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In Deutschland sind die öffentlichen Kassen aktuell sehr gut gefüllt, was zu immer neuen Revisionen der Steuerschätzungen nach oben führt. Für die Haushaltsplanungen spielen diese Steuerschätzungen eine große Rolle. Die Autoren gehen der Hypothese nach, dass die Politik deshalb versucht sein könnte, die Steuerschätzung zu manipulieren, wobei von linken Regierungen eher angenommen wird, dass sie zu Überschätzungen neigen, um höhere Ausgaben zu rechtfertigen. Dies konnte in einer Untersuchung von 18 OECD-Ländern gestützt werden, während sich die Annahme, auch fragmentierte Regierungen könnten zu Überschätzungen neigen, nicht bestätigen ließ. Im Gegenteil: Fragmentierte Regierungen schätzen Steuereinnahmen eher zu niedrig ein. Zudem konnte kein opportunistisches Verhalten von Regierungen vor Wahlen festgestellt werden.

Die jüngste Steuerschätzung im Mai 2018 prognostiziert die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden im Jahr 2022 auf rund 906 Mrd. Euro. Im Vergleich zur letzten Steuerschätzung vom November 2017 ergäben sich damit für die Jahre 2018 bis 2022 Steuermehreinnahmen von rund 63 Mrd. Euro. Diese Zahlen bilden die Grundlage für die Aufstellung der öffentlichen Haushalte in Deutschland. Vor dem Hintergrund von Staatsschuldenkrisen und Bankenrettungen sind letztere zunehmend in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt und stellen mehr und mehr eine Möglichkeit dar, die finanzpolitischen Leistungen von Politikern zu bewerten. Solide öffentliche Finanzen sind ein wichtiges Signal für „gute“ Politik geworden.

Um die Bedeutung der Steuerschätzung für die öffentlichen Haushalte richtig einordnen zu können, sind einige Kenntnisse über den Ablauf der Haushaltsplanung vonnöten. Bemerkenswert ist, dass die Aufstellung des Haushalts wesentlich mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als die Umsetzung. In vielen Ländern – auch in Deutschland – vergehen vom ersten Haushaltsentwurf bis zur Verabschiedung rund sechs Monate. Im Frühsommer verabschiedet die Regierung den Haushaltsentwurf. Nach der Sommerpause wird dieser in mehreren Lesungen im Parlament beraten, bevor er meist im Dezember im Rahmen eines Haushaltsgesetzes verabschiedet wird. Der Vollzug des Haushalts geschieht im Folgejahr und die Kontrolle des Vollzugs durch den Rechnungshof im darauf folgenden Jahr. Während die Parlamentsdebatten in der Aufstellungsphase durchaus mediale Aufmerksamkeit genießen, nimmt vom Bericht des Rechnungshofs häufig nur ein Fachpublikum Kenntnis. Deshalb ist für Politiker das in der Aufstellungsphase öffentlich wahrgenommene Defizit, also die Differenz aus den geschätzten Steuereinnahmen und den geplanten Ausgaben, von höherer Bedeutung als das am Ende realisierte. Aus politökonomischer Sicht sehen Politiker sich damit per se einem Anreiz gegenüber, die Steuerschätzung in ihrem Sinne zu beeinflussen, um auf diese Art und Weise Einfluss auf die geplanten öffentlichen Ausgaben und das geplante Defizit nehmen zu können. Inwiefern sie diesem Anreiz Taten folgen lassen, wird in diesem Beitrag für 18 OECD-Länder im Zeitraum von 1996 bis 2012 untersucht.1

Institutionelle Rahmenbedingungen: Steuerschätzung in OECD-Ländern

Abgesehen von potenziellen politökonomischen Einflussgrößen wird das Ergebnis nationaler Steuerschätzungen von institutionellen Rahmenbedingungen beeinflusst. Dazu zählt erstens die Unabhängigkeit der Steuerschätzer von politischer Einflussnahme. Am wenigsten unabhängig sind Steuerschätzungen, die unmittelbar im Finanzministerium vorgenommen werden und sich somit praktisch keiner direkten politischen Einflussnahme entziehen können. Einen höheren Grad an Unabhängigkeit weisen Steuerschätzungen auf, bei denen die Verantwortung auf mehreren Schultern ruht. In Deutschland beispielsweise werden die Steuern vom Arbeitskreis Steuerschätzung des Bundesministeriums der Finanzen geschätzt, der sich aus Vertretern des Finanzministeriums, der Bundesbank, des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Fünf Weise“) sowie von fünf Wirtschaftsforschungsinstituten (ifo Institut München, DIW Berlin, Institut für Weltwirtschaft Kiel, RWI Essen, IW Halle) zusammensetzt. In Australien erstellen zumindest verschiedene Regierungsorganisationen gemeinsam die Steuerschätzung. In den betrachteten OECD-Staaten haben die Niederlande die unabhängigste Steuerschätzung. Dort führen Forschungsinstitute die Schätzung autonom durch.2

Maßgebliche Grundlagen der Steuerschätzung sind zudem die gesamtwirtschaftlichen Eckwerte wie das Bruttoinlandsprodukt sowie Bruttolöhne und -gehälter, die häufig von der Regierung zur Verfügung gestellt werden. Durch diese Vorgaben kann die Regierung die Steuerschätzung indirekt beeinflussen, selbst wenn die Schätzung selbst durch vollkommen unabhängige Gremien erfolgt. Bei den hier betrachteten OECD-Ländern verwenden nur einige, z. B. Österreich, Belgien und Kanada, externe makroökonomische Projektionen.

Zweitens variieren sowohl technische als auch organisatorische Bedingungen zwischen den Ländern. Prognosemethoden reichen von simpler Extrapolation vergangener Daten bis zu ausgefeilten ökonometrischen Schätzmethoden. Zudem unterscheidet sich die Zahl der zu schätzenden Steuern.

Außerdem beeinflusst drittens der Zeitpunkt der Steuerschätzung deren Qualität.3 So erfolgen die Steuerschätzungen in Irland, Großbritannien und Schweden nur rund einen Monat vor der Verabschiedung des Haushalts, während sie in Deutschland und den USA mehr als ein halbes Jahr vorher durchgeführt werden.

Schließlich weisen die OECD-Länder insgesamt verschiedene steuerliche Charakteristika auf, beispielsweise in Hinblick auf die Verteilung des Aufkommens auf wenige große oder viele kleine Steuern, die Zahl der Steuern oder ihren föderalen Staatsaufbau. Vor allem letzteres kann die Qualität der Steuerschätzung stark beeinflussen, sofern verschiedene staatliche Ebenen in den Prozess involviert und nicht ausreichend koordiniert sind.

Über den betrachteten Zeitraum hinweg sind diese institutionellen Rahmenbedingungen in den einzelnen OECD-Ländern jedoch relativ konstant geblieben. Da ein Panelschätzansatz gewählt wurde, wird adäquat für diese zeit­invarianten Charakteristika kontrolliert.

Haben Politiker Anreize, Steuereinnahmen zu überschätzen?

Mit überschätzten Steuereinnahmen können Politiker tatsächlich fiskalische Kompetenz sowohl bei der Haushaltsaufstellung als auch beim Vollzug signalisieren. Je höher die geschätzten Steuereinnahmen sind, desto höher können die Ausgaben (bei konstantem Defizit) bzw. desto niedriger die Defizite (bei konstantem Ausgabenniveau) geplant werden. In der Haushaltsaufstellungsphase erscheint der Politiker somit höchst kompetent. Überschätzte Steuereinnahmen können zudem dazu führen, dass nicht nur die geplanten, sondern auch die realisierten Ausgaben während des Haushaltsvollzugs höher ausfallen. Wenn im Laufe eines Haushaltsjahres die tatsächlichen Steuereinnahmen unter den prognostizierten liegen, wird in der Regel die Ausgabenplanung nicht entsprechend nach unten angepasst.

Haben die tatsächlichen (zu hohen) Ausgaben spürbare ökonomische Konsequenzen für die Wähler – beispielsweise in Form höherer Transfereinkommen oder niedrigerer Arbeitslosigkeit infolge staatlicher Investitionen –, beobachten die Wähler nicht nur die vermeintliche fiskalische Kompetenz ihrer Politiker bei der Haushaltsaufstellung, sondern spüren diese zudem durch eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Da die Ausgaben nunmehr höher als die tatsächlichen Steuereinnahmen wären, müssten diese überhöhten Ausgaben am Ende mit höheren Defiziten finanziert werden. Deshalb funktioniert der beschriebene Mechanismus nur, wenn Wähler entweder unter „fiskalischer Illusion“ leiden oder wenn bei rationalen Wählern die Kontrollen des Haushaltsvollzugs schwach sind bzw. wenig in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

Politische Konjunkturzyklen

Opportunistische Regierungen sind vor allem daran interessiert wiedergewählt zu werden.4 Alesina und Perotti sowie Persson und Tabellini zeigen, dass Regierungen einen Anreiz haben, die Wirtschaft vor Wahlen zu stimulieren, um wirtschaftliche Kompetenz zu signalisieren und damit ihre Wiederwahlchancen zu erhöhen.5 Angenommen Jahr t ist ein Wahljahr; dann hat die Regierung einen Anreiz, die Steuereinnahmen für das Jahr t in Jahr t-1 zu überschätzen, um im Jahr t größere Ausgabenprogramme veranschlagen zu können. Wähler könnten sich davon beeindrucken lassen und annehmen, dass die geplanten Ausgabenprogramme die Wirtschaft stimulieren würden. Die Regierung erscheint somit kompetent und wird eher wiedergewählt.

Diese Strategie kann nur umgesetzt werden, wenn Wähler einer fiskalischen Illusion unterliegen; denn dann können sie zwei Aspekte nicht vollkommen erfassen: Zum einen könnten geplante Ausgaben nicht oder nicht in vollem Umfang realisiert werden, sodass die erhofften realwirtschaftlichen Verbesserungen ausblieben. Zum zweiten würden die überhöhten Ausgaben – sofern sie getätigt werden – vermutlich zu höheren Defiziten führen, also zu höheren künftigen Schuldenlasten. Politische Konjunkturzyklen können jedoch auch bei rationalen Erwartungen existieren, sofern es temporäre Informationsasymmetrien zwischen Regierungen und Wählern gibt.6 Die amtierende Regierung signalisiert Kompetenz, weil sie (bei überschätzten Steuereinnahmen) vermeintlich Ausgaben mit niedrigeren Defiziten tätigen kann. Sofern sich die Wähler bei ihrer Wahlentscheidung vor allem auf den geplanten und nicht auf den vollzogenen Haushalt konzentrieren, müssten Steuereinnahmen für Wahljahre demnach systematisch überschätzt werden.

Partisanenverhalten

Nach der Partisan-Theorie beruhen politische Entscheidungen vor allem auf ideologischen Vorstellungen. Basierend auf den Erkenntnissen der kurzfristigen Philippskurve bevorzugen linke Regierungen eine expansivere Fiskalpolitik als rechte Regierungen, um durch staatliche Nachfrage die Arbeitslosigkeit zu senken. Dafür sind sie auch bereit, Inflation oder höhere Defizite in Kauf zu nehmen, da ihre Wähler mehr von der sinkenden Arbeitslosigkeit profitieren als sie von den Folgen von Inflation oder Staatsverschuldung negativ betroffen sind.7 Allerdings basiert die kurzfristige Philippskurve auf der Annahme kurzsichtiger Wähler. Partisanenpolitik kann jedoch auch bei rationalen Wählern durchgeführt werden, sofern fiskalischer Reputationsaufbau weniger wichtig ist.8 Analog zum opportunistischen Verhalten kann deshalb angenommen werden, dass linke Regierungen die Steuern eher überschätzen als rechte.

Fragmentierte Regierungen

Die Fragmentierung politischer Institutionen und Gremien wird häufig mit „lockerer“ Fiskalpolitik in Verbindung gebracht.9 Fragmentierung kann dabei als Grad definiert werden, bis zu dem jeder Politiker die Kosten einer Einheit „öffentlicher Ausgaben“ internalisiert. In einer Koalitionsregierung versucht jeder Koalitionspartner, beispielsweise so viele Ausgaben zu seinen Wählern zu lenken wie möglich. Ausgabenvorschläge sind insofern asymmetrisch, als Vergünstigungen primär die eigene Klientel erreichen, während Kosten gleichmäßig auf alle Wähler verteilt werden. Kosten werden dadurch nicht in vollem Maße internalisiert, und es kommt zu einer suboptimal großen Bereitstellung öffentlicher Güter bzw. öffentlicher Ausgaben. Koalitionsregierungen sehen sich also einem „common pool“-Problem gegenüber. Es steigt mit der Zahl der Koalitionspartner, da der Anteil der internalisierten Kosten mit zunehmender Zahl der Koalitionspartner pro Koalitionspartner sinkt.

Politische Fragmentierung kann verschieden gemessen werden. Neben der Zahl der Regierungsparteien kann z. B. die Zahl der (Ausgaben-)Minister, die Größe des Parlaments oder die Zahl der dort vertretenen Fraktionen oder Oppositionsparteien als Fragmentierungsmaßstab herangezogen werden. Besonders in unserem Kontext kann auch die Fragmentierung des Parlaments ein wichtiges Kriterium sein, da die Verabschiedung eines Haushalts üblicherweise erst nach mehreren Lesungen (mit Änderungen) im Parlament erfolgt.10

Anders als bei opportunistischem oder partisanenbasiertem Verhalten wird bei den Überlegungen zur Fragmentierung stets angenommen, dass es sich um rationale Wähler handelt. Übertragen auf den hiesigen Kontext der Steuerschätzung bedeuten diese Überlegungen, dass optimistischere Steuerschätzungen den Prozess der Haushaltsverhandlungen erleichtern, da vermeintlich mehr Geld für Verteilungszwecke zur Verfügung steht. Mit überschätzten Steuereinnahmen können bei der Haushaltsaufstellung mehr Koalitionsmitglieder ihre Klientel befriedigen, Budgetverhandlungen im Parlament werden einfacher. Folglich müssten fragmentierte Regierungen oder Parlamente Steuern mehr und eher überschätzen als weniger fragmentierte.

In jüngerer Vergangenheit hat die Analyse des Einflusses des Finanzministers für die Fiskalpolitik an Bedeutung gewonnen.11 Finanzminister könnten Steuerschätzungen strategisch nutzen, um die Ausgabenminister zu disziplinieren. Wenn Finanzminister die Steuern bewusst zu niedrig schätzen (lassen), steht vermeintlich weniger Spielraum für Ausgaben zur Verfügung. Dieser Anreiz dürfte umso größer sein, je fragmentierter die Regierung, d. h. je größer der Druck auf den Finanzminister ist, „höhere Ausgaben“ zu tätigen. Damit bleibt auf theoretischer Seite offen, ob eine stärkere Fragmentierung zu über- oder unterschätzen Steuereinnahmen führt.

Ergebnisse

Als abhängige Variable in unserem empirischen Ansatz verwenden wir den prozentualen Prognosefehler, definiert als Relation aus der Differenz zwischen prognostizierten und realisierten Steuereinnahmen und den realisierten Steuereinnahmen. Demzufolge signalisiert ein positives Vorzeichen eine Überschätzung und ein negatives Vorzeichen eine zu pessimistische Einschätzung der Steuereinnahmen. Abbildung 1 zeigt die prozentualen Prognosefehler für alle Länder im Datensatz. Dabei verdeutlicht jeder einzelne Punkt einen Prognosefehler für ein spezifisches Jahr. Die Länder sind in absteigender Rangfolge nach der Streuung der Prognosefehler angeordnet.

Abbildung 1
Prognosefehler für die Steuereinnahmen
Prognosefehler für die Steuereinnahmen

Anmerkung: Die Länder sind in absteigender Rangfolge nach der Standardabweichung der Prognosefehler angeordnet. Jeder einzelne Punkt verdeutlicht einen Prognosefehler für ein spezifisches Jahr.

Quellen: USA – CBO: Schätzung des US-Congressional Budget Office; USA – OMB: Schätzung des US-Office of Management and Budget; T. Büttner, B. Kauder: Revenue forecasting practices: Differences across countries and consequences for forecasting performance, in: Fiscal Studies, 31. Jg. (2010), H. 3, S. 313-340; B. Jochimsen, R. Lehmann: On the political economy of national tax revenue forecasts: evidence from OECD countries, in: Public Choice, 170. Jg. (2017), H. 3-4, S. 211-230.

Die größte Streuung der Prognosefehler weisen die beiden US-amerikanischen Schätzungen sowie die Prognosen aus Australien auf. Die besten Prognosen, im Sinne der Streuung, werden in Norwegen, Schweden und Öster­reich erstellt.

Mittels eines empirischen Ansatzes für die Zeitspanne von 1996 bis 2012 in 18 OECD-Ländern kommt es zu folgenden Ergebnissen:12

  1. Es gibt keine Indizien für opportunistisches Verhalten, d. h. Regierungen scheinen die Steuerschätzung nicht gezielt vor Wahlen zu beeinflussen, um wiedergewählt zu werden.
  2. Linke Regierungen überschätzen Steuern eher als rechte Regierungen.
  3. Bei stärker fragmentierten Regierungen und Parlamenten fallen die Steuerschätzungen eher pessimistisch aus, d. h. Steuereinnahmen werden zu niedrig geschätzt.

Das erste Ergebnis entspricht der bisherigen empirischen Evidenz für politische Konjunkturzyklen, die uneins ausfällt. Brender und Drazen finden beispielsweise keine Evidenz für opportunistisches Verhalten im Gegensatz zu de Haan.13 Das zweite Ergebnis entspricht den theoretischen Überlegungen, die bisherige empirische Evidenz in ähnlichen Zusammenhängen ist jedoch ebenfalls gemischt. So finden de Haan und Sturm keine Evidenz für Partisanenverhalten bei der Analyse von Defiziten in OECD-Ländern, während Bischoff und Gohout bei der Analyse regionaler Steuerschätzungen in Deutschland Belege für das systematische Überschätzen von Steuern durch linke Regierungen finden.14

Das dritte Ergebnis überrascht zunächst, widerspricht es doch den traditionellen Prognosen der Fragmentierungstheorie zum „common pool“-Problem. Es stützt jedoch die Überlegungen zur Rolle des Finanzministers in einer Koalitionsregierung. Demnach steigen seine Macht und damit sein Einfluss auf das Budget mit steigender Zahl der Koalitionsmitglieder, also der Verhandlungspartner, die dann vermehrt untereinander um die Ausgaben wetteifern. Da aufgrund des „common pool“-Problems allein der Finanzminister ein Interesse an einem soliden Haushalt hat, wird er darauf dringen, die Steuern eher zu unterschätzen. Dies könnte sich im dritten Ergebnis widerspiegeln. Denkbar sind zwei weitere Erklärungen für dieses Ergebnis: Zum einen repräsentieren mehr Koalitionspartner größere Teile der Bevölkerung, was den Einfluss einzelner Interessengruppen zur Durchsetzung spezieller volkswirtschaftlicher Renten erschweren dürfte. Zum zweiten ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass bei zahlreichen Koalitionspartnern auch nach einem Regierungswechsel Teile der alten Koalition in einer neuen Regierung vertreten sind. Für diese Parteien wären überschätzte Steuereinnahmen, die mittelfristig zu höheren Defiziten führten, die dann von der Folgeregierung getilgt werden müssten, weniger attraktiv.

Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass empirische Evidenz für den strategischen politischen Einfluss auf die Ergebnisse von Steuerschätzungen gefunden wird. Die Wähler sollten deshalb folgende Aspekte bei ihrer Wahlentscheidung berücksichtigen: Sofern eine linke Regierung die Wahlen gewinnt oder die Regierung aus einer Koalition mit vielen Partnern besteht, werden die Steuerschätzungen politisch beeinflusst sein, im ersten Fall werden Steuern eher überschätzt, im zweiten eher unterschätzt. Die ideologische Präferenz der Wähler kann schwer beeinflusst werden, die Zahl der Koalitionspartner hingegen schon. Institutionelle Rahmenbedingungen können z. B. durch eine Eintrittshürde im Parlament dazu führen, dass nicht allzu viele kleine Parteien im Parlament vertreten sind und dadurch die Zahl der potenziellen Koalitionspartner beschränkt ist.

Wirft man einen Blick über den rein ökonomischen Tellerrand hinaus, könnten Steuerschätzungen auch dann weniger beeinflusst werden, wenn die Öffentlichkeit sich in ihrer Wahrnehmung der öffentlichen Ausgaben nicht so sehr auf die Haushaltsaufstellung, sondern vermehrt auf den Haushaltsvollzug konzentriert. Mehr Transparenz, mehr Kontrolle und mehr öffentliche Diskussion des Haushaltsvollzugs könnten dafür einen wichtigen Beitrag leisten.

  • 1 Der vorliegende Text ist eine Zusammenfassung des folgenden Aufsatzes: B. Jochimsen, R. Lehmann: On the political economy of national tax revenue forecasts: evidence from OECD countries, in: Public Choice, 170. Jg. (2017), H. 3-4, S. 211-230.
  • 2 Vgl. u. a. T. Büttner, B. Kauder: Revenue forecasting practices: Differences across countries and consequences for forecasting performance, in: Fiscal Studies, 31. Jg. (2010), H. 3, S. 313-340.
  • 3 Vgl. u. a. S. Danninger, M. Cangiano, A. Kyobe: The political economy of revenue-forecasting experience from low-income countries, IMF Working Paper, Nr. 5/2, 2005.
  • 4 Vgl. W. D. Nordhaus: The political business cycle, in: The Review of Economic Studies, 42. Jg. (1975), H. 2, S. 169-190.
  • 5 Vgl. A. Alesina, R. Perotti: The political economy of growth: A critical survey of the recent literature, in: The World Bank Economic Review, 8. Jg. (1994), H. 3, S. 351-371; sowie T. Persson, G. Tabellini: Political economics and macroeconomic policy, NBER Working Paper, Nr. 6329, 1997.
  • 6 Vgl. K. Rogoff, A. Sibert: Elections and macroeconomic policy cycles, in: The Review of Economic Studies, 55. Jg. (1988), H. 1, S. 1-16.
  • 7 Vgl. D. A. Hibbs: Political parties and macroeconomic policy, in: The American Political Science Review, 71. Jg. (1977), H. 4, S. 1467-1487.
  • 8 Vgl. A. Alesina: Credibility and policy convergence in a two-party system with rational voters, in: The American Economic Review, 78. Jg. (1988), H. 4, S. 796-805.
  • 9 Vgl. u. a. J. Ferejohn, K. Krehbiel: The budget process and the size of the budget, in: American Journal of Political Science, 31. Jg. (1987), H. 2, S. 296-320; sowie N. Roubini, J. D. Sachs: Political and economic determinants of budget deficits in the industrial democracies, in: European Economic Review, 33. Jg. (1989), H. 5, S. 903-938.
  • 10 Vgl. z. B. J. Ferejohn, K. Krehbiel, a. a. O.
  • 11 Vgl. B. Jochimsen, R. Nuscheler: The political economy of the German Länder deficits: Weak governments meet strong finance ministers, in: Applied Economics, 43. Jg. (2011), H. 19, S. 2399-2415; sowie B. Jochimsen, S. Thomasius: The perfect finance minister: Whom to appoint as finance minister to balance the budget, in: European Journal of Political Economy, 34. Jg. (2014), H. C, S. 390-408.
  • 12 Das empirische Modell, die detaillierten Ergebnisse sowie Robustheitsanalysen finden sich in B. Jochimsen, R. Lehmann, a. a. O.
  • 13 Vgl. A. Brender, A. Drazen: Political budget cycles in new versus established democracies, in: Journal of Monetary Economics, 52. Jg. (2005), H. 7, S. 1271-1295; sowie J. de Haan: Democracy, elections and government budget deficits, in: German Economic Review, 15. Jg. (2014), H. 1, S. 131-142.
  • 14 Vgl. J. de Haan, J. E. Sturm: Political and institutional determinants of fiscal policy in the European Community, in: Public Choice, 80. Jg. (1994), H. 1-2, S. 157-172; sowie I. Bischoff, W. Gohout: The political economy of tax projections, in: International Tax and Public Finance, 17. Jg. (2010), H. 2, S. 133-150.

Title:Do Politicians Influence the Results of National Tax Estimates?

Abstract:As voters increasingly favour sound public finances, solid budgets serve as an important quality signal. National tax revenue forecasts are a core element of national budget plans. Therefore, politicians might be tempted to influence them strategically. Examining 18 OECD countries from 1996 to 2012, the authors explore whether national tax revenue forecasts are manipulated by politicians. Their evidence points to partisan politics and the influence of fragmentation. Surprisingly and in contradiction to the theoretical conclusions from the ‘common pool’ problem, more fragmented governments or parliaments seem to underestimate tax revenues. There is no empirical evidence to support opportunistic behaviour, i.e. that tax revenue forecasts lead to political business cycles.


DOI: 10.1007/s10273-018-2320-9