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Aktuell gibt es viele Einzelvorschläge mit dem Ziel, das Hartz-IV-System zu reformieren. Aber auch seine völlige Abschaffung und die Ersetzung durch ein Bürgergeld ist in der Diskussion. In diesem Beitrag wird vorgeschlagen, eine völlig neue Standardeinstellung im Steuer- und Transfersystem zunächst experimentell zu erproben. Damit könnten die Finanzämter den Regelsatz der Grundsicherung an alle Bürger auszahlen und Steuergutschriften für bedürftige Vollzeiterwerbstätige mit geringem Einkommen unterhalb der Armutsrisikoschwelle gewähren.

Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass die Grundsicherung für Erwerbstätige (Hartz IV) angesichts der Digitalisierung auf den Prüfstand gehört: Garantiesicherung, Bürgergeld, solidarisches Grundeinkommen oder bedingungsloses Grundeinkommen, Wiedereinführung der Arbeitslosenhilfe, Integration von Sozialleistungen und geringere Transferentzugsraten, sanktionsfreies Grundeinkommen – an Vorschlägen zur Abschaffung und Weiterentwicklung von Hartz IV mangelt es derzeit wahrlich nicht. Die Diskussion ist mehr als zehn Jahre nach der Hartz-IV-Reform dringend notwendig. Denn die Rahmenbedingungen des Jahres 2019 entsprechen nicht mehr denen der Zeit der Hartz-Reformen. Strukturwandel durch Digitalisierung bei demografischem Wandel und eine drohende Abkühlung der Konjunktur werden die Dynamik am Arbeitsmarkt verstärken. Selbst die optimistischen Szenarios, die eine steigende Nettobeschäftigung erwarten lassen, gehen von einer hohen Zahl wegfallender Stellen aus, sodass enormer Druck auf die Arbeitnehmer entstehen wird, ihre Kompetenzen auf die offenen und zukünftig entstehenden Stellen anzupassen.

Doch braucht es dazu eine neue Grundsicherung? Reicht es nicht, die Arbeitslosenversicherung als vorgelagertes und beitragsfinanziertes soziales Sicherungssystem zu reformieren? Zur Erinnerung: Vor den Hartz-Reformen gab es bis zu 32 Monate Arbeitslosengeld und der Beitragssatz betrug 6,5 % (heute: 2,5 %). Danach bestand nach einer gemäßigten Bedürftigkeitsprüfung Anspruch auf die zeitlich unbefristete, steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe. Gäbe es dieses System noch, dann würden früher gutverdienende Verlierer der Digitalisierung bis zur Rente über 2000 Euro pro Monat netto erhalten, soweit sie eine Familie zu versorgen hätten.

Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld

Doch ein solches „Zurück in die Zukunft“, wie es zum Beispiel der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert, ist nicht zielführend. Zahlreiche empirische Studien belegen, dass die Dauer der Arbeitslosigkeit zunimmt, je länger das Arbeitslosengeld gezahlt wird und je höher es ausfällt.1 Anders sieht es aus, wenn sich Menschen freiwillig besser gegen Arbeitslosigkeit versichern. Das ist derzeit in der staatlichen Arbeitslosenversicherung nicht vorgesehen, und eine private Versicherung ist zwar grundsätzlich möglich, aber sehr teuer. So sollte es z. B. die Chance geben, sich im Rahmen der staatlichen Arbeitslosenversicherung durch höhere Beiträge besser zu versichern: Wer mehr einzahlt, kann dann länger und/oder mehr Arbeitslosengeld beziehen. Auch die Kombination aus Arbeitslosengeld und Qualifizierung ließe sich durch ein Facelifting des im Rahmen der Hartz-Reformen abgeschafften Unterhaltsgelds verbessern. Damit wäre sichergestellt, dass diejenigen, die sich qualifizieren, mehr Geld zur Verfügung haben, als diejenigen, die lediglich Arbeitslosengeld beziehen. Solche Lösungsansätze finden sich nicht in dem am 1. Januar 2019 in Kraft getretenen Qualifizierungschancengesetz der großen Koalition.

Doch mit Reformen der Arbeitslosenversicherung ist es nicht getan – aus vier Gründen: Erstens ist selbst bei zusätzlichen Optionen für eine freiwillige Höherversicherung die Regelbezugsdauer ein Jahr. Das heißt, in der Regel werden die Menschen bereits nach zwölf Monaten aus der Arbeitslosenversicherung herausfallen – und auf die Grundsicherung angewiesen sein. Zweitens entsteht erst ein Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn eine Mindestzeit eingezahlt wurde.2 Ist das wegen zu kurzer Beschäftigungszeit nicht der Fall, greift bei Bedürftigkeit unmittelbar die Grundsicherung. Auch wenn wegen geringer Einzahlungen wenig Arbeitslosengeld gewährt wird, besteht drittens bei Bedürftigkeit Anspruch auf Aufstockung durch die Grundsicherung. Viertens ist ein Teil der Solo-Selbstständigen von der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen, sodass sie bei Geschäftsaufgabe auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind, soweit sie nicht über ausreichende finanzielle Rücklagen verfügen.3

Doch vor dem Grundsicherungsbezug steht eine harte Bedürftigkeitsprüfung durch die Jobcenter. Erst wenn die Ersparnisse bis auf ein geringes Schonvermögen aufgelöst sind, besteht Anspruch auf die steuerfinanzierte Grundsicherung (Hartz IV). In der Welt der Jobcenter gilt das „Prinzip des Förderns und Forderns“. Die Leistungsempfänger werden schnell in Richtung Aufnahme eines zumutbaren Jobs gedrängt, auch unter ihrer Qualifikation, oder finden sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wieder. Das ist insbesondere für Menschen, die Opfer des Strukturwandels wurden, keine erfreuliche Aussicht – das macht Angst.

Nur Mini-Reformen bei Hartz IV möglich

Befürworter des bestehenden Hartz-IV-Systems räumen meist Mängel im System ein und verweisen auf Reformmöglichkeiten. So stehen immer wieder Veränderungen bei der Sanktionierung, die Erhöhung der Regelsätze und die Verbesserung der Arbeitsanreize bei Zuverdiensten von Grundsicherungsempfängern bei grundsätzlicher Beibehaltung des Prinzips des Förderns und Forderns auf der Reform-Liste.4 Doch meist kommt bei Reformbemühungen wenig heraus. Drei Beispiele sollen zur Illustration dienen.

  1. Beispiel 1: Die bereits in den 1990er Jahren als anreizfeindlich identifizierten Anrechnungsregeln für zusätzliche Verdienste von Grundsicherungsempfängern wurden nach Jahren der Diskussion minimal verändert. Dennoch wird noch jeder Euro über einem Freibetrag von 100 Euro zu 80 % auf die Grundsicherung angerechnet, sodass sich weiterhin nur Minijobs ökonomisch rechnen. Oberhalb bestimmter Einkommensgrenzen steigt die Transferentzugsrate sogar auf 90 % bis 100 % und in Teilbereichen übersteigt sie sogar 100 %, weil andere Transfers wegfallen.5 Heute wird erneut über minimale Verbesserungen der Arbeitsanreize unter Berücksichtigung des Kinderzuschlags im Rahmen des „Starke-Familien-Gesetzes“ diskutiert.6 Auch der Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen zur „Garantiesicherung“ sieht verbesserte finanzielle Arbeitsanreize vor.7
  2. Beispiel 2: Aufstocker sind Grundsicherungsempfänger, die trotz schlechter finanzieller Anreize dennoch arbeiten und ergänzend Grundsicherungsleistungen erhalten. Nach jahrelangen Diskussionen werden seit 2017 etwa 60 000 von etwa 1 Mio. Aufstockern von den personell besser ausgestatteten Arbeitsagenturen betreut. Doch das betrifft nur die Aufstocker, die auch Arbeitslosengeld beziehen. Die überwiegende Mehrheit der Aufstocker wird weiterhin von den Mitarbeitern der Jobcenter (gemeinsame Einrichtungen und zugelassene kommunale Träger) betreut.
  3. Beispiel 3: Die komplexe Antragsprüfung inklusive Bedürftigkeitsprüfung, die Neuberechnung des Anspruchs bei kleinen Statusänderungen, die Anweisung von Vorschüssen und die Einforderung von Rückzahlungen sowie das Vorgehen gegen Meldeversäumnisse verursachen hohe Bürokratiekosten. Nicht selten kommt es zu intransparenten und schwer nachvollziehbaren Bescheiden und Entscheidungen. Daraus resultieren Widersprüche und Gerichtsverfahren und viel Ärger auf Seiten der Sachbearbeiter und Antragsteller. Die Wut entlädt sich mitunter in den Jobcentern – die Liste tätlicher Angriffe ist lang. Durch die hart erkämpften Vereinfachungsgesetze hat sich nichts Wesentliches verändert, lediglich Kleinigkeiten.

So könnte es in den nächsten zehn Jahren weitergehen: Mini-Verbesserungen im Rahmen des bestehenden Grundsicherungssystems. Aber reicht das angesichts der sich ankündigenden Entwicklungen am Arbeitsmarkt? Jetzt ist die Zeit reif für Experimente mit Elementen eines völlig neu konzipierten sozialen Grundsicherungssystems.8 Dabei geht es nicht darum, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen und den Sozialstaat inklusive Sozialversicherungen abzuschaffen.9 Ein solches Unterfangen ist verantwortungslos, weil gut funktionierende Institutionen zerschlagen würden – in der Hoffnung, dass neue Strukturen die erhofften Veränderungen erbringen. Doch braucht es jetzt mutigere und langfristige Experimente im Steuer- und Transfersystem, deren Effekte nur zum Teil durch Ex-ante-Evaluationsmethoden wie Mikrosimulationen abgebildet werden können.

Basisgeld

Das Basisgeld ist die automatische Auszahlung des Regelsatzes der Grundsicherung an alle Bürger durch die Finanzämter. Der Regelsatz beträgt derzeit für Alleinstehende 424 Euro im Monat. Entsprechend niedrigere Beträge gemäß der Regelbedarfsstufen der Grundsicherung werden an Partner und Kinder ausgezahlt. Sämtliche Verdienste unterliegen jedoch ab dem ersten verdienten Euro der Steuerpflicht. Die Lohnsteuertabellen werden so neu berechnet, dass Haushalte oberhalb der Armutsrisikoschwelle genauso viele Steuern wie bisher zahlen. Das soziale Sicherungssystem bleibt unverändert.10

Ein vergleichbares Konstrukt gibt es bereits bei familienpolitischen Leistungen: das Kindergeld und den Kinderfreibetrag. Jedem Elternteil ist klar: Für ein Kind gibt es monatlich 194 Euro Kindergeld aufs Konto, ausgezahlt über die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit. Das Kindergeld ist, wenn man so will, eine Vorauszahlung auf den Kinderfreibetrag. Der Kinderfreibetrag von 7620 Euro stellt sicher, dass das Existenzminimum eines Kindes nicht besteuert wird. Am Ende des Jahres, wenn das zu versteuernde Einkommen und die Steuerschuld vom Finanzamt errechnet werden, wird das ausgezahlte Kindergeld und der Kinderfreibetrag miteinander verglichen und automatisch die für den Bürger günstigere Lösung gewählt. Für Geringverdiener ist es günstiger, das Kindergeld zu behalten. Für Besserverdienende ist der Kinderfreibetrag günstiger, weil die Steuerentlastung höher ist als der Betrag des Kindergeldes.

Würde das Kindergeld nicht mehr ausgezahlt, sondern lediglich ein Kinderfreibetrag im Rahmen des Einkommensteuerbescheids angesetzt, wäre die öffentliche Wahrnehmung eine völlig andere. Denn potenziellen Eltern ohne steuerrechtliche Grundausbildung wäre nicht unbedingt klar, dass der Staat die Geburt von Kindern finanziell unterstützt. Durch eine neue Standardeinstellung des Steuer- und Transfersystems könnte der Staat ein klares Signal senden, dass die Existenz aller Bürger abgesichert wird – durch die automatische monatliche Auszahlung eines Basisgeldes. Das Basisgeld steht für bedingungslose finanzielle Sicherheit in einer Zeit großer Veränderungen.

Steuergutschriften

Das Basisgeld sollte mit einer Steuergutschrift für bedürftige und voll sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige11 mit einer Wochenarbeitszeit von mindestens 30 Stunden verbunden sein. Die Höhe der Steuergutschrift ist vom Haushaltstyp abhängig und stellt ein verfügbares Einkommen in Höhe der Armutsrisikoschwelle sicher.12 Es wird von den Finanzämtern ohne Antrag nach einer Einkommensprüfung13 automatisch monatlich berechnet und ausgezahlt – analog zur Günstigerprüfung im bestehenden Kindergeld- und Kinderfreibetragssystem. Damit wäre jeder bedürftige Haushalt in Deutschland, in dem eine Person sozialversicherungspflichtig in Vollzeit arbeitet, nicht mehr zur Antragstellung beim Jobcenter gezwungen, sodass verdeckte Armut aus Unwissenheit oder Scham beseitigt wäre.

China: Bruttoinlandsprodukt und alternative Aktivitätsmaße

Die Kombination aus Basisgeld und Steuergutschrift ist de facto eine zeitlich unbefristete, monatliche Negativsteuer. Damit zahlt die Finanzverwaltung eine negative Steuerschuld monatlich vorab aus. Gleichzeitig verändern sich die Lohnsteuertabellen, sodass sich bei abhängig Beschäftigten das vom Arbeitgeber ausgezahlte Nettoeinkommen um das Basisgeld verringert. Das verfügbare Einkommen bleibt somit für Einkommensbezieher oberhalb der Armutsrisikoschwelle unverändert. Liegt das Nettoeinkommen jedoch unter der Armutsrisikoschwelle, so wird die Steuergutschrift automatisch so berechnet, dass ein verfügbares Einkommen in Höhe der Armutsrisikoschwelle zur Verfügung steht (vgl. Kasten 1).

Steuergutschriften spielen im deutschen Einkommensteuerrecht derzeit keine Rolle, doch sind sie elementarer Bestandteil im US-amerikanischen und britischen Steuersystem. Der sogenannte Earned Income Tax Credit (EITC) ist das größte steuerfinanzierte Armutsbekämpfungsprogramm in den USA, der britische Universal Credit ist ein zentrales Politikinstrument im britischen Transfersystem. Aus den amerikanischen und britischen Erfahrungen lernt man, dass eine anreizfreundliche Ausgestaltung des Systems möglich ist, und Sicherungsmechanismen gegen die Ausbeutung des Systems durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingebaut werden müssen.

Zielgruppe der Steuergutschriften

Die Steuergutschrift soll hohe Anreize für die Aufnahme einer Vollzeittätigkeit der Bedürftigen setzen. Eigenes Einkommen wird durch die Gutschrift automatisch und ohne Antrag auf das Niveau der Armutsrisikoschwelle erhöht. Die Steuergutschrift erhalten jedoch nur bedürftige Geringverdiener, um Mitnahmeeffekte zu vermeiden. Dabei geht es zum einen um die etwa 1,6 Mio. arbeitslos gemeldeten Grundsicherungsempfänger. Zum anderen sollen die etwa 1 Mio. bereits erwerbstätigen Grundsicherungsempfänger (Aufstocker), von denen die meisten wegen der restriktiven Hinzuverdienstgrenzen im Mini-Minijob mit 100 Euro bis 200 Euro oder im Minijob verharren,14 mit Steuergutschriften Anreize zur Vollzeitbeschäftigung erhalten. Weiterhin sollen auch Geringverdiener außerhalb der Grundsicherung eine Steuergutschrift erhalten, soweit sie mit ihrem verfügbaren Einkommen unter der Armutsrisikoschwelle liegen. Dagegen sind Geringverdiener, die nicht bedürftig sind, bewusst ausgeschlossen, um Mitnahmeeffekte zu vermeiden. Somit sind z. B. Zweitverdiener, die mit einem Besserverdiener einen Haushalt bilden, oder jobbende Schüler, Studenten und Rentner von der Beantragung von Steuergutschriften beim Finanzamt ausgeschlossen, sobald das Haushaltseinkommen oberhalb der Armutsrisikoschwelle liegt. Die Einkommensprüfung findet beim Finanzamt statt.

Zeitlich unbefristete Steuergutschriften könnten auch mit befristeten Steuergutschriften kombiniert werden. Damit besteht die Möglichkeit, noch höhere Arbeitsanreize z. B. für Alleinerziehende mit Kindern in die Grundsicherung einzubauen. Befristete Zuschüsse zum Arbeitsentgelt haben sich in Großbritannien als beschäftigungsfördernd und kosteneffizient bewährt.15 In der deutschen Grundsicherung wird seit zehn Jahren ein befristeter Zuschuss zum Arbeitseinkommen als Einstiegsgeld gewährt.16

Die Missbrauchsanfälligkeit eines Kombi-Einkommens aus eigenem Verdienst und Steuergutschriften darf nicht ignoriert werden. So könnten Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine niedrigere Entlohnung vereinbaren, um sich eine in diesem Fall höhere Steuergutschrift aufteilen zu können. Doch diese „moral hazard“-Probleme sind beherrschbar. Zum einen sind bei Vollzeittätigkeiten für Grundsicherungsempfänger keine hohen Stundenlöhne zu erwarten. Zum anderen zieht der gesetzliche Mindestlohn eine Lohnuntergrenze ein. Damit entsteht lediglich ein geringer Spielraum für die Absenkung von Löhnen, sodass der Aufwand der Konstruktion solcher Vereinbarungen zulasten der Steuerzahler höher als der Ertrag sein dürfte. Auch könnten Scheinarbeitsverhältnisse zu niedrigen Löhnen zur Maximierung von Steuergutschriften geschlossen werden. Mit der Begrenzung auf voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sollte dieser potenzielle Missbrauchskanal minimiert sein. Längerfristige Modellversuche werden Aufschluss über die empirische Relevanz dieser Missbrauchskonstruktionen geben.

Fiskalische Einführungskosten

Im Gegensatz zu Vorschlägen zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, die mit fiskalischen Einführungskosten von fast 1 Billion Euro verbunden sein können, sind die Einführungskosten einer neuen Standard­einstellung wesentlich geringer. Sie bestehen zum einen aus IT-Umstellungs- und Schulungskosten in der Finanzverwaltung. In einer Zeit, in der jeder Bürger ein Recht auf ein Bankkonto hat und die Finanzverwaltung weitgehend digitalisiert ist, dürften die Umstellungskosten geringer denn je sein. Jedoch darf der zusätzliche Aufwand für die Finanzverwaltung nicht unterschätzt werden, sodass Modellversuche mit einzelnen Finanzverwaltungen zwingend notwendig sind.

Zum anderen entstehen zusätzliche fiskalische Kosten durch die automatische Anhebung des verfügbaren Einkommens bedürftiger Geringverdiener auf das Niveau der Armutsrisikoschwelle durch Steuergutschriften.17 Damit ist eine 100 %-ige Inanspruchnahme-Quote gewährleistet, was mit zusätzlichen Kosten von 3 Mrd. Euro bis 6,5 Mrd. Euro pro Jahr verbunden ist.18 Hinzu kommen fiskalische Kosten durch die Gewährung der Steuergutschriften bis zur Armutsrisikoschwelle. Eine fiskalisch günstigere Variante ist die Einführung eines Erwerbszuschusses im Rahmen der Hinzuverdienstregelungen in der Grundsicherung, weil damit auch eine Vermögensprüfung notwendig ist. Nach einem Vorschlag des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) entstehen durch einen Erwerbszuschuss, der auf Antrag vom Jobcenter ausgezahlt wird, fiskalische Mehrkosten in Höhe von 2,7 Mrd. Euro.19

Sobald derzeitige Bezieher von Grundsicherungsleistungen mehr als bisher arbeiten, reduzieren sich die fiskalischen Kosten. Ein Zahlenbeispiel soll der Illustration der Größenordnung dienen: Wenn ein Single-Haushalt, der bisher nicht gearbeitet hat, eine Vollzeitstelle zum Mindestlohn annimmt, dann sind etwa 50 Euro Steuergutschrift pro Monat notwendig, um ein Einkommen oberhalb der Armutsrisikoschwelle zu gewährleisten (vgl. Kasten 1). Im Gegenzug entfallen Grundsicherungsleistungen, sodass der Staat netto einspart.

Dagegen sollten keine Einsparungen bei den Jobcentern einkalkuliert werden. Zwar entfällt bei den Jobcentern die Berechnung der Grundsicherungsleistungen, soweit es die Regelsätze betrifft. Doch es gibt unverändert Bedürftigkeitsprüfungen und Leistungsbescheide für die Kosten der Unterkunft sowie einmalige Bedarfe.20 Insgesamt entsteht Spielraum für mehr Fördern durch Beratung und Betreuung.

Die fiskalischen Effekte hängen wesentlich von den Beschäftigungseffekten ab – sie können nicht durch „morning after“-Simulationen berechnet werden. Auch erfassen Mikrosimulationen nur einen Teil der Verhaltensanpassungen. So lässt sich erst nach Modellversuchen die fiskalische Belastung bei einer bundesweiten Einführung besser abschätzen. Die fiskalischen Einführungskosten lassen sich durch intelligent ausgestaltete Steuergutschriften und eine politisch kluge Setzung der Armutsrisikoschwellen begrenzen, sodass sie kein Killer-Argument gegen eine solche Reform liefern.

Entfallen damit Sanktionierungsmöglichkeiten? Zum Teil. Kürzungen des Regelsatzes bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen sind nicht mehr möglich. Insofern verringern sich die Arbeitsanreize durch Druck bzw. die Androhung von Sanktionierung. Das wird sich negativ auf die Beschäftigungseffekte auswirken. Doch den Jobcentern stehen weiterhin Sanktionen bei der Erstattung der Kosten der Unterkunft und bei einmaligen Leistungen zur Verfügung. Hier könnte z. B. mit bürokratieentlastenden Pauschalen für die Unterkunft und Sachleistungen gearbeitet werden. Auch Hausbesuche bei Leistungsbeziehern, die in teuren Immobilien wohnen und mit Luxusautos zum Jobcenter fahren, sind weiterhin möglich. Selbstverständlich muss dabei Obdachlosigkeit vermieden werden. Würde das Basisgeld jedoch um ein pauschaliertes Wohngeld ergänzt, entfielen Sanktionsmöglichkeiten.

Mögliche Verhaltenseffekte

Worin könnte der zusätzliche Erkenntnisgewinn von Experimenten mit Kontrollgruppen bestehen? Wir wissen, dass Veränderungen der Standardeinstellung sehr große Verhaltensänderungen bewirken können. Bekanntestes Beispiel ist die Organspende. Der Übergang von der Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung, also von „opt-in“ zu „opt-out“, hat in vielen europäischen Ländern zu wesentlich mehr potenziellen Organspendern geführt.

Basisgeld und Steuergutschriften setzen auf die Absicherung des physischen Existenzminimums und hohe Arbeitsanreize für die Aufnahme von Vollzeittätigkeit. Damit erhöht sich der Arbeitsanreiz für Nicht-Erwerbstätige, Minijobber und Teilzeitbeschäftigte, eine Vollzeitstelle anzunehmen. Auch erhöht sich der Anreiz für vollzeiterwerbstätige Geringverdiener mit Familien in Beschäftigung zu bleiben – sie erhalten jetzt eine Steuergutschrift vom Finanzamt und nicht mehr aufstockendes Arbeitslosengeld II vom Jobcenter. Das ist kein unwichtiger Effekt, denn derzeit arbeiten 150 000 Grundsicherungsempfänger trotz hoher Transferentzugsraten Vollzeit, was ökonomisch nicht rational ist.

Für Geringverdiener ist die zu untersuchende experimentelle Maßnahme die Kombination aus Basisgeld und Steuergutschrift. Als Ergebnisindikatoren bieten sich neben Beschäftigungsaufnahmen und Zahl der Arbeitsstunden auch die Qualität der Arbeit, subjektive Lebenszufriedenheit und soziale Teilhabe durch Arbeit an. Die Kontrollgruppe müsste sich aus Personen nicht-teilnehmender Finanzverwaltungen mit vergleichbarer Wirtschaftsstruktur zusammensetzen, um kausale Effekte messen zu können.

Für Erwerbstätige, die weit über der Armutsrisikoschwelle verdienen, ist lediglich das Basisgeld die zu untersuchende experimentelle Maßnahme. Das verfügbare Einkommen dieser Arbeitnehmer verändert sich nicht. Denn bei der Berechnung des Nettoeinkommens durch den Arbeitgeber werden die neuen Lohnsteuertabellen angewendet, sodass die Kombination aus Basisgeld und neu berechneten Nettoeinkommen wieder das bisherige verfügbare Einkommen ergibt. Das könnte als fair empfunden werden, weil alle Bürger Basisgeld erhalten. Es könnte aber auch als Lohnkürzung fehlinterpretiert werden, weil sich das Nettoeinkommen auf der Lohnabrechnung verringert. Ergebnisindikatoren könnten hier neben Beschäftigung und Arbeitsvolumen auch durch Umfragen gewonnene Einschätzungen zu Transparenz und Verständlichkeit, Fairness, Sicherheit und Zusammenhalt in der Gesellschaft umfassen. Denn ein Ziel der Umstellung ist es auch, allen Bürgern zu verdeutlichen, dass der Staat das physische Existenzminimum ohne Bedürftigkeitsprüfung in jedem Fall absichert.

Vollzeiterwerbstätige Geringverdiener, die ein Einkommen auf dem Niveau der Armutsrisikoschwelle erzielen, könnten nach den Erfahrungen aus Modellversuchen mit der negativen Einkommensteuer in den USA ihre Arbeitszeit reduzieren, sodass sie weniger verdienen, jedoch eine Steuergutschrift erhalten können. Möglich ist auch, dass Zweitverdiener in Haushalten ihre Stellen aufgeben. Diese Verhaltensreaktionen sind nicht auszuschließen, auch wenn die Bedürftigkeitsprüfung beim Finanzamt als Hürde eingebaut ist. Für vollzeiterwerbstätige Geringverdiener unterhalb der Armutsrisikoschwelle könnte der Anreiz bestehen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, um dann eine höhere Steuergutschrift zu erhalten. Das verfügbare Einkommen bliebe dann unverändert, doch es gäbe mehr Freizeit. Diese Verhaltensreaktion ist ebenfalls nicht auszuschließen. Die empirische Dimension dieser Verhaltensreaktionen lässt sich nur in Experimenten abschätzen.

Zweifellos darf man sich bei der Neugestaltung des Steuer- und Transfersystems im 21. Jahrhundert keinen Illusionen hingeben. Wer es heute darauf anlegt, Dauerkunde im Grundsicherungssystem zu sein, dem wird das bei Kenntnis des Systems und entsprechend krimineller Energie zumindest zeitweise gelingen. Auch ist die Annahme eines Mini-Minijobs (100 Euro) als „Tarnkappenarbeitsverhältnis“, um unter der Tarnkappe des Minijobs einer Beschäftigung in der Schattenwirtschaft nachzugehen, eine Verhaltensreaktion – das Ausmaß lässt sich jedoch nicht einschätzen.21 Experimente werden auch Anpassungsreaktionen offenlegen, die selbst erfahrene Praktiker und Wissenschaftler nicht antizipieren können. Gerne werden in der öffentlichen Berichterstattung negative Beispiele hervorgehoben. Es lassen sich jedoch auch sehr viele positive Beispiele darstellen, dass Menschen mit Förderung ihr Schicksal in die eigene Hand genommen haben, um ein Einkommen oberhalb der Grundsicherung zu erzielen. Letztlich geht es bei dieser Auseinandersetzung um das eigene Menschenbild.

Illusionäres Menschenbild?

So lehnen Kritiker des bedingungslosen Grundeinkommens Modellversuche auch deshalb kategorisch ab oder halten sie für überflüssig, weil sie ein illusionäres Menschenbild unterstellen. Wer automatisch Grundsicherungsleistungen erhält, der bekommt Geld fürs Nichtstun, ist eine gängige Einschätzung. Dahinter stehe ein illusionäres Menschenbild des aufgeklärten und mündigen Bürgers, der auf dem Arbeitsmarkt gemäß seinen Kompetenzen und Leidenschaften aktiv sein wird, wenn das physische Existenzminimum bedingungslos abgesichert ist. Nicht-repräsentative Befragungen zum Grundeinkommen zeigen jedoch, dass Menschen zwar anderen Nichtstun unterstellen, jedoch angeben, selbst weiterarbeiten zu wollen.

Zur Erinnerung: Bevor das Bundessozialhilfegesetz im Jahr 1962 in Kraft trat, gab es intensive Diskussionen darüber, inwieweit ein Grundeinkommen vom Staat zur Verfügung gestellt werden soll. Weshalb sollte der Fürsorgestaat durch einen modernen Sozialstaat mit einem Rechtsanspruch bei Bedürftigkeit ersetzt werden? Im damals sozialpolitisch wegweisenden Gesetz wurde explizit auf das Grundgesetz verwiesen: „Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht.“22 Aber es wurde auch der Nachrang der Hilfe festgelegt. Erst sollten eigene Mittel aufgebraucht werden, bevor die staatliche Hilfe zur Selbsthilfe für Bedürftige in Anspruch genommen werden konnte. Heute argumentiert beispielsweise Liebermann, dass das Menschenbild des bedingungslosen Grundeinkommens dem Menschenbild der Demokratie entspricht: „Was für die Bürgerrechte im Grundgesetz schon verwirklicht ist: bedingungslos (ohne Verpflichtung zur Gegenleistung) verliehen zu werden, würde mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen zum führenden Prinzip der Sozialpolitik“23.

Welches Menschenbild das realistische ist, lässt sich nicht entscheiden. Die Entwicklung der Verhaltensökonomie in den letzten Jahrzehnten hat jedoch gezeigt, dass das Menschenbild des „homo oeconomicus“ wenig mit der Realität zu tun hat. So zeigen z. B. die Arbeiten von Kahneman eindrucksvoll, dass die Menschen ihre Entscheidungen häufig nicht rational treffen.24

Zuwanderungsmagnet Sozialstaat?

Auch wird behauptet, dass das deutsche Sozialsystem als „Zuwanderungsmagnet“ wirke, das insbesondere geringqualifizierte Migranten aus der Europäischen Union anziehe.25 Würde eine automatische Auszahlung des Regelsatzes den Zuwanderungsmagneten verstärken? Käme es zu einer „Abstimmung mit den Füßen“, also einer Zuwanderung aus EU-Ländern mit weniger attraktivem Sozialstaat?

Jeder Vorschlag zur Reform der Grundsicherung muss im Jahr 2019 thematisieren, dass Deutschland als offene Volkswirtschaft, in die erweiterte Europäische Union voll eingebunden ist. Derzeit bestehen in Deutschland keine Übergangsmaßnahmen für Staatsangehörige neu beigetretener EU-Mitgliedstaaten mehr, sodass volle Arbeitnehmerfreizügigkeit herrscht. Aber es muss auch zur Kenntnis genommen werden, dass mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde extreme Niedriglohnbeschäftigung weitgehend verhindert wird. Auch existiert eine fünfjährige Sperrfrist für den Zugang zu Leistungen der Grundsicherung und des sozialen Sicherungssystems. Der Zuwachs ist auf 45 Mio. Beschäftigte im Jahr 2018 in Deutschland insbesondere von der Zuwanderung qualifizierter Arbeitnehmer aus der Europäischen Union getrieben. Auch zeigt der Zuwanderungsmonitor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass sich die positive Beschäftigungsentwicklung bei Personen aus Bulgarien und Rumänien fortsetzt, die Beschäftigungsquote sogar über dem EU-Ausländerdurchschnitt liegt und die Grundsicherungsquote unterhalb des Durchschnitts der ausländischen Bevölkerung liegt.26 Doch aus der Erfahrung und genauer Marktbeobachtung lassen sich weniger missbrauchsanfällige Systeme entwickeln, die ständig verbessert werden müssen. Solche Kontrollmechanismen sollten bereits bei Experimenten mitgedacht werden.

Langfristige Experimente sind möglich

Gegen Experimente mit Kontrollgruppen wird häufig eingewandt, dass sie rechtlich nicht möglich, ethisch fragwürdig und politisch nicht durchzuhalten sind. Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes sind Experimente jedoch grundsätzlich rechtlich möglich, wenn niemand schlechter gestellt wird und die Verhaltenseffekte unklar sind.27 Zwingend notwendig ist eine Experimentierklausel in relevanten Gesetzen, um die notwendige Anpassung der Lohnsteuertabellen rechtlich abzusichern. Da Kontrollgruppen von der experimentellen Maßnahme (Basisgeld und Steuergutschriften) ausgeschlossen sind, könnte mit Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz aus ethischen Gründen gegen ein solches Design argumentiert werden. Doch jedes kommunale Programm schließt Bürger anderer Kommunen, und jedes Landesprogramm schließt Bürger anderer Bundesländern aus. So könnte ein Experiment z. B. in einem Finanzamtsbezirk oder in einem Stadt- oder Landkreis oder Bundesland durchgeführt werden – mit einer Kontrollgruppe in vergleichbaren Bezirken/Kommunen/Bundesländern.

Auch politisch ist es möglich längerfristige Experimente durchzuhalten. So dauerte es etwa sieben Jahre von den ersten Modellversuchen zur Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe bis zum Hartz-IV-Gesetz. Auch dauerte es sieben Jahren von den ersten Experimenten mit dem sozialen Arbeitsmarkt bis zur Verabschiedung des Teilhabechancengesetzes.

Fazit zur neuen Standardeinstellung

Die Kombination aus Basisgeld und Steuergutschriften verbindet die bedingungslose Absicherung des Existenzminimums mit einem hohen Anreiz, Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen. Damit ist die sanktionsfreie Gewährung des Existenzminimums ohne Stigmatisierung möglich. So erhalten alle Bürger – auch verdeckt Arme, die aus Scham oder Unwissenheit keine Grundsicherungsleistungen beantragen – die finanziellen Mittel für die Absicherung des Existenzminimums. Auch erhalten bedürftige vollzeiterwerbstätige Geringverdiener automatisch eine Steuergutschrift, damit ihr verfügbares Einkommen dem Niveau der Armutsrisikoschwelle entspricht. Das System ist leicht verständlich: Gleiches Basisgeld für alle und eine automatisch berechnete Steuergutschrift ohne Antrag bei sozialversicherungspflichtiger Vollzeittätigkeit lautet die vorgeschlagene Standardeinstellung. Längerfristige Experimente sind rechtlich und politisch möglich sowie ethisch vertretbar. Der mögliche Erkenntnisgewinn rechtfertigt die Experimentierkosten. Schließlich geht es darum, einen möglichen „Quantensprung“ bei der sozialen Grundsicherung vorzubereiten. Experimente ergänzen Mikrosimulationen und dienen dazu, Unsicherheiten über Verhaltensreaktionen zu minimieren.

  • 1 Vgl. R. Lalive: How do extended benefits affect unemployment duration?, A Regression Discontinuity Approach, in: Journal of Econometrics, 142. Jg. (2008), H. 2, S. 785-806.
  • 2 Nach dem Qualifizierungschancengesetz haben Erwerbstätige ab 2020 30 Monate statt bisher 24 Monate Zeit, um mindestens zwölf Monate in die Arbeitslosenversicherung einzuzahlen, was die Voraussetzung für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ist.
  • 3 Die freiwillige Versicherung für Selbstständige bei der staatlichen Arbeitslosenversicherung ist stark eingeschränkt. Es dürfen sich lediglich ehemalige Arbeitslosengeldbezieher und Existenzgründer, die innerhalb der letzten zwei Jahre vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit mindestens ein Jahr in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden haben, freiwillig versichern.
  • 4 Nach Meldungen, dass die Zahl der Hartz-IV-Haushalte erstmals unter 3 Mio. sank, sehen führende Sozialpolitiker der CDU und FDP sowie der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele (SPD), lediglich geringfügigen Reformbedarf bei der Grundsicherung, vgl. o.V.: Chef der Bundesagentur will Hartz-IV-Reform, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3.1.2019.
  • 5 F. Buhlmann, M. Löffler, A. Peichl: Grenzbelastungen im Steuer-, Abgaben- und Transfersystem, Bertelsmann Stiftung 2017.
  • 6 Vgl. o.V.: „Starke-Familien-Gesetz“ beschlossen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.1.2019; ZEW-News vom März 2018.
  • 7 Vgl. M. Blömer, A. Peichl: Ein „Garantieeinkommen für Alle“, Ifo Forschungsberichte, Nr. 97, 2018.
  • 8 Zur langjährigen wissenschaftlichen Begleitung des Hartz-IV-Systems durch den Autor vgl. A. Spermann: Das „Einstiegsgeld“ für Langzeitarbeitslose, in: Wirtschaftsdienst, 76. Jg. (1996), H. 5, S. 240-246; A. Spermann: Das Einstiegsgeld Plus bei einer Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, in: Wirtschaftsdienst, 82. Jg. (2002), H. 11, S. 667-674, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/downloads/getfile.php?id=98 (26.2.2019).
  • 9 Dieser Vorschlag findet sich bei T. Straubhaar: Radikal gerecht, Hamburg 2017.
  • 10 Der Vorschlag eines Basisgeldes findet sich erstmals in A. Spermann: Basic Income in Germany: Proposals for Randomised Controlled Trials using Nudges, Basic Income Studies, 2017.
  • 11 In diesem Beitrag wird aus Vereinfachungsgründen von nicht-sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung abstrahiert.
  • 12 Es geht also nicht um eine feste Transferentzugsrate, sondern um eine Aufstockung bis zur Armutsrisikoschwelle bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung. Ein solcher Vorschlag erfüllt das KIS-Prinzip: Keep it simple. Damit entfallen schwer verständliche Transferentzugsraten. Der Grundgedanke der Aufstockung bis zur Armutsrisikoschwelle findet sich bereits im „Vier-Komponenten-Modell“ von A. Spermann: Basic Income Reform in Germany: Better gradualism than Cold turkey, in: Applied Economics Quarterly Supplement, 57. Jg. (2006), S. 113-130. Ähnliche Überlegungen finden sich bei W. Strengmann-Kuhn: Armut trotz Erwerbstätigkeit, Frankfurt 2001. Da die Armutsrisikoschwellen je nach Datensatz variieren und erst im Nachhinein berechnet werden können, müssen die jeweiligen Werte politisch festgesetzt werden.
  • 13 Bei der Berechnung der Steuergutschrift werden selbstverständlich auch Sozialleistungen wie Kindergeld und Wohngeld berücksichtigt. Es geht um ein verfügbares Einkommen in Höhe der Armutsrisikoschwelle. Eine Vermögensprüfung entfällt bei dieser Finanzamtslösung.
  • 14 Nach Schätzungen arbeiten nur etwa 150 000 Leistungsempfänger in Vollzeit; vgl. K. Brenke: Hartz IV: starker Rückgang der Arbeitslosen, aber nicht der Hilfebedürftigen, in: DIW-Wochenbericht, Nr. 34/2018, S. 718-729.
  • 15 Vgl. R. Hendra et al.: Breaking the low pay, no-pay cycle: Final evidence from the UK Employment Retention and Advancement (ERA) demonstration, Department for Work and Pensions, Research Report, Nr. 765, 2011.
  • 16 Im Jahr 2018 wurden 55 000 Personen mit dem Einstiegsgeld neu gefördert, rund 5000 mehr als im Vorjahreszeitraum, vgl. Bundesagentur für Arbeit: Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Dezember und das Jahr 2018, Nürnberg 2018, S. 35.
  • 17 Die Armutsrisikoschwelle lag 2015 für einen Single-Haushalt auf der Basis der SOEP-Stichprobe bei etwa 1090 Euro pro Monat. Für das Zahlenbeispiel in Kasten 1 wurde eine Armutsrisikoschwelle für 2019 in Höhe von 1200 Euro pro Monat angenommen. Vgl. M. Grabka, J. Goebel: Einkommensverteilung in Deutschland: Realeinkommen sind seit 1991 gestiegen, aber mehr Menschen beziehen Niedrigeinkommen, in: DIW-Wochenbericht, Nr. 21/2018, S. 450-459.
  • 18 M. Blömer, A. Peichl: Ein „Garantieeinkommen für Alle“, ifo Forschungsberichte, Nr. 97, München 2018, S. 52.
  • 19 Dabei wurde eine Reduzierung des Freibetrags von 100 Euro auf 50 Euro, eine Transferentzugsrate von 90 % bis zur Minijob-Einkommensgrenze von 450 Euro und 60 % über 450 Euro sowie die Abschaffung der Vollanrechnung simuliert. Eine solche Reform führt zu höherer Arbeitsmarktpartizipation (+42 400 Personen), höherem Arbeitsvolumen (+110 000 Vollzeitäquivalente) und geringerer Armutsquote (-8,8 %); vgl. K. Bruckmeier, J. Mühlhan, J. Wiemers: Erwerbstätige im unteren Einkommensbereich stärken, IAB-Forschungsbericht, Nr. 9, Nürnberg 2018.
  • 20 Grundsätzlich spricht nichts dagegen, die Kosten der Unterkunft – analog zu BAföG – pauschaliert zusammen mit dem Basisgeld auszuzahlen. Dann könnte das erweiterte Basisgeld in Höhe des BAföG-Satzes ausgezahlt werden. Im Jahr 2019 beträgt der Höchstsatz 735 Euro – er soll nach einem Gesetzentwurf der großen Koalition bis 2020 in zwei Stufen auf 850 Euro steigen.
  • 21 Vgl. H. Genz, A. Spermann: Das Mannheimer Grundsicherungsmodell – der Weg zu einer effizienteren und gerechteren Grundsicherung ohne Absenkung des Arbeitslosengeld II-Niveaus“, ZEW Discussion Paper, Nr. 07-002, 2007.
  • 22 Zitiert nach G. Cremer: Armut in Deutschland, München 2016, S. 58.
  • 23 Vgl. S. Liebermann: Das Menschenbild des Grundeinkommens – Wunschvorstellung oder Wirklichkeit?, in: G. W. Werner, W. Eichhorn, L. Friedrich: Das Grundeinkommen, Karlsruhe 2012, S. 11.
  • 24 Vgl. D. Kahneman: Thinking, Fast and Slow, New York 2011.
  • 25 „Der Sozialstaat wirkt aus diesen Gründen wie ein zweipoliger Magnet für den wanderungsbereiten Menschen. Mit der einen Seite stößt er die reichen Nettozahler ab und mit der anderen zieht er die armen Kostgänger des Staates an.“, vgl. H.-W. Sinn: Ist Deutschland noch zu retten?, München 2003, S. 429. In der Weihnachtsvorlesung vom 17.12.2018 findet sich diese Argumentationslinie wieder, http://www.hanswernersinn.de/de/video-vortrag-die-bedeutung-des-brexit-fuer-deutschland-und-europa-17122018 (26.2.2019).
  • 26 Vgl. H. Brücker et al.: Zuwanderungsmonitor, Nürnberg, Juli 2018.
  • 27 Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags: Rechtliche Voraussetzungen für Pilotprojekte zum Grundeinkommen, WD-6-3000-115/116, Berlin 2016.

Title:Basic Money Plus Tax Credits Instead of Hartz IV

Abstract:The author proposes randomised controlled trials in Germany with a partial non-conditional basic income scheme in combination with tax credits for full-time employment of low-income recipients. Such a new default option might lead to favourable behavioural responses such as more full-time work, less poverty and a higher acceptance of basic income by taxpayers. Fiscal introduction costs are low if targeting minimises deadweight effects und the poverty line is set appropriately. Field experiments with control groups are complementary to microsimulation studies and reduce uncertainties with respect to the empirical relevance of behavioural reactions.

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DOI: 10.1007/s10273-019-2416-x