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Die Konjunktur in Deutschland, die in der zweiten Jahreshälfte 2018 ins Stocken geraten war, ist in den ersten Monaten des Jahres 2019 wieder auf einen moderaten Wachstumspfad zurückgekehrt. Mit auf Jahresbasis hochgerechneten 1,7 % lag die Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) im ersten Quartal 2019 sogar etwas über dem Potenzialpfad. Dabei spielten zwar auch das Nachlassen der negativen Sondereffekte von Ende 2018 (durch Änderungen der Abgas-Prüfstandards in der Autoindustrie verursachte Produktionskürzungen und Zulassungsstaus) und relativ mildes Winterwetter eine Rolle, Hauptgrund war aber eine starke private Binnennachfrage. Privater Konsum, Unternehmensinvestitionen und Bautätigkeit nahmen zu Beginn 2019 kräftig zu. Der private Konsum wird weiter von dem deutlichen Anstieg von Beschäftigung und Löhnen gestützt. Die Bauwirtschaft profitiert nicht allein vom boomenden Wohnungsbau, sondern auch vom – bei gut gefüllten Kassen und erheblichem Nachholbedarf in der Infrastruktur – öffentlichen und vom Unternehmensbereich. Die hohe Baunachfrage hat allerdings zu einem kräftigen Baupreisanstieg geführt, inzwischen von mehr als 5 % im Vorjahresvergleich. Überdies gab es etwas überraschend wieder einen Wachstumsbeitrag des Außenhandels; zum ersten Mal seit 2017 nahmen die Exporte wieder etwas stärker zu als die Importe. Der leichte Rückgang der staatlichen Konsum­ausgaben gegenüber dem letzten Quartal des Vorjahres ist vor dem Hintergrund des starken Anstiegs Ende 2018 zu sehen; im Vorjahresvergleich stiegen die Konsumausgaben des Staates immerhin um real 1,4 %.

Der Arbeitsmarkt hat sich unter diesen Bedingungen weiter gut entwickelt. Der Beschäftigungsanstieg hat sich tendenziell zwar etwas verlangsamt, ist aber immer noch kräftig – kräftiger als die Produktionsentwicklung, sodass rein rechnerisch die Arbeitsproduktivität seit einigen Quartalen sinkt, und die Lohnstückkosten deutlich gestiegen sind. Die Arbeitslosenquote liegt nun saisonbereinigt knapp unter 5 % (vgl. Tabelle 1). Auch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung steigt rasch, und die ausschließlich geringfügige Beschäftigung geht zurück. Die Inflationsrate, die zu Beginn 2019 mit wieder gesunkenen Ölpreisen deutlich unter die 2 %-Marke gefallen war (im März 1,3 %), zog mit dem Schwenk bei den Ölpreisen wieder auf 2 % an. Ohne Energiepreise hätte die Anstiegsrate der Verbraucherpreise im April 1,7 % betragen. Wie moderat die Preisentwicklung ist, zeigt sich bei ausgewählten Teilindizes, wie den Nahrungsmitteln, deren Preise zuletzt um 0,8 % gegenüber dem Vorjahr zulegten und den Nettokaltmieten, die 1,4 % höher waren als vor einem Jahr. Der geringe Mietenanstieg mag zunächst verwundern, liegt aber trotz der in den Ballungszentren stark anziehenden Mieten bei Neuvermietungen an den recht konstanten Bestandsmieten, die einen weit größeren Anteil haben.

Tabelle 1
Eckdaten für Deutschland
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
2017 2018 2019 2020
Bruttoinlandsprodukt1 2,2 1,4 0,9 1,7
Private Konsumausgaben 1,8 1,0 1,4 1,2
Staatliche Konsumausgaben 1,6 1,0 1,2 1,2
Anlageinvestitionen 2,9 2,6 3,0 2,8
Ausrüstungen 3,7 4,2 3,0 4,0
Bauten 2,9 2,4 4,0 1,9
Sonstige Anlagen 1,3 0,4 0,2 2,9
Inlandsnachfrage 2,0 1,9 1,2 1,4
Ausfuhr 4,6 2,0 2,5 4,8
Einfuhr 4,8 3,3 3,6 4,7
Arbeitsmarkt
Erwerbstätige 1,4 1,3 0,9 0,3
Arbeitslose (in Mio.) 2,53 2,34 2,21 2,14
Arbeitslosenquote2 (in %) 5,4 5,0 4,7 4,5
Verbraucherpreise 1,5 1,8 1,7 2,0
Finanzierungssaldo des Staates (in % des BIP) 1,0 1,7 1,4 1,2
Leistungsbilanzsaldo3 (in % des BIP) 8,0 7,3 7,0 6,9

1 Preisbereinigt.  2 Arbeitslose in % der inländischen Erwerbspersonen (Wohnortkonzept).  3 In der Abgrenzung der Zahlungsbilanzstatistik.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Deutsche Bundesbank.

Die Konjunkturperspektiven für die nächsten Monate sind durch verschiedene Faktoren etwas eingetrübt. Die Industrie schwächelt im Moment; Produktion und Auftragslage sind gedrückt. Überdies halten einige politische Unsicherheiten an. Belastend für die deutsche Wirtschaft wirken vor allem verschiedene Einflüsse von außen. Die Brexit-Frage ist nach wie vor ungeklärt. Die aktuell schwebende Situation ist für die deutsche Exportwirtschaft zwar besser als ein ungeordneter Brexit, ein geordneter Austritt Großbritanniens mit weitgehend freizügigen Handelsbeziehungen würde die Planungs- und Handlungsgrundlagen allerdings stabilisieren. Ebenso droht weiterhin die Möglichkeit von US-Strafzöllen, die insbesondere die deutsche Autoindustrie treffen würden. Aber auch die angespannten Handelsbeziehungen zwischen den USA und China treffen viele deutsche Unternehmen indirekt. Die jüngste Iran-Krise verunsichert zudem die Ölmärkte, trifft aber auch die deutschen Exporteure. Das alles hat Auswirkungen auf das Geschäftsklima, insbesondere Exporterwartungen und Investitionsbereitschaft. Die binnenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleiben für sich gesehen jedoch weiterhin relativ günstig. Bei weiter zunehmender Beschäftigung sowie realen Lohnzuwächsen sowie deutlichen Rentenerhöhungen steigt die Kaufkraft und damit auch die Konsumnachfrage. In der Bauwirtschaft ist das Auftragseingangsvolumen auf Rekordniveau; arbeitstäglich- und preisbereinigt mehr als 10 % über Vorjahrsniveau. Überdies scheint sich die Lage in der Autoindustrie, die für die Schwäche in der zweiten Jahreshälfte 2018 mitverantwortlich war, zu stabilisieren.

Unter der Bedingung, dass die außenwirtschaftspolitischen Unsicherheiten sich gegenüber der jüngeren Vergangenheit zumindest nicht verschlechtern, werden weiterhin die insgesamt günstigen binnenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen die weitere Wirtschaftsentwicklung dominieren. Der zu Jahresbeginn wieder aufgenommene moderate Wachstumspfad könnte sich dann tendenziell fortsetzen, auch wenn die Dynamik zunächst noch einmal etwas nachlassen könnte, da das erste Quartal 2019 durch das milde Winterwetter wohl etwas überzeichnet war. Zum Jahresende hin dürfte sich die Konjunkturdynamik aber wieder leicht verstärken, insbesondere wenn von außenwirtschaftlicher Seite wieder mehr Impulse kommen. Die globalen Wirtschaftsperspektiven sind zwar nicht zu optimistisch, aber es wird doch eine leichte Erholung erwartet. Ein Anstieg des realen BIP im Laufe dieses Jahres nur wenig unterhalb des Potenzialpfades von 1 ½ % wäre dann möglich. Im Jahresdurchschnitt würde die deutsche Wirtschaft 2019 dann um knapp 1 % wachsen (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Preisbereinigtes BIP in Deutschland
Saison- und arbeitstäglich bereinigt mit Census-Verfahren X-12-Arima
Preisbereinigtes BIP in Deutschland

1 Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet. 2 Zahlenangaben: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %.

Quellen: Statistisches Bundesamt; ab 2. Quartal 2019 Prognose des HWWI.

Dieses auf den ersten Blick relativ schwache Wachstum resultiert vor allem aus der ungünstigen Ausgangsposition infolge der Wirtschaftsschwäche im zweiten Halbjahr 2018 (sogenannter Überhang), als das reale BIP zeitweilig sogar gesunken war. Die Situation am Arbeitsmarkt würde sich weiter verbessern, die Arbeitslosenquote deutlich unter 5 % sinken. Die Inflationsrate der Verbraucherpreise wird bei Beruhigung der Ölpreisentwicklung im Durchschnitt des Jahres etwa 1 ¾ % betragen.

Erwartungen für 2020

Ohne neue Belastungen könnte sich der moderate Konjunkturanstieg 2020 fortsetzen und Richtung Potenzialpfad zurückkehren. Hauptantriebskraft bliebe die Binnenwirtschaft, zumal sich die Lage in der Industrie wieder stabilisieren dürfte. Die Außenwirtschaft würde – vorausgesetzt die aktuellen außenpolitischen Unsicherheiten verschärfen sich nicht und die globale Konjunktur erholt sich etwas – zudem wieder mit zum Wachstum beitragen. Da das Kalenderjahr 2020 fast vier Arbeitstage mehr hat als 2019, würde die deutsche Wirtschaft unbereinigt um diesen Effekt (der rechnerisch knapp 0,4 % Wirtschaftsleistung ausmacht) sogar um 1,7 % wachsen (d. h. kalenderbereinigt um 1,3 %). Die Lage am Arbeitsmarkt würde sich weiter verbessern, die Arbeitslosenquote unter 4 ½ % fallen (vgl. Tabelle 1). Der Preisauftrieb dürfte sich aufgrund der erhöhten Lohnstückkosten etwas verstärken; die Anstiegsrate der Verbraucherpreise dürfte im Jahresdurchschnitt bei 2 % liegen.

In dieser Prognose wurde davon ausgegangen, dass die aktuellen außenwirtschaftspolitischen Risiken begrenzt bleiben. Würden diese virulent, könnte sich das nicht nur auf die Exportwirtschaft auswirken, sondern auch die Stimmung in der Binnenwirtschaft belasten. Eine Beeinträchtigung der Exporte würde zu zurückhaltenderen Dispositionen bei Unternehmensinvestitionen und Beschäftigung und damit auch zu einem geringeren Anstieg der Einkommen und des privaten Konsums und anderer Ausgaben führen. Wie stark die Dämpfung der Konjunktur ausfiele, hinge von der jeweiligen Konstellation der Ereignisse ab. Im ungünstigsten Fall wäre eine rezessive Entwicklung nicht auszuschließen; die Wahrscheinlichkeit dafür ist im Moment aber gering.

Jörg Hinze

j-hinze@hwwi.org

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DOI: 10.1007/s10273-019-2472-2