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Anfang Dezember legte Olaf Scholz einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTS) in zehn EU-Ländern vor: Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und weitere. Nun könne man „endlich den Sack zu machen“. Allerdings ist keine Finanztransaktionssteuer drin. Denn es sollen nur Aktien erfasst werden von Gesellschaften mit einem Marktwert über einer Milliarde Euro. Fazit: Die „Scholz-FTS“ beträfe nur 0,3% aller Finanztransaktionen (der überwältigende Teil entfällt auf Derivate). Länder wie Österreich oder Belgien fordern seit langem eine umfassende FTS, werden also den Scholz-Vorschlag ablehnen. Da aber mindestens neun Länder im Rahmen der „Verstärkten Zusammenarbeit“ mitmachen müssen, ist der Scholz-Vorschlag eine Totgeburt. Und das ist gut so. Denn er widerspricht beiden Hauptzielen einer FTS: Dämpfung der „schnellen“ Spekulation sowie eine höhere Steuerleistung des Finanzsektors. Der überwältigende Teil spekulativer Transaktionen findet auf den Derivatmärkten statt (an der Deutschen Börse ist ihr Volumen fast 50 Mal so hoch wie jenes mit Aktien und Anleihen und damit 22 Mal so hoch wie das deutsche BIP). Doch diese Transaktionen blieben steuerfrei. Daher lägen die Erträge nur bei 0,04 % des BIP statt geschätzten 1 % bis 2 % im Fall einer umfassenden FTS.

Gleichzeitig ignoriert der „schnelle“ Derivathandel jede Art „fundamentaler“ Information, er destabilisiert daher die Aktien-, Anleihe- und Wechselkurse sowie die Rohstoffpreise: Die Algorithmen der Spekulationssysteme nützen die „schubartige“ Kursentwicklung („trending“) aus und verstärken sie zugleich, indem sie in der Frühphase eines „runs“ einsteigen („trend-followers“) oder in der Spätphase auf einen Richtungswechsel setzen („contrarians“). Ist die Marktstimmung optimistisch („bullish“), so dauern Aufwärtstrends etwas länger als Gegenbewegungen: Mehrere „runs“ auf Basis von Sekundendaten akkumulieren sich zu einem Minutentrend, diese wieder zu Stundentrends und letztere zu Tagestrends.

Das sich wiederholende „trending“ prägt die Preisdynamik von Aktien, Anleihen, Devisen und Rohstoffen. Eine Verteuerung des „schnellen“ Trading durch eine FTS würde daher auch das Ausmaß von deren Akkumulation zu langfristigen Trends verringern. Dies wäre umso wünschenswerter als die Abfolge von Bullen- und Bärenmärkten fatale Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat: Steigende Bewertungen verlängern die Bilanzen, insbesondere die Finanzakteure können ein „größeres Rad drehen“ (wie vor 2007). Bärenmärkte verkürzen die Bilanzen und dezimieren das Eigenkapital (wie 2007/2008 als alle drei Vermögenswerte einbrachen). Als Folge der Finanzkrise nahm die Unterstützung einer generellen FTS zu: 2010 befürworteten 61 % der EU-Bevölkerung dieses Projekt, ein Jahr später präsentierte die EU-Kommission überraschend ein Konzept, das die Besteuerung sämtlicher Finanztransaktionen vorsah. Sie modifizierte dieses im Februar 2013 als Grundlage für eine „Verstärkte Zusammenarbeit“ der „FTS-willigen“ Mitgliedsländer (eine EU-weite Umsetzung erwies sich als unerreichbar).

Diesmal war die Finanzlobby perfekt vorbereitet: In „wissenschaftlichen“ Studien wurden Katastrophenszenarios entworfen. Wie bei jedem „Flächenbombardement“ zählten nicht Qualität, sondern Quantität (so wurde die Belastung des Finanzsektors unter der Annahme berechnet, dass die FTS zu keiner Reduktion der Transaktionen führen würde). Nun trat die Politik den Rückzug an: Wichtige Länder wie Frankreich und Italien führten eigene Transaktionssteuern ein und erschwerten so eine gemeinsame, umfassende Lösung. Der Scholz-Entwurf stellt den (vorläufig) letzten Schritt in diesem „Parallelprozess“ dar. In der Rhetorik betont man die Wichtigkeit einer FTS, in der Praxis nimmt man ihr jede Wirksamkeit. Gleichzeitig bauen seit 2010 boomende Aktien- und Anleihekurse sowie Immobilienpreise neuerlich ein erhebliches „Absturzpotenzial“ auf, gefördert durch die Nullzinspolitik, die ihrerseits eine Spätfolge der Finanzkrise war. Eine umfassende FTS würde auch die Bekämpfung der Klimakrise erleichtern. Denn die großen „Finanzalchemisten“ wie Goldman Sachs, JP Morgan etc. nutzen seit langem Derivate auf die CO2-Zertifikate der EU als Spekulationsvehikel (auf sie entfallen 99% des Emissionshandels). Dies verstärkt die Schwankungen der Emissionspreise dramatisch, sie lagen zwischen 3 und 32 Euro je Tonne CO2. Für eine nachhaltige Reduktion braucht es aber stetig steigende Preise und damit die Verankerung entsprechender Erwartungen.

Kommt es zu einer neuerlichen Vermögensschmelze durch mehrere Bärenmärkte oder wird (endlich) erkannt, in welchem Ausmaß Derivatspekulation die CO2-Emissionspreise destabilisiert, so wird das Interesse an einer umfassenden FTS wieder steigen. Es wird aber weitere Maßnahmen brauchen, um „Finanzalchemie“ radikal einzuschränken.

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© Der/die Autor(en) 2020

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DOI: 10.1007/s10273-020-2550-5