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Die Mehrheit aller Beschäftigten in Deutschland macht sich morgens mit dem Rad, öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Auto auf den Weg zur Arbeit und kehrt am Abend wieder zurück nach Hause. Das berufliche Pendeln macht eine Trennung von Wohn- und Arbeitsort möglich. Ein hohes Verkehrsaufkommen auf den Straßen, volle Züge und zeitliche Unwägbarkeiten sind hingegen die negativen Seiten. Häufig wird Pendeln deshalb als verlorene Lebenszeit und Stress empfunden. Obwohl das Pendeln für Millionen von Menschen in Deutschland zum täglichen Leben gehört, ist über die Entwicklung der individuellen Pendeldistanzen bisher wenig bekannt. Durch die Nutzung der exakten Tür-zu-Tür-Fahrdistanzen konnten neue Erkenntnisse über das berufliche Pendeln sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigter in Deutschland gewonnen werden. Hierbei können sowohl die Pendelbewegungen innerhalb von als auch zwischen Städten und Regionen berücksichtigt werden, was in dieser Genauigkeit bisher nicht möglich war. Die mittlere Pendeldistanz von sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten hat sich von 2000 bis 2014 um 21 % von 8,7 km auf 10,5 km erhöht. Dabei handelt es sich um einen stetigen Trend über den gesamten Zeitraum.1

Der tägliche Weg zur Arbeit ist durch die räumliche Gliederung in Wohn-, Geschäfts- und Industriegebiete geradezu eine Notwendigkeit. Durch das Pendeln können Beschäftigte einen Arbeitsplatz suchen, der am besten zu ihren Fähigkeiten und Kenntnissen passt und gleichzeitig die Wohngegend nach den eigenen Präferenzen wählen. Diesen volkswirtschaftlichen Nutzen erkennt auch die Politik und unterstützt Pendler in Form der Entfernungspauschale im Einkommensteuergesetz. Aber auch darüber hinaus wollen Arbeitnehmer für einen weiten Arbeitsweg entschädigt werden. Bei Beschäftigten gleichen Alters, Geschlechts, Qualifikation und ähnlichen Berufen existiert ein positiver Zusammenhang zwischen Lohn und Pendeldistanz.2 Nur wenige Arbeitnehmer werden von ihrem Arbeitgeber für zusätzliche Pendelkosten direkt kompensiert.3

Abbildung 1
Verteilung der Pendeldistanzen 2000 und 2014
Verteilung der Pendeldistanzen 2000 und 2014

Quelle: IAB-Beschäftigen-Historik (BeH) V10.01.00; eigene Berechnungen.

In früheren Studien wird der Begriff „Pendeln“ häufig als Wegstrecke zwischen zwei unterschiedlichen Gemeinden definiert. Beispielsweise in Großstädten ergibt sich so ein verzerrtes Bild. So werden Personen, die im Zentrum einer Großstadt arbeiten und in einer umliegenden Gemeinde wohnen, als Pendler gewertet, für ihre Kollegen, die aus den äußeren Stadtteilen ähnlich große Distanzen zurücklegen müssen, wird die Pendeldistanz dagegen als Null gezählt. Im Gegensatz dazu basiert die Pendeldistanz in dieser Studie auf den Adressinformationen von Wohn- und Arbeitsort. Mit Hilfe einer Navigationssoftware4 lässt sich die optimale Route zwischen den Wohn- und Arbeitsorten ermitteln. Zur Wahrung des Datenschutzes erhalten die Forscher keinen Zugriff auf die Adressdaten, sondern nur auf die errechneten Pkw-Fahrdistanzen. Die Untersuchung basiert auf einer 30 %-Stichprobe aller Beschäftigten jeweils zum 30. Juni zwischen 2000 und 2014.5

Abbildung 1 zeigt die Veränderung der Pendeldistanzen zwischen 2000 und 2014. Jeder Balken stellt in Schritten von 1 km den Anteil der Pendler an allen Beschäftigten dar, die eine bestimmte Distanz weit pendeln. Im Jahr 2000 sind z. B. 9,6 % aller Beschäftigten weniger als 1 km weit gependelt, 8,1 % zwischen 1 km und 2 km. Mit zunehmender Pendeldis­tanz nimmt der Anteil der Pendler ab. Es wird deutlich, dass Distanzen mit mehr als 100 km eine untergeordnete Rolle spielen. Aufgrund der „schiefen“ Verteilung der Pendeldistanzen beziehen sich alle folgenden Werte auf die typische (mittlere) Pendeldistanz für den Großteil der Bevölkerung anhand des Medians.6 Die Zunahme der Pendeldistanz ist vor allem auf den Anstieg des Anteils der Strecken mit mehr als 20 km zurückzuführen. Der Anteil des Nahbereichs ging von 35 % im Jahr 2000 auf 30 % im Jahr 2014 zurück. Es wird vermehrt nicht nur vom Land in die Stadt, sondern auch zwischen städtischen sowie ländlichen Regionen gependelt. Die Zunahme der typischen Pendeldistanzen zwischen 2000 und 2014 ist vor allem von jenen Personen getrieben, die ein neues Beschäftigungsverhältnis beginnen und dabei im Zeitverlauf ein höheres Niveau der Pendeldistanz beibehalten.

Die Pendeldistanz variiert stark zwischen verschiedenen sozio-demografischen Gruppen. Die Fahrdistanz von Männern liegt z. B. 2014 bei 12,5 km, die von Frauen bei 8,8 km. Letztere arbeiten häufiger in Teilzeit und üben öfter eine geringfügige Beschäftigung aus, weshalb sich längere Pendeldistanzen weniger lohnen. Für deutsche Beschäftigte beträgt die Entfernung zum Arbeitsplatz 10,8 km. Hingegen ist die Pendeldistanz bei Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit um 2,7 km kürzer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich diese Personengruppe häufig in städtischen Regionen konzentriert, wo die Wege zur Arbeit typischerweise kürzer sind. Wie erwartet pendeln Bewohner ländlicher Regionen mit 13,2 km knapp 50 % weiter als Einwohner von Städten. Die meisten Personen (51 %) pendeln von einen Wohn- in einen Arbeitsort innerhalb von städtischen Regionen. 24 % pendeln zwischen ländlichen Regionen sowie 18 % vom Land in die Stadt.

Tabelle 1
Pendeldistanzen nach Bildung, Wirtschaftszweig und Tätigkeit 2014 und Veränderung gegenüber 2000
Merkmale, durchschnittlicher Anteil im gesamten Beobachtungszeitraum in % in Klammern Pendeldistanz 2014 Median in km Veränderung 2000 bis 2014 in %
Bildung
ohne Abschluss (16,6) 8,8 +22
mit Berufsausbildung (70,2) 10,5 +18
mit Hochschulabschluss (12,3) 14,5 +7
Wirtschaftszweig
Agrar-/Fischerei-/Forstwirtschaft und Bergbau (5,5) 9,4 +20
Verarbeitendes Gewerbe (20,6) 11,9 +27
Baugewerbe (5,9) 9,9 +19
Personenbezogene Dienstleistungen (22,7) 8,6 +14
Unternehmensbezogene Dienstleistungen (22,7) 14,5 +21
Öffentlicher Sektor, Gesundheits- und Sozialwesen (22,6) 8,7 +22
Berufliche Tätigkeit
Einfache Tätigkeiten 9,2 +22
Qualifizierte Tätigkeiten 10,9 +19
Hochqualifizierte Dienstleistungsberufe 10,7 + 6
Ingenieur 18,5 +12
Manager 16,2 +25

Quelle: IAB-Beschäftigen-Historik (BeH) V10.01.00; eigene Berechnungen.

Besonders interessant sind die Distanzunterschiede nach Bildungsniveau, Wirtschaftszweig und Tätigkeitsprofil in Tabelle 1. Beschäftigte mit einem Hochschulabschluss pendeln typischerweise 14,5 km und damit deutlich weiter als der Durchschnitt. Das galt in ähnlicher Form auch bereits im Jahr 2000. Für Personen mit niedrigem und mittlerem Bildungsniveau hat die Distanz bis 2014 viel stärker zugenommen. Zahlen bezüglich der ausgeübten Tätigkeit bestätigten, dass Ingenieure mit 18,5 km am weitesten pendeln. Auch Manager fahren ähnlich weit zur Arbeit (16,2 km). Mit Blick auf den Wirtschaftszweig zeigt sich, dass im Verarbeitenden Gewerbe etwas weiter gependelt wird (11,9 km). Beschäftigte, die personenbezogene Dienstleistungen wie im Einzelhandel oder im Gastgewerbe ausüben, pendeln mit 8,6 km deutlich kürzer als Beschäftigte in unternehmensbezogenen Dienstleistungen wie dem Transportgewerbe oder dem Finanzsektor mit 14,5 km. Die Ergebnisse zeigen, dass es sich für hochqualifizierte und komplexe Tätigkeiten eher lohnt, weite Strecken für die passende Beschäftigung in Kauf zu nehmen.

Abbildung 2
Räumliche Verteilung der Pendeldistanzen für vier ausgewählte Regionen
Räumliche Verteilung der Pendeldistanzen für vier ausgewählte Regionen

Anmerkungen: Median der Pendeldistanz der Jahre 2000 bis 2014 für quadratische Gitterzellen mit einer Seitenlänge von 1 km (Wohnort der Beschäftigten); aus datenschutzrechtlichen Gründen ist eine Zelle nur dargestellt, wenn dort mehr als 20 Beschäftigte wohnhaft waren.

Quelle: GeoBasis-DE/BKG 2014, IAB-Beschäftigen-Historik (BeH) V10.01.00, eigene Berechnungen.

Neben der exakten Information der Pendeldistanz ermöglichen die georeferenzierten Adressinformationen einen detaillierten Blick auf die Pendeldistanzen innerhalb von Städten sowie deren Umland. Dafür werden die Beschäftigten auf Basis ihres Wohnorts quadratischen Gitterzellen mit einer Seitenlänge von 1 km zugeordnet. Die Farbschattierung der Gitterzelle gibt hierbei die mittlere Pendeldistanz der Bewohner wieder. In Deutschland stechen vor allem die Pendelverflechtungen von Metropolen hervor. Abbildung 2 zeigt mit Berlin, Hamburg und München die größten Städte in Deutschland und mit der Rhein-Ruhr-Region eine der größten Metropolregionen in Europa.

Berlin und München zeigen ein relativ ähnliches Bild konzentrischer Ringe. In Hamburg wird dieses Bild nur durch das weitgehend unbewohnte Hafenareal unterbrochen. Die Bewohner der Stadtkerne haben sehr kurze Arbeitswege. Die Fahrdistanz der Bewohner zum Arbeitsplatz steigt mit der Entfernung zum Zentrum. In allen drei Städten ist auffällig, dass die Pendeldistanz auch innerhalb des Stadtgebiets erheblich sein kann. Im Fall von Berlin steigt die typische Wegstrecke der Bewohner am Stadtrand auf über 15 km. Dabei wird das räumliche Ausmaß der regionalen Arbeitsmärkte deutlich, die sich weit über die Grenzen von Städten oder Landkreisen hinaus erstrecken. Besonders hohe Pendeldistanzen finden sich in den Vororten mit einer guten Verkehrsanbindung an das Zentrum. Das deutet darauf hin, dass mehr als die Hälfte der berufstätigen Bewohner dieser Gemeinden täglich in das Zentrum von Berlin, Hamburg oder München pendelt. In der Rhein-Ruhr-Region zeigt sich ein ganz anderes Bild. Dort sind die Arbeitsmärkte mehrerer Großstädte auf engem Raum durch Pendlerbewegungen stark miteinander verbunden. Große Pendeldistanzen sind relativ selten, weil mehrere Zentren in diesem dicht besiedelten Gebiet existieren.

Der tägliche Weg zur Arbeit ist Alltag für viele Beschäftigte. Insgesamt zeigt sich für alle Beschäftigtengruppen ein klarer Trend hin zu längeren Pendeldistanzen. Dabei ist noch nicht abzusehen, wie sich wachsende Mietpreise, zunehmende Umweltbelastung durch den Verkehr und neue Freiheiten bei der Arbeitszeitgestaltung auf die Entwicklung der Pendeldistanz auswirken werden. Der detaillierte Einblick in Städte und ihre Verflechtungen mit dem Umland mithilfe geokodierter Beschäftigungsdaten bietet in dieser Hinsicht eine ausgezeichnete Basis für weiterführende Analysen.

  • 1 Dieser Artikel basiert auf W. Dauth, P. Haller: Berufliches Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort: Klarer Trend zu längeren Pendeldistanzen, IAB-Kurzbericht, Nr. 10, 2018.
  • 2 Vgl. W. Dauth, P. Haller: The valuation of changes in commuting distances: an analysis using georeferenced data, IAB-Discussion Paper, Nr. 43, 2016.
  • 3 Vgl. D. Heuermann, F. Assmann, P. vom Berge, F. Freund: The distributional effect of commuting subsidies – evidence from geo-referenced data and a large-scale policy reform, in: Regional Science and Urban Economics, 67. Jg. (2017), H. C, S. 11-24.
  • 4 Vgl. S. Huber, C. Rust: Calculate travel time and distance with OpenStreetMap data using the Open Source Routing Machine (OSRM), in: Stata Journal, 16. Jg. (2016), H. 2, S. 416-423.
  • 5 Weitere Details vgl. W. Dauth, P. Haller: Berufliches Pendeln ..., a. a. O.
  • 6 Der Median hat gegenüber dem Mittelwert den Vorteil, dass dieser mäßig anfällig für wenige extrem lange Strecken ist.

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DOI: 10.1007/s10273-018-2339-y