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Die politische Zielsetzung der Klimaneutralität im Jahr 2050 bedarf einer effizienten Umsetzung. Das europäische Zertifikatesystem (EU-ETS) ist dazu allerdings nicht in der Lage und wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die notwendige Ausdehnung auf den Transportsektor und die privaten Haushalte nicht bewältigen können. Basierend auf der Tatsache, dass CO2-Emissionen in einem festen Verhältnis zu den eingesetzten Gas-, Kohle- und Erdölmengen stehen, wird in diesem Beitrag ein Vorschlag zur effizienten Dekarbonisierung der Wirtschaft präsentiert. Mit einem Fokus auf die weniger als 1000 öl-, kohle- und gasfördernden Unternehmen und Importeure in der EU würden dabei alle CO2-Emissionen abgedeckt und die öffentlichen sowie privaten Verwaltungskosten massiv gesenkt werden. Für jeden gegebenen Dekarbonisierungspfad würde diese Vorgehensweise die Zielsetzung auf EU-Ebene zu minimalen Kosten ermöglichen und das Bürokratiemonster EU-ETS vermeiden.

In der Diskussion zu CO2-Emissionen könnte man den Eindruck haben, nicht nur die Ziele, sondern auch die effizienten Instrumente wären bekannt. Im Großen und Ganzen, so wird suggeriert, ist das gesteckte Ziel der Klimaneutralität 2050 und auch das Zwischenziel 2030 mit einer adäquaten CO2-Bepreisung, wenigen Nachjustierungen und gezielten Subventionen (beispielsweise des Schienenverkehrs) erreichbar.1 Wenn noch die Einnahmen aus einer CO2-Bepreisung unter sozialen Aspekten wieder unters Volk gebracht werden, gilt auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Dekarbonisierung als gesichert. Wurde also die klimapolitische Herausforderung politisch angenommen und ist die Stabilisierung des Klimas nur noch eine Frage der Zeit? Wenn dem so wäre, dann wäre es wohl auch berechtigt, die Aktionen z. B. von „Fridays for Future“2 nicht ernst zu nehmen. Tatsächlich gibt es jedoch keinen Grund für eine Trivialisierung des Problems und die Erwartung, dass die Politik die Erderwärmung nicht über 1,5°C bis 2°C steigen lassen wird.

Der Club of Rome konnte 1972 in „Die Grenzen des Wachstums“ noch auf die begrenzten Rohstoffressourcen des Planeten verweisen.3 Heute ist klar, dass lange bevor diese Ressourcen zur Neige gehen, ihr Verbrauch eingeschränkt werden muss.4 Die noch vorhandenen kohlenstoffhaltigen Rohstoffe müssen in der Erde bleiben, weil ihr Einsatz Klimawandel „produziert“. Klimaneutralität in Bezug auf CO2 bedeutet Nullemission oder wenigstens Emissionen nahe null.5 Das ist auf den ersten Blick eine ziemlich abstrakte Forderung, die dazu beitragen mag, dass die globale, ökonomische und gesellschaftliche Dimension der Dekarbonisierung auch in der Politik nur unzulänglich wahrgenommen wird.

Jeder Einsatz eines kohlenstoffhaltigen Rohstoffs führt zwingend zur Emission von CO2. Es gibt keine Möglichkeit, den strikten Zusammenhang zwischen kohlenstoffhaltigen Rohstoffen und CO2 zu durchbrechen. Auch wenn der fossile Rohstoff etwa in der chemischen Industrie verarbeitet, also nicht unmittelbar energetisch eingesetzt wird, kommt es früher oder später zu entsprechenden CO2-Emissionen.6 Nullemission von CO2 bedeutet somit, den Einsatz dieser Rohstoffe einzustellen. Will man beispielsweise 95 % der heutigen Emissionen in Deutschland vermeiden, dann muss der Einsatz von Kohle, Öl und Gas entsprechend reduziert werden. Sofern sich diese Reduktion gleichmäßig auf alle drei Ressourcen verteilt, würde der Rohölverbrauch von rund 90 Mio. t auf etwa 5 Mio. t sinken müssen, der Einsatz von rund 100 Mrd. m3 Gas müsste auf 5 Mrd. reduziert und der aktuelle Kohleverbrauch von ca. 66 Mio. t Öläquivalent auf ca. 3 Mio. t heruntergefahren werden. Will man also den Ausstieg aus Kohle, Erdöl und Gas in den nächsten 30 Jahren erreichen, ist eine durchschnittliche jährliche Reduktion des Einsatzes dieser Rohstoffe in Höhe von rund 3 % der Anfangswerte notwendig. Voraussetzung dafür ist eine allein durch politische Entscheidungen zu generierende Verknappung.7

Fossile Rohstoffe verknappen

Für die Umweltpolitik, die traditionell darauf fixiert ist, die Emission von Schadstoffen durch „end of pipe“-Maßnahmen „herauszufiltern“, ist der Input als Zielvariable eine neue Qualität.8 Zwar wird in der Klimapolitik von Emissionen, Bepreisung und Emissionsrechtehandel gesprochen. Tatsächlich geht es aber um Inputmengen, d. h. um die Verknappung der bis dato für die wirtschaftliche Entwicklung essenziellen fossilen Rohstoffe. Die zentrale klimapolitische Frage betrifft die nachhaltige Implementierung der Dekarbonisierung, und zwar mit den geringst möglichen volkswirtschaftlichen Kosten. Kann das die sich weiter etablierende europäische Klimapolitik leisten?

Das Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS) existiert seit 2005 und deckt zurzeit ca. 40 % der in Europa entstehenden CO2-Emissionen ab.9 Teilnehmer sind über 11 000 Energie- und Industrieanlagen sowie hunderte Fluggesellschaften in den 28 EU-Staaten sowie in Norwegen, Island und Liechtenstein.10 Die EU-Kommission hat Anforderungen für die Überwachung von deren Emissionen festgelegt und führt ein gemeinsames Emissionshandelsregister.11 Ein anlagenspezifischer Überwachungsplan konkretisiert, wie die Anforderungen der EU-Monitoring-Verordnung für die jeweilige Anlage umgesetzt werden. Die Emittenten müssen den Aufsichtsbehörden jährlich berichten und den Überwachungsplan genehmigen lassen.12 In Deutschland ist dafür vor allem die beim Umweltbundesamt angesiedelte Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) mit knapp 200 Mitarbeitern zuständig.13 Das ist aber nur die Bundesebene. Hinzu kommen die Behördenapparate in den Bundesländern, den anderen EU-Staaten und bei der Europäischen Kommission. Alle zusammen „managen“ aber nur jene ca. 11 000 Emittenten, die für 40 % der CO2-Emissionen verantwortlich sind.

Eine der Aufgaben besteht in der Zuteilung der Emissionsberechtigungen. Für den Einstieg in das Emissionshandelssystem (2005 bis 2007) hat man sich am „Grandfathering“ orientiert, d. h., allen Emittenten wurden kostenlose Zertifikate auf Basis ihrer tatsächlichen Emissionen zugeteilt. Um diese Zuteilungen in den Folgejahren nicht einfach nur schematisch zu verringern, sind für die Bereiche Industrie und Wärmeproduzenten Benchmarks definiert worden. Dafür wurden von der Europäischen Kommission 52 Produkt-Emissionswerte aus 21 Sektoren festgelegt (von Aluminium bis Zementklinker). Die Emissionen pro Tonne Produkt von 10 % der effizientesten Anlagen in Europa fungieren als Benchmark. Der Benchmark enthält außer dem Produkt- den Wärme- und den Brennstoff-Emissionswert sowie einen Ansatz für Prozessemissionen. Die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten auf dieser Basis wird im Zeitverlauf abgesenkt (Industrie-Cap).14 Das gesamte europaweit abgestimmte Zuteilungsprozedere ist zweifellos eine beachtliche politisch-administrative Leistung, auch wenn sie fatal an beste Zeiten der Planwirtschaft erinnert.

Europäisches Emissionshandelssystem unnötig komplex

In dem hier nur punktuell skizzierten Instrument der Klimapolitik gibt es zwei quantitativ erhebliche Ausnahmen: den Verkehrssektor und die privaten Haushalte. Als Grund dafür gelten die hohen Transaktionskosten. Weitere Ausnahmen gibt es für alle stark im internationalen Wettbewerb stehenden Industriebranchen mit einer hohen Kostenbelastung durch den Emissionshandel. Dadurch soll eine Verlagerung der Produktion und damit von Emissionen in Regionen ohne vergleichbare Klimaschutzmaßnahmen verhindert werden (Carbon Leakage).15 Schafft es ein Sektor auf die Carbon-Leakage-Liste, die alle fünf Jahre von der Europäischen Kommission überprüft wird, erhalten sämtliche Emittenten in diesem Sektor kostenlose Zertifikate in Höhe von 100 % der Benchmark-Zuteilung. Zusätzlich zu den Carbon-Leakage-gefährdeten Sektoren hängen die kostenlosen Zuteilungen z. B. auch davon ab, ob in der jeweiligen Anlage eine Kapazitätsänderung, eine Produktionsänderung oder etwa eine teilweise Betriebseinstellung vorliegt. Angesichts all dieser Reglementierungen im Detail sind logischerweise auch die Kontrollkosten im Rahmen der regelmäßig notwendigen Überprüfungen nicht unerheblich.

Auch der Handel mit den Emissionsrechten ist kein marktwirtschaftlicher Selbstläufer. Neben den kostenlosen Zuteilungen werden die Emissionsrechte auf den Primär- und Sekundärmärkten gehandelt. Die bisherigen Erfahrungen haben offenbar spezielle Eingriffe notwendig gemacht. Zu nennen sind insbesondere die Marktstabilitätsreserve und das Backloading, also die zeitliche Verschiebung der Versteigerung von Zertifikaten. Und angesichts der Zahl der potenziellen Marktteilnehmer, also der Anlagenbetreiber selbst sowie der Tochter- oder Mutterfirmen und sogar der Finanzintermediäre, ist auch hier mit beachtlichen Kontrollkosten zu rechnen (z. B. Handelsüberwachungsstellen, Kontomanagement usw.).16 Noch gibt es bei den derzeit moderaten Preisen pro Tonne CO2 auch keine Erfahrungen darüber, wie dieser Markt spekulativ verzerrt werden könnte.

Insgesamt kann man sagen, dass die Komplexität des EU-ETS nach oben offen ist. Der Härtetest für dieses System steht noch aus. Ausgeschlossen ist jedoch, dass mit diesem Ansatz das umweltpolitische Ziel der CO2-Neutralität 2050 erreicht und gehalten werden kann. Auch wenn die diversen Ausnahmen zurückgenommen werden und die Abdeckung von bisher nicht einmal 50 % der relevanten CO2-Emissionen auf 100 % erhöht wird, bleibt das zweifelhaft. Auf jeden Fall dürfte eine Ausdehnung des EU-ETS nach bisherigem Schema auf den Verkehrssektor sowie die privaten Haushalte die Zahl der Normadressaten derart drastisch erhöhen, dass dieses System an seine Grenzen stößt. Mit jedem Schritt in Richtung Dekarbonisierung wird dies wahrscheinlicher, weil der Druck der betroffenen Zigtausenden von Akteuren in Richtung Ausnahmen enorm anwachsen wird und infolgedessen die Kosten in der Administration und den Unternehmen gleichermaßen steigen werden.

Eine Politik, die auf die Stabilisierung des Klimas, d. h. auf die nachhaltige Dekarbonisierung der Weltwirtschaft gerichtet ist, muss sich vom Design der tradierten Umweltpolitik, die auch für das EU-ETS Pate stand, emanzipieren.17 Dafür reicht es nicht aus, marktwirtschaftliche Instrumente zu implementieren, die einem ordnungsrechtlichem Muster unterworfen sind. Auch muss man sich von der Vorstellung lösen, die Emission von sozusagen jeder einzelnen Feuerstelle weltweit definieren und kontrollieren zu wollen. Erste Bedingung für eine effiziente und ohne unnötige volkswirtschaftliche Kosten arbeitende Klimapolitik ist es, die Zahl der Normadressaten und Normgeber, also der Akteure insgesamt, so klein wie möglich zu halten. Das gilt im Übrigen für jedes Steuerungsproblem und unabhängig vom eingesetzten Instrument.

Ein Beispiel dafür, was es bedeutet, wenn die Zahl der Normadressaten vernachlässigt wird, bietet die Politik zur Verminderung der Volatile Organic Compounds (VOC).18 Diese flüchtigen organischen Verbindungen (Lösemittel) sind ursächlich für die bodennahe Ozonkonzentration. Der entsprechende Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission ist von 1996. Danach sollen langfristig VOC-Reduzierungen in der Größenordnung von 70 % bis 80 % erreicht werden. Eingesetzt werden die Lösemittel insbesondere von Lackherstellern. In der Europäischen Union gab es zu diesem Zeitpunkt ca. 50 Hersteller von Lösemitteln. Es hätte sich angeboten, eine Politik zu verfolgen, die diese Hersteller adressiert. Hätte man dagegen als Normadressaten die Lackhersteller genommen, so hätte man es europaweit mit nur rund 2000 Akteuren zu tun gehabt. Tatsächlich hat man sich aber auf die Reglementierung der allein in Deutschland bereits ca. 100 000 Emittenten (Lackieranlagenbetreiber) konzentriert. Daran hat sich seither nichts geändert (vgl. z. B. die EU-Richtlinie 2004/42 vom April 2004). Es geht immer noch um Grenzwerte für Emissionen aus stationären Anlagen und für zahlreiche Produktkategorien.

Zentrale Aspekte auf dem Weg zur Dekarbonisierung

Das VOC-Problem ist im Hinblick auf gesamtwirtschaftliche Anpassungskosten und Reglementierungsaufwand im Vergleich zur Herausforderung der Dekarbonisierung einer Volkswirtschaft extrem bescheiden. Entsprechend gering sind auch die gesamtwirtschaftlichen Verluste der ineffizienten VOC-Politik. Die CO2-Politik bewegt sich im Vergleich dazu in ganz anderen Größenordnungen. Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist jede allokative Verzerrung letztlich mit unüberschaubaren permanenten gesamtwirtschaftlichen Kosten verbunden. Eine sinnvolle Dekarbonisierungsstrategie muss daher drei Aspekte ins Zentrum der Überlegungen rücken:

Um allokative Verzerrungen zu minimieren, ist es erforderlich, dass CO2 einen einheitlichen Preis hat. Das ist gewissermaßen als Obersatz nicht nur in der CO2-Politik wirtschaftswissenschaftlicher Standard. Ein funktionierender Markt für homogene Güter generiert nun mal einen einheitlichen Preis. Und das gilt es so gut wie möglich mit einem entsprechenden Instrument nachzubilden. Jegliche räumliche, zeitliche und verursacherspezifische Preisdifferenzierung erhöht lediglich die Gesamtkosten im Anpassungsprozess. Vor diesem Hintergrund sind nicht nur die bisher bestehenden Ausnahmen kritisch zu sehen, sondern auch die einseitige Fokussierung auf lediglich ca. 40 % der Emissionen. Klimapolitisch sind unterschiedliche Preise ohnehin nicht zu begründen, weil jede Tonne CO2 weltweit und zu jeder Zeit die gleiche Wirkung auf das Klima hat. In der Klimapolitik ist der Hotspot die Erde im Ganzen. Das EU-ETS kann bei seiner derzeitigen Konstruktion die essenzielle Bedingung eines einheitlichen Preises nicht erfüllen.

Eine auf Dekarbonisierung gerichtete Politik besteht im physikalischen Zusammenhang zwischen der Menge an kohlenstoffhaltigen Ressourcen und den CO2-Emissionen. Jede dieser Ressourcen führt entsprechend ihrem CO-Gehalt zu einer CO2-Emission.19 Eine spezifische Messung dieser Emissionen, sozusagen an der Schornsteinspitze, kann deshalb vollständig ersetzt werden durch den Blick auf die Maßeinheiten Tonne für Kohle, Kubikmeter für Gas und Barrel für Öl und deren Umrechnung in CO2-Äquivalente. Jeder kohlenstoffhaltige Rohstoff hat eine physikalisch gegebene fixe Menge an CO und damit auch an CO2, die ganz unabhängig von der spezifischen Verwendung des Rohstoffes existiert. So kann zwar mit einer gegebenen Menge Gas eventuell aufgrund eines besonders effizienten Gaskraftwerks mehr Strom als mit einem weniger effizienten Gaskraftwerk erzeugt werden, der CO2-Ausstoß bleibt davon aber völlig unberührt. Dekarbonisierung heißt daher, den Einsatz fossiler Rohstoffe zu verringern, und in der Folge reduzieren sich zwingend auch die Emissionen des Treibhausgases CO2.

Der physikalische Zusammenhang zwischen CO-Gehalt und CO2-Emission und das fehlende Hotspot-Problem bieten eine einmalige Chance für das spezifische Design der Dekarbonisierungspolitik, weil auf jegliche Überwachung der CO2-Emissionen verzichtet werden kann. Lediglich die Menge von kohlenstoffhaltigen Rohstoffen gilt es in den Griff zu bekommen. Dadurch ist es möglich, die Zahl der Normadressaten drastisch zu verringern. Auf einem gemeinsamen europäischen Markt geht es dann einzig und allein um die Produzenten sowie die Importeure von Gas, Öl und Kohle, also um weniger als 1000 Normadressaten auf dem europäischen Binnenmarkt.20

Die Ignoranz gegenüber einer am Input ansetzenden Politik ist vor allem deshalb erstaunlich, weil auch im EU-ETS die Emissionen der Anlagenbetreiber tatsächlich gar nicht im Blick sind. Vielmehr werden die Emissionen jeder einzelnen Anlage von den eingesetzten Energieträgern, also von Tonnen, Kubikmetern und Barrels abgeleitet. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR für Wirtschaft) stellt in seinem aktuellen Sondergutachten (Ziff. 59) dazu lapidar fest, dass „im EU-ETS ... ein Downstream-Ansatz verfolgt“21 wird. „Es müssen also die Endverbraucher der Energieträger beziehungsweise die Emittenten der Treibhausgasemissionen ein Zertifikat besitzen.“22 Und weiter stellt der SVR für Wirtschaft nur noch intellektuell folgenlos fest: „Dies steht im Gegensatz zum Upstream-Verfahren, bei dem lediglich diejenigen, die Energieträger das erste Mal in Umlauf bringen, Zertifikate kaufen müssen.“23 In der Agrarpolitik gibt es zahlreiche Beispiele für Politiken, die ganz bewusst, wohl allein bereits aufgrund der Zahl an landwirtschaftlichen Betrieben, auf den jeweiligen Flaschenhals setzen, um somit den Adressatenkreis möglichst gering und damit die Kosten der Politik niedrig zu halten.24 So wird in der Agrarpolitik beispielsweise nicht auf die ca. 100 000 Milchviehhalter oder gar die ca. 4,2 Mio. Milchkühe in Deutschland abgehoben, sondern auf die ca. 100 milchverarbeitenden Unternehmen (Molkereien).25 Eine Fokussierung auf den Flaschenhals als Ansatzpunkt wirtschaftlicher Steuerungsinstrumente ist ein allgemeiner Grundsatz der Wirtschaftspolitik.

Flaschenhals zur effizienten Steuerung nutzen

Eine zertifikatebasierte Dekarbonisierungsstrategie in Europa, die am Flaschenhals ansetzt, hätte weniger als 1000 Normadressaten.26 Das wären dann die einzigen Akteure, die unmittelbar von der Klimapolitik betroffen wären. Nur sie würden auf dem Zertifikatemarkt als Nachfrager auftreten. Allein mit ihnen würden 100 % des CO2-Ausstoßes in Europa erfasst werden. Die größten Probleme des EU-ETS würden bei diesem Regime überhaupt nicht auftreten: Das Zuteilungsproblem wäre nicht existent, Grandfathering hätte keinen Platz, Benchmarks wären funktionslos, Aktivitäten in einzelnen emittierenden Anlagen könnten ignoriert werden usw. Zu kontrollieren gäbe es nur die Übereinstimmung zwischen der Zertifikatemenge und der Menge der von den Akteuren auf den Markt gebrachten fossilen Rohstoffe. Der Zoll beispielsweise könnte diese Aufgabe mit geringem Aufwand erledigen. Und bei der EU-Kommission würde eine Handvoll Beamte ausreichen, um das System zu managen. Folglich und keineswegs nachrangig würde das bedeuten, dass der Erlös aus dem Zertifikatehandel zu praktisch 100 % an den Normgeber fließen und sicherlich sinnvoller eingesetzt werden könnte als für die Deckung der Administrations- und Kontrollkosten im EU-ETS. Nicht zu vergessen ist auch, dass alle bis dato auf CO2 gerichteten Regelungen (Normen, Steuern, Subventionen) konsequenterweise ersatzlos gestrichen werden müssten. Wirksame Regelungen in Einzelbereichen würden nur Zertifikate für andere Verwendungen freisetzen, wären also klimapolitisch bedeutungslos, würden aber die gesellschaftlichen Kosten zur Erreichung des Klimaziels erhöhen.

Das sich auf dem Markt bildende Knappheitssignal Zertifikatepreis würde sich zuerst auf den Märkten fossiler Rohstoffe, also bei den Kunden der weniger als 1000 zertifikatepflichtigen Akteure, manifestieren. Dieser Preis würde dann mehr oder weniger durch die gesamte Handels- und Wertschöpfungskette weitergewälzt und hätte eine a priori unbekannte Änderung des Preisgefüges zur Folge. Eine Zurechnung auf den ursprünglichen Zertifikatepreis wäre dann praktisch kaum möglich und auch nicht notwendig. Kein Marktteilnehmer, egal auf welcher Ebene, bräuchte mehr als die Information, die der Preis fossiler Rohstoffe inklusive Zertifikatekosten liefern würde. Selbst die Trennung zwischen Zertifikatekosten und anderen Kosten, wie beispielsweise den Transport- oder Förderungskosten, wäre überflüssig.

Insgesamt ist die skizzierte Dekarbonisierungsstrategie nicht vergleichbar mit dem Bürokratiemonster, das vom derzeit verfolgten Konzept der EU genährt wird. Es wäre eine in jeder Hinsicht sinnvolle Ex-ante-Entbürokratisierung, die auch über 2050 hinaus die für ein klimaneutrales Wirtschaften notwendigen Preissignale effizient bereitstellen könnte.

* Ich danke Claudia Beckmann für Unterstützung bei der Datenrecherche sowie Gerhard Maier-Rigaud für Hinweise.

Title:Decarbonisation for Dummies: How EU-ETS Could Be Saved

Abstract:Given the political goal of climate neutrality in 2050 an efficient mechanism to implement this goal is needed. The main European approach, namely EU ETS, is ill-conceived and likely to collapse if extended to the transport and household sector. An alternative approach, benefitting from the fact that CO2 emissions are not dependent on use, but arise in fixed proportion relative to the quantities of coal, oil and gas utilized, allows focussing on less than 1000 oil, coal and gas producers and importers across Europe. Targeting these firms would ensure full coverage of all CO2 emissions in Europe and radically reduce costs in the public administration and the private sector. For any given decarbonisation goal, this system ensures the decarbonisation of the European economy at lowest cost and avoids the bureaucratic monster that has been created with EU ETS.

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DOI: 10.1007/s10273-019-2521-x

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