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Der konjunkturelle Abschwung in Deutschland hinterlässt am Arbeitsmarkt zunehmend Spuren. Im August nahm die Zahl der bei den Arbeitsagenturen registrierten Arbeitslosen saisonbereinigt gegenüber dem Vormonat leicht zu – die Tendenz zeigt damit seit vier Monaten wieder leicht nach oben. Das gab es zuletzt im Jahr 2013. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit geht dabei auf mehr Arbeitslose in der konjunkturreagiblen Arbeitslosenversicherung (Rechtskreis SGB III) zurück. Die Zahl der Arbeitslosen in der Grundsicherung (Rechtskreis SGB II) nahm hingegen in der Tendenz noch leicht ab. Die Erwerbstätigkeit legte zuletzt zwar weiterhin zu, der Beschäftigungsaufbau hat sich in den vergangenen Monaten jedoch stark verlangsamt. Maßgeblich hierfür war die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, die im zweiten Quartal so schwach gestiegen ist wie seit über sechs Jahren nicht mehr. Im Verarbeitenden Gewerbe verlangsamte sich der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bereits im vergangenen Jahr, seit Beginn dieses Jahres sinken die Beschäftigtenzahlen in diesem Wirtschaftsbereich sogar. Die Zahl der Zeitarbeiter sinkt seit anderthalb Jahren kräftig. Hierzu dürfte jedoch anfänglich vor allem die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Jahr 2017 beigetragen haben, die den Einsatz von Zeitarbeit restriktiver gestaltete.1 Die Zahl der Selbständigen und die der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten setzte ihren seit mehreren Jahren abwärtsgerichteten Trend fort und sind somit konjunkturell bislang unauffällig.

Die Frühindikatoren für den Arbeitsmarkt haben sich so rapide verschlechtert wie lange nicht. Die Zahl der offenen Stellen sinkt seit April, wenngleich das Niveau immer noch sehr hoch ist. Die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen hat Unternehmensbefragungen zufolge erheblich nachgelassen. So sinkt das ifo Beschäftigungsbarometer seit einem Jahr spürbar (vgl. Abbildung 1). Zwar wollen die Dienstleister und das Baugewerbe die Zahl der Beschäftigten in den kommenden Monaten per Saldo noch erhöhen, jedoch planen mehr und mehr Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes einen Personalabbau. Auch das IAB-Arbeitsmarktbarometer, das auf Befragungen der lokalen Arbeitsagenturen basiert, sank in den vergangenen Monaten deutlich.

Abbildung 1
ifo Beschäftigungsbarometer
ifo Beschäftigungsbarometer

Monatsdaten. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung: Veränderung gegenüber Vorjahresmonat in %.

Quelle: ifo und Bundesagentur für Arbeit.

Zwar erwarten die Arbeitsagenturen noch einen Anstieg der Beschäftigung, sie rechnen aber zunehmend mit (weiter) steigender Arbeitslosigkeit in ihren Bezirken. Nicht zuletzt signalisiert der gestiegene Zugang nichtarbeitsloser Arbeitsuchender einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit, denn Beschäftigte sind verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses bei den Arbeitsagenturen arbeitsuchend zu melden. Diese Frühindikatoren liefern wertvolle Informationen über die Entwicklung am Arbeitsmarkt lediglich für ungefähr drei Monate in die Zukunft. Wie geht es danach weiter? Der Arbeitsmarkt hängt nicht nur von der Produktion, sondern auch von der Lohnentwicklung ab. Liegen die Lohnkosten unterhalb der nominalen Arbeitsproduktivität (Umsatz im Verhältnis zum Arbeitseinsatz), wird die Arbeitsnachfrage der Unternehmen bei gegebener Produktion stimuliert. Liegen die Lohnkosten darüber, haben die Unternehmen einen Anreiz, Personal abzubauen. Dieser Zusammenhang ist nicht nur theoretisch fundiert, sondern kann auch für Deutschland empirisch nachgewiesen werden.2

Nach der jüngsten Generalrevision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen durch das Statistische Bundesamt im August 2019 stellt sich dieses Verhältnis von Lohnkosten zu nominaler Arbeitsproduktivität – also die realen Lohnstückkosten – am aktuellen Rand deutlich ungünstiger dar als noch nach altem Rechenstand (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Reale Lohnstückkosten
Reale Lohnstückkosten

Jahresdaten; Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmerstunde (nominal) in Relation zur Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigenstunde (nominal). Alter Datenstand: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen (VGR) vom 23.5.2019. Neuer Datenstand: VGR vom 27.8.2019.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2.

Die Lohnkosten stiegen in den vergangenen Jahren stärker als bislang ausgewiesen, die heimischen Preise (gemessen am Deflator des Bruttoinlandsprodukts) legten hingegen schwächer zu. In der Folge befanden sich die realen Lohnstückkosten im vergangenen Jahr ungefähr wieder auf ihrem langjährigen Durchschnitt, der als beschäftigungsneutrales Niveau interpretiert werden kann. Das war zuletzt im Jahr 2003 der Fall. Seitdem befanden sie sich mit einer Ausnahme kontinuierlich darunter, am deutlichsten vor der Großen Rezession. Die Arbeitsnachfrage der Unternehmen erhielt hierdurch spürbare positive Impulse, die die robuste Entwicklung während der Großen Rezession und den anschließenden kräftigen Beschäftigungsaufbau maßgeblich begünstigt haben dürften. Diese positiven Impulse sind nun weggefallen. Für 2019 zeichnet sich aufgrund der absehbar schwachen Arbeitsproduktivität ein weiterer Anstieg der realen Lohnstückkosten ab, sodass sie sogar über den langjährigen Durchschnitt steigen. Dies spricht für sich genommen dafür, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland wieder stärker auf konjunkturelle Schwächephasen reagieren wird, als dies in den vergangenen zehn Jahren der Fall war.

Für stärkere Arbeitsmarkteffekte spricht auch der gesetzliche Mindestlohn. Die Einführung in Höhe von 8,50 Euro je Stunde 2015 und die mehrmaligen Erhöhungen auf aktuell 9,19 Euro fanden in einem der längsten Aufschwünge am Arbeitsmarkt in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg statt. Es ist daher verfrüht, das bisherige Ausbleiben größerer Beschäftigungseinbußen als dauerhaft zu werten. Es ist vielmehr plausibel, dass die Unternehmen erst in wirtschaftlich schlechteren Zeiten ihren Personalstand vollständig an den Mindestlohn anpassen, wenn der Druck für Kosteneinsparungen deutlich höher ist als in guten Zeiten.3 Gedämpft werden dürfte die Reaktion des Arbeitsmarkts vor allem dadurch, dass die Anspannungen dort weitaus höher sind als in vergleichbaren früheren Konjunkturphasen. Die Vakanzzeit von offenen Arbeitsstellen ist bis zuletzt gestiegen und so lang wie seit über 20 Jahren nicht. Gemäß dem „Limits to Production“-Indikator der Europäischen Kommission geben zudem aktuell immer noch 15 % bis 20 % der befragten Unternehmen an, dass Arbeitsengpässe ein Produktionshindernis darstellen. Im Verarbeitenden Gewerbe und im Bau sind derart hohe Werte vor der jüngsten Boomphase seit Befragungsbeginn (1985 bzw. 1991) noch nie verzeichnet worden. Es liegt daher nahe, dass Unternehmen in einem Abschwung versuchen werden, länger als in der Vergangenheit an ihren Arbeitskräften festzuhalten.

Gute Nachrichten vom Arbeitsmarkt sind über die vergangenen Jahre vermeintlich zur Normalität geworden. Abgesehen von kurzen Unterbrechungen 2008/2009 (Große Rezession) und 2012/2013 (europäische Staatsschuldenkrise) nahm die Arbeitslosigkeit zwischen 2005 und 2019 von 12 % auf 5 % kontinuierlich ab. Allerdings war nur ein Teil dieses Rückgangs struktureller Natur und ist somit von Dauer. Hier sind die Lohnmoderation und die Hartz-Reformen während der 2000er Jahre von großer Bedeutung. Der übrige Teil des Rückgangs war der Hochkonjunktur der vergangenen Jahre geschuldet und damit absehbar nur ein vorübergehendes Phänomen. Alles in allem deutet sehr viel daraufhin, dass einer der längsten Aufschwünge am Arbeitsmarkt in Deutschland vorbei ist.4 Mit dem Wegfall des konjunkturellen Rückenwinds wird das Beschäftigungsklima rauer und strukturelle Faktoren rücken verstärkt in den Vordergrund. Denn nur über strukturelle Reformen kann die Arbeitslosigkeit auch dauerhaft niedrig gehalten werden. Mögliche Ansatzpunkte bestehen nicht zuletzt bei den hohen Transferentzugsraten im Niedriglohnbereich, die die Arbeitsanreize erheblich dämpfen, sowie beim Mindestlohn, der die Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte reduzieren dürfte.

Dominik Groll

Dominik.Groll@ifw-kiel.de

  • 1 Vgl. D. Groll: Zur Zeitarbeit als Frühindikator am aktuellen Rand, IfW-Box 2018.19, https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/ifw-box/2018/zur-zeitarbeit-als-fruehindikator-am-aktuellen-rand-11883/ (6.9.2019).
  • 2 J. Boysen-Hogrefe, D. Groll: The German Labour Market Miracle, in: National Institute Economic Review, Vol. 214 (2010), H. 1, S. R38-R50.
  • 3 Weitere Gründe für das Ausbleiben größerer Beschäftigungsverluste könnten sein, dass die Unternehmen die gestiegenen Lohnkosten durch Einsparungen an anderer Stelle kompensieren (z. B. bei Mitarbeitervergünstigungen) und dass der Mindestlohn in nicht unerheblichem Ausmaß unterlaufen wird. Zur bisherigen Evidenz für die Nichterfüllung des Mindestlohngesetzes vgl. M. Caliendo, C. Schröder, L. Wittbrodt: The Causal Effects of the Minimum Wage Introduction in Germany – An Overview, in: German Economic Review, 20. Jg. (2019), H. 3, S. 257-292.
  • 4 Zur aktuellen Prognose des Instituts für Weltwirtschaft für die Konjunktur in Deutschland und den Arbeitsmarkt bis 2021 vgl. M. Ademmer, J. Boysen-Hogrefe, S. Fiedler, D. Groll, N. Jannsen, S. Kooths, G. Potjagailo, M. Wolters: Deutsche Wirtschaft im Abwärtssog, in: Deutsche Konjunktur im Herbst 2019, Kieler Konjunkturbericht Nr. 59, Institut für Weltwirtschaft.

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DOI: 10.1007/s10273-019-2510-0