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Das Weltwirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte war durch die Dynamik der Digitalisierung und Globalisierung in den Lieferketten geprägt. Die Corona-Pandemie hat die Abhängigkeit und Verletzlichkeit der Lieferketten offengelegt. Trotz einer Vielzahl verbindlicher Standards haben Unternehmen die Digitalisierung und Arbeitsteilung auch für regulatorische Arbitrage genutzt. Einerseits erhöht das die Effizienz der Wirtschaft – was mithin ökologische Ressourcen schont – andererseits werden damit internationale Standards konterkariert. Globalisierung und Digitalisierung sind Segen und Fluch zugleich.

Das Thema Lieferketten ist seit Längerem auf der Agenda. Grundlage ist der Nationale Aktionsplan von 2016, in dem Unternehmen freiwillig verpflichtet wurden, mindestens 50 % der Vorgaben einzuhalten. Das Monitoring 2020 zeigte, dass weniger als 20 % der befragten Unternehmen Maßnahmen zur Einhaltung der UN-Leitprinzipien eingeleitet hatten. Da gemäß Infratest dimap (2020) 75 % der Deutschen ein Lieferkettengesetz befürworten und die EU die Einhaltung von Standards fordert, war die Bundesregierung unter Druck. Am 3. März 2021 wurde das Sorgfaltspflichtengesetz im Kabinett verabschiedet und soll ab 2023 gelten. Gemäß der wissenschaftlichen Definition umfasst die Lieferkette den gesamten Produktions- und Lebenszyklus von Gütern oder Dienstleistungen, der bei den Roh- und Grundstoffen beginnt und bis zum Endprodukt und Recycling geht.

§ 1 des Sorgfaltspflichtengesetzes regelt, dass Inlandsunternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten, ab 2024 mit nur 1.000 Beschäftigten, dem Gesetz unterliegen. Allerdings ist die Begriffsdefinition in § 2 des Gesetzes heikel, da sie einen Teil der Lieferkette nicht erfasst. Das Gesetz blendet den ökologisch problematischen Bereich des Recyclings aus. Speziell das Recycling von Batteriezellen dürfte künftig eine Herausforderung werden. Die Bürokratiekosten inklusive des jährlichen Sach- und Personalaufwands betragen 5,28 Mio. Euro. Die Export- und Importabhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft dürfte diese Kosten anheben. Die Hintertür ist bereits im Gesetz angelegt: „[Der] Prüfaufwand kann in der abschließenden Höhe zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht beziffert werden.“ Hinzu kommen Bürokratiekosten der Wirtschaft (jährlich 43,5 Mio. Euro) und einmalige Kosten in Höhe von 110 Mio. Euro. Kurzum ein erheblicher Ballast, obwohl die behördliche Überwachung und Sanktionsmechanismen die notwendige Glaubwürdigkeit der Regelung stärken.

Die volkswirtschaftliche Betrachtung offenbart mehrere Schwachpunkte. Erstens besteht eine Wettbewerbsverzerrung durch den nationalen Alleingang. Das Fehlen eines Level Playing Field schafft eine Wettbewerbsverzerrung im Binnenmarkt, wo Waren-, Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit herrschen. Produktions- und Sitzverlagerungen als „regulatorische Arbitrage“ sind absehbar. Lieferanten-Hopping zur Verschleierung von Produktionsbeziehungen dürfte zunehmen, was Zulieferfirmen nötigt, kostengünstiger zu sein und so Sorgfaltspflichten nur pro forma zu garantieren. Zweitens sind nationale Alleingänge zudem wirkungsschwach, da Missstände in globalen Wirtschaftsbeziehungen nicht beseitigt werden (vgl. Steueroasen oder Klimadebatte). Insoweit ist das politische Argument der Vorreiterrolle nicht nur fraglich, sondern unter Umständen kontraproduktiv. Schlimmstenfalls könnte Wertschöpfung abwandern und dem Ziel hoher Sozialstandards entgegenlaufen. Eine europäische Verortung von Sorgfaltspflichten ist die bessere Lösung.

Eine weitere Herausforderung ist die von mir eingeführte Begrifflichkeit des Standardwashing. Im Siegel-Pionierland gibt es bereits eindrückliche Beispiele, die mit einem Lieferkettengesetz inflationieren. Discounter stärken ihr Image durch Nachhaltigkeitsstandard-Siegel bei einzelnen Produkten und transferieren den Imagegewinn auf die Produktpalette. Die Preise der Discounter sind jedoch von Nachhaltigkeitspionieren nicht darstellbar. Grund ist die taktische Quersubventionierung. Die Politik sollte das Standardwashing einschränken. Ein Siegel darf nur Verwendung finden, sofern die Mehrheit der Produktpalette die Kriterien erfüllt.

Aus der Verantwortungsethik folgt, dass Unternehmen und Staaten eine Verpflichtung zur Einhaltung der internationalen Standards haben. Ein resilientes Lieferkettengesetz sollte zum einen eine umfassende Definition der Lieferkette inklusive Recycling beinhalten und zum anderen eine regelmäßige Risikoeinstufung von Lieferanten und Mitgliedsstaaten vorschreiben. Grundsätzlich ist ein Sorgfaltspflichtengesetz für globale Lieferketten sowie die Etablierung einer Pioniergruppe in einem Level Playing Field zu befürworten.

Literatur

Bundesregierung (2021), Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, 1.3.2021, Berlin.

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© Der/die Autor:in(nen) 2021

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-021-2932-3