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Helikoptergeld und Grundeinkommen – diese beiden von Ökonom*innen lange gemiedenen Begriffe erfahren seit Ausbruch der Corona-Epidemie in Deutschland wieder Aufwind. Zu Recht, denn sie versprechen, drei Probleme zu lösen: ein Konsumklima im freien Fall, eine beschränkte Geldpolitik und die Trägheit des Niedriglohnsektors. Mit einem Programm im Gesamtvolumen von 50 Mrd. Euro schuf die Bundesregierung in der Corona-Krise 2020 Fakten in der Diskussion: Sie stellte je Kleinunternehmen bis zu 15.000 Euro zur Verfügung. Die Soforthilfen erreichen aber nur einen Teil der Betroffenen und manche, obwohl sie nicht darauf angewiesen wären. Grundeinkommen und Helikoptergeld vereinen die Idee, schnell, direkt und unbürokratisch Geld an die Bevölkerung auszugeben. Helikoptergeld meint derzeit häufig unbürokratische Einmaltransfers vom Staat, früher aber Zahlungen der Zentralbank. Als geldpolitisches Instrument führt es weder zu einer steigenden Steuerlast noch zu Staatschulden. Dennoch ist Helikoptergeld als geldpolitische Maßnahme umstritten. Es ist unerprobt, und die Effekte auf die Inflation sind nicht einfach abzusehen.

Das größte Problem von Grundeinkommen und Helikop­tergeld ist die starke Auswirkung auf die Verteilung. Es bleibt sowohl zwischen den Generationen als auch innerhalb der Gesellschaft fraglich, ob die gleiche Summe für alle – unabhängig von der Bedürftigkeit der Empfangenden – fair ist. Brauchen Gutsituierte einen Konsumgutschein? Wahrscheinlich entfaltet die Finanzierung solcher Maßnahmen eine größere Wirkung als die Maßnahmen selbst. Würde ein Grundeinkommen durch eine Kon­sumsteuer finanziert, könnten Menschen mit einer hohen Konsumquote – beispielsweise alleinerziehende Geringverdiener*innen – durch die steigende Steuerlast mit Grundeinkommen am Ende schlechter gestellt sein als mit dem Grundeinkommen.

Die Politik hat mit der Verabschiedung ihrer Maßnahmen zur Unterstützung von Solo-Selbstständigen die Bereitschaft signalisiert, schnelle Hilfe für alle, die durch die Absicherungssysteme bestehender Institutionen fallen, leisten zu wollen. Gleichzeitig besteht weitreichender Konsens darüber, dass das deutsche Sozial- und Steuersystem eine Vereinfachung vertragen könnte. Eine negative Einkommensteuer schafft in Krisenzeiten soziale Gerechtigkeit, vermindert Unsicherheit und garantiert ein Grundeinkommen. Negativ bedeutet, dass der Staat am unteren Einkommensende Steuern auszahlt, statt zu erheben: Bei einem Einkommen von null wird ein Grundsicherungsbetrag ausbezahlt. Mit steigendem Einkommen geht die Einkommenssubvention zurück, bis sie vom Steuerfreibetrag in eine reguläre Besteuerung übergeht. Die Idee dahinter: Auch Arbeit für wenig Geld soll sich lohnen. Jeder dazuverdiente Euro erhöht das verfügbare Einkommen – anders als bei manchen Sozialleistungen, die nur bis zu einer Verdienst­obergrenze gezahlt werden. In der Praxis könnte die negative Einkommensteuer direkt über das Finanzamt ausgezahlt werden, da dieses bereits über alle einkommensteuerrelevanten Daten verfügt. Fällt die Erwerbstätigkeit weg, könnte es am Monatsanfang beantragt und folgend ausgezahlt werden. Wenn die Ertragslage sich am Ende des Jahres viel günstiger entwickelt als erwartet, müssen, wie bisher auch, Steuern gezahlt werden.

Aus makroökonomischer Perspektive gibt es einen entscheidenden Vorteil gegenüber den etablierten Institutionen: Die negative Einkommensteuer macht das Wirtschaftsleben im Notfall reaktionsfähiger und besser planbar. Leider reagieren in Krisen Kapazitäten und Preise nicht flexibel genug. Fehlt es beispielsweise im Krankenhaus an Budget, um das Personal zu erhöhen, würde eine negative Einkommensteuer kurzfristig geringer ausfallende Löhne kompensieren und Neuanstellungen ermöglichen. Veranstalter*innen können ihre Disko nicht augenblicklich zu einem profitablen Testcenter ausbauen, und Medizinprodukte aus dem 3D-Drucker sind vielleicht in der ferneren Zukunft gewinnbringend, aber zunächst eine riskante (Zeit-)Investition. Wäre ihr Einkommen gesichert, könnten Menschen, die durch die Krise Einkommensverluste erleiden, auch dort helfen, wo der Markt nicht für die Existenzsicherung sorgt. Das könnte Innovationen beschleunigen und Menschen den mittelfristigen Berufswechsel erleichtern. Bei einer möglichen Rückkehr einer Corona-Welle wären sowohl die direkte Hilfe für ein Krankenhaus als auch die Produktion dringend benötigter Güter sehr willkommen.

Die Corona-Krise zeigt, wie wichtig rasche politische Entscheidungen sind. Vor diesem Hintergrund kann es nur sinnvoll sein, über automatische Mechanismen zu verfügen, statt unter Zugzwang Programme mit heißer Nadel zu stricken. Eine negative Einkommensteuer würde – wie ein Airbag – blitzschnell, aber nur im Notfall aktiviert werden. In normalen Zeiten wäre sie im besten Fall nur durch weniger Bürokratie und fairere Anreize von der heutigen Ausgestaltung des Sozialstaats unterscheidbar.

© Der/die Autor(en) 2020

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht.

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-020-2643-1

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