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Die aktuellen wirtschaftspolitischen Debatten um den stockenden Ausbau einer flächendeckenden Glasfaserinfrastruktur und um die Versteigerung der 5G-Mobilfunkfrequenzen zeigen, dass die Regulierung von Telekommunikationsmärkten in Deutschland vor großen Herausforderungen steht. Im Kern entzünden sich die Konflikte an einer Abwägung zwischen dem zügigen Ausbau moderner Telekommunikationsnetze und einer flächendeckenden Verfügbarkeit von Telekommunikationsdienstleistungen zu günstigen Preisen. Evidenzbasierte Ex-ante-Analysen zur Folgenabschätzung wirtschaftspolitischer Maßnahmen stellen eine hilfreiche Entscheidungsgrundlage dar.

Der Telekommunikationssektor ist aufgrund natürlicher Monopolisierungstendenzen, vor allem bedingt durch hohe Fixkosten, besonders regulierungsintensiv. Auch angesichts der herausragenden Bedeutung einer effizient funktionierenden Telekommunikation ist eine geeignete Regulierung essenziell für Wachstum und technologischen Fortschritt.1 Nur geeignete regulatorische Rahmenbedingungen können zugleich effiziente Investitionsniveaus und qualitativ hochwertige Angebote zu niedrigen Preisen für Verbraucher ermöglichen.

Um eine fundierte Interessenabwägung vornehmen zu können, ist eine sorgfältige, evidenzbasierte Ex-ante-Analyse möglicher Regulierungsalternativen ratsam (auch genannt: Regulierungsfolgenabschätzung bzw. regulatory impact assessment). Wegen der technisch und historisch komplexen Struktur der Telekommunikationsmärkte, geprägt durch eine vergleichsweise hohe Marktkonzentration und eine asymmetrische Regulierungspraxis,2 gestaltet sich eine fundierte Untersuchung zeit- und kostenintensiv und ist methodisch anspruchsvoll. Dennoch lohnt sich die Untersuchung, da Regulierungseffekte erfasst und das Marktergebnis verbessert werden können. Um sich dieser Herkulesaufgabe zu stellen, ist eine Anpassung des institutionellen Rahmens in Deutschland zu erwägen.3

Evidenzbasierung der Wirtschaftspolitik birgt ungenutztes Potenzial

In wirtschaftspolitischen Debatten ist die Berücksichtigung empirischer Evidenz in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt. Ex-ante-Folgenabschätzungen und Ex-post-Evaluationen können einen wesentlichen Beitrag zu einer wissenschaftlich fundierte Regulierungspraxis im deutschen Telekommunikationssektor leisten.4 So können das Verhalten von Marktakteuren und Marktergebnisse auf Basis von Beobachtungen besser eingeschätzt werden. Dies hilft, eine vorschnelle Implementierung von Maßnahmen, deren Auswirkungen womöglich wohlfahrtsmindernd sind, zu vermeiden.

Eine evidenzbasierte Herangehensweise ermöglicht es Regulierern, einen fundierten und vollständigen Blick auf die Regulierungsfragestellung zu entwickeln. Einerseits können systematisch verschiedene Alternativen erwogen, andererseits verschiedene Zielsetzungen in der Optimierung berücksichtigt werden. Dies ist besonders dort wichtig, wo widerstreitende berechtigte Interessen miteinander vereinbart werden müssen und dynamische Entwicklungen Unsicherheiten erzeugen, wie es im Telekommunikationsbereich der Fall ist.

Zielkonflikt zwischen statischer und dynamischer Effizienz der Regulierung

Das deutsche Telekommunikationsgesetz (TKG) zielt zum einen auf die Interessen von Verbrauchern, die etwa vor überhöhten Preisen und Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern geschützt werden sollen, und zum anderen auf den Ausbau und die Qualität flächendeckender Telekommunikationsnetze. Aufgrund der Gleichrangigkeit dieser Ziele im TKG und damit verbundener Zielkonflikte müssen Regulierer zwischen Interessen abwägen.

Der Zielkonflikt bei der Regulierung von Telekommunikationsmärkten resultiert aus dem Widerstreit von statischer und dynamischer Effizienz.5 Aus statischer Perspektive erzielen Wettbewerbspreise das wohlfahrtsoptimale Marktergebnis. Bei einer statischen Partialanalyse wird jedoch vernachlässigt, dass die Chance, hohe Gewinnmargen zu erzielen, für Produzenten einen Anreiz für Innovationen und Investitionen in Infrastruktur darstellt. In der langen Frist stiften letztere Verbrauchern zusätzlichen Nutzen durch neue Produkte und höhere Produktqualität. Am Glasfaser- sowie 5G-Ausbau lässt sich dieser Zielkonflikt zwischen statischer und dynamischer Effizienz aufzeigen.

Ausbau und Einführung der neuen Mobilfunkgeneration 5G sind mit hohen Kosten verbunden, weshalb Netzbetreiber kein unmittelbares Interesse haben, Wettbewerbern die Nutzung der eigenen Infrastruktur im Rahmen einer Verpflichtung zum nationalen Roaming6 zu gewähren. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist es zwar sinnvoll, wenn die kostenintensive 5G-Infrastruktur nicht dupliziert wird, sondern von verschiedenen Anbietern zugleich genutzt wird und die Kosten zwischen allen Nutzern aufgeteilt werden.7 Aus Sicht des einzelnen Infrastrukturbetreibers ist es jedoch unattraktiv, Wettbewerbern Zugang zur eigenen Infrastruktur zu ermöglichen. Dadurch würden diese ebenfalls in die Lage versetzt, Endkunden mit 5G-Diensten zu versorgen und damit mit dem Infrastruktureigentümer in Konkurrenz zu treten. Nationales Roaming verringert daher die Möglichkeit, ökonomische Renten zu erzielen. Im schlechtesten Fall antizipieren Mobilfunkanbieter einen derart hohen Wettbewerbsdruck, dass sich eine Netzinvestition aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht lohnt.

Ebenso ist ein flächendeckender Ausbau der Glasfaserinfrastruktur bis zu den Teilnehmeranschlussleitungen mit hohen Kosten verbunden, die über Nutzungsentgelte refinanziert werden müssen. Um Marktmacht einzuschränken und Wettbewerb auf der neu geschaffenen Infrastruktur zu sichern, kann der Infrastrukturinhaber über eine Entgelt- und Zugangsregulierung gesetzlich verpflichtet werden, Wettbewerbern zu festgeschriebenen Preisen Zugang zur Infrastruktur zu gewähren. Ein daraus resultierender Wettbewerbsdruck würde zwar die Anschlusspreise senken, jedoch einen negativen Einfluss auf den Ausbauanreiz nach sich ziehen.

Dynamik und Ungewissheit erschweren Regulierung

Aufgrund der Dynamik und des stetigen technologischen Fortschritts in der Telekommunikationsbranche ist die Ausgestaltung des Regulierungsrahmens zusätzlich mit erheblichen Ungewissheiten und Risiken hinsichtlich der Wirkung bestimmter Maßnahmen verbunden. Im Telekommunikationskontext entstehen laufend neue Angebote, Märkte und Anforderungen, die durch eine suboptimale Regulierung nicht behindert werden sollten. Hinzu kommen schwer vorhersehbare Verhaltensänderungen von Marktakteuren. Der Regulierer muss versuchen, entsprechende Unsicherheiten zu minimieren, und abwägen, ob eine Regulierungsmaßnahme tatsächlich die erwünschte Wirkung erzielt und ob ungewollte Marktergebnisse ausgelöst werden können. Welche unerwünschten Effekte sind mit der Maßnahme verbunden? Ist die Maßnahme die effiziente Wahl im Vergleich zu anderen Optionen?

Skaleneffekte und Pfadabhängigkeiten bei Netzwerktechnologien verschärfen die Schwierigkeiten bei der Gestaltung des Regulierungsrahmens. Eine Maßnahme, die Individuen nicht unmittelbar in die Lage versetzt, zusätzlichen Nutzen zu erzielen oder die Produktivität zu erhöhen, kann der gesamten Volkswirtschaft dennoch langfristig neue Technologiepfade eröffnen. So bedarf es beispielsweise für die Entwicklung und Bereitstellung von massentauglichen 5G-basierten Anwendungen zunächst einmal der Verfügbarkeit von 5G-Netzen. Daher herrscht aus heutiger Sicht eine große Unsicherheit hinsichtlich der Dringlichkeit, den Ausbau von 5G-Netzen regulativ zu beschleunigen. Zwar entstehen kurzfristig hohe Kosten der Netzentwicklung und -bereitstellung, dennoch gilt es als äußerst wahrscheinlich, dass – aus volkswirtschaftlicher Sicht – der zusätzliche Nutzen die Kosten langfristig übersteigen dürfte.

Ungenutztes Potenzial von evidenzbasierten Wirkungsanalysen im Telekommunikationssektor

Im Folgenden wird in Kürze skizziert, wie die einzelnen Schritte einer Folgenabschätzungen aussehen sollten und welche Methoden in diesem Rahmen einsetzbar sind, um regulatorische Eingriffe bereits vor deren Implementierung zu bewerten.

Richtlinien der OECD und der Europäischen Kommission8 beschreiben, wie eine gute Folgenabschätzungspraxis für Regulierungen ausgestaltet sein sollte. Ziel einer Folgenabschätzung ist es, den Ex-ante-Bewertungsprozess verschiedener alternativer Regulierungsmaßnahmen zu systematisieren und Entscheidungsträgern infolgedessen als möglichst objektive und belastbare Entscheidungsgrundlagen zu dienen. Durch die Anwendung dieses strukturierten Verfahrens werden nicht nur die Effektivität und Effizienz regulatorischer Eingriffe gefördert, sondern auch die Transparenz erhöht. Dies hat einen positiven Einfluss auf die Qualität der wirtschaftspolitischen Diskussion und die demokratische Willensbildung.

Die Folgenabschätzung umfasst einen mehrstufigen Prozess (vgl. Kasten 1). Wird ein wirtschaftspolitisches Problem identifiziert, muss dieses zunächst abgegrenzt und die relevanten Akteure sowie ökonomischen Mechanismen eingehend analysiert werden. Hierbei wird der tatsächliche Regulierungsbedarf bewertet. Sofern dieser festgestellt ist, wird im nächsten Schritt entschieden, welches spezifische Ziel eine Regulierung erreichen soll und wie dieses operationalisiert werden kann. Daraufhin werden Regulierungsalternativen entwickelt und Daten zur Bewertung der erwarteten Wirkungen auf die relevanten Zielindikatoren zusammengetragen (z. B. Effekte auf das Investitionsverhalten des Incumbents sowie Wettbewerbern). Auf Basis einer systematischen Abwägung von Nutzen und Kosten der infrage kommenden Alternativen werden ineffektive und ineffiziente Maßnahmen eliminiert und schließlich das bestgeeignete Instrument ermittelt.

Kasten 1
Ablauf einer Regulierungsfolgenabschätzung

Stufe 1

Klare Abgrenzung, Einordnung und detaillierte Beschreibung eines wirtschaftspolitischen Problems, Bezugnahme auf Zielgrößen (beispielsweise Wettbewerb, Verbraucherinteressen, Netzausbau)

Stufe 2

Identifikation geeigneter Regulierungsmaßnahmen

Stufe 3

Datenerhebung/-erfassung und Modellierung als Informationsgrundlage für spätere Entscheidung

Stufe 4

Bewertung aller betrachteten Regulierungsalternativen

Stufe 5

Identifikation der bevorzugten Regulierungsalternative

Stufe 6

Kontrolle und Evaluation

Quelle: DIW Econ.

Idealerweise werden alle Stufen der Entscheidungsfindung dokumentiert und als zusammenfassender Bericht im Anschluss an den Prozess – selbst wenn es zu keiner Regulierungsänderung kommt – veröffentlicht. So sind regulierende Institutionen angehalten, Rechenschaft für ihre Entscheidungen abzulegen, und es werden Anreize zur gewissenhaften Durchführung der vergleichenden Analysen gesetzt.

Methodisches Vorgehen

Bei einer in die Zukunft gerichteten Folgenabschätzung ist es nicht möglich, das tatsächliche Marktergebnis mit einem kontrafaktischen Ergebnis in Relation zu setzen. Stattdessen müssen verschiedene (Zukunfts-)Szenarien modelliert und mit einem Basisszenario verglichen werden, das die zukünftige Entwicklung ohne regulatorische Änderung abbildet. Die Analyse darf nicht ausschließlich statisch gegenwärtige Zielgrößen, sondern muss verschiedene mögliche Zukunftsentwicklungen bewerten. Dynamische Größen wie das Wirtschaftswachstum, den technologischen Fortschritt, langfristige Wechselwirkungen und das Entstehen neuer Märkte müssen ebenfalls berücksichtigt werden.

Die Folgenabschätzung erfolgt idealerweise auf Basis von strukturellen ökonomischen Modellen, Simulationen sowie in der Vergangenheit beobachteten empirischen Zusammenhängen. Selbst wenn die auf theoretischen Überlegungen basierende Analyse die später in der Realität auftretenden, tatsächlichen Wirkungen nicht immer exakt quantifizieren, können Folgenabschätzungen aufgrund ihrer systematischen und transparenten Konzeption die Gestaltung von Regulierungsmaßnahmen im Telekommunikationssektor nachhaltig verbessern: „… RIA‘s (regulatory impact assessment) most important contribution to the quality of decisions is not the precision of the calculations used, but the action of analysing – questioning, understanding real-world impacts and exploring assumptions“.9

Feldexperimente zur Ex-ante-Wirkungsabschätzung

Hervorzuheben ist, dass randomisierte Feldexperimente unter bestimmten Bedingungen zur Erprobung neuer Politikmaßnahmen in Testprojekten – etwa regional eingegrenzte Testläufe – als Ex-ante-Analysemittel eingesetzt werden können. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse können genutzt werden, um die Sinnhaftigkeit einer flächendeckenden Einführung der Maßnahme frühzeitig zu beurteilen. In diesem Sinne können randomisierte Kon­trollexperimente zusätzlich als Analyseinstrument zur Ex-ante-Folgenabschätzung – auch im Telekommunikationsbereich – dienen.

Allgemein gilt: Wenn eine regulatorische Maßnahme auf eine bestimmte Gruppe von Personen, Haushalten oder Unternehmen, beispielsweise anhand von Regionen, beschränkt werden und gleichzeitig eine valide Kon­trollgruppe gefunden werden kann, ist die Evaluation der Maßnahme im Rahmen eines Ex-ante-Feldexperiments sinnvoll. Die Idee hinter diesem Vorgehen entspricht auch den „Experimentierräumen“ und „Reallaboren“, die im Weißbuch Digitale Plattformen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie10 zur „Erprobung von Innovationen im Zusammenspiel mit regulatorischen Instrumenten und unter realen Marktbedingungen in einem befristet und möglicherweise örtlich begrenzten veränderten rechtlichen Rahmen“ vorgeschlagen werden. Jedoch auch in Situationen, in denen eine – tatsächliche oder synthetische – geeignete Kontrollgruppe gefunden werden kann, werden Feldexperimente zur Ex-ante-Untersuchung der tatsächlichen Wirkungen regulatorischer Eingriffe im Telekommunikationssektor bislang kaum eingesetzt, obwohl sie einen wichtigen Beitrag zur stärkeren Evidenzbasierung von wirtschaftspolitischen Entscheidungen leisten können.

In Bezug auf Regulierung, welche die Funktion des Wettbewerbs zwischen Infrastrukturbetreibern verbessern soll, ist eine Wirkungsanalyse durch ein Feldexperiment jedoch häufig nicht möglich. Zumeist sind Telekommunikationsmärkte nur durch einzelne oder wenige Unternehmen geprägt, sodass in der Praxis häufig keine Kontrollgruppen beobachtet werden können. Auf Festnetzmärkten gibt es typischerweise ein großes, etabliertes Telekommunikationsunternehmen (Incumbent), in Deutschland die Deutsche Telekom AG, sowie Wettbewerber mit weniger eigener Infrastruktur und einem geringeren Marktanteil. Aus diesem Grund ist es nicht möglich, eine Kontrollgruppe für den Incumbent zu identifizieren, die sich nicht systematisch von der Behandlungsgruppe unterscheidet. Ein Vergleich mit Wettbewerbern mit einem geringeren Marktanteil genügt nicht, da eine Regulierungsmaßnahme unterschiedliche Auswirkungen auf das Verhalten der Unternehmen haben kann. Regulatorische Eingriffe, wie etwa die Entbündelung der Teilnehmeranschlussleitung und die Einführung des Bitstrom-Zugangs, können die Investitionsanreize verschiedener Unternehmensgruppen nicht nur in unterschiedlichem Maße beeinflussen, die Effekte können sogar asymmetrisch ausfallen. In der deutschen Mobilfunkbranche teilen sich drei ähnlich bedeutsame Mobilfunknetzbetreiber den Markt. Aufgrund geringer Fallzahlen und deutlicher Wechselwirkungen wird eine Einteilung in Behandlungs- und Kontrollgruppe erschwert.

Erkenntnisse, die durch die Erprobung von Regulierungsmaßnahmen in Form randomisierter Kontrollexperimente gewonnen wurden, können im Telekommunikationssektor zudem häufig nur beschränkt verallgemeinert werden. Dies ist zum einen in der Tatsache begründet, dass Telekommunikationstechnologien häufig Netzwerkeffekte11 aufweisen. Das Ausmaß der tatsächlichen Effekte von FTTH(Fiber to the home)-Anschlüssen auf den Verbrauchernutzen wird beispielsweise erst dann ersichtlich, wenn eine große Zahl von Haushalten und Servern ans Glasfasernetz angeschlossen ist und so die Zahl der Angebote und Kommunikationspartner wächst. Die Effekte eines bundesweiten Ausbaus lassen sich daher nicht einfach in einem Experiment nachbilden. Zum anderen kann es mehrere Jahre dauern, bis Effekte beobachtet werden können. Technologiepfade und mögliche Folgeentwicklungen sind ebenso nicht frühzeitig erkennbar. Aus den genannten Gründen ist es sinnvoll, vor der Implementierung einer konkreten regulatorischen Intervention eine gründliche Ex-ante-Analyse zur Folgeabschätzung durchzuführen, die sich anderer Instrumente und Methoden bedient.

Gute Folgenabschätzungspraxis erfordert geeigneten institutionellen Rahmen

Um die Praxis der Folgenabschätzungen im Telekommunikationsbereich in Deutschland weiterzuentwickeln und die Praxis an internationale Richtlinien anzunähern, sind mehrere Maßnahmen denkbar. Zum einen sollte ein standardisierter, transparenter Prozess für quantitative Folgenabschätzungen im Telekommunikationssektor verpflichtend eingeführt werden. Des Weiteren sollte sichergestellt werden, dass für Regulierungsfolgenabschätzungen benötigte Daten vorhanden und leicht zugänglich sind.

Institutioneller Rahmen für Folgenabschätzungen

In den Regulierungsverfügungen der Bundesnetzagentur werden die betrachteten Abhilfemaßnahmen hinsichtlich ihrer Genehmigungsfähigkeit im Sinne des TKG untersucht. Die Eignung einer konkreten Regulierungsmaßnahme wird hierbei vorwiegend qualitativ bewertet, indem unter anderem zu erwartende Auswirkungen auf die im TKG verankerten Regulierungsziele aufgezeigt werden. So wird diskutiert, wie sich eine konkrete Maßnahme auf die Förderung des Wettbewerbs, die Interessen der Nutzer, die Entwicklung des Binnenmarktes der EU sowie die Förderung hochleistungsfähiger Netze auswirkt. Umfassende quantitative Simulationen oder Modellierungen, die das Marktgleichgewicht beschreiben, kommen in der Regel nicht zum Tragen oder werden nicht publiziert. Die Herangehensweise der Bundesnetzagentur unterscheidet sich also von den Empfehlungen der internationalen Richtlinien. Wie oben beschrieben beginnt eine Folgenabschätzung gemäß der genannten Richtlinien typischerweise mit der Identifikation eines Markt- beziehungsweise Regulierungsversagens, woraufhin – das Regulierungsziel stets im Blick – verschiedene Regulierungsszenarien analysiert und systematisch miteinander verglichen werden, um letztlich das effiziente Regulierungsinstrument auszuwählen. Das Regulierungsinstrument dient hierbei als Mittel zur Maximierung der Wohlfahrt unter Berücksichtigung der Gesamtheit der möglichen Regulierungsalternativen.

Wie könnte eine gute Praxis für Folgenabschätzungen in Deutschland aussehen? Wer sollte sie durchführen? Sobald die Bundesnetzagentur, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie oder eine andere zuständige Institution einen Regulierungsbedarf auf einem Telekommunikationsmarkt feststellt, sollten geeignete Regulierungsmaßnahmen und -szenarien identifiziert werden. Bei der Auswahl der relevanten Regulierungsmaßnahmen kann auf die Unterstützung externer Auftragnehmer mit der entsprechenden Branchenexpertise zurückgegriffen werden, damit die Untersuchung neuartigen Ansätzen gegenüber offen bleibt. Zudem sollten einer oder mehrere externe Auftragnehmer die Wirkung der zu untersuchenden Instrumente bewerten und quantifizieren.

Der Auftrag für die Folgenabschätzung sollte öffentlich ausgeschrieben werden. Auf diesem Weg kann sichergestellt werden, dass themenspezifische Expertise vorliegt und die bearbeitenden Institutionen fachlich unabhängig arbeiten können. Als Auftragnehmer kommen insbesondere wissenschaftliche Einrichtungen wie Universitäten und Forschungsinstitute sowie Beratungsunternehmen mit der entsprechenden Expertise infrage. Prinzipiell könnten staatliche Einrichtungen wie Ministerien, Behörden oder die Monopolkommission Analysen auch im eigenen Hause durchführen, sofern sie über entsprechendes Personal verfügen. Analysen im eigenen Hause anzufertigen hat den Vorteil, dass sie bei entsprechender personeller Verfügbarkeit schnell umgesetzt werden können und zum Aufbau eigener Expertise beitragen.

Eine weisungsungebundene, fachlich unabhängige Institution, die beispielweise an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie oder an die Bundesnetzagentur angegliedert ist, sollte die Ergebnisse einer Folgenabschätzungsstudie anschließend bewerten und auf dieser Basis eine offizielle Handlungsempfehlung aussprechen. Schon im Rahmen der Folgenabschätzung sollte festgelegt werden, an welchen Zielindikatoren der tatsächliche Erfolg einer Maßnahme nach ihrer Umsetzung gemessen und evaluiert werden sollte. So können ineffektive oder ineffiziente Maßnahmen im Ergebnis einer Ex-Post-Evaluation korrigiert werden.

Forschungsdatenzentrum für Telekommunikationssektor

Eine evidenzbasierte Folgenabschätzung sollte stets auf einer belastbaren empirischen Grundlage aufbauen. Um der Dynamik des Telekommunikationssektors und dem damit einhergehenden Regulierungsbedarf gerecht zu werden, sollten daher sektorspezifische Primärdaten erhoben, Sekundärdaten gesammelt und in einem Forschungsdatenzentrum gebündelt werden. Gegebenenfalls bietet sich die Einrichtung eines neuen Forschungsdatenzentrums an, da zur Analyse des Telekommunikationssektors die benötigten Daten idealerweise eine Vielzahl von Dimensionen konsistent beleuchten sollen (unter anderem Informationen zu kommerziellen und nichtkommerziellen Anbietern, zu Nachfragestrukturen privater und geschäftlicher Nutzer, zu räumlichen Verfügbarkeiten von Fest- und Mobilfunknetzen sowie zu Technologien und Angebotsqualitäten). Eine Angliederung an ein bestehendes Forschungsdatenzentrum ist zwar grundsätzlich denkbar, aber aufgrund der spezifischen Ausrichtungen der bestehenden Forschungsdatenzentren nicht naheliegend.12

Durch die Möglichkeit, den mit einer Folgenabschätzung beauftragten Institutionen relevante Daten umgehend zur Verfügung zu stellen, kann der Zeitaufwand für datenintensive Folgenabschätzungen erheblich reduziert werden. Ein Forschungsdatenzentrum böte außerdem den geeigneten institutionellen Rahmen für die Speicherung und Aufbereitung sensibler Mikrodaten. Das Forschungsdatenzentrum sollte Rohdaten und Auswertungsroutinen der Auftragnehmer, die mit der Ausführung einer Folgenabschätzung beauftragt werden, dokumentieren und (gegebenenfalls anonymisiert) zur Überprüfung durch dritte Institutionen bereitstellen. So könnte wissenschaftliches Fehlverhalten eingegrenzt werden.

Fazit

Aufgrund technologisch und historisch bedingter Monopolisierungstendenzen erfordern effizient funktionierende Telekommunikationsmärkte ein relativ hohes Maß an Regulierung. Die Dynamik der technischen Möglichkeiten, der Anforderungen an die Infrastruktur und der Verhaltensänderungen erschweren fundierte Folgenabschätzungen. Es kann kaum auf bisherige Beobachtungen zurückgegriffen werden, es können große Wirkunterschiede je nach Umfang und Einsatzbreite einer Regulierungsmaßnahme auftreten, und es besteht eine starke Pfadabhängigkeit der infrastrukturellen Entwicklung und der Marktgegebenheiten. Trotz verschiedener Hürden lohnt es sich, fundierte Regulierungsfolgenabschätzungen durchzuführen. Eine gute Regulierungspraxis umfasst sowohl fundierte Ex-ante-Analysen, wie etwa durch die Europäische Kommission, als auch belastbare Ex-post-Evaluationen auf quantitativ-empirischer Basis.

Den besonderen methodischen Herausforderungen der Regulierungsfolgenabschätzung im Telekommunikationsbereich steht die große volkswirtschaftliche Bedeutung der erfolgreichen Regulierung gegenüber. Die Qualität der Regulierung wirkt sich über den unmittelbaren Telekommunikationssektor hinaus auf die Gesamtwirtschaft aus, da es sich bei Telekommunikationsdiensten um Universaltechnologien handelt, die den technologischen Fortschritt in sämtlichen Bereichen der Volkswirtschaft fördern bzw. notwendige Voraussetzung dafür sind.

Regulierungsfolgenabschätzungen und Evaluationen sollten verpflichtend und transparent sein sowie gegebenenfalls öffentlich und wettbewerblich ausgeschrieben werden, um das Vorhandensein der benötigten Expertise sicherzustellen. Eine weisungsungebundene, fachlich unabhängige Institution sollte die Ergebnisse anschließend bewerten und eine offizielle Handlungsempfehlung an den Regulierer aussprechen. Zudem sollte bei der Erstellung einer Folgenabschätzung direkt festgelegt werden, anhand welcher Zielindikatoren die Wirksamkeit einer Maßnahme nach ihrer Umsetzung evaluiert werden kann. Um dem hohen Regulierungsbedarf der Telekommunikationsbranche nachzukommen, sollten sektorspezifische Primärdaten erhoben, Sekundärdaten gesammelt und in einem Forschungsdatenzentrum gebündelt werden. So kann gewährleistet werden, dass ein für eine Folgenabschätzung beauftragter Auftragnehmer ohne größeren finanziellen, zeitlichen und organisatorischen Aufwand Zugang zu allen relevanten Daten erhält.

  • 1 Vgl. I. Henseler-Unger: Hochleistungsfähige Kommunikationsnetze: Wer investiert?, in: Wirtschaftsdienst, 97. Jg. (2017), H. 1, S. 28-33; vgl. A. Ortmeyer: Glasfaserausbau: Das wirtschaftspolitisch Heikelste kommt noch!, in: Wirtschaftsdienst, 97. Jg. (2017), H. 1, S. 60-63; vgl. DIW Econ: Ausbau von Gigabitnetzen: Wettbewerb und Regulierung, Studie im Auftrag des VATM, Berlin 2018.
  • 2 Die Regulierung im Telekommunikationssektor betrifft stellenweise nicht alle Anbieter am Markt, sondern es werden Sonderregeln geschaffen, die nur das marktbeherrschende Unternehmen (Incumbent) betreffen. Auf diese Weise wird schwächeren Akteuren Unterstützung gewährt, üblicherweise indem sie entgeltregulierten Zugang zur Infrastruktur des Incumbents erhalten.
  • 3 Der vorliegende Text basiert auf einer Studie der DIW Econ in Zusammenarbeit mit der DICE Consult für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aus dem Jahre 2017, vgl. DIW Econ, DICE Consult: Folgeabschätzung von Regulierungsmaßnahmen im Telekommunikationssektor: Verfahren, Indikatoren, Datenquellen, Evaluierung der Wirksamkeit von Regulierung im Telekommunikationssektor – Konzeptionelle Grundlagen sowie Vorschläge für Ex-post-Evaluationen und Folgeabschätzungsverfahren in Deutschland, Studie im Auftrag des BMWi, Berlin 2017.
  • 4 Ebenda.
  • 5 Vgl. J. Haucap, M. Coenen: Regulierung und Deregulierung in Telekommunikationsmärkten: Theorie und Praxis, in: Recht, Ordnung und Wettbewerb, Baden-Baden 2011, S. 1005-1026. Vgl. P. Baake, J. Haucap, J. Kühling, S. Loetz, C. Wey: Effiziente Regulierung in dynamischen Märkten, Baden-Baden 2007.
  • 6 Nationales bzw. lokales Roaming umfasst die entgeltregulierte Verpflichtung zur Öffnung einer unternehmenseigenen Infrastruktur für Wettbewerber.
  • 7 Bei einer privatwirtschaftlichen Bereitstellung der Infrastruktur ist die Netzabdeckung insbesondere in ländlichen Räumen häufig ineffizient niedrig, da in dünn besiedelten Regionen die Ausbaukosten nicht durch die Konsumentennachfrage gedeckt werden. Hier muss der Staat Regulierungsinstrumente wie Subventionen in Betracht ziehen, um eine flächendeckende Versorgung zu ermöglichen. Die Verfügbarkeit hochleistungsfähiger Telekommunikationsinfrastruktur ist insbesondere mit Blick auf eine ausgewogene Entwicklung von ländlichen und städtischen Räumen eine wichtige Stellschraube der Wirtschaftspolitik.
  • 8 Vgl. Europäische Kommission: Better Regulation Guidelines, European Commission Staff Working Document SWD(2015) 110 final, Straßburg 2015; dies.: Better Regulation „Toolbox“, European Commission Staff Working Document SWD(2015) 111 final, Straßburg 2015; OECD: Introductory Handbook for Undertaking Regulatory Impact Analysis (RIA), Paris 2008.
  • 9 Vgl. OECD: Introductory Handbook for Undertaking Regulatory Impact Analysis (RIA), Paris 2008, S. 3.
  • 10 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Weißbuch Digitale Plattformen: Digitale Ordnungspolitik für Wachstum, Innovation, Wettbewerb und Teilhabe, Berlin 2017; dass.: Schlaglichter der Wirtschaftspolitik, Monatsbericht Januar 2019, Berlin 2019.
  • 11 Netzwerkeffekte treten im Allgemeinen dann auf, wenn die Zahl der Teilnehmer eines bestimmten Systems sich positiv auf den Nutzen jedes einzelnen Teilnehmers auswirkt. Im Bereich der Telekommunikation sind derartige Effekte offensichtlich: Das Versenden von – beispielsweise sehr umfangreichen – Informationen auf Basis einer bestimmten Technologie ist nur dann sinnvoll, wenn es auch einen Empfänger gibt, der in der Lage ist, diese oder eine kompatible Technologie ebenfalls zu nutzen. Dieser Effekt wird in der ökonomischen Theorie vielfach als direkter Netzwerkeffekt bezeichnet. Eine mögliche Lesart indirekter Netzwerke lässt sich aus der Beobachtung ziehen, dass aus einer wachsenden Nutzerzahl eine höhere Attraktivität für Anbieter resultiert und eine höhere Anbieterzahl wiederum mit steigendem Nutzen der Teilnehmer einhergeht. Beide Teileffekte führen dazu, dass sich Teilnehmer tendenziell bei einem (Monopol) oder wenigen (Oligopol) auf einem Markt konkurrierenden Anbietern bzw. Systemen sammeln.
  • 12 Aus wissenschaftlicher Perspektive wäre die Einrichtung eines EU-weiten Forschungsdatenzentrums prinzipiell wünschenswert, da Erfahrungen anderer Länder berücksichtigt und so gegebenenfalls die empirische Validität substanziell erhöht werden könnte. Ein solches Unterfangen wäre jedoch mit sehr hohem Aufwand verbunden und eine zeitnahe Umsetzung sehr unwahrscheinlich.

Title:A Herculean Task: Evidence-based Regulatory Impact Assessments in the Telecommunications Sector

Abstract:This essay addresses the importance and obstacles of evidence­based economic policymaking for telecommunication market regulation. In light of current discussion about the rollout and regulation of the next generation of telecommunication networks, which will crucially affect future competitiveness of the economy, scientifically sound decision-making is indispensable. This essay advocates a realignment of the institutional framework in Germany in order to meet international best practice guidelines for a regulatory impact assessment issued by the OECD and the European Commission.


DOI: 10.1007/s10273-019-2404-1