Initial Margin und der Beiträge zu den Default Funds gibt. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass es je nach CCP zu einer großzügigeren Handhabung von Portfolio-Margining-Effekten kommen kann.
  • Um eine damit gegebenenfalls verbundene Regulierungsarbitrage zu vermeiden, ist eine deutlich verstärkte Konvergenz bei den Aufsichtsprozessen zu empfehlen. Denn derzeit wird die laufende Überwachung der CCP federführend von den National Competent Authorities im Rahmen von Aufsichtskollegien wahrgenommen.
  • Es ist ferner zu überlegen, ob bestehende Kontrakte nicht (teilweise) in Großbritannien verbleiben und die Clearing-Pflicht für auf Euro lautende OTC-Derivate über ein EU-CCP nur das Neugeschäft betrifft. Dies würde im Bereich der Zinsderivate eine mehrjährige Übergangszeit bedeuten, die an dieser Stelle ebenfalls nur vorläufig geschätzt werden kann. Nach Angaben von SwapClear haben mehr als 50 % des ausstehenden Volumens eine Laufzeit von bis zu zwei Jahren, weitere 20 % eine Laufzeit von zwei bis fünf Jahren. Weniger als 10 % weisen eine Laufzeit von mehr als zehn Jahren auf. Dies hat zur Folge, dass zumindest innerhalb einer Übergangsfrist von fünf Jahren ein großer Teil der bestehenden Kontrakte ausläuft.
  • 1 Zur Definition Zentraler Gegenparteien (CCP) vgl. z. B. https://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Service/Glossar/_functions/glossar.
  • 2 Unter OTC-Derivaten versteht man derivative Finanzinstrumente (z. B. Optionen, Futures, Swaps), die nicht über die Börse, sondern direkt zwischen Marktteilnehmern, d. h. OTC (Over-the-Counter), gehandelt werden.
  • 3 ECB: Eurosystem Oversight Policy Framework, 5.7.2011, https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/eurosystemoversightpolicyframework2011en.pdf (10.4.2018).
  • 4 General Court: Judgement of 4.3.2015, Case T-496/11, United Kingdom of Great Britain and Northern Island v European Central Bank (ECB).
  • 5 ECB and BoE: European Central Bank and Bank of England announce measures to enhance financial stability in relation to centrally cleared markets in the EU, Press Release, 29.3.2015, https://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2015/html/pr150329.en.html (10.4.2018).
  • 6 S. Djankov: The City of London after Brexit, LSE Discussion Paper, Nr. 762, Februar 2017.
  • 7 Bloomberg: LSE‘s Rolet Says 100,000 Jobs at Risk If Clearing Leaves London, 23.9.2016, 10:45.
  • 8 LCH annual reports 2016.
  • 9 London Stock Exchange: European Commission‘s 13 June 2017 proposal regarding third-country CCPs, 20.7.2017; X. Rolet: EU should not meddle with a safe, in: The Times vom 22.5.2017; ClarusFT: Moving Euro Clearing out of the UK: the $77bn problem?, 28.9.2016, https://www.clarusft.com/moving-euro-clearing-out-of-the-uk-the-77bn-problem/ (10.4.2018); AFME, BCG, Clifford: Bridging to Brexit: Insights from European SMEs, Corporates and Investors, London 2017.
  • 10 European Commission: EU equivalence decisions in financial services policy: an assessment, Staff Working Document, Brussels, 27.2.2017.
  • 11 European Commission: Proposal for a REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL amending Regulation (EU) No. 1095/2010 establishing a European Supervisory Authority (European Securities and Markets Authority) and amending Regulation (EU) No. 648/2012 as regards the procedures and authorities involved for the authorisation of CCPs and requirements for the recognition of third-country CCPs, Strasbourg, 13.6.2017.
  • 12 Die Clearing-Mitglieder eines CCP müssen in Abhängigkeit von Volumen und Risikopotenzial ihrer über das CCP abgewickelten Transaktionen Sicherheiten leisten. Diese bestehen aus einer anfänglichen, d. h. bei Vertragsschluss, zu leistenden Sicherheit, die als Initial Margin bezeichnet wird. Die über die Laufzeit entstehenden Gewinne und Verluste werden über die sogenannte Variation Margin täglich ausgeglichen.
  • 13 Jedes CCP unterhält als weiteren Verlustpuffer einen Ausfallfonds (Default Fund), der zur Deckung von Verlusten infolge des Ausfalls eines Clearing-Mitglieds herangezogen werden kann, sofern die vom ausgefallenen Clearing-Mitglied geleisteten Sicherheiten nicht ausreichend sind.
  • 14 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIS: Capital requirements for bank exposures to central counterparties, 2014, http://www.bis.org/publ/bcbs282.pdf (10.4.2018).
  • 15 Bei SwapClear handelt es sich um das für das Clearing von Zins-Derivaten verantwortliche Segment der britischen Clearing-Gesellschaft LCH Clearnet.
  • 16 London Stock Exchange, a. a. O.
  • 17 London Stock Exchange, a. a. O.
  • 18 Operative Kosten: Darunter werden die Prozesskosten verstanden, die bei einer tatsächlichen Verlagerung von Portfolios entstehen könnten. Dies sind rechtliche und abwicklungstechnische Aktivitäten, die durch die Verlagerung beim aufnehmenden CCP induziert werden. Diese werden nachfolgend nicht weiter betrachtet, da diese Einmalcharakter haben und nur dann anfallen, wenn eine Relokation sich nicht nur auf das Neugeschäft, sondern auch auf Bestandsportfolios bezieht.
  • 19 London Stock Exchange, a. a. O.
  • 20 ESMA: Peer Review under EMIR Art. 21, Supervisory activities on CCPs‘ Margin and Collateral requirements, 2016, https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2016-1683_ccp_peer_review_report.pdf (10.4.2018).
  • 21 LCH: Margin Methodology, 2017, http://www.lch.com/risk-collateral-management/margin-methodology (10.4.2018).
  • 22 Eurex: EurexClearing OTC IRS, Eschborn 2017.
  • 23 ClarusFT, a. a. O.; AFME, BCG, Clifford, a. a. O.
  • 24 Deloitte: OTC Derivatives – the new cost of trading, London 2014; BIS: Macroeconomic impact assessment of OTC derivatives regulatory reforms – A report prepared by the Macroeconomic Assessment Group on Derivatives, Basel 2013.
  • 25 London Stock Exchange, a. a. O.
  • 26 Dabei wird auf die Empfehlungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Bezug genommen. Vgl. BIS: Basel III leverage ratio framework and disclosure requirements, Capital requirements for bank exposures to central counterparties, https://www.bis.org/publ/bcbs270.htm (10.4.2018).
  • 27 Z. B. Bain & Company: Deutschlands Banken 2015: Die 25-Milliarden-Ergebnislücke, München 2015.

Title:Clearing of Euro OTC Derivatives Post-Brexit – How Much Would a Relocation Cost?

Abstract:Based on experiences from the financial crisis, it was decided at the G20 summit in Pittsburgh in 2009 that OTC derivatives transactions should be predominantly cleared through central counterparties (CCP). CCPs contribute to a reduction of systemic risk. The global clearing volume of OTC interest rate, equity and currency derivatives is approximately USD 400 trillion per year. In light of the upcoming Brexit, the question arises as to whether or not the clearing of euro­denominated OTC derivatives, currently performed primarily by the London­based clearing house LCH Clearnet, should remain in the UK due to economies of scale available to LCH Clearnet as the current European market leader. On the other hand, CCPs are of increasing importance for financial stability in the eurozone, particularly because of potential spillover effects on monetary policy if a systemically important CCP experiences financial distress. Hence, a relocation of euro OTC derivatives clearing from the UK to the EU would ensure direct supervision by European authorities. Opponents of a relocation are concerned about decreasing market liquidity and capital efficiency alongside higher transaction costs due to market fragmentation. The analysis presented in this paper shows that the existing relocation cost estimates of up to USD 100 billion are far too high; realistically, they can be expected to amount to just USD 3.2 billion over a period of five years.


DOI: 10.1007/s10273-018-2285-8