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Nord Stream 2 ist eine neue Ferntransport-Gas-Pipeline. Entsprechend modern, energieeffizient und wenig Treibhausgas emittierend ist sie. Folglich sind die Kosten des Betriebs niedrig. Sie bringt mehr an Kapazität und bricht damit das Oligopol der Transit-Staaten, lässt deren Abschöpfung für Gebühren sinken. Gegen so günstig exportiertes Gas ist per Schiff verfrachtetes Erdgas auf dem europäischen Markt chancenlos. Nord Stream 2 ist vorerst auf die Qualität von Erdgas ausgelegt und fast fertig. Von der neuen Pipeline auf dem Meeresgrund der Ostsee sind die beiden Anlandestationen, Ust-Lug in Russland und Greifswald in Deutschland, weitgehend fertiggestellt; bei den Röhren verbleibt ein unverlegter Rest von heute nur noch 160 km Länge. Den Abschluss unterbanden die USA erfolgreich. Lange Zeit bot Dänemark, ein enger militärischer Verbündeter der USA, für die Verlegung von 130 km Länge südlich der Insel Bornholm einen Sperrriegel. Als Dänemark den am 30. Oktober 2019 beseitigte, war für Washington „Gefahr im Verzug“ gegeben.

Im US-Kongress in Washington ist ein überparteilicher Konsens selten geworden. „Gegen Russland“ aber besteht ein solcher und ist verlässlich funktionsfähig. Dort ist man entschieden, die physische Fertigstellung der Pipeline zu verhindern – im Unterschied zum Ansatz der breiten Phalanx in Europa, die vom erfolgreichen Abschluss der Bauarbeiten ausgeht und lediglich die Nutzung mit rechtlichen Mitteln zu verhindern sucht. Wortführer und Koordinator der Aktivitäten ist Senator Ted Cruz aus dem Ölstaat Texas. Unter dem Titel „Protecting Europe’s Energy Security Act of 2019“ (PEESA) wurden im Repräsentantenhaus und im Senat gleichlautende Vorlagen einstimmig genehmigt. Als Section 7503 wurde es an das vor Weihnachten jeweils anstehende veto-immune Gesetz zum Militärhaushalt für das Folgejahr angehängt und trat am 20. Dezember 2019 in Kraft.

Die beiden hoch-spezialisierten Verlegeschiffe, im Eigentum von Allseas, hatten inzwischen 130 km verlegt. Nun aber stellten sie umgehend ihre Tätigkeit ein. Allseas hat Sitze in den Niederlanden und der Schweiz, aber auch viele Vermögenswerte in den USA. Ein halbes Jahr später sind als Ersatz zwei russische Schiffe vor Ort, die immun sind gegenüber US-Sanktionen – im US-Kongress wird deshalb eine Neuauflage des Verhinderungsszenarios vorbereitet, nun mit dem PEESA Clarification Act. Da die Zeit drängt, hat das State Department für die Zwischenzeit ein Sanktionsgesetz aus dem Jahr 2017 verschärfend ausgelegt – ohne Abstimmung mit und Vorankündigung für die „Beschützten“ in Europa. Gegen die Verlegeschiffe ist nichts mehr zu machen. Die Devise der drohenden Aufforderung nun an sämtliche an Nord Stream 2 beteiligten europäischen Akteure, Unternehmen aber auch Regulierer, ist unverändert: Wer vertraglich etwas zugesagt hat, mache sich umgehend davon, mit Verweis auf force majeur der USA!

Die USA führen einen (Wirtschafts-)Krieg – vermeintlich nur gegen Russland. Zwang zum Vertragsbruch ist das Mittel der „Rule of Law“-Verteidiger – im Krieg gilt eben Kriegsrecht. Wirtschaft ist wesentlich Austausch: quid pro quo; gibst Du mir, so gebe ich Dir. Handel ist gegenseitig, stiftet Beziehung. Geht es um Güter, die langfristige und spezifische Infrastrukturen erfordern, so ist die Beziehung eine des Aufeinander-angewiesen-Seins. Das hat sicherheitspolitisch zwei Kehrseiten. 1. Wer so aufeinander angewiesen ist, kann nicht militärisch gegeneinander vorgehen. 2. Wer hingegen Krieg in nicht-militärischer Weise, sondern als Wirtschaftskrieg gegen Dritte führen will, kann solche Abhängigkeiten als Hebel nutzen.

Entscheidend ist vor allem eines: In den USA ist der Konsens parteiübergreifend und kommt vom Kapitol. Das ist Effekt dessen, dass die Demokraten nach den Erfahrungen rund um die Präsidenten-Wahl 2016 Putin-Gegner geworden und ins Lager der grundsätzlichen Russland-Feinde gewechselt sind – ein Camp, wo die Konservativen schon immer waren. Die bisherige Strategie von Deutschland und der EU nach den Motto „Es wird nichts so heiß gegessen, wie in Washington angerichtet“ geht nicht auf – auch bei einem Wahlsieg der Demokraten am 3. November wird die Entschiedenheit auf US-Seite, Nord Stream 2 physisch zu verhindern, unverändert bleiben. Das ist sicher.

Offen ist, ob der Vorgang bei Erfolg von den USA als Modellprojekt genommen wird. Die Aussicht besteht. Warum sollte gegenüber Russland ausgerechnet bei Erdgas Schluss sein? Warum nicht auch Öl? Warum sollte bei Russland Schluss sein? – Wo doch die USA gerade zum Zweiten Kalten Krieg gegen China rüsten und dazu die Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft in Freunde und Feinde einteilen. Mit Huawei ist Vergleichbares in Vorbereitung.

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© Der/die Autor(en) 2020

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DOI: 10.1007/s10273-020-2708-1