Der Staat schnürt Hilfspakete für Unternehmen, die in der Corona-Krise mit Liquiditätslücken konfrontiert sind. Das ist gut so, denn Hilfen für Unternehmen, die ohne Corona nicht von Insolvenz bedroht wären, sind geboten. Nun gibt es aber Streit darüber, ob Staatshilfen an Bedingungen zu knüpfen sind. Neben ökologischen Auflagen, Beschränkungen von Dividendenausschüttungen und Bonuszahlungen wird auch Steuerehrlichkeit als Vorbedingung gefordert. Grüne und Linke im Bundestag sowie zivilgesellschaftliche Gruppen verlangen, dass Staatshilfen nur erhält, wer Gewinne nicht in Steueroasen verschiebt. Zu Recht! Eine Regierung, die auf diese Auflage verzichtet, macht sich unglaubwürdig, untergräbt ihre eigenen Finanzquellen und letztlich ihre Gestaltungsfähigkeit.
Bisher ist es der Politik, trotz mancher Fortschritte in den letzten Jahren, nicht gelungen, die von Steueroasen angebotene Steuervermeidung und -hinterziehung zu unterbinden. So konnten sich Unternehmen und Investoren vor der Zahlung ihres fairen Anteils an den Kosten öffentlicher Güter drücken. In der Pandemie zeigt sich, wie sehr wir alle auf einen handlungsfähigen Staat und ein gut ausgebautes Gesundheitssystem angewiesen sind. Nun diese Unternehmen zu alimentieren und so das Geschäftsmodell der Steuerflucht zu subventionieren, wäre eine staatliche Bankrotterklärung. Die langfristigen politischen Kosten wären erheblich, denn Steuerflucht befeuert die wachsende Ungleichheit und den Eindruck einer unfairen Lastenverteilung. Damit trägt sie zum Aufstieg des Rechtspopulismus und zur gegenwärtigen Demokratiekrise in vielen Staaten bei.
Aber ist es überhaupt möglich, den Unternehmen Steuerflucht kurzfristig nachzuweisen? Wären es nicht am Ende die Arbeitnehmer, die bei Ausbleiben schneller und unbürokratischer Hilfen den Schaden für Steuersünden der Unternehmensführung auszubaden hätten? Solche Bedenken sind unbegründet. Zwar sind alle Unternehmen im DAX 30 mit Gesellschaften in Ländern vertreten, die das Tax Justice Network als Schattenfinanzzentren bzw. Steueroasen klassifiziert. Die Firmen behaupten, wie zuletzt die Lufthansa im Poker um ihr 9 Mrd. Euro schweres Rettungspaket, dass sie dort nicht allein aus steuerlichen Gründen ansässig sind, sondern legitimer wirtschaftlicher Tätigkeit nachgehen. Da die Unternehmen aber seit Kurzem den Steuerbehörden länderweise Berichte über ihre wirtschaftlichen Aktivitäten und Steuerzahlungen zur Verfügung stellen müssen, lassen sich solche Behauptungen schnell und unkompliziert prüfen. Außerdem könnte man Unternehmen, die die Auflagen (noch) nicht erfüllen, unter Androhung der späteren Rückzahlung der Hilfen Übergangsfristen gewähren. Die länderweisen Berichte sollten in Zukunft veröffentlicht werden, damit man eine gut informierte, demokratische Debatte über Steuerbelastungen und deren Verteilung führen kann. Dann ließen sich die Behauptungen der Lufthansa überprüfen, die in einer Kurzanalyse der weniger aussagekräftigen Jahresabschlüsse des Netzwerks Steuergerechtigkeit angezweifelt werden. Allerdings sträuben sich einzelne europäische Staaten inklusive Deutschlands gegen öffentliche Berichte.
Wäre es denn nicht ein Wettbewerbsnachteil, wenn deutschen Firmen die Steuervermeidung verboten würde, während sie ausländischen Wettbewerbern möglich bliebe? Nein, denn andere Länder, unter anderem Österreich und Frankreich, haben bereits ähnliche Regeln beschlossen und weitere erwägen es. Man würde den deutschen Unternehmen also einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil erkaufen, wenn man auf steuerliche Auflagen weiterhin verzichtete. Zur Durchsetzung sollte die EU diesen Aspekt zu einem Kriterium ihrer Prüfungen mitgliedstaatlicher Beihilfen machen. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat mit ihrem Vorgehen gegen Irland und Apple deutlich gemacht, dass wettbewerbsverzerrende Steuervorteile für sie nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar sind. Sie vertragen sich auch nicht mit der Forderung nach europäischer Solidarität, die im deutsch-französischen Wiederaufbauplan auch von Bundeskanzlerin Merkel beschworen wird.
Ohnehin offenbaren sich in den aktuellen Diskussionen allgegenwärtige Doppelstandards. Die Niederlande beispielsweise lehnen großzügige Hilfen und eine gemeinsame Verschuldung für krisengebeutelte Staaten wie Spanien und Italien mit Verweis auf die Gefährdung fiskalischer Disziplin ab. Sie kapern aber gleichzeitig als Holdingstandort die Steuerbasis und fiskalische Autonomie dieser Länder. Außerdem haben sie gemeinsam mit anderen europäischen Steueroasen wie Irland, Malta und Luxemburg verhindert, dass die schwarze Liste der EU auch Mitglieder enthält und sie damit unglaubwürdig gemacht. Es ist gut, dass solche Widersprüche nun auf den Tisch kommen und der Druck wächst, sie zu beseitigen. So hätte die Coronakrise zumindest den positiven Effekt, der Steuergerechtigkeit auf die Sprünge zu helfen. Jetzt ist es an der Bundesregierung, diese Gelegenheit zu nutzen.