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Die Konjunktur in Deutschland hat sich seit Anfang 2018 spürbar eingetrübt. Gleichzeitig hat sich die globale wirtschaftspolitische Unsicherheit deutlich erhöht. Die globale Unsicherheit kann die deutsche Konjunktur über mehrere Kanäle beeinflussen. So führt ein Anstieg der Unsicherheit tendenziell zu einer Verlangsamung der weltwirtschaftlichen Aktivität. Zudem wird die Investitionstätigkeit durch Unsicherheitsschübe typischerweise stark beeinträchtigt.1 Da die deutschen Unternehmen exportorientiert und dabei vorwiegend auf Investitionsgüter spezialisiert sind, könnte die deutsche Wirtschaft somit besonders von einer Zunahme der globalen Unsicherheit in Mitleidenschaft gezogen werden.

Ein bekanntes Maß für die wirtschaftspolitische Unsicherheit ist der Indikator von Baker et al.2 Dieser ermittelt die Häufigkeit, mit der Kombinationen von Schlagwörtern, die in Zusammenhang mit wirtschaftspolitischer Unsicherheit stehen, in ausgewählten Zeitungen erscheinen. Je häufiger diese Kombinationen von Schlagwörtern (z. B. „Wirtschaft“ und „unsicher“) vorkommen, desto höher fällt der Wert des Indikators aus. Der entsprechende globale Indikator fasst die Unsicherheit in 20 Volkswirtschaften, gewichtet mit dem Bruttoinlandsprodukt, zusammen. Dem Indikator zufolge ist die globale wirtschaftspolitische Unsicherheit im Verlauf des Jahres 2018 deutlich gestiegen und wies zum Jahreswechsel 2019 einen historischen Höchststand auf. Auch bis zuletzt befand er sich auf hohem Niveau (vgl. Abbildung 1). Zu dem Anstieg beigetragen haben wohl die zunehmende Sorge vor einer Eskalation der internationalen Handelskonflikte und die ungeklärte Situation über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union.

Abbildung 1
Globale wirtschaftspolitische Unsicherheit
Globale wirtschaftspolitische Unsicherheit

Monatsdaten.

Quelle: Economic Policy Uncertainty Index, http://policyuncertainty.com/ (4.7.2019).

Um den Einfluss der globalen wirtschaftspolitischen Unsicherheit auf die deutsche Konjunktur abzuschätzen, identifizieren wir zunächst anhand eines Modells, das eine Reihe von globalen Variablen (wie z. B. die globale Industrieproduktion und Aktienkurse) enthält, exogene, d. h. nicht von anderen Variablen getriebene, Veränderungen der globalen Unsicherheit (Unsicherheitsschocks).3 Es zeigt sich, dass Ereignisse wie die Wahl des US-Präsidenten im November 2016, das Brexit-Votum im Juni 2016 oder die Anschläge auf das World Trade Center im September 2001 mit besonders großen Unsicherheitsschocks einhergehen.

Anschließend analysieren wir die Auswirkungen dieser globalen Unsicherheitsschocks auf die deutsche Industrieproduktion und die ifo-Geschäftserwartungen.4 Die Ergebnisse zeigen, dass ein globaler Unsicherheitsschock in Höhe von einer Standardabweichung, der zu einem Anstieg der globalen politischen Unsicherheit um knapp 25 Indexpunkte führt, einen temporären Rückgang der deutschen Industrieproduktion verursacht (vgl. Abbildung 2, links). Sechs Monate nach einem solchen Schock ist die Industrieproduktion um 0,3 % gesunken. Allerdings ist die Wirkung des Schocks nur schwach signifikant und auf dem 90 %-Signifikanzniveau nicht von Null verschieden. Danach erholt sich die Produktion wieder, und längerfristig ist kein signifikanter Effekt mehr feststellbar. Die Auswirkungen auf die ifo-Geschäftserwartungen treten schneller auf, laufen aber auch rascher wieder aus. (vgl. Abbildung 2, rechts). Zwei Monate nach dem Anstieg der Unsicherheit liegen die Geschäftsaussichten signifikant um 0,5 Indexpunkte niedriger. Ab dem vierten Monat erholen sich die Erwartungen wieder, und langfristig ist der Effekt ebenfalls nicht mehr statistisch von Null verschieden.

Abbildung 2
Auswirkungen eines globalen Unsicherheitsschocks auf die Industrieproduktion und die Geschäftserwartungen
Auswirkungen eines globalen Unsicherheitsschocks auf die Industrieproduktion und die Geschäftserwartungen

Monatsdaten. Auswirkung eines globalen Unsicherheitsschocks, der mit einem Anstieg der globalen politischen Unsicherheit einhergeht, in Höhe von einer Standardabweichung. Konfidenzintervalle berechnet als +/-1 Standardabweichung (68 %-Konfidenzintervall) bzw. +/-1,64 Standardabweichungen (90 %-Konfidenzintervall) der Parameterschätzer.

Quellen: Deutsche Bundesbank; Economic Policy Uncertainty; Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.

Insgesamt sprechen die Ergebnisse dafür, dass globale Unsicherheitsschocks zwar einen spürbaren Einfluss auf die deutsche Konjunktur haben können, jedoch nicht der wesentliche Treiber der konjunkturellen Entwicklung hierzulande sind. Gleichwohl können sehr große Schocks bzw. eine Aneinanderreihung größerer Schocks, so wie sie in der jüngeren Vergangenheit zu beobachten war, die konjunkturelle Dynamik in Deutschland spürbar bremsen. Eine Schätzung basierend auf unserer empirischen Analyse ergibt, dass die deutsche Industrieproduktion in der zweiten Hälfte 2018 durch die globale Unsicherheit um bis zu 1,5 % gedrückt wurde; im März 2019 lag der dämpfende Effekt immer noch bei mehr als 1 %. Für die Geschäftserwartungen ergab sich die größte Auswirkung zum Jahreswechsel 2018/2019 mit einem negativen Effekt von knapp 3 Indexpunkten.

Die Effekte von Unsicherheit können freilich im Zeitablauf variieren, und es gibt gewisse Evidenz dafür, dass die Wirkung von Unsicherheitsschocks über den Konjunkturzyklus hinweg unterschiedlich ist, beispielsweise in Rezessionen ungleich größer als in Expansionsphasen. Zudem ist es aus theoretischer Sicht plausibel, dass Unsicherheit auf sehr hohen Niveaus stärkere Wirkungen entfaltet als auf niedrigen Niveaus. In diesem Zusammenhang könnten sich auch die Effekte großer gegenüber kleiner und positiver gegenüber negativer Schocks voneinander unterscheiden. Demzufolge spricht die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft mit Beginn des jüngsten Anstiegs der globalen politischen Unsicherheit zum Jahreswechsel 2017/2018 eine Boom-Phase durchlief, eher dafür, dass die Auswirkungen geringer waren, als es unsere Ergebnisse nahe legen. Das hohe Niveau der politischen Unsicherheit und die Abfolge ungewöhnlich großer Schocks sprechen demgegenüber eher für stärkere Auswirkungen.

Martin Ademmer, Nils Jannsen

Nils.Jannsen@ifw-kiel.de

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DOI: 10.1007/s10273-019-2485-x