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Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer sind 2019 mit dem Wirtschaftsnobelpreis geehrt worden. Dies vor allem für ihren experimentellen Ansatz zur Linderung der weltweiten Armut. Die Laureaten nutzen randomisierte Experimente, um entwicklungspolitische Maßnahmen zu evaluieren. So haben sie die Grenzen der in Indien genutzten Mikrofinanzierung aufgezeigt. Zwar gibt es durchaus Kritik an dieser mikroökonomisch ausgerichteten Forschung. Die gründliche Evaluierung von politischen Maßnahmen – wie beispielsweise in der evidenzbasierten Wirtschaftspolitik – sollte aber ein gemeinsames Ziel von Wissenschaft und Politik werden.

Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften wurde im Oktober 2019 an Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer „für ihren experimentellen Ansatz zur Linderung der weltweiten Armut“1 verliehen. Sehr ungewöhnlich an dieser Kurzcharakterisierung ist die Verbindung mit einem wirtschaftspolitischen Ziel, der „Linderung weltweiter Armut“. Auch wenn Armutsbekämpfung auf der Agenda internationaler (Entwicklungs-)Ziele immer und unzweifelhaft weit oben steht, so werden Nobelpreise eigentlich für methodische, seltener auch für inhaltliche Beiträge vergeben, aber wohl noch nie so klar mit Bezug auf ein wirtschaftspolitisches Ziel. Da also der methodische Beitrag der Preisträger als offensichtlich sehr geeignet zur Erreichung eines wichtigen Ziels eingeschätzt wird: Was kann die Wirtschaftspolitik in Deutschland über das Ziel der Armutsbekämpfung hinaus lernen?

Randomisierte Experimente

Der wichtigste methodische Beitrag der Preisträger wird in der Kurzcharakterisierung durch die Schwedische Akademie als „experimenteller Ansatz“ beschrieben. Damit gemeint ist die Fokussierung der Preisträger auf randomisierte Experimente, sogenannte Randomized Controlled Trials (RCT). Diese Experimente finden „im Feld“ statt, indem in Entwicklungsländern bestimmte Interventionen gegen Armut mit einem Teil der Zielgruppe durchgeführt werden. Parallel zu diesen Interventionen wird die Situation in Kontrollgruppen erfasst, um Veränderungen in beiden Gruppen – also mit und ohne Intervention – vergleichen zu können.

Der kritische Punkt, der die RCT von vielen anderen Untersuchungsdesigns unterscheidet, ist die Randomisierung. Dabei werden Personen der Zielgruppe zufällig zu einer Gruppe mit oder einer Gruppe ohne Intervention zugeordnet. Diese Randomisierung ist wichtig, denn bei einer Versuchsanordnung, in der Individuen selbst entscheiden können, ob sie bei einer Intervention mitmachen, kommt es zu Selektionseffekten. Aus der Praxis ist bekannt, dass der Typ Mensch, der „mitmacht“, anders ist, tendenziell aktiver, engagierter, neugieriger, risikobereiter usw. – dieser Typ wählt häufiger die Interventionsgruppe, es findet also Selbstselektion statt, und die trägt dazu bei, dass eine Intervention erfolgreich ist. Damit befürworten die Ergebnisse ohne randomisierte Zuordnung systematisch eher die Intervention als bei Randomisierung und überschätzen deshalb den Erfolg von Maßnahmen.

Anders gewendet weisen damit RCT tendenziell eine schwächere (aber korrekte) Wirkung von Interventionen aus als dies andere Evaluierungsverfahren tun. Allerdings sind RCT relativ teuer in der Implementierung, oft sind keine entsprechenden Budgets vorgesehen, sodass „einfacher“ evaluiert werden muss. Schließlich benötigt die Analyse langfristiger Effekte naturgemäß lange Zeiträume, die die Entscheidungsträger ungern abwarten möchten, manchmal bei „Handlungsdruck“ auch nicht abwarten können. All dies macht das Verfahren aus Sicht von Politikinstitutionen nicht gerade zum bevorzugten Instrument. Zweifellos haben die Arbeiten der Preisträger und ihrer Kollegen aber dazu beigetragen, dass RCT sehr viel prominenter geworden sind, sowohl in der Wissenschaft (vgl. Abbildung 1) als auch bei vielen Politikträgern, die RCT inzwischen zum etablierten Instrumentarium von Evaluationen rechnen.

Abbildung 1
Zahl der Zitate pro Jahr für die Schlagwörter „randomized controlled trial“ oder „RCT“

Quelle: eigene Darstellung, Daten aus „Web of Science“-Datenbank, Suchanfrage vom 13.1.2020 mit dem Suchbegriff „randomized controlled trial“ oder „RCT“ in Kategorie „Economics“.

Volkswirte als „Klempner“

Neben randomisierten Experimenten propagieren die aktuellen Nobelpreisträger auch eine bestimmte Herangehensweise an entwicklungspolitische Probleme. Etwas provokativ hat Duflo dies als „klempnern“2 bezeichnet. Gemeint ist damit ein sehr praxisorientierter, handfester Ansatz, der konkrete Verbesserungen in einer vorgegebenen Umwelt anstrebt und nicht einen großen Wurf für gesellschaftliche Änderungen propagiert. Abgeschwächt zum großen Wurf gibt es noch zwei Gruppen an Wissenschaftlern, die Duflo als „Akademiker“ (scientists) und „Ingenieure“ bezeichnet, also Ökonomen, die wirtschaftspolitische Empfehlungen mit dem Ziel, direkt die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens zu verbessern, abgeben.

Damit klingt ihre eigene Arbeitsbeschreibung bescheiden. Natürlich will sie nicht die Klempnerin sein, die Ingenieuren untergeordnet arbeitet. Dies wird ganz deutlich in ihrer Dankesrede bei der Verleihung des Nobelpreises: Es geht ihr um politische Wirksamkeit; sie sieht sich und ihre Mitforscher als echte Reformer („change maker“3). Um ein viel zitiertes Beispiel aus der Arbeit der Preisträger zu nennen: Ein Experiment widmete sich der Frage, wo zusätzliche Ressourcen im Schulbereich eingesetzt werden sollen, ob eher in eine gute Versorgung mit (vorhandenen) Schulbüchern, in kostenloses Schulessen oder in die Betreuung leistungsschwacher Schüler?4 Im Ergebnis hat sich letzteres als beste Alternative herausgestellt. Es ist in diesem Beispiel nicht plausibel, dass man die angesprochenen mikroökonomischen Optimierungen wirklich isoliert voneinander durchführen kann. Eine Entscheidung darüber, wo man bei der Verbesserung der Bildungssituation ansetzt, muss bei einem national organisierten Bildungssystem auf der nationalen Ebene getroffen werden. Wird bei dieser Fragestellung tatsächlich rational entschieden, spricht viel dafür, dass der ordnungspolitische Rahmen schon funktioniert oder wenigstens zum Teil funktional gemacht wurde. Kurzum, fruchtbare Diskussionen um die Gestaltung von mikroökonomischen Eingriffen („Klempner“) werden Rückwirkungen auf den nationalen Ordnungsrahmen („Ingenieure“) haben.

Duflo und Popper

Diese pragmatische Herangehensweise bei der Linderung weltweiter Armut erinnert stark an die erkenntnistheoretische Methode von Karl Popper, demzufolge es Aufgabe der Forschung ist, Theorien zu falsifizieren. Im Grunde spiegelt das Klempnern genau diese Methode des „Trial and Error“, also zu testen, was funktioniert und was nicht. Etwas schwieriger mag Poppers Positivismuskritik zu adressieren sein, also die Kritik an der Vorstellung, aus Beobachtungsdaten – im Grenzfall von Einzelfällen – allgemeine Erkenntnisse zu gewinnen. Die Antwort hierauf von Duflo und ihren Mitstreitern hat zwei Teile: Zum einen sollen viele RCT mit denselben Interventionen, allerdings unterschiedlichen Personengruppen oder in einem anderen Umfeld durchgeführt werden, um die Besonderheiten von Einzelfällen zu erkennen; zum anderen soll gezielt an der Skalierbarkeit von Interventionen gearbeitet werden, um möglicherweise gewonnene Erkenntnisse in einen größeren Rahmen zu überführen. Was all dies konkret für die Wirtschaftspolitik bedeuten kann, wird im Folgenden am Beispiel der Interventionen im Bereich Mikrofinanzen gezeigt.

Das Beispiel Mikrofinanzen

Das Scheitern von großen, zentralistisch-nationalen Entwicklungsbanken in Entwicklungsländern bereitete den Boden für die Förderung von kleinen Einheiten.5 Mikrofinanzen richten sich deshalb an Haushalte oder Kleinunternehmer und nutzen eine stark mikroökonomische Herangehensweise, beziehen sich also auf Anreize, den Wissens- und Institutionenaufbau. Das wohl bekannteste Beispiel für eine Mikrofinanzinstitution ist die Grameen Bank in Bangladesch, gegründet im Jahr 1983 von Muhammad Yunus, der dafür 2006 (zusammen mit der Bank) den Friedensnobelpreis erhielt. Sicherlich hat diese Einrichtung, die tradierte Elemente des Sparens und Verleihens in Gruppen aufgreift und weiterentwickelt, viel Gutes bewirkt. Sie hat den Fokus auf die Armen gelenkt, die für die großen Entwicklungsbanken keine Zielgruppe waren, und somit die relativ armen und wenig gebildeten Menschen ermutigt. Die Armen sparen, investieren (oder konsumieren) und in gewisser Weise kann die Mikrofinanzinstitution sie ermutigen ihr Verhalten „positiv“ zu verändern. Positiv bedeutet hier aus Sicht der Grameen Bank, dass Mindestregeln eingehalten werden wie die Familiengröße zu begrenzen, Trinkwasser abzukochen, die Häuser gepflegt zu halten etc. Schließlich hat die anfangs kleine Bank heute Millionen von Kunden, ganz überwiegend weibliche, und dient als Vorbild für ähnliche Einrichtungen überall auf der Welt.

Allerdings gibt es auch erhebliche Kritik an der Grameen Bank, von der wir zwei Fragen zur Nachhaltigkeit aufgreifen:6 Ist die Bank finanziell nachhaltig lebensfähig und kann sie das Leben ihrer Kunden nachhaltig ändern? Die finanzielle Nachhaltigkeit wird infrage gestellt, weil die Bank nicht voll kommerziell operiert, sondern von externen Geldgebern und dem Staat unterstützt wurde und wird. Zudem bietet sie Kredite mit relativ günstigen Zinssätzen an. Überschlägige Rechnungen deuten an, dass die Bank in der Tat nur so erfolgreich operieren kann, weil sie letztlich finanziell subventioniert wird. Allerdings zeigen Beispiele aus anderen Ländern, dass eine Mikrofinanzinstitution auch ohne Unterstützung finanziell nachhaltig sein kann, allerdings muss sie unter Umständen die Marktbedingungen stärker beachten, also Risiken stärker begrenzen, Kredituntergrenzen anheben, höhere Kreditzinsen verlangen usw.

Für die Grameen Bank und andere Mikrofinanzinstitutionen ist eine nachhaltige Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse ein besonders kritisches Thema. Idealtypisch sollten Banken vor allem dazu beitragen, dass Kredite in produktive Verwendungen gegeben werden, damit die Produktion und der wirtschaftliche Wohlstand steigen. Dies wäre dann eine transformative Rolle von Finanzinstitutionen, indem sie die Lebenslage der ärmeren Bevölkerung zum Bessern verändern. Bereits am Beispiel der Grameen Bank sind Zweifel aufgekommen, inwieweit dies gelingt, denn die Kreditnehmer bleiben in der Regel arm. Dies spricht nicht gegen das Geschäftsmodell, denn auch konsumtiv verwendete Kredite können volkswirtschaftlich nützlich sein. Wie aber verwenden Kreditnehmer ihre Gelder tatsächlich? Inwieweit verdrängen Mikrofinanzkredite andere Kreditquellen? Begünstigen sie Überschuldung und kommt es zu erkennbarem wirtschaftlichen oder sozialen Fortschritt?

Transformative Funktion?

Banerjee et al. haben dies erstmals in einem RCT in Indien untersucht, und die Grenzen der dortigen typischen Mikrofinanzinstitution festgestellt.7 Überraschend war die geringe Aufnahme von Mikrokrediten: Konkret nutzen nach deren Einführung weniger als 30 % statt der erwarteten 80 % der Berechtigten Mikrokredite, viele dieser Kredite substituieren informelle Kredite. Dies gibt einen Hinweis darauf, dass das Ausmaß an Kreditbeschränkung vielleicht doch nicht so dramatisch ist wie angenommen oder jedenfalls durch das Mikrofinanzangebot nicht gelöst wird. Immerhin wurden zusätzliche Investitionen in bestehenden Kleinunternehmen ermöglicht. Nach ein bis eineinhalb Jahren profitieren messbar allerdings nur die größten 5 % der Unternehmen, nach drei Jahren erweitert sich dies auf die größten 15 %. Bei Durchschnittsunternehmen finden sich keine Effekte.

Noch interessanter ist der Beitrag von Banerjee, Karlan und Zinman, die sechs RCT zu Mikrofinanz­institutionen in verschiedenen Ländern in vergleichbarer Weise auswerten, um dem Argument mangelnder Übertragbarkeit zu begegnen.8 Das Ergebnis entspricht durchaus dem des erwähnten indischen Falls: Die Mikrofinanzinstitutionen zeigen bei Anlegen eines sehr breiten Indikatorenbündels kaum Veränderungen an. Eine verkürzte Zusammenfassung der Ergebnisse bietet Tabelle 1.

Tabelle 1
Zu den Wirkungen von Mikrofinanz-Programmen
Wirkungsbereiche Indikatoren Effekte
UnternehmerischeTätigkeit a. Mehr Unternehmer ?
b. Höhere Investitionen +
c. Höhere Einnahmen ++
d. Höhere Gewinne +
Familieneinkommen Höhe und Zusammensetzung des Einkommens (+)
Konsum Höherer Gesamtkonsum 0
Soziale Indikatoren Schulbesuch, Female Empowerment, Glück, Vertrauen 0

Quelle: A. Banerjee, D. Karlan, J. Zinman: Six Randomized Evaluations of Microcredit: Introduction and Further Steps, in: American Economic Journal: Applied Economics, 7. Jg. (2015), H. 1.

Bei einem Blick auf die statistisch signifikanten Ergebnisse wird deutlich, dass dies vor allem auf die unternehmerische Tätigkeit zutrifft (Investitionen, Gewinne und vor allem die Einnahmen steigen signifikant), aber sich nicht im Konsumniveau der Haushalte niederschlägt. Von daher mag es auch nicht überraschen, dass sich weitere Sozialindikatoren ebenfalls nicht erheblich verbessert haben. Die Bereitstellung zusätzlicher Kredite über Mikrofinanzinstitutionen stimuliert durchaus den ökonomischen Bereich. Diese Wirkung ist aber so begrenzt, dass sie sich nicht bis in den Lebensstandard oder die Wohlfahrt fortpflanzt. In diesem Sinne gelten Mikrofinanzen nicht als transformativ.

Ob man darüber unglücklich ist, hängt von der Perspektive ab: Eine Zeitlang sah es vielleicht so aus, als könnte Mikrofinanz eine Art Allheilmittel für wirtschaftliche Entwicklung von Armen sein, kulminierend im Nobelpreis für die Grameen Bank. Dies ist durch die erwähnten RCT-Studien widerlegt. Gleichzeitig zeigen die neuen RCT-Studien aber auch, was Mikrofinanz bewegen kann, und man sieht ansatzweise, worauf es ankommt. Trotz dieser Vorzüge von RCT ist dieses Evaluierungsinstrument umstritten.

Grenzen von Randomized Controlled Trials

Auch die Nobelpreisträger sehen randomisierte Experimente als den „Goldstandard“ der Evaluierung und werden deshalb oft als „Randomistas“9 bezeichnet. Während RCT zweifellos kausale Zusammenhänge gut identifizieren, nennen Skeptiker wenigstens vier kritische Punkte, die den Sonderstatus der randomisierten Experimente hinterfragen:

  • Der Fokus von Experimenten auf Mikro-Interventionen, die auf lokaler Ebene stattfinden, vernachlässigt makroökonomische, politische und institutionelle Faktoren, die Verarmung oder Unterentwicklung maßgeblich beeinflussen – so argumentieren 15 Ökonomen, darunter die drei früheren Nobelpreisträger Angus Deaton, Joseph Stiglitz und James Heckman.10 Weiterhin wird bei diesem Kritikpunkt deutlich, dass nur eine Teilmenge an Themenfeldern für randomisierte Experimente geeignet ist.11
  • Die Experimente werden auf lokaler Ebene durchgeführt, entsprechend stellt sich die Frage der externen Validität: Gilt der identifizierte kausale Zusammenhang immer noch, wenn man Interventionen auf eine breitere Population oder einen anderen Kontext ausweitet.12 Sind beispielsweise Ergebnisse, die im Rahmen von Bildungsexperimenten in Kenia erzielt werden, auf Schulen in Indien übertragbar?
  • Wissenschaftler haben beim Durchführen von randomisierten Experimenten eine Verantwortlichkeit gegenüber den „Untersuchungseinheiten“. Diese reichen von der Wahrung der Anonymität der Teilnehmenden bis hin zur Gewährleistung, dass diese Personen keinen unvorhergesehenen Nachteilen, Risiken oder Gefahren ausgesetzt werden. Deshalb prüfen in der Regel Ethik-Komitees die geplante Vorgehensweise im Vorhinein. Dennoch gibt es Beispiele für fragwürdige Forschungsdesigns, wie z. B. in einer Studie, die Korruption untersucht und Studienteilnehmer dazu verleitet, durch Bestechungsgelder eine Fahrerlaubnis zu erhalten.13
  • RCT identifizieren, sofern er gegeben ist, einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Intervention und ihrer Wirkung. Allerdings erfolgen Auswertungen typischerweise auf Gruppenebene, es geht also um die Wirkung einer Intervention auf die Interventionsgruppe versus die Kontrollgruppe. Kausalität in diesem Sinn bedeutet aber nicht, dass jede „behandelte“ Person durchschnittlich reagiert, sondern manche Personen reagieren möglicherweise gar nicht – die Kausalität gilt dann nur eingeschränkt und es wäre interessant, etwas über die Heterogenität zwischen den Personen zu lernen.14

Zwar ist jeder Kritikpunkt berechtigt, dennoch schränken sie die überragende Bedeutung von RCT für die Evaluierung wirtschaftspolitscher Maßnahmen nur wenig ein. So beanspruchen mikroökonomische Politikmaßnahmen nicht, alle wirtschaftspolitische Fragen zu beantworten. Die Generalisierbarkeit ist ein großes Thema, auch für RCT-Befürworter; ethische Grenzen machen einen RCT-Ansatz manchmal per se unmöglich; und neuere RCT legen viel Wert auf Heterogenitätsanalysen, indem sie z. B. fragen, wie sich Einkommen, Bildungsabschlüsse oder Geschlecht auf den Erfolg einer Intervention auswirken.

Evidenzbasierte Wirtschaftspolitik

Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit haben die Preisträger zu einer starken Aufwertung von Evaluationen beigetragen. Dies drückt sich in der Sonderstellung entsprechender Einheiten aus, beispielsweise bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat 2012 eine eigene Ressortforschungseinrichtung, das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval), gegründet. Im internationalen Vergleich allerdings hinkt Deutschland beim flächendeckenden Einsatz von RCT in der Entwicklungszusammenarbeit noch deutlich hinterher. Dies gilt genauso für andere Politikbereiche.

RCT sind aus der Gesundheitspolitik übernommen, in der der Gebrauch neuer Medikamente nicht denkbar ist, ohne vorher sehr umfassend und auch über Jahre hinweg zu evaluieren. RCT wurden dann in die Entwicklungszusammenarbeit eingeführt. Unklar ist, warum sie nicht auch in anderen Politikbereichen umfassender eingesetzt werden. Beispielsweise könnten RCT gut systematisch in der Bildungspolitik eingesetzt werden. Dort könnten neue Themen, Lernformen oder andere Neuerungen fast immer evaluiert werden, bevor man sie dann im Erfolgsfall flächendeckend einsetzt.

Allerdings können außer RCT auch andere Instrumente für eine gute Evaluation eingesetzt werden. Selbst wenn die Nobelpreisträger „Randomistas“ sind, so beanspruchen sie nicht, alle wirtschaftspolitischen Themen zu behandeln. In einem weiteren Sinn motivieren sie vielmehr dazu, methodisch korrekt zu evaluieren und nicht einen bequemen Weg zu gehen, der vielleicht gute „Ergebnisse“ verspricht, der aber letztlich nicht tragfähig ist.15 In dieselbe Richtung weist auch der Ansatz evidenzbasierter Wirtschaftspolitik, den der Verein für Socialpolitik seit Jahren unterstützt.16 Konkret kann man aus den Arbeiten der Preisträger vier Lektionen für die Wirtschaftspolitik mitnehmen:

  • Erstens ist gute Evaluierung wirtschaftspolitischer Maßnahmen wichtig, um deren Wirkungen korrekt einzuschätzen und unzutreffende Schlüsse zu vermeiden.
  • Zweitens sind dabei RCT ein zwar aufwendiges, aber lohnendes Instrument, wie das Ergebnis zu Mikrofinanzen exemplarisch zeigt.17
  • Drittens kann auch die wissenschaftliche Evaluierung kleiner Schritte („klempnern“) sehr wirksam sein.
  • Viertens zeigt die Arbeit der Preisträger, wie Wissenschaft tatsächlich die Wirtschaft, hier meist das Leben der Armen, verändern und verbessern kann.
  • 1 The Royal Swedish Academy of Sciences: The Prize in Economic Sciences 2019, Popular Science Background, 2019.
  • 2 Vgl. E. Duflo: The Economist as Plumber (Richard T. Ely Lecture), in: American Economic Review: Papers and Proceedings, 107. Jg. (2017), H. 5, S. 1-26.
  • 3 In ihrer Dankesrede bei der Preisverleihung unterstreicht sie ihre „politische“ Motivation und ihre selbst so beschriebene Rolle als „change maker“.
  • 4 Vgl. The Royal Swedish Academy of Sciences, a. a. O.
  • 5 Vgl. J. Krahnen, R. H. Schmidt: Development Finance as Institution Building, Boulder 1994.
  • 6 Weitere Kritik richtet sich beispielsweise gegen die erreichte Zielgruppe, die zwar eine arme aber nicht die lokal ärmste Bevölkerung umfasst (ein kaum lösbares Problem für Finanzinstitutionen), gegen die Methoden ausstehende Schulden einzutreiben (dieses Problem haben auch fast alle Gläubiger) oder gegen das zu risikoarme Kreditportfolio (ein Problem von Gruppenkrediten, weil nur die Kreditnehmer von produktiven hohen Risiken profitieren aber alle Gruppenmitglieder das Risiko mittragen).
  • 7 Vgl. A. Banerjee, E. Duflo, R. Glennerster, C. Kinnan: The Miracle of Microfinance? Evidence from a Randomized Evaluation, in: American Economic Journal: Applied Economics, 7. Jg. (2015), H. 1, S. 22-53.
  • 8 A. Banerjee, D. Karlan, J. Zinman: Six Randomized Evaluations of Microcredit: Introduction and Further Steps, in: American Economic Journal: Applied Economics, 7. Jg. (2015), H. 1, S. 1-21.
  • 9 Abhijit Banerjee nutzt diesen Begriff in seiner Dankesrede bei der Nobelpreisverleihung.
  • 10 Vgl. Stellungnahme von 15 Ökonomen: Buzzwords and Tortuous Impact Studies Won’t Fix a Broken Aid System, in: Guardian vom 16.7.2018, https://www.theguardian.com/global-development/2018/jul/16/buzzwords-crazes-broken-aid-system-poverty (20.1.2020).
  • 11 Vgl. C. B. Barrett, M. R. Carter: The Power and Pitfalls of Experiments in Development Economics: Some Non-random Reflections, in: Applied Economic Perspectives and Policy, 32. Jg. (2020), H. 4, S. 515-548.
  • 12 Vgl. D. Rodrik: The New Development Economics: We Shall Experiment, but How Shall We Learn?, HKS Working Paper, Nr. RWP08-055, 2008.
  • 13 M. Bertrand, S. Djankov, R. Hanna, S. Mullainathan: Obtaining a Driver‘s License in India: An Experimental Approach to Studying Corruption, in: Quarterly Journal of Economics, 122. Jg. (2007), H. 4, S. 1639-1676.
  • 14 Vgl. A. Deaton: Randomization in the Tropics Revisited, 25.11.2019, https://www.theindiaforum.in/article/randomization-tropics-revisited (20.1.2020).
  • 15 Vgl. T. Kaiser, L. Menkhoff: Schlechte Evaluierung rentiert sich kaum: Lehren aus dem Bereich der finanziellen Bildung, in: DIW Wochenbericht, 84. Jg. (2017), H. 26, S. 531-538.
  • 16 Vgl. M. Burda et al.: Evidenzbasierte Wirtschaftspolitik. Thesenpapier zur Kerntagung des Vereins für Socialpolitik in Hamburg 2014.
  • 17 Vgl. C. M. Buch, K. Patzwaldt, R. T. Riphahn, E. Vogel: Verstehen – Entwickeln – Testen – Verbessern: Rahmenbedingungen für evidenzbasierte Politik, in: Wirtschaftsdienst, 99. Jg. (2019), H. 2, S. 106-112, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2019/heft/2/beitrag/verstehen-entwickeln-testen-verbessern-rahmenbedingungen-fuer-evidenzbasierte-politik.html (11.2.2020), die generell auf die notwendige Datengrundlage verweisen, die in RCT beispielhaft erst geschaffen wird.

Title:What Economic Policy Can Learn from the Nobel Price in Economic Sciences 2019

Abstract:Abhijit Banerjee, Esther Duflo and Michael Kremer have been awarded the Nobel Price in Economic Sciences in 2019. This was primarily for their experimental approach to alleviating global poverty. They used randomised experiments to evaluate development policy measures. In doing so, they have shown the limits of the microfinance used in India. There is certainly some criticism of this microeconomic research. However, the thorough evaluation of political measures – such as in evidence­based economic policy – should become a common goal of science and politics.

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© Der/die Autor(en) 2020

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht.

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-020-2584-8

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