Das Jahr 2020 wurde maßgeblich von der COVID-19-Pandemie bestimmt. Neben den gesundheitlichen und gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen hatte die Pandemie auch weitreichende energiewirtschaftliche Folgen. Durch die Lockdown-Beschränkungen und die „Stay-at-Home“-Aufforderungen kam es zu einer Reduzierung der globalen CO2-Emissionen, der lokalen Luftschadstoffe sowie der Energienachfrage (Friedlingstein et al., 2020, Le Quéré et al., 2020, Liu et al,. 2020, Ou et al., 2020). Die globalen CO2-Emissionen sind 2020 um etwa 7 % gesunken, in Europa um etwa 11 %. In der ersten Aprilhälfte, als die Einschränkungen insbesondere in den USA und Europa besonders umfassend waren, betrugen die Rückgänge gegenüber dem Vorjahr sogar etwa 17 %. Seit dem zweiten Weltkrieg hat es noch keinen solchen Rückgang der CO2-Emissionen gegeben. Dabei sind durch die Einschränkungen vor allem die Emissionen im Verkehrssektor und die Ölnachfrage gesunken, aber auch die Industrieemissionen sowie die kohlebedingten Emissionen in der Stromerzeugung (Friedlingstein et al., 2020).
In Deutschland ist der Primärenergieverbrauch 2020 im Vergleich zu 2019 um etwa 9 % gesunken (BDEW, 2020a). In den von den Ausgangsbeschränkungen am stärksten betroffenen Monaten April und Mai 2020 ging der Stromverbrauch um 10 % bzw. 11 % im Vergleich zum Vorjahr (AGEB, 2020) zurück. In Kombination haben der Rückgang der Stromnachfrage aufgrund der Corona-Pandemie, die hohen CO2-Preise im Europäischen Emissionshandelssystem seit Ende 2018 und günstige Verhältnisse für erneuerbare Energien zu einer deutlichen Verschiebung des Energiemix geführt. Die stärksten Rückgänge verzeichnen die Energieträger Braun- und Steinkohle, mit jeweils etwa 18 % weniger Verbrauch als 2019 (BDEW, 2020a). Im Gegenzug stammte mehr als die Hälfte der Nettostromerzeugung 2020 aus erneuerbaren Energien (Fraunhofer ISE, 2020). Dies bedeutet einen Rückgang der CO2-Emissionen in der Energiewirtschaft von etwa 37 Mio. t CO2 oder 15 % (BDEW, 2020a). Da diese Zahlen vorläufig sind, könnten die Auswirkungen des erneuten „harten“ Lockdowns im Dezember sogar noch größere Rückgänge bewirkt haben. So wird insbesondere durch die Effekte der COVID-19-Pandemie in der Energiewirtschaft das deutsche Klimaziel für 2020, eine Minderung der klimaschädlichen Treibhausgase von 40 % gegenüber dem Vergleichsjahr 1990, erreicht – die Emissionen sinken um ca. 42 % (Agora Energiewende, 2021). Allerdings bedeutet dies kein gleichzeitiges Erfüllen der Energiewendeziele in allen Sektoren (Löschel et al., 2021a).
Die mittel- und langfristigen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Energieverbrauch sowie globale und lokale Schadstoffe sind ungewiss (Freire-González und Font Vivanco, 2020, Gillingham et al., 2020, Ou et al., 2020). Auf den letzten Rückgang der globalen CO2-Emissionen infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 folgte ein rasches Zurückspringen der Emissionen in den 2010er Jahren. Ein solches Zurückspringen der Emissionen kann nun verhindert werden, wenn durch die Maßnahmenpakete zur Abschwächung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie grüne Investitionen und klimafreundliches Verhalten nachhaltig etabliert werden (Cohen, 2020; European Commission, 2020; Hodges und Jackson, 2020; Pearson et al., 2020; Rosenbloom und Markard, 2020). Die Stimuli der Konjunkturprogramme dürfen aber grüne Investitionen nicht nur kurzfristig attraktiv machen. Vielmehr muss der klimapolitische Rahmen so gestaltet werden, dass sich das grundlegende Geschäftsmodell der Unternehmen und die Entscheidungen der Haushalte ändern. Dazu sind höhere CO2-Preise das Instrument der Wahl, ergänzt durch einen nachhaltigen Infrastrukturausbau und die Förderung von Forschung und Entwicklung, Innovationen, Diffusion und Adoption neuer CO2-armer Technologien (Löschel und Pittel, 2020). Eine Strompreisreform für Haushalte und Industrie mit höheren CO2-Preisen und niedrigeren Strompreisen durch die Senkung der Umlagen, Abgaben und Steuern auf Elektrizität wird den aktuellen auch verteilungspolitischen Anforderungen besonders gerecht (Löschel et al., 2020).
Gleichzeitig hängt der langfristige Übergang zu nachhaltigen Konsummustern entscheidend von Veränderungen im Verbraucherverhalten ab und davon, ob bzw. wie die Konsumgewohnheiten durch COVID-19 beeinflusst wurden. Inwieweit die COVID-19-Pandemie die Konsumgewohnheiten beeinflusst hat, soll am Beispiel des Stromverbrauchs dargestellt werden, der zu einem Viertel von der Nachfrage der Haushalte bestimmt wird (BDEW, 2020b). Dem deutschen Rückgang im Stromverbrauch 2020 steht ein leichter Anstieg der Stromnachfrage der privaten Haushalte um etwa 2 % entgegen (BDEW, 2020a). Aufgrund der COVID-19-Pandemie und der Ausgangsbeschränkungen waren Haushalte angehalten, mehr Zeit zuhause zu verbringen, weswegen der Stromverbrauch dieser Gruppe angestiegen ist. Es ist jedoch unklar, was die erhöhte Zeit zuhause für die Energieeffizienz und die langfristigen Verbrauchsmuster von Haushalten bedeutet. Möglicherweise haben sie aufgrund der Pandemie Energiespargewohnheiten entwickelt, sodass der tatsächliche Verbrauch ohne diese Veränderungen im Verbraucherverhalten noch höher wäre.
Es gibt mindestens zwei Gründe, warum die COVID-19- Pandemie die Haushalte veranlasst haben könnte, neue Gewohnheiten und Strategien zum Energiesparen zu entwickeln. Erstens führte die Pandemie bei vielen Personen zu Veränderungen im Beschäftigungsstatus und im Arbeitseinkommen. Da es einen positiven Zusammenhang zwischen Stromverbrauch und Einkommen gibt (für Deutschland: Schulte und Heindl, 2017), werden Einkommensbeschränkungen zu einer Reduzierung des Stromverbrauchs führen. Zweitens könnten Haushalte, entsprechend der Salienzmodelle aus der Verhaltensökonomik (Bordalo et al., 2013; Gabaix, 2019), durch die erhöhte Zeit im Haus die stromverbrauchenden Geräte und Handlungen stärker wahrnehmen. Der Stromverbrauch wird salienter, wodurch Haushalte auch eher zu Stromsparmaßnahmen greifen könnten. Sowohl Einkommenseffekte als auch die stärkere Wahrnehmung des Verbrauchs würden dann dazu führen, dass Haushalte ihren Stromverbrauch im Zuge der politischen Maßnahmen zur Eindämmung von Corona reduzieren.
Löschel et al. (2021b) untersuchen diesen Zusammenhang zwischen COVID-19 und Energiespargewohnheiten mit deutschen Umfragedaten, die in zwei Befragungswellen erhoben wurden. Die erste Befragung wurde Anfang 2018 durchgeführt, die zweite Befragung im Mai 2020, also während des Lockdowns und der „Stay-at-home“-Aufforderungen in Deutschland. Die Kernergebnisse von Löschel et al. (2021b) sind in Abbildung 1 und 2 dargestellt. Abbildung 1 zeigt, dass Haushalte während der Pandemie neue Gewohnheiten entwickelten, während Abbildung 2 nahelegt, dass Salienzeffekte im Gegensatz zu Einkommenseffekten der Haupttreiber der Gewohnheitsbildung waren.
Abbildung 1
Energiespargewohnheiten (A) und Wahrscheinlichkeit, einzelne Maßnahmen zu ergreifen (B)
Quelle: Löschel et al. (2021b).
Abbildung 2
Ausstecken von elektronischen Geräten und zuhause verbrachte Zeit während der COVID-19-Pandemie
Quelle: Löschel et al. (2021b).
Abbildung 1 (A) zeigt, dass die durchschnittliche Zahl an Energiespargewohnheiten bei den Befragten während der COVID-19-Pandemie um ca. 67 % höher ist als vor der Pandemie (zweiseitiger t-Test, p = 0,0000). Ein ähnlicher Unterschied zeigt sich in den jeweiligen Wahrscheinlichkeiten, eine bestimmte Energiesparmaßnahme regelmäßig durchzuführen (vgl. Abbildung 1 (B)). Im Vergleich zu den Werten aus der ersten Befragungswelle steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person angibt, das Licht auszuschalten, wenn sie einen Raum verlässt, um 8 Prozentpunkte; jeden Raum zu überprüfen, bevor sie das Haus verlässt, um 27 Prozentpunkte; und Geräte nach der Nutzung auszustecken, um 17 Prozentpunkte. Diese Anstiege sind hochsignifikant (zweiseitige t-Tests, p = 0,0002 für das Ausschalten des Lichts, p = 0,0000 für das Überprüfen jedes Raums, p = 0,0000 für das Ausstecken von Geräten).
Abbildung 2 untersucht beispielhaft für das Ausstecken von Geräten, ob eher Einkommens- oder Salienzeffekte diesen Anstieg begründen. Dazu werden die Teilnehmenden der zweiten Befragungswelle hinsichtlich ihrer Betroffenheit von dem Lockdown und den Politikmaßnahmen im Mai 2020 gruppiert. Demnach sind Teilnehmende, die nach Ausbruch der Pandemie mehr Zeit zuhause verbringen, eher bereit, elektronische Geräte nach Gebrauch auszustecken. Die Unterschiede sind jedoch nur bei denjenigen Konsument:innen signifikant, die angeben, dass sie aufgrund der „Stay-at-home“-Aufforderung oder eines reduzierten Kontakts zu Freunden oder Familie mehr Zeit zuhause verbringen (zweiseitige t-Tests, p = 0,0173 für stay-at-home, p = 0,0001 für reduzierten Kontakt zu Freunden oder Familie).
Dementgegen gibt es keinen signifikanten Unterschied in der Wahrscheinlichkeit, Geräte auszustecken, zwischen denjenigen, die ihren Arbeitsplatz aufgrund der Pandemie verloren haben, und denjenigen, deren Arbeitsplatz von der Pandemie nicht betroffen war (zweiseitiger t-Test, p = 0,3938). Dieser nicht signifikante Zusammenhang zwischen einem Beschäftigungsverlust und der Durchführung von Energiesparmaßnahmen ist inkonsistent mit Einkommenseffekten als Treiber des Anstiegs an Stromspargewohnheiten. Vielmehr scheint es so, als würden verhaltensbedingte Motive durch mehr Zeit, die zuhause verbracht wird, den Anstieg der Energiespargewohnheiten im Vergleich zum Niveau vor COVID-19 erklären.
Die COVID-19-Pandemie und die getroffenen Maßnahmen könnten also die Bildung von Energiespargewohnheiten unterstützt haben und so einen langfristigen Wandel hin zu nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern beschleunigt haben. Es bleibt offen, ob COVID-19 ähnliche langfristige Verhaltensänderungen auch in den anderen Sektoren hervorgerufen hat. Einige aktuelle Arbeiten deuten auf weitere Spill-Over-Effekte der COVID-19-Pandemie hin (Newbold et al., 2020; Helm, 2020). So könnten z. B. Gewohnheits- und Lerneffekte in Kombination mit den Fortschritten der Informations- und Kommunikationstechnologien dazu führen, dass auch langfristig Dienstreisen durch Videokonferenzen und Homeoffice ersetzt werden. Globale Lieferketten könnten verlagert werden durch einen Anstieg der Nachfrage nach im eigenen Land produzierten Gütern aufgrund der offensichtlich gewordenen Unsicherheit. Beide Faktoren würden einen nachhaltigen Rückgang der durch Transport und Güterverkehr verursachten Emissionen bewirken. Die Auswirkungen sind aber noch weitgehender, z. B. könnten Ausgehbeschränkungen zu einer erhöhten Wertschätzung von Naherholungsgebieten geführt haben und einer entsprechenden Bereitschaft, zu deren Erhalt beizutragen (Newbold et al., 2020; Helm, 2020). Um diese nachfrageseitigen Trends zu verstärken, sollten die erreichten Verhaltensanpassungen von politischer Seite durch höhere CO2-Preise, nachhaltigen Infrastrukturausbau und die Förderung CO2-armer Technologien unterstützt werden.
Literatur
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