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Seit Monaten wird in den Medien über einen Konflikt innerhalb der Bundesregierung berichtet, der zwar technisch anmutet, jedoch weitreichende Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft hat. Es geht darum, wer künftig freiwerdende Frequenzen bei 450 MHz nutzen kann, um einerseits die Stabilität einer möglichst CO2-freien Stromversorgung zu gewährleisten oder andererseits Anwendungen im Bereich der öffentlichen Sicherheit zu unterstützen.

Um die Klimaschutzziele zu erfüllen, muss die Energiewende fortgeführt werden. Durch diese werden die zentralen Strukturen bei der Stromversorgung aufgebrochen und durch kleinteilige und dezentrale Einheiten ersetzt, die erneuerbare Energien nutzen. Die sichere und zuverlässige Stromversorgung soll trotz dieser Transformation nicht gefährdet werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die volatile Produktion von Strom durch eine Vielzahl von Kleinanlagen mit der Entnahme in Einklang gebracht werden, die sich beispielsweise durch Wärmepumpen und E-Autos in Struktur und Volumen verändern wird. Diese Herausforderung kann nur gelingen, wenn die Digitalisierung von Prozessen und Infrastrukturen in der Energiewirtschaft voranschreitet. Ziel ist es, neben der Steuerbarkeit von Einspeisern und Abnehmern auch die Fähigkeit zu erlangen, bei lokalen Stromausfällen die Stromversorgung schnellstmöglich wieder hochzufahren. Dies setzt den Einsatz von Telekommunikationsdiensten voraus, die auch bei einem Stromausfall zur Verfügung stehen. Die Energiewirtschaft hat nach langen Jahren des Testens von Technologien festgestellt, dass allein Telekommunikationsdienste in einem dedizierten Funknetz bei 450 MHz sämtlichen Anforderungen genügen. Öffentliche Telekommunikationsdienste erfüllen die Anforderungen nicht. Erste regionale 450-MHz-Funknetze existieren bereits in Deutschland, die weiter betrieben werden sollen, zumal es keine anderen Frequenzen gibt, die genutzt werden könnten.

Da die Frequenznutzungsrechte Ende 2020 auslaufen, ist zu entscheiden, wer die Frequenzen künftig nutzen kann. Unternehmen der Energiewirtschaft haben ihren konkreten Bedarf gegenüber der zuständigen Bundesnetzagentur dargelegt. Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sowie die Bundeswehr haben ebenfalls das Interesse geäußert, die Frequenzen bei 450 MHz ab 2021 zu nutzen. Wissenschaftliche Studien von Strategy& oder WIK-Consult bestätigen den Frequenzbedarf von BOS, der angesichts breitbandiger Anwendungen (z. B. Videoübertragung) um den Faktor 3 über dem jetzt zur Verfügung stehenden Frequenzumfang bei 450 MHz liegt. Um diesem Bedarf in Teilen Rechnung zu tragen, wurden europaweit den BOS bereits Frequenzen bei 700 MHz zur Verfügung gestellt. Die Frequenzen werden heute im Alltag von BOS nicht genutzt. Das Interesse, 450 MHz für BOS zu nutzen, teilen nicht alle Bundesländer, zumal die BOS-Endgeräte für eine solche Frequenznutzung erst entwickelt werden müssten.

Der Vergleich von Energiewirtschaft und BOS zeigt, dass letztere bereits über Frequenzen verfügen, um ihre Digitalisierung voranzutreiben. Auch aus diesem Grund hat sich die Bundesnetzagentur für eine Vergabe der Frequenzen für Anwendungen der Energiewirtschaft ausgesprochen. Der Konflikt besteht aber weiterhin. Könnte er durch eine gemeinsame Frequenznutzung gelöst werden? Aus technischer Sicht sind hier drei Aspekte relevant: In der Energiewirtschaft geht es erstens um die Vernetzung von Millionen von Dingen (z. B. Smart-Meter-Gateways). Das Kommunikationsverhalten von Dingen mit ihren geringen und häufigen Datenübertragungen unterscheidet sich technisch von Anwendungen, die die BOS nutzen wollen. Aus diesem Grund werden das Internet der Dinge und breitbandige Anwendungen in den öffentlichen Mobilfunknetzen getrennt realisiert. Es gibt heute keine technische Lösung, die beide Anwendungen sinnvoll in einem Netz integriert. Es stellt sich zweitens die Frage der Priorisierung der Daten: Wer hat bei Engpässen im Netz Vorrang? Müssen Energieanwendungen im Krisenfall zurückstehen? Oder müssen BOS-Anwendungen warten, weil die Funkressourcen zur Verhinderung eines Blackouts benötigt werden? Ein dritter Aspekt betrifft die Zahl an Sendeanlagen: Während die Energiewirtschaft mit weniger als 2.000 Sendeanlagen auskommt, müssten BOS ein Vielfaches dessen betreiben, um überhaupt einen Teil der Kapazität zu haben. Eine höhere Zahl von Sendeanlagen ist aufgrund der Ausbreitungseigenschaften der 450-MHz-Frequenz technisch aber ineffizient und verringert die Qualität der Dienste. Technisch besser wäre es, die zugeteilten 700-MHz-Frequenzen zu nutzen.

Bereits diese technische Analyse zeigt, dass für BOS eine andere Lösung gefunden werden sollte. BOS benötigt für ihre Anwendungen Frequenzen, die den weiter steigenden Bedarf von BOS auch bewältigen können. Brückenlösungen, die noch dazu die Digitalisierung kritischer Infrastrukturen behindern, helfen hier nicht weiter. Die Energiewirtschaft muss dagegen mit den knappen Ressourcen bei 450 MHz die Energiewende stemmen.

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© Der/die Autor(en) 2020

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DOI: 10.1007/s10273-020-2752-x