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Auf internationaler Ebene wird aktuell über ein System effektiver internationaler Mindeststeuern auf die Gewinne multinationaler Unternehmen verhandelt, das bis Ende 2020 beschlossen werden soll. Eine Mindeststeuer könnte die Effizienz und Effektivität der internationalen Besteuerung deutlich steigern und den Steuerwettbewerb abmildern. Sie stellt jedoch die Politik bei der Ausgestaltung und Anwendung vor die Herausforderung, exzessive Compliance-Kosten zu vermeiden und Doppelbesteuerungsrisiken zu begrenzen. Kritisiert wird zudem, dass die nationale Souveränität in der Besteuerung durch eine solche Reform untergraben werden könnte. Die Aussichten für ein erfolgreiches Verhandlungsergebnis sind dennoch nicht schlecht, weil sämtliche große Player die Reform befürworten, wie das Treffen der G20-Finanzminister im Juni 2019 gezeigt hat.

„Ich werde dafür sorgen,“ schrieb Ursula von der Leyen in ihrer Bewerbung für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin, „dass die Besteuerung von großen Technologiekonzernen ganz oben auf der Agenda steht.“ Ist „bis Ende 2020 noch keine globale Lösung für eine gerechte digitale Steuer gefunden, sollte die EU alleine handeln.“1 Die mittlerweile gewählte Kommissionspräsidentin bezieht sich dabei auf die noch andauernden Verhandlungen im Rahmen des Inclusive Frameworks der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD),2 an denen mittlerweile 132 Staaten beteiligt sind. Anders als von der Leyen suggeriert, geht es dabei aber nicht nur um die Besteuerung von großen Technologiekonzernen. Mittlerweile hat sich bei den Verhandlungsführern die Ansicht durchgesetzt, dass es nicht sinnvoll ist, die Reform auf einzelne Branchen wie die Digitalwirtschaft zu begrenzen. Digitalisierung findet in fast allen Branchen statt, eine Abgrenzung zu Steuerzwecken ist daher zwangsläufig arbiträr und schafft Verzerrungen.

Diskutiert wird eine Reform, die aus zwei Säulen bestehen soll. Die Maßnahmen der ersten Säule (Pillar 1) zielen auf eine Verlagerung von Besteuerungsrechten in die Marktstaaten, also dorthin, wo die Konsumenten sind. Gewinne dort zu besteuern, wo die Endkunden der Unternehmen sitzen, hat vor allem den Vorzug, dass diese nicht besonders mobil sind. Mit anderen Worten: Der iPhone-Käufer wird wohl kaum nach Dublin reisen, damit Apple seinen Gewinn nicht hier, sondern in Irland versteuern kann. Vertreten wird dieser Ansatz vor allem von den USA, die sich – schon aufgrund ihres Handelsdefizits – durch diese Maßnahme Mehreinnahmen erhoffen. Aus gleichem Grund ist Deutschland mit seinem Außenhandelsüberschuss skeptisch und ist vor allem auf den zweiten Teil des Maßnahmenbündels konzentriert.

Die zweite Säule (Pillar 2) umfasst die effektive Mindeststeuer mit dem schönen Label „GloBE proposal“ (Global anti-base erosion proposal), die auf eine deutsch-französische Initiative zurückgeht,3 in gewisser Form aber schon seit Anfang 2018 von den USA angewandt wird. Im Wesentlichen soll dieses Instrument sicherstellen, dass Unternehmensgewinne unabhängig davon, wo sie erwirtschaftet wurden, nicht unterhalb eines vereinbarten Mindestsatzes besteuert werden. Die Ergänzung des Adjektivs „effektiv“ ist hier durchaus wichtig – es bedeutet, dass sich die Mindeststeuer aus tatsächlich gezahlten Steuern auf reale, und nicht auf zu Steuerzwecken kleingerechnete Gewinne berechnet.

Neuland: internationale Mindeststeuern

Wir werden uns im Folgenden auf die Maßnahmen der zweiten Säule fokussieren. Die Mindeststeuer besteht aus zwei Instrumenten, die im OECD-Jargon „Income Inclusion Rule“ und „Tax on Base Eroding Payments“ genannt werden. Die Income Inclusion Rule gibt Staaten das Recht, die Steuerlast von ausländischen Töchtern und Betriebsstätten inländischer Unternehmen „aufzustocken“, bis der effektive Mindeststeuersatz erreicht ist. Würden also die irischen Tochterfirmen eines deutschen Unternehmens im Ausland weniger als z. B. 12,5 % ihrer Gewinne an Steuern abführen, könnte der deutsche Staat das Unternehmen in Höhe der Differenz belasten, sodass insgesamt 12,5 % des Gewinns an Steuern abgeführt werden. Weil die Income Inclusion Rule nur die Auslandsgewinne derjenigen Unternehmen betrifft, die ihren Standort im Inland haben, muss dieses Instrument durch die sogenannte Tax on Base Eroding Payments, die die Inlandsgewinne ausländischer Unternehmen betrifft, flankiert werden. Diese Steuer belastet abfließende Zahlungen an verbundene Unternehmen im Ausland – und zwar immer dann, wenn die vom Zahlungsempfänger erwirtschafteten Gewinne zu niedrig besteuert werden und keiner Income Inclusion Rule unterliegen. Im derzeit geltenden System ist es oftmals möglich, die Steuerlast von Konzerngesellschaften beispielsweise in Deutschland stark zu reduzieren, indem diese einem verbundenen Unternehmen (das in einem Niedrigsteuerstandort angesiedelt ist) hohe Zinsen oder Lizenzgebühren zahlen. Diese Zahlungen sind nach geltendem Recht von der Bemessungsgrundlage grundsätzlich voll abzugsfähig – sie werden im Inland als Kosten anerkannt. Damit erodieren sie die inländische Steuerbasis, daher das Label „Tax on Base Eroding Payments“.

Bestrebungen zu internationaler Steuerkoordination gibt es nicht erst seit gestern, und doch scheint es, als ob diesmal der politische Wille groß genug ist, tatsächlich grundlegende Änderungen im System der internationalen Besteuerung anzustoßen. Beim G20-Gipfel der Finanzminister Anfang Juni 2019 gab es jedenfalls einen Konsens darüber, dass es bis 2020 einen Beschluss geben wird. Die Frage scheint also nicht mehr zu sein, ob es eine Reform gibt, sondern bloß, wie weitgehend und effektiv sie sein wird.

Bisher gibt es kein internationales Vorbild für Mindeststeuern in der Unternehmensbesteuerung. Mindeststeuersätze existieren z. B. im europäischen System der Mehrwertsteuer mit einer Untergrenze von 15 % für den Normalsatz und von 5 % für den reduzierten Satz.4 Ein wichtiger Unterschied besteht jedoch darin, dass die Bemessungsgrundlage in der europäischen Mehrwertsteuer bereits harmonisiert ist, es also möglich ist, die Mindeststeuer als Mindestnominalsätze zu definieren. Hingegen werden die Bemessungsgrundlagen in der Gewinnbesteuerung gerade als strategisches Instrument im Steuerwettbewerb behandelt; dies macht es notwendig, die Mindeststeuer als Effektivsätze zu definieren. Auf innerstaatlicher Ebene existieren Mindeststeuersätze z. B. in Deutschland, wo die Gewerbesteuer einen Mindesthebesatz aufweist.5 In der amerikanischen Unternehmensteuer gab es bis vor kurzem die „alternative minimum tax”, die jedoch einer anderen Logik folgte (unter anderem unabhängig vom tatsächlichen Gewinn des Unternehmens erhoben wurde) und die im Zuge der jüngsten Reform abgeschafft wurde. Auf internationaler Ebene hat es immer wieder Versuche gegeben, die Körperschaftsteuersätze zu koordinieren. Beispielsweise schlägt der Ruding-Bericht von 1992 einen Mindeststeuersatz von 30 % innerhalb der EU vor (von dem heutzutage aufgrund der mittlerweile stark gesunkenen Sätze nahezu alle EU-Mitgliedstaaten betroffen wären).6 Solche Koordinationsversuche sind jedoch bislang gescheitert.

Stattdessen wenden viele Staaten unilaterale Maßnahmen an wie z. B. die Hinzurechnungsbesteuerung im deutschen Außensteuergesetz, die zu den international sogenannten Controlled Foreign Company Rules (CFC Rules) zu zählen ist. Diese Regeln stellen sicher, dass bestimmte (häufig eng definierte) Einkunftsarten der inländischen Regelsteuerlast unterliegen, wenn sie von ausländischen sogenannten Zwischengesellschaften erwirtschaftet werden. Viele Staaten erheben auch Quellensteuern auf bestimmte ins Ausland abfließende Zahlungen. Auf sie wird im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen aber häufig einvernehmlich verzichtet; außerdem handelt es sich in der Regel um Definitivsteuern, d. h. sie werden nicht mit im Ausland gezahlten Steuern verrechnet. Die USA erheben seit 2018 zwei Sondersteuern, die eine Art Mindeststeuerregime bilden. Die GILTI-Steuer7 (Global Intangible Low-Taxed Income) reduziert das Einkommen von US-Unternehmen im Ausland, wenn die Gewinne dort zu niedrig besteuert werden. Die BEAT-Steuer8 (Base Erosion Anti-avoidance Tax) belastet ausländische, in den USA produzierende Unternehmen, wenn sie bestimmte Zahlungen, die die Bemessungsgrundlage in den USA verkleinern, ins Ausland tätigen. GILTI und BEAT zeigen, dass internationale Mindeststeuern prinzipiell auch unilateral eingeführt werden können.9 Gleichzeitig gibt es wichtige Gründe für eine koordinierte Herangehensweise. Ein Flickenteppich unilateraler Lösungen erhöht die Compliance-Kosten und das Risiko von Doppelbesteuerung. Es ist aber sicherlich nicht übertrieben festzustellen, dass dieser Reformschritt der USA den internationalen Bemühungen Auftrieb gegeben hat.

Gründe für die Mindeststeuer und für die Kritik

Das internationale System der Unternehmensbesteuerung steht vor allem in der Kritik, weil es Anreize setzt und Möglichkeiten für multinationale Unternehmen bietet, ihre Gewinne in Niedrigsteuerstandorte zu verschieben. Ein System internationaler Mindeststeuern hätte die Funktion, beides deutlich zu reduzieren.

Es gibt mittlerweile viele glaubwürdige empirische Studien, die das Ausmaß der Gewinnverschiebung10 mittels Verrechnungspreismanipulation11, Finanzierungsmodelle12 und strategischer Platzierung von immateriellen Wirtschaftsgütern13 bzw. von Risiken14 belegen. Die verschobenen Summen sind trotz der anhaltenden internationalen Bemühungen – etwa im Rahmen der Base-Erosion-and-Profit-Shifting-Initative (BEPS-Initative) – enorm.15 Bruner et al. schätzen auf Grundlage aggregierter US-Daten, dass ohne Gewinnverschiebung das BIP der USA um 1,5 % höher als zurzeit wäre.16 Torslov et al. messen „überschüssige“ Gewinne in Steueroasen in Höhe von 600 Mrd. US-$.17 Als Hauptverlierer der Steuervermeidung lassen sich die europäischen „Nicht-Steueroasen“, aber auch Entwicklungsländer identifizieren, als Hauptgewinner vor allem multinationale US-Unternehmen. Auch wenn in empirisch-methodologischer Sicht sicher noch nicht das letzte Wort über das quantitative Ausmaß von Gewinnverschiebung gesprochen ist, zeigen diese Erkenntnisse die Dringlichkeit von Maßnahmen gegen internationale Steuervermeidung. Die bisherigen Reformen scheinen zu kurz zu greifen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die gemessene Gewinnverschiebung in den letzten Jahren sogar noch zugenommen hat.18

Bei erfolgreicher Einführung würde die Mindeststeuer dem globalen Steuerwettbewerb eine Untergrenze setzen – unterhalb des effektiven Steuersatzes wären, sozusagen, keine Gebote im Wettbewerb um Kapital, Unternehmen und Buchgewinne mehr möglich. Es gibt drei Gründe, warum ein solcher Effekt wünschenswert ist:

  1. Eine Mindeststeuer verringert die Steuersatzunterschiede und macht so die internationale Kapitalallokation effizienter. Die empirische Evidenz zeigt, dass Steuern eine wichtige Determinante von Standortentscheidungen sind.19 Da aus globaler Sicht Investitionen dort stattfinden sollten, wo die Bruttorendite am höchsten ist, verzerren Steuersatzdifferenzen die internationale Investitionstätigkeit – weil sich Investoren erwartungsgemäß an der Netto- und nicht der Bruttorendite orientieren. Mindeststeuern beheben die Verzerrung zumindest teilweise. Zwar schafft ein solches System keine vollständige Kapitalexportneutralität, es reduziert aber zumindest die extremen Fehlanreize. In diesem Sinne ist der Einfluss von Mindeststeuern auf Realinvestitionen nicht nur ein Kollateraleffekt im Kampf gegen die Verschiebung von Buchgewinnen.20
  2. Mindeststeuern reduzieren bei gegebener Allokation von Realkapital die Anreize, Gewinne zu verschieben.21 Die zitierten Studien belegen das Ausmaß der Gewinnverschiebung, die aus globaler Sicht völlig unproduktiv ist (rent seeking). Weil die marginalen Verschiebungsanreize vor allem von den effektiven Steuersatzdifferenzen bestimmt werden, reduzieren Mindeststeuern diese Anreize. Dies wird unter anderem von Studien bestätigt, die den Einfluss von CFC-Regeln (also beispielsweise der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung) auf die Standortentscheidung für bestimmte Assets messen.22
  3. Mindeststeuern dämpfen den Steuerwettbewerb.23 Dies geschieht auf zwei Arten. Zum einen ermöglicht es den Ländern mit mittleren und hohen Steuersätzen höhere Steuersätze zu erheben, weil es weniger Gewinnverschiebungsmöglichkeiten gibt und die Elastizität der Bemessungsgrundlage somit kleiner ist. Eine Anhebung des Steuersatzes hat also weniger Kosten im Sinne eines Verlustes an Bemessungsgrundlage als zuvor. Zum anderen können die Niedrigsteuerstandorte – mehr oder weniger kostenfrei – ihre Steuersätze anheben. Wenn das Mindeststeuersystem greift und tatsächlich keine Gewinne unterhalb des Mindestsatzes besteuert werden, hat eine Anhebung der eigenen Sätze bis zu diesem Schwellenwert keine Auswirkung auf die Steuerlast der Unternehmen. Es verschiebt lediglich Aufkommen von den Hochsteuerländern zu den (ehemaligen) Niedrigsteuerstandorten (das klassische „treasury transfer“-Argument24). Ist die Erwartung eines abgeschwächten Steuerwettbewerbs gerechtfertigt? Zwar liegen noch keine Erfahrungswerte für Effekte internationaler Mindeststeuern vor, doch der Mindeststeuersatz in der deutschen Gewerbesteuer hat den Steuerwettbewerb abgemildert25 ebenso wie der europäische Mindeststeuersatz in der Dieselbesteuerung.26

Mindeststeuern haben also das Potenzial, das Wachstum über eine verbesserte Kapitalallokation zu steigern, ineffiziente Gewinnverschiebung einzudämmen und den Steuerwettbewerb zu dämpfen. Es gibt allerdings auch einige Nachteile und Kritikpunkte. Ein wichtiger Kritikpunkt ist, dass die Mindeststeuern die steuerliche Souveränität von Niedrigsteuerstandorten einschränken. Tatsächlich verliert ein Land bei flächendeckender Einführung von Mindeststeuern die Möglichkeit, die effektive Steuerbelastung von Gewinnen unter ein bestimmtes Maß zu drücken. Dem wird entgegengehalten, dass es in der aktuellen Situation die Niedrigsteuerstandorte sind, die den Hochsteuerstandorten das souveräne Recht streitig machen, höhere Steuersätze auf die Gewinne zu erheben, die innerhalb ihrer Grenzen erwirtschaftet werden. Insofern lässt sich die Mindeststeuer als Kompromiss verstehen. Sie lässt nach wie vor eine gewisse Differenzierung der Steuersätze zu, schiebt aber exzessivem Steuerwettbewerb einen wirksamen Riegel vor.

Ein verwandter Kritikpunkt ist, dass Steuerwettbewerb durchaus wohlfahrtsteigernd sein kann – nun aber von Mindeststeuern unterdrückt wird. Nicht nur setzt er Staaten unter Druck, die Steuerlast im Rahmen zu halten, er ermöglicht es gerade Ländern an der Peripherie, ausländische Investoren anzulocken und so etwaige Standortnachteile wettzumachen.27 Diese Argumente haben einerseits ihre Berechtigung, insbesondere wenn man davon ausgeht, dass Staaten zur Verschwendung von Steuergeldern neigen. Andererseits scheint es im aktuellen Modus des Steuerwettbewerbs weniger um einen Wettbewerb um den Status als besonders produktiver Standort zu gehen, sondern eher darum, wer die Steuerlast auf Buchgewinne am meisten senken kann. Investitionen in Infrastruktur, Ausbildung der Arbeitskräfte lohnen sich unter diesen Umständen kaum noch. Mindeststeuern würden dafür sorgen, dass diejenigen Staaten, die bislang mit extrem niedrigen Steuern für sich geworben haben, ihr Geschäftsmodell ändern müssen. An die Stelle von Steueranreizen müssten nun andere Standortvorteile treten wie Infrastruktur, staatliche Dienstleistungen, gut ausgebildete Arbeitskräfte. Mindeststeuern würden damit nicht nur die Intensität des Steuerwettbewerbs, sondern auch seine Qualität ändern. Wenn an die Stelle niedriger Steuern produktive öffentliche Inputgüter treten, könnte dies auch positive Wachstumsimpulse geben. Eine Abschwächung des Steuerwettbewerbs könnte außerdem damit einhergehen, dass in den Unternehmen wieder mehr Ressourcen in produktive Tätigkeiten gesteckt werden statt in Steuersparmodelle.28 Denkbar ist zudem, dass bestimmte klar definierte Modelle zur Förderung von Maßnahmen im Bereich Forschung und Entwicklung (F&E-Maßnahmen) von der Mindeststeuer ausgenommen werden, um auf diese Weise einen kanalisierten Wettbewerb zuzulassen.

Schließlich wird kritisiert, dass ein System von Mindeststeuern (wie auch die Pillar-1-Maßnahmen) die Compliance-Kosten der Unternehmen erhöhen könnten. In gewisser Weise liegt dies in der Natur der Sache, wenn eine neue Steuer eingeführt wird, zumal bei der Mindeststeuer große Datenmengen generiert, kommuniziert und verifiziert werden müssen (nicht zuletzt die Effektivbelastung von Gewinnen an einem gegebenen Standort). Jedoch könnten im Gegenzug einige Anti-BEPS-Maßnahmen wie beispielsweise Anti-Hybrid-Regeln, Zinsschranken oder CFC-Regeln abgeschafft werden. Ein Nettoanstieg der Compliance-Kosten lässt sich aber vermutlich nicht ganz verhindern. Umso mehr kommt es darauf an, bei der Umsetzung verstärkt Vereinfachungsmöglichkeiten wahrzunehmen, auch wenn diese unter Umständen das Risiko von Doppelbesteuerung erhöhen.

Wie funktioniert die Mindeststeuer?

Ein System der Mindestbesteuerung würde vor allem aus zwei Instrumenten bestehen: der Income Inclusion Rule und der Tax on Base Eroding Payments.

Die Income Inclusion Rule stockt die Steuerlast von ausländischen Töchtern und Betriebsstätten inländischer Unternehmen bis zur Höhe des effektiven Mindeststeuersatzes auf. Sie ähnelt prinzipiell der Hinzurechnungsbesteuerung von passivem Einkommen (z. B. bestimmte Einnahmen aus Darlehen oder Lizenzen) im deutschen Außensteuergesetz. Neu ist allerdings, dass sich eine solche Nachbesteuerung auf alle Arten von Einkünften beziehen würde und dass die Gesamtsteuerlast nur bis zu einem Mindestsatz aufgestockt würde – statt den viel höheren deutschen Satz anzuwenden. Derzeit wird allerdings noch darum gerungen, ob es Ausnahmen für „aktives“ unternehmerisches Engagement im Ausland geben sollte. Das würde freilich ein Kernanliegen der Mindeststeuer unterlaufen, nämlich Steuerwettbewerb nicht nur um Buchgewinne, sondern auch um Realinvestitionen auf ein akzeptables Maß zurückzuführen.

Die Income Inclusion Rule vermindert den Anreiz der einheimischen Unternehmen, Gewinne und Investitionsvorhaben rein aus Steuergründen in Niedrigsteuerstandorte zu verlagern. Zugriff auf die Gewinne von US-Digitalunternehmen, die zurzeit vor allem im Fokus der Öffentlichkeit stehen, erlangen die europäischen Steuerbehörden durch die Income Inclusion Rule hingegen nicht. Doch wenn die USA ihr GILTI-Regime zu einer echten Income Inclusion Rule ausbauen würden (und nicht, wie zurzeit, den „Normalreturn“ von 10 % auf Sachanlagen steuerfrei stellen), wäre immerhin sichergestellt, dass die Gewinne von Google, Facebook und Co. irgendwo versteuert werden (im Zweifel in ihrem Mutterland, den USA). Wenn zudem die Pillar-1-Maßnahmen ebenfalls umgesetzt werden – und danach sieht es momentan aus –, bekommen die europäischen Staaten auf diesem Wege einen Stück vom großen Google-Facebook-Amazon-Kuchen.

Eine offene Flanke allerdings gibt es: Da die Income Inclusion Rule von den Ansässigkeitsstaaten erhoben würde, könnten Unternehmen die Steuer umgehen, indem sie ihren Hauptsitz in ein Land verlegen, das diese Regel nicht einsetzt.29 Würden alle wichtigen Holdingstandorte (Nordamerika, Europa und Japan) entsprechende Regelungen umsetzen, wäre diese Gefahr zwar nur noch gering. Damit ist aber nicht unbedingt zu rechnen – Großbritannien etwa wird nach dem Brexit Unternehmen mit Steuervorteilen anlocken wollen, und dazu könnte auch der Verzicht auf eine Mindeststeuer zählen. Bei nicht flächendeckender Einführung der Income Inclusion Rule droht der Steuerwettbewerb dann nahezu unvermindert anzuhalten und die Mindestbesteuerung würde sich nur auf Unternehmen beziehen, die ihren Hauptsitz nicht verlegen können oder wollen.

Aus diesem Grund soll die Income Inclusion Rule durch eine Tax on Base Eroding Payments flankiert werden, die abfließende Zahlungen an verbundene Unternehmen im Ausland bis zur Höhe des effektiven Mindeststeuersatzes belastet. Die Tax on Base Eroding Payments könnte indirekt erhoben werden, indem die Abzugsfähigkeit solcher Zahlungen im Inland teilweise eingeschränkt würde. Auch dieses Mindeststeuerinstrument wirkt somit Gewinnverlagerungen ins Ausland entgegen – und stellt sicher, dass im Inland generierte Gewinne nicht unangemessen niedrig besteuert werden. Damit würde sie auch steuerliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen international operierenden Konzernen und ihren lokalen, kleinen und mittelständischen Konkurrenten reduzieren. Da entsprechende Regelungen komplex wären und die Steuer tendenziell auf Bruttobasis erhoben würde (d. h. kein Abzug von im Ausland anfallenden Kosten), wären sie aus Unternehmenssicht absehbar belastender als die Income Inclusion Rule und würden Verlagerungen des Konzernsitzes in Staaten ohne – vorrangig anzuwendende – Income Inclusion Rule unattraktiver machen.

Design der Mindeststeuer

Income Inclusion Rule und Tax on Base Eroding Payments – beide Instrumente folgen einer einfachen Logik, doch ihre Ausgestaltung und Anwendung sind alles andere als trivial. Ihre Einführung erfordert die Beantwortung einer langen Liste von Detailfragen, die in der Summe jedoch die Effektivität der Mindestbesteuerung bestimmen. Zunächst einmal muss die Frage beantwortet werden, wie hoch der effektive Mindeststeuersatz sein sollte. Zwar ist es prinzipiell möglich, jedes Land diesen Satz selbst bestimmen zu lassen. Doch im Sinne geringer Compliance-Kosten und Doppelbesteuerungsrisiken ist ein koordiniertes Vorgehen wünschenswert. Die Wahl des Steuersatzes ist zwangsläufig eine Abwägung. Einerseits soll er hoch genug sein, um die Ziele der Mindeststeuer (Verbesserung der Kapitalallokation, Verringerung der Gewinnverschiebung, Dämpfung des Steuerwettbewerbs) zu erreichen. Andererseits soll der Steuerwettbewerb nicht vollständig abgewürgt werden. Es soll nach wie vor gerade den Peripherie-Staaten möglich sein, über steuerliche Anreize etwaige Standortnachteile wettzumachen. Der Satz sollte außerdem aus politischen Gründen so niedrig sein, dass er wirklich nur diejenigen Staaten trifft, die zurzeit als Niedrigsteuerstandorte eine exzessive Form des Steuerwettbewerbs betreiben.

Die Unternehmensteuersätze in den OECD-Staaten sind in den vergangenen 30 Jahren kontinuierlich gesunken, auf zuletzt unter 25 % (ungewichteter Durchschnitt 2018).30 Auch auf globaler Ebene sinken die Sätze. Aus einer OECD-Übersicht geht hervor, dass von 94 erfassten Staaten (ohne Steueroasen) 21 Staaten Nominalsteuersätze von unter 20 % haben, nur sieben unter 15 % und nur ein Staat unter 10 %.31 Die Effektivsteuersätze (also die tatsächlich gezahlten Steuern geteilt durch ein sinnvolles Maß für Gewinne) sind jedoch nicht nur in einigen Fällen niedriger, sie variieren auch nach Investitionsart und Sektor.32 Insbesondere Investitionen in digitalen Geschäftsmodellen werden einer weiteren Studie zufolge in 19 von 33 (meist) europäischen Staaten mit einer effektiven Durchschnittsrate von unter 10 % besteuert.33 Die Ursache für die niedrigen Effektivsteuern sind zumeist Steuervergünstigungen für geistiges Eigentum („Patentboxen“ oder Sonderabschreibungen für Forschung und Entwicklung). Daher ist es möglich, dass selbst mit einem niedrigen Mindeststeuersatz von etwa 10 % viele Staaten betroffen wären, weil einzelne Unternehmen oder Sektoren zurzeit geringer besteuert werden.

Ob und wie viele Unternehmen tatsächlich betroffen wären, hängt zudem von anderen Ausgestaltungsfragen ab. Es scheint aber auf Grundlage der bereits angestellten Überlegungen plausibel, von einem Mindeststeuersatz von 10 % bis 12,5 % auszugehen. Dies scheint auch der Leiter der OECD-Steuerabteilung, Pascal Saint-Amans, so zu sehen, der in der Irish Times mit dem Satz zitiert wird, es würde ihn nicht überraschen, wenn der Mindeststeuersatz bei nahe 12,5 % liegen würde.34

Design der Income Inclusion Rule

Die Nachbesteuerung im Ansässigkeitsstaat kann auf zwei Arten technisch umgesetzt werden: mit einem eigenständigen Steuerinstrument (wie bei GILTI) oder mittels einer partiellen Integration in die heimische Bemessungsgrundlage. Letzteres hat den Vorteil, dass etwaige Verluste im Ansässigkeitsstaat verrechnet werden können. Die Income Inclusion Rule sollte ausnahmslos alle Gewinne der ausländischen Tochterunternehmen erfassen und nicht nur solche, die vermutlich ins Ausland verschoben wurden – auch hier ist das GILTI-Regime der USA kein gutes Vorbild. Eine wichtige Frage ist, wann ein ausländisches Unternehmen im Sinne der Income Inclusion Rule als Tochterunternehmen gilt. Da die Umsetzung der Regel in substanziellem Umfang Informationen von der Tochterfirma erfordert, könnte es Probleme bereiten, die Regel schon bei Tochterunternehmen anzuwenden, die zu weniger als 50 % dem Mutterunternehmen gehören. Diese und andere Detailfragen, wie etwa nach der Behandlung von Verlusten oder komplexer Unternehmensstrukturen, diskutieren wir in Englisch/Becker ausführlich.35 Im Folgenden werden wir uns daher auf zwei zentrale Design­fragen beschränken.

Auf welcher Ebene soll die Effektivsteuerbelastung gemessen und gegebenenfalls angepasst werden? Das amerikanische GILTI-Regime mittelt die Belastung über alle ausländischen Standorte von US-Unternehmen. Das hat den Vorteil, dass die Doppelerfassungen gering ist und temporäre Schwankungen im Effektivsteuersatz zwischen den einzelnen Standorten „geglättet“ werden. Der Nachteil besteht darin, dass die Mindeststeuer an Effektivität einbüßt: hohe Steuerzahlungen an einem Standort kompensieren niedrige Steuerzahlungen an einem anderen. Alternativ könnte die Belastung länderspezifisch erhoben werden. Das erscheint zunächst sinnvoll, weil es ja gerade die Steuerpolitik einzelner Staaten ist, die das Problem erzeugen, das die Mindeststeuer motiviert. Doch wäre ein solches Vorgehen mit der Schwierigkeit verbunden, innerhalb eines Tochterunternehmens die Gewinne auf die Standorte aufzuteilen, wenn das Unternehmen Betriebstätten in nicht nur einem Land hat. Alternativ könnte jede Unternehmenseinheit individuell bewertet werden. Wenn zudem Verluste und andere Sondereffekte periodenübergreifend berücksichtigt werden, könnte eine Besteuerung auf Basis einzelner Unternehmenseinheiten ein geeigneter Kompromiss sein.

Nach welchen Gewinnermittlungsvorschriften wird die effektive Steuerlast im Ausland berechnet, d. h. auf Grundlage welcher steuerbilanziellen Regeln soll der „tatsächliche“ Gewinn in Relation zur Steuerlast bestimmt werden? Diese Frage ist zentral und konfliktträchtig. Geringe effektive Steuersätze entstehen häufig nicht durch niedrige Nominalsteuersätze, sondern durch eine Einschränkung der Bemessungsgrundlage. Die Messung der Effektivsteuerbelastung muss also regelmäßig auf andere Gewinnmaße zurückgreifen als die vor Ort geltenden Maße. Dies aber impliziert die Aussage, dass das vor Ort geltende Gewinnmaß nicht angemessen ist. In diesem technischen Aspekt der Mindeststeuer liegt also der Kern des Eindrucks, die Reform schränke die staatliche Souveränität von Niedrigsteuerländern ein.

Wünschenswert wäre auch hier ein koordinierter Ansatz, der die Compliance-Kosten bei den Unternehmen in den Blick nimmt: transparente und an bereits etablierten internationalen Rechnungslegungsvorschriften orientierte Gewinnermittlungsvorschriften als Benchmark, der sich alle Staaten anschließen könnten. Doch solch ein Ansatz ist schwer umzusetzen, gerade mit Blick auf den eng gesetzten Zeitrahmen bis 2020. In der Zwischenzeit könnten die Gewinnermittlungsvorschriften des Ansässigkeitsstaates herangezogen werden, was freilich den Eindruck der Übergriffigkeit nicht abmildern wird und den betroffenen Unternehmen komplexe Umrechnungen abverlangt.

Design der Tax on Base Eroding Payments

Auch bei der Belastung von Zahlungen, die im Inland ansässige Tochterunternehmen an ihre im Ausland ansässigen Mutterunternehmern leisten, gibt es die Wahl zwischen unterschiedlichen Arten der Steuererhebung. Erneut lässt sich dies als eigenständige (Quellen-)Steuer mit Anrechnung ausländischer Steuerzahlungen realisieren oder als Teilverweigerung der Abzugsfähigkeit eben jener Zahlungen. Letzteres hat den Vorteil, dass die Gewinnsituation der inländischen Tochter berücksichtigt wird und im Falle einer Umsetzung keine Doppelbesteuerungsabkommen geändert werden müsste (anders als im Fall mit Quellensteuern).

Auch bei diesem Steuerinstrument stellen sich einige Detailfragen, für die wir erneut auf Englisch/Becker verweisen.36 Nur einige wichtige Fragen sollen hier kurz angerissen werden. Bereits im Namen des Instruments („… Payments“) ist angelegt, dass die Steuer auf einzelne Zahlungen erhoben und nicht das gesamte Einkommen der ausländischen Mutter berücksichtigt werden soll. Dieser dem amerikanischen BEAT-Regime ähnlichen Ansatz schafft jedoch ein neues Problem, das so bei der Income Inclusion Rule nicht existiert: Eine Besteuerung von Zahlungen macht es (fast) unmöglich, etwaige Kosten gegenzurechnen, die beim Empfänger der Zahlung anfallen. Diese Art der Bruttobesteuerung erfasst nur dann den Gewinn des Unternehmens, wenn es keine zuordenbaren Kosten gibt. Dies zieht die Frage nach sich, ob alle Zahlungen von der Tax on Base Eroding Payments erfasst werden sollten oder nur solche, bei denen die Gefahr der Gewinnverlagerung groß und die überschießenden Wirkungen der Bruttobesteuerung gering sind.

Ebenfalls stellt sich die Frage, wie eng die Eigentumsverhältnisse zwischen ausländischem (Mutter-)Unternehmen und einheimischem (Tochter-)Unternehmen sein müssen, damit die Regel zur Anwendung kommt. Die Antwort auf diese Frage hängt maßgeblich davon ab, wie die Regel ausgestaltet ist. Bezieht sich die Berechnung der effektiven Steuerlast nur auf die geleisteten Bruttozahlungen, sind die Informationsanforderungen und damit auch die Compliance-Kosten relativ gering. In diesem Fall ist es sogar vorstellbar, dass die Nachbesteuerung selbst bei Zahlungen zwischen unverbundenen Parteien fällig wird. Dies wäre auch kompatibel mit dem Ziel, die Wettbewerbsbedingungen zwischen Unternehmen, die den inländischen Markt bedienen, anzugleichen. Eine Berechnung der Effektivsteuerlast auf Basis von Bruttozahlungen birgt aber die Gefahr, dass bestimmte Vorgänge nicht vollständig erfasst werden und es so zu Unter- oder Überbesteuerung kommt. Wird der Steuerlast-Indikator hingegen auf Basis der gesamten ausländischen Unternehmenseinheit berechnet, müssen wesentlich mehr Detailinformationen aus der Steuerbilanz herangezogen werden, was sich nur bei engen Eigentumsverhältnissen zwischen Mutter und Tochter rechtfertigen lässt.

Aus diesen Betrachtungen wird deutlich, dass Anwendung und Durchsetzung der Mindeststeuer mit erheblicher Komplexität verbunden sein können. Neben den hier kurz angerissenen Fragen kommen weitere: Wie werden Verluste verrechnet? Wie ist mit verschachtelten Unternehmensstrukturen umzugehen? Welche Vereinfachungsmaßnahmen sind geeignet, z. B. Schwellenwerte (Umsatz oder Ähnliches), ab denen die Mindeststeuer angewendet wird?37 Welche Priorisierungsverfahren stellen sicher, dass nicht beide Regeln gleichzeitig angewendet werden? Diese Fragen entscheiden in ihrer Gesamtheit darüber, ob die Mindeststeuer ihre Ziele erreichen kann und ob sich ihre Kosten in akzeptablem Rahmen halten. Erfreulicherweise aber scheint es so, dass den Verhandlungsführern auf allen Seiten die Komplexität der Materie bewusst ist. Vereinfachung und Standardisierung ist ein ausdrückliches Ziel im jüngst veröffentlichten „Working Programme“ des Inclusive Frameworks der OECD.

Ausblick

Eine gut gemachte, umfassende und international abgestimmte Mindeststeuer hätte enorme Vorteile und könnte die Effizienz der internationalen Besteuerung deutlich steigern. Gleichwohl ist anzuerkennen, dass es nicht nur Gewinner gäbe. Insbesondere diejenigen Staaten, die momentan einen Großteil der Gewinne, aber auch Investitionen multinationaler Unternehmen an sich ziehen, unter anderem weil sie sich als Standorte für geistiges Eigentum spezialisiert haben, fürchten um ihr lukratives Geschäft. Diese Staaten werden verständlicherweise kein Interesse an der Reform haben, vor allem wenn ihre bisherige Attraktivität im Wesentlichen nur auf einem niedrigen Steuerniveau basiert. Dem Vernehmen nach ruft im Vergleich zu den Pillar-1-Maßnahmen daher die Mindeststeuer derzeit größere Widerstände hervor, gerade weil sie potenziell ein scharfes Schwert gegen den Steuerwettbewerb ist. Dessen ungeachtet scheint sich ein Konsens herauszubilden, Mindeststeuern in das für 2020 vorgesehene Maßnahmenpaket aufzunehmen. Das dürfte vor allem daran liegen, dass sämtliche große Player die Reform befürworten, wie das Treffen der G20-Finanzminister im Juni 2019 gezeigt hat. Die Gegner der Mindeststeuer verlagern sich derzeit wohl darauf, über technische Fragen und vor allem durch Drängen auf „Carve-outs“ und Ausnahmeregelungen das Grundkonzept zu verwässern. Und in der Tat steckt der Teufel im Detail: Je nachdem, wie die Mindeststeuer gestaltet wird, kann sie das Ende des Geschäftsmodells vieler Steueroasen bedeuten – oder lediglich zu einer weiteren Nebenbedingung im Milliardenspiel der internationalen Steuervermeidung schrumpfen.

Europa solle allein handeln, schreibt die neue Kommissionspräsidentin, wenn bis Ende 2020 keine Einigung erzielt ist. Die Chancen stehen gut, dass dieser Fall nicht eintritt. Wenn die Verhandlungen scheitern, ist aber fraglich, ob Europa in dieser Frage handlungsfähiger ist als die ungleich größere Staatengruppe des Inclusive Framework. Die Veto-Macht derjenigen Länder, die voraussichtlich Verlierer der Reform sind, beispielsweise Irland oder Luxemburg, ist innerhalb der EU deutlich größer, nicht zuletzt aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips. Doch auch wenn die Verhandlungen im nächsten Jahr zu einem erfolgreichen Abschluss kommen, stellt das europäische Recht die Reform vor eine letzte Hürde. Die Mindeststeuer könnte nach europäischem Recht als diskriminierend und im Widerspruch zu den Grundfreiheiten erachtet werden und damit vom Europäischen Gerichtshof untersagt werden. Auch hier spielt eine zentrale Rolle, wie die Mindeststeuer konzipiert ist.

  • 1 U. von der Leyen: Eine Union, die mehr erreichen will – Meine Agenda für Europa, Politische Leitlinien für die künftige Europäische Kommission 2019-2024, Brüssel 2019, S. 14, https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/political-guidelines-next-commission_de.pdf (22.8.2019).
  • 2 Der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehören eigentlich nur 36 Staaten an, nicht jedoch die internationalen Schwergewichte China und Indien. Der Inclusive Framework ist im Rahmen der BEPS-Initiative (Base Erosion and Profit Shifting) geschaffen worden und verfolgt das Ziel, mehr Länder in die Beratungen einzubinden und einen breiteren Konsens über eine Reform der internationalen Besteuerung zu schaffen.
  • 3 J. Becker, J. Englisch: Wie Deutschland versucht, Druck aus dem Steuerreform-Kessel zu lassen, Makronom, 19.12.2018, https://makronom.de/mindeststeuer-wie-deutschland-versucht-druck-aus-dem-steuerreform-kessel-zu-lassen-29003 (22.8.2019).
  • 4 Vgl. Art. 97 und 99 der Richtlinie 2006/112/EC über das gemeinschaftliche System der Umsatzbesteuerung.
  • 5 A. v. Schwerin, T. Büttner: Constrained Tax Competition – Empirical Effects of the Minimum Tax Rate on the Tax Rate Distribution, Working Paper, 2016; W. Boning, J. Slemrod, R. Ullman: Norderfriedrichskoog! Tax havens, Tax Competition and the Introduction of a Minimum Tax Rate, im Erscheinen 2019.
  • 6 Ruding Committee: Report of the committee of independent experts on company taxation, Commission of the European Communities, 1992.
  • 7 Title 26 U.S. Code § 951A. Global intangible low-taxed income included in gross income of United States shareholders.
  • 8 Title 26 U.S. Code § 59A. Tax on base erosion payments of taxpayers with substantial gross receipts.
  • 9 Gleichzeitig weisen BEAT und GILTI aber substanzielle Schwachpunkte auf, sodass diese zwei Regime nicht unbedingt als Vorbild in technischer Hinsicht gelten können. Vgl. beispielsweise M. Herzfeld: Can GILTI + BEAT = GLOBE? in: Intertax, 47(5), 2019, S. 513; und bezüglich des US-GILTI-Regimes: D. W. Blum: The Proposal for a Global Minimum Tax: Comeback of Residence Taxation in the Digital Era?: Comment on Can GILTI + BEAT = GLOBE? in: Intertax, 47. Jg. (2019) H. 5, 2019, S. 516.
  • 10 Overesch/Heckemeyer berechnen in einer Meta-Studie über 27 empirische Studien, die den Einfluss von Steuersätzen auf Gewinnverschiebungsaktivitäten messen, ein Konsensmaß einer Semi-Elastizität von -0,8, d. h., eine Erhöhung des Steuersatzes um 10 Prozentpunkte senkt die Buchgewinne in einer gegebenen Niederlassung um 8 %. Beer et al. (2018) untersuchen 37 empirische Studien und berechnen eine Semi-Elastizität von -1, am aktuellen Rand sogar von -1.5; vgl. J. H. Heckemeyer, M. Overesch: Multinationals’ Profit Response to Tax Differentials: Effect Size and Shifting Channels, in: Canadian Journal of Economics, 50. Jg. (2017), H. 4, S. 965-994; S. Beer, R. De Mooij, L. Liu: International corporate tax avoidance: A review of the channels, magnitudes, and blind spots, IMF Working Paper, Nr. 18/168, 2018.
  • 11 Vgl. z. B. A. Cristea, D. Nguyen: Transfer pricing by multinational firms: New evidence from foreign firm ownerships, in: American Economic Journal: Economic Policy, 8. Jg. (2016), H. 3, S. 170-202; R. Davies, J. Martin, M. Parenti, F. Toubal: Knocking on tax haven’s door: multinational firms and transfer pricing, in: Review of Economics and Statistics, MIT Press, 100. Jg. (2018), H. 1, S. 120-134.
  • 12 Vgl. z. B. H. Huizinga, L. Laeven, G. Nicodème: Capital structure and international debt shifting, in: Journal of Financial Economics, 88. Jg. (2008), H. 1, S. 80-118.
  • 13 Vgl. z. B. R. Griffith, H. Miller, M. O‘Connell: Ownership of intellectual property and corporate taxation, in: Journal of Public Economics, 112. Jg. (2014), S. 12-23.
  • 14 Vgl. J. Becker, N. Johannesen, N. Riedel: Taxation and the Allocation of Risk inside the Multinational Firm, CESifo Working Paper, Nr. 7033, 2018.
  • 15 Einen Überblick über die empirische Literatur über BEPS vor der Implementierung der BEPS-Maßnahmen bietet D. Dharmapala: What Do We Know about Base Erosion and Profit Shifting?, in: A Review of the Empirical Literature, Fiscal Studies, 35. Jg. (2014), H. 4, S. 421-448; vgl. auch N. Riedel: Quantifying International Tax Avoidance: A Review of the Academic Literature, in: Review of Economics/Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften, 69. Jg. (2018). H. 2, S. 169-181.
  • 16 Bruner et al. wenden ein kontrafaktisches System mit Formelaufteilung an, um die Gesamtgewinne von Unternehmen ihren heimischen und ausländischen Standorten zuzuteilen, in der Annahme, dass dies eine Situation ohne Gewinnverschiebung repräsentiert; vgl. J. Bruner, D. G. Rassier, K. J. Ruhl: Multinational Profit Shifting and Measures throughout Economic Accounts, Working paper, 2018.
  • 17 Torslov et al. wenden eine ähnliche Methode wie Bruner et al. an; vgl. T. Torslov, L. Wier, G. Zucman: The Missing Profits of Nations, NBER Working Paper, Nr. 24701, 2018; J. Bruner et al., a. a. O.
  • 18 S. Beer, R. De Mooij, L. Liu, a. a .O.
  • 19 Vgl. beispielsweise S. Barrios, H. Huizinga, L. Laeven, G. Nicodème: International taxation and multinational firm location decisions, in: Journal of Public Economics, 96. Jg. (2012), H. 11/12, S. 946-958.
  • 20 In den OECD-Dokumenten wird ausgeführt, dass die Mindeststeuer „exzessiven“ internationalen Steuerwettbewerb um Realkapital eindämmen soll (siehe para. 90 des OECD Public Consultation Document). Die Steuer soll eine Untergrenze für strategische Steuersenkungen einziehen und so das „race to the bottom” unterbinden. Auswirkungen auf Standortentscheidungen für Realkapital sollten daher nicht nur als Kollateraleffekt der Steuer betrachtet werden und ein Fehlen von Substanzkriterien nicht als Makel.
  • 21 Auch dieses Argument lässt sich dem OECD Public Consultation Document entnehmen, siehe para. 89.
  • 22 M. Ruf, A. Weichenrieder: The Taxation of Passive Foreign Investment: Lessons from German Experience, in: Canadian Journal of Economics, 45. Jg. (2012), H. 4, S. 1504-1528; dies.: CFC Legislation, Passive Assets and the Impact of the ECJ’s Cadbury-Schweppes Decision, CESifo Working Paper, Nr. 4461, 2013; P. H. Egger, G. Wamser: The impact of controlled foreign company legislation on real investments abroad. A multi-dimensional regression discontinuity design, in: Journal of Public Economics, 129. Jg. (2015), Supplement C, S. 77-91; S. Clifford: Taxing multinationals beyond borders: Financial and locational responses to CFC rules, in: Journal of Public Economics, 173. Jg. (2019), H. C., S. 44-71.
  • 23 Eine Dämpfung des Steuerwettbewerbs durch eine Mindeststeuer ist zu erwarten, wenn man das Standardmodell des Steuerwettbewerbs in Betracht zieht. Es gibt jedoch einige alternative Argumente. So argumentieren z. B. Konrad und Kiss im Rahmen eines Stackelberg-Wettbewerbsmodells, dass die Einführung einer Mindeststeuer den Steuerwettbewerb sogar verschärfen könnte, weil der Stackelberg-Folger durch die Mindeststeuer die Möglichkeit verliert, seinen Steuersatz flexibel anzupassen. Dies antizipierend kann der Stackelberg-Führer seine Steuer niedriger setzen als im Fall ohne Mindeststeuer, weil die Reaktion des Folgers nun eingeschränkt wird; vgl. K. A. Konrad: Non-binding minimum taxes may foster tax competition, in: Economics Letters, 102. Jg. (2009), H. 2, S. 109-111; Á. Kiss: Minimum taxes and repeated tax competition, in: International Tax and Public Finance, 19. Jg. (2012). H. 5, S. 641-649. Ein ähnliches Argument findet sich bei Marceau et al. sowie bei Johannesen, die beide asymmetrische Gleichgewichtsmodelle betrachten; vgl. N. Marceau, S. Mongrain, J. D. Wilson: Why do most countries set high tax rates on capital?, in: Journal of International Economics, 80. Jg. (2010), H. 2, S. 249-259; N. Johannesen: Imperfect tax competition for profits, asymmetric equilibrium and beneficial tax havens, in: Journal of International Economics, 81. Jg. (2010), H. 2, S. 253-264.
  • 24 Vgl. auch D. W. Blum, a. a. O., S. 518.
  • 25 So zeigen z. B. v. Schwerin und Büttner, dass nach der Einführung des Mindesthebesatzes selbst diejenigen Kommunen ihren Hebesatz angehoben haben, die nicht direkt von der Mindeststeuer betroffen waren; A. v. Schwerin, T. Büttner, a. a. O.
  • 26 Vgl. M. Evers, H. R. J. Vollebergh, R. A. de Mooij: Tax Competition under Minimum Rates: The Case of European Diesel Excises, CESifo Working Paper Series, Nr. 1221, 2004.
  • 27 Vgl. z. B. K. Andersson: The OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Initiative and Developing Countries, in: Bulletin for International Taxation, 2018, S. 688.
  • 28 Vgl. auch U. Schreiber, L. M. Fell: International Profit Allocation, Intangibles and Sales-Based Transactional Profit Split, in: World Tax Journal, 2017, S. 102.
  • 29 J. Voget: Relocation of Headquarters and International Taxation, in: Journal of Public Economics, 95. Jg. (2011), S. 1067-1081; M. A. Desai, J. R. Hines: Expectations and Expatriations: Tracing the Causes and Consequences of Corporate Inversions, in: National Tax Journal, 55. Jg. (2002), S. 409-440.
  • 30 Vgl. OECD: Tax Policy Reforms 2018, S. 63.
  • 31 OECD: Corporate Tax Statistics, 2019, S. 9. Zwölf Staaten (ohne Berücksichtigung von Steueroasen) haben einen (vorausschauenden) effektiven Durchschnittsteuersatz von unter 15 %, nur zwei unter 10 %. Ebenda, S. 21.
  • 32 Ebenda, S. 24-25.
  • 33 Im Sample sind 28 EU-Mitgliedstaaten sowie Japan, Kanada, Norwegen, Schweiz und USA. Vgl. ZEW: Digital Tax Index 2018.
  • 34 C. Taylor: Time for ‘aggressive tax behaviour’ is over, says OECD reform director, in: Irish Times vom 30.7.2019, https://www.irishtimes.com/business/economy/time-for-aggressive-tax-behaviour-is-over-says-oecd-reform-director-1.3970058 (22.8.2019).
  • 35 J. Englisch, J. Becker: International Effective Minimum Taxation – The GLOBE Proposal, 2019, https://ssrn.com/abstract=3370532 (22.8.2019).
  • 36 Ebenda.
  • 37 Beispielsweise könnten die Compliance-Kosten bei der Tax on Base Eroding Payments stark vereinfacht werden, wenn sogenannte „White Lists“ Auskunft darüber erteilen, welche Unternehmen von einer funktionierenden Income Inclusion Rule betroffen sind, sodass der Staat, indem die Zahlungen vorgenommen werden, auf eine Berechnung der Effektivsteuerlast verzichten kann.

Title:International Minimum Taxation of Corporate Profits

Abstract:The international negotiations on a system of effective international minimum taxes on multinational firm profits are ongoing. Such a system has the potential to substantially improve the efficiency of the international tax system. Designing and implementing minimum taxes may prove to be tricky, however, as excessive compliance costs need to be avoided and double taxation risks should be mitigated. These concerns aside, there is a good chance of international agreement as the recent G20 Finance Minister Summit suggests.

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DOI: 10.1007/s10273-019-2505-x