Amazon ist der größte Onlinemarktplatzbetreiber in Deutschland. Zudem bietet es für Onlinehändler Logistikdienstleistungen an und gehört zu den größten Paketdienstleistern. Die Position als Onlinemarktplatzbetreiber bietet Amazon die Möglichkeit, seine Paket- und Logistikdienstleistungen mit Vorteilen auf seinem Marktplatz zu verknüpfen. Es könnte in der Lage sein, eine möglicherweise im Bereich der Onlinemarktplätze bestehende Marktmacht in die Paket- und Logistikmärkte zu übertragen. Die EU-Kommission hat jüngst ein Verpflichtungsangebot von Amazon erwirkt, mit dem eine unangemessene Begünstigung unter anderem der Marktplatzverkäufer, die seine Logistik- und Lieferdienste nutzen, verhindert werden soll. Es bleibt abzuwarten, inwieweit zukünftig weitere Eingriffe notwendig sind.
Am 14. Juli 2022 veröffentlichte die EU-Kommission ein Verpflichtungsangebot, das sie von Amazon im Rahmen eines Verfahrens wegen eines Verstoßes gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung aus Artikel 102 AEUV erwirkt hat. Dieses Angebot betrifft unter anderem den Zugang von Onlinehändlern auf dem Amazon Marketplace zur „Buy Box“ und zum „Prime-Programm“ (EU-Kommission, 2022). Die EU-Kommission hatte in ihrer Untersuchung vorläufig festgestellt, dass Amazon sein eigenes Einzelhandelsgeschäft sowie das jener Onlinehändler, die seine Logistikdienstleistungen nutzen, unangemessen begünstigt (EU-Kommission, 2022). Sowohl die Buy Box als auch das Prime-Programm sind entscheidend für die Sichtbarkeit der Händler auf dem Amazon „Marketplace“.
Die Sichtbarkeit von Waren auf Amazons Marketplace umfasst mehrere Faktoren. Erstens gehört dazu die Produktsuche in Amazons Onlineshop, d. h. insbesondere, ob ein Produkt auf den vorderen Plätzen in den Suchergebnissen angezeigt wird. Zweitens gehört dazu die Sichtbarkeit des Angebots eines Händlers auf der spezifischen Produktseite innerhalb des Onlineshops. Amazon zeigt derzeit nur das Angebot eines Händlers prominent in der Buy Box auf einer Produktseite an. Falls mehrere Händler:innen das gleiche Produkt anbieten, können Verbrauchende die Angebote der anderen Händler:innen nur einsehen, wenn sie einen zusätzlichen Link anklicken. Dadurch ist der Absatz von Waren, die in der Buy Box stehen, wesentlich höher (AGCM, 2019, Tz. 26.). Drittens gehört dazu die Sichtbarkeit der Werbeanzeigen1 des Onlinehändlers in Amazons Onlineshop, also wie häufig und prominent diese eingeblendet werden.
Eine bessere Sichtbarkeit von eigenen Waren sowie Waren, die unter Inanspruchnahme der eigenen Paket- und Logistikdienstleistungen transportiert werden, birgt die Gefahr, dass Amazon eine etwaige Marktmacht im Bereich Onlinemarktplätze in andere Bereiche, das heißt z. B. auch in Paket- und Logistikmärkte, hebelt. In Italien hat die dortige Wettbewerbsbehörde Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (AGCM) im November 2021 einen entsprechenden Verstoß gegen Artikel 102 AEUV mit Bezug auf den Logistikbereich festgestellt und ein Bußgeld von über 1,1 Mrd. Euro verhängt (AGCM, 2021, 116 ff.). Im italienischen Markt für die postalische Zustellung von E-Commerce-Paketen hat Amazon laut der zuständigen Regulierungsbehörde Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni (AGCOM) seinen Marktanteil binnen kürzester Zeit von 4 % im Jahr 2016 auf 36 % im Jahr 2020 gesteigert (AGCOM, 2021, Abbildung 5).
Auch in Deutschland wäre es denkbar, dass die herausragende – möglicherweise marktmächtige – Position von Amazons Onlineshop als Basis für eine Marktmachthebelung genutzt werden kann. 2021 wurden 54 % aller Umsätze im Nonfood-Onlinehandel über den Onlineshop von Amazon abgewickelt (HDE, 2022, 28). Damit einher geht eine entsprechend große Bedeutung Amazons für den Paketmarkt. Zum einen ist Amazon selbst als Onlinehändler aktiv und als einer der größten Onlinehändler in Deutschland (HDE, 2022, 50) ein bedeutender Nachfrager bei den etablierten Paketdienstleistern. Zum anderen verfügt Amazon über ein umfassendes Angebot im Logistikbereich, das auch von anderen Onlinehändlern genutzt werden kann. Insbesondere hat Amazon zuletzt in Deutschland ein eigenes Zustellnetz für Pakete aufgebaut, das seine Logistikdienstleistungen ergänzt. In diesem Sinne ist Amazon als Paketdienstleister für dritte Onlinehändler aktiv, auch wenn sein Zustellnetz derzeit nicht flächendeckend ausgebaut ist. Laut Bundesnetzagentur wurden 2020 in Deutschland 5 % bis 15 % aller Pakete von Amazon als Paketdienstleister zugestellt (BNetzA, 2021, 41).
Für die Zukunft ist zu erwarten, dass Amazons Bedeutung weiter zunimmt. Darauf deutet der allgemeine Expansionskurs des Unternehmens in Deutschland hin. Für 2022 kündigte Amazon an, in Deutschland die Zahl seiner festangestellten Beschäftigten von insgesamt 30.000 auf 36.000 zu erhöhen (Spiegel Online, 2022). Dies betrifft auch Amazons Logistikbereich. So ist z. B. am 5. September 2022 ein neues Logistikzentrum in Kaiserslautern eröffnet worden, in dem über 1.000 Beschäftigte arbeiten sollen (golem.de, 2022).
Amazon als Onlinehändler mit Paketzustellnetz
Amazon ist der größter Onlineeinzelhändler in Deutschland. Das heißt, es verkauft Waren unter eigenem Namen in seinem Onlineshop. Diese Waren stehen in direkter Konkurrenz zu den Waren der ebenfalls in diesem Onlineshop aktiven „Amazon-Marketplace-Händler“. Der Versand Amazons eigener Waren an Kundschaft wird über die konzerneigene Logistiksparte „Amazon Logistics“ abgewickelt. Diese verfügt über ein eigenes Paketzustellnetz. Teilweise erfolgt die Auslieferung dieser Waren daher über dieses Netz.2 Amazon ist nicht der einzige Onlinehändler in Deutschland, der über ein eigenes Paketzustellnetz verfügt. Der Paketdienstleister Hermes ist ein Tochterunternehmen des Versandhändlers Otto und ein Beispiel dafür, dass ein großer Versandhändler mit eigenem Zustellnetz dem Wettbewerb auf dem Paketmarkt positive Impulse geben kann (Hermes Europe GmbH, o. D.).
Amazon als Onlinehändler und Nachfrager von Paketdienstleistungen
Nicht alle Waren, die Amazon selbst in seinem Onlineshop verkauft, werden von „Amazon Logistics“ über das eigene Zustellnetz ausgeliefert. „Amazon Logistics“ nimmt ergänzend die Paketdienstleistungen etablierter Postdienstleister (z. B. DHL) in Anspruch. In diesen Fällen ist Amazon als Nachfrager von Paketdienstleistungen einzustufen. Es existieren keine öffentlich zugänglichen Daten, die genaue Rückschlüsse auf die Bedeutung von Amazon als Nachfrager auf dem Paketmarkt erlauben. Da es sich bei Amazon jedoch um den größten Onlineeinzelhändler handelt, ist anzunehmen, dass die Bedeutung erheblich ist. Zugleich darf erwartet werden, dass mit einem zunehmenden Ausbau des konzerneigenen Zustellnetzes die Beauftragung etablierter Paketdienstleister abnehmen und in höherem Maße durch eine Eigenzustellung ersetzt werden wird.
Amazon als Marktplatzbetreiber und Vermittler von Paketdienstleistungen
Amazon ist nicht nur der größte Onlinehändler in Deutschland, sondern betreibt zusätzlich auch den mit Abstand größten Onlinemarktplatz. Im Bereich Onlinemarktplätze verfügt Amazon nach Ansicht des Landgericht München I mit dem „Amazon Marketplace“ über eine marktbeherrschende Position.3 Über den „Amazon Marketplace“ können dritte Onlinehändler ihre eigenen Waren im Onlineshop von Amazon anbieten. Bei der Abwicklung von Käufen können sie auf Dienstleistungen von „Amazon Logistics“ zurückgreifen.
Der Paketversand von Onlinehändler:innen ist bei Nutzung anderer Vertriebswege als dem „Amazon Marketplace“ üblicherweise so organisiert, dass die Händler:innen, sofern sie regelmäßig Pakete in größerer Stückzahl versenden, mit einem oder mehreren Paketdienstleistern einen Vertrag schließen. Ein solcher Vertrag kann z. B. Vereinbarungen über regelmäßige Abholungen und über Versandpreise enthalten. Alternativ gibt es Angebote verschiedener Logistikdienstleister, die Paketdienstleistungen der etablierten Paketdienstleister zu Geschäftskundenkonditionen vermitteln.4
Ebenso wie diese Logistikdienstleister vermittelt auch Amazon über seinen „Amazon Marketplace“ Paketdienstleistungen der etablierten Paketdienstleister zu Geschäftskundenkonditionen an Onlinehändler. Die Bedienungsoberfläche des „Amazon Marketplace“ ermöglicht es Onlinehändler:innen, direkt Paketdienstleistungen zu erwerben (Amazon, o. D. c). Dies erfolgt entweder in der Bestellübersicht, wo den Händler:innen neben jeder Bestellung ein Button „Versandentgelt kaufen“ angezeigt wird oder über eine Softwareschnittstelle (Amazon, o. D. c und d). Außerdem gibt es die Möglichkeit, mehrere Versandetiketten gleichzeitig zu erwerben (Amazon, o. D. e). Zum Stand November 2021 waren über diese Funktion Paketdienstleistungen von DPD und Hermes erhältlich (Amazon, o. D. f). Der Vertrag über die Paketdienstleistung wird jeweils direkt mit dem Paketdienstleister geschlossen, während die Zahlungsabwicklung über Amazon erfolgt (Amazon, o. D. g und h).
Im Falle des Versands über DPD zeigt der Vergleich der Preise von „Versandentgelt kaufen“ mit der öffentlich verfügbaren DPD-Standardpreisliste, dass die Preise für kleine oder sehr große Sendungen attraktiver sind (Monopolkommission, 2022, Tabelle 4.1). Einen zusätzlichen Wert verleiht Amazon „Versandentgelt kaufen“ dadurch, dass die Onlinehändler bei Nutzung dieser Dienstleistung negative Kundenbewertungen im Onlineshop von Amazon entwerten lassen können, wenn sich die Ursache für die negative Kundenbewertung auf die Paketdienstleistung zurückführen lässt (Amazon, o. D. i). Eine Entwertung umfasst, dass die betreffende Kundenbewertung nicht mehr bei der Berechnung der durchschnittlichen Kundenbewertungen des Verkäufers berücksichtigt wird, dass sie nur durchgestrichen für Verbraucher:innen im Onlineshop angezeigt wird und dass sie mit einem Hinweis von Amazon versehen wird, dass die Versandprobleme im Zusammenhang mit dieser Bestellung nicht auf den Verkäufer zurückzuführen sind (Amazon, o. D. i). Wenn Händler:innen hingegen selbst direkt einen etablierten Paketdienstleister mit der Zustellung einer Ware beauftragen, ist eine solche Entwertung nicht möglich (Amazon, o. D. i).
Aus der Entwertung solcher negativen Kundenbewertungen ergeben sich nicht nur direkte Vorteile durch einen positiveren Eindruck bei Verbrauchenden, sondern auch indirekte Vorteile im Rahmen der Sichtbarkeit der Waren des Händlers in Amazons Onlineshop. Negative Kundenbewertungen führen vermutlich dazu, dass Waren des Händlers in Amazons Produktsuche weiter hinten platziert werden und reduzieren vermutlich die Sichtbarkeit seiner Werbung. Sie führen außerdem nach Angaben von Amazon dazu, dass die Waren des Händlers mit geringerer Wahrscheinlichkeit die Buy Box erhalten (Amazon, o. D. j; AGCM, 2019, Tz. 75.).
Über „Versandentgelt kaufen“ können auch Versandetiketten erworben werden, die es den Händler:innen ermöglichen, „Prime-Versand“ als Versandoption für ihre Produkte im Marketplace anzubieten. Amazon bietet für Verbrauchende ein „Prime-Abo“ an. Dieses Abo kostet derzeit in Deutschland 8,99 Euro pro Monat (Amazon, o. D. k). Bestandteil dieses Abonnements ist unter anderem,5 dass die Versandoption „Prime-Versand“ kostenlos genutzt werden kann (Amazon, o. D. l). Diese Versandoption wird von Amazon-Prime-Abonnierenden mit einer hohen Versandgeschwindigkeit und einer hohen Servicequalität assoziiert. Prime-Versand steht den Abonnierenden grundsätzlich bei allen Produkten zur Verfügung, deren Versand über die Lager von „Amazon Logistics“ abgewickelt wird. Daneben bietet Amazon Händler:innen, die den Versand selbst abwickeln, ebenfalls die Möglichkeit, Prime-Versand anzubieten. Amazon spricht in solchen Fällen von „Seller Fulfilled Prime“. Neben bestimmten Mindestqualitätsstandards, die Händler:innen erfüllen müssen, wenn sie diese Versandoption anbieten wollen, macht Amazon außerdem zur Bedingung, dass entsprechende Versandetiketten für den Prime-Versand genutzt werden (Amazon, o. D. i). Diese sind für die Händler:innen über „Versandentgelt kaufen“ erhältlich (Amazon, o. D. i). Im Gegensatz zu den dort erhältlichen Standardversandetiketten beinhaltet die für „Seller Fulfilled Prime“ vorgesehene Dienstleistung eine Paketabholung durch den Paketdienstleister. Der Vorteil, negative Kundenbewertungen entwerten lassen zu können, sofern ein Fehler des Paketdienstleisters vorlag, gilt für alle über „Versandentgelt kaufen“ erhältlichen Paketdienstleistungen.
Bezogen auf DPD als Paketdienstleister zeigt der Vergleich der für Seller Fulfilled Prime gültigen Versandpreise mit der öffentlich verfügbaren Standardpreisliste von DPD für einen Versand mit Abholung, dass die Preise für Seller Fulfilled Prime deutlich günstiger sind, insbesondere, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass die Pakete priorisiert verschickt werden (Monopolkommission, 2022, Tabelle 4.2). Unabhängig von den preislichen Erwägungen hat das Anbieten von Prime-Versand für Händler:innen den Vorteil, dass ihre Waren als „Prime-Produkt“ im Onlineshop von Amazon gekennzeichnet werden. Dies macht ihre Waren nicht nur für Amazon-Prime-Abonnierende, die vom kostenlosen Prime-Versand profitieren, attraktiver. Von noch größerer Bedeutung ist, dass Prime-Produkte im Amazon Onlineshop eine höhere Sichtbarkeit haben (Amazon, o. D. m). Mindestens teilweise dafür ausschlaggebend ist, dass alle Verbrauchenden in der Produktsuche von Amazons Onlineshop nach Prime-Produkten filtern können und dies auch regelmäßig tun (AGCM, 2019, Tz. 26.). Indizien weisen zudem darauf hin, dass zumindest eine höhere Chance besteht, in der Buy Box angezeigt zu werden. Amazon empfiehlt Händler:innen explizit, Prime-Versand anzubieten, weil so die Chancen auf eine Platzierung in der Buy Box erhöht würden.6 Ob bei Inanspruchnahme von Seller Fulfilled Prime auch eine bessere Sichtbarkeit in der Produktsuche oder auch bei Werbeanzeigen besteht, ist nicht bekannt.
Amazon als Logistikdienstleister
Amazon bietet Onlinehändlern im Rahmen der Dienstleistungen „Fulfillment by Amazon“ und „Amazon Multichannel“ auch die Möglichkeit, unter anderem Lagerung, Versandabwicklung und Retourenmanagement ihrer Produkte an „Amazon Logistics“ auszulagern (Amazon, o. D. p). Die Paketzustellung an Verbrauchende realisiert „Amazon Logistics“ teilweise7, indem es Pakete den etablierten Paketdienstleistern (z. B. DHL) übergibt. Die Händler:innen haben keinen Einfluss darauf, welcher Paketdienstleister von Amazon mit der Zustellung beauftragt wird.
„Fulfillment by Amazon“ kann beim Verkauf von Waren in Amazons Onlineshop genutzt werden. Die Vorteile für Onlinehändler:innen sind ähnlich wie bei „Seller Fulfilled Prime“. Sie können negative Kundenbewertungen entwerten lassen, sofern diese auf eine Schlechtleistung von „Amazon Logistics“ oder eine des von „Amazon Logistics“ beauftragten Paketdienstleisters zurückzuführen sind, und sie profitieren von einer erhöhten Sichtbarkeit ihrer Produkte in Amazons Onlineshop (Amazon, o. D. o). Dies gilt nicht nur, weil Produkte unter Nutzung von „Fulfillment by Amazon“ als Prime-Produkte gekennzeichnet werden (Amazon, o. D. o). Amazon gibt explizit an, dass die Nutzung von „Fulfillment by Amazon“ ein Kriterium ist, das bei der Entscheidung berücksichtigt wird, welches Produkt in der Buy Box angezeigt wird.8 Außerdem bietet Amazon Verbrauchenden die Möglichkeit, in der Produktsuche nach Produkten zu filtern, die mit „Fulfillment by Amazon“ versandt werden. Bei Aktivierung dieses Filters werden folglich keine Produkte angezeigt, die über „Seller Fulfilled Prime“ versandt werden (AGCM, 2019, Tz. 23).
Neben „Fulfillment by Amazon“ bietet Amazon auch den Dienst „Amazon Multichannel“ an. Damit ist es Händler:innen möglich, die Dienstleistung von „Amazon Logistics“ auch dann in Anspruch zu nehmen, wenn sie Waren über einen anderen Vertriebskanal als den Amazon Marketplace veräußern (Amazon, o. D. q). Amazon verweist beim Einsatzgebiet insbesondere auf Verkäufe über den Onlineshop des jeweiligen Händlers (Amazon, o. D. q). Die Dienstleistung kann aber auch für Verkäufe auf anderen digitalen Marktplätzen wie eBay genutzt werden, und zwar auch von Händler:innen, die keinerlei Waren auf dem Amazon Marketplace anbieten (Amazon, o. D. q). Dementsprechend ist „Amazon Multichannel“ eine klassische Logistikdienstleistung, wie sie auch von anderen Paketdienstleistern, beispielsweise der Deutsche Post AG, angeboten wird (DHL, o. D.). Die Versandpreise fallen bei „Fulfillment by Amazon“ deutlich günstiger aus als bei Amazon Multichannel (Amazon, 2021). Die Händler:innen genießen daher erhebliche Kostenvorteile, wenn sie über Amazons Onlinemarktplatz verkaufen.
Amazon als Logistikdienstleister mit eigenem Paketzustellnetz
Da „Amazon Logistics“ über ein eigenes Paketzustellnetz verfügt, liefert Amazon die Waren von Händler:innen, die „Fulfillment by Amazon“ oder „Amazon Multichannel“ in Anspruch nehmen, teils auch selbst aus. In diesem Fall erbringt Amazon eine Paketdienstleistung im Sinne des § 4 Nr. 1 lit. b PostG. Ausschließlich diese Paketsendungen werden von der Bundesnetzagentur in ihrem alle zwei Jahre erscheinenden Tätigkeitsbericht Post erfasst. Demzufolge betrug 2020 Amazons Anteil an den Gesamtsendungsmengen im Paketbereich 5 % bis 15 % (BNetzA, 2021, 41.). Amazon gehört daher zu den sechs größten Paketdienstleistern in Deutschland. Da Amazons Eigenzustellung, d. h. die Zustellung von Paketen mit Waren, die Amazon selbst als Händler verkauft, bei dieser Marktbetrachtung nicht berücksichtigt wird, liefert dies kaum Anhaltspunkte für die tatsächliche Größe von Amazons Zustellnetz.
Impulsgeber für den Wettbewerb im Paketmarkt
Die obige Analyse zeigt, dass Amazon derzeit einen erheblichen Teil der Nachfrage auf dem Paketmarkt direkt oder indirekt kontrolliert. Zum einen generiert es als Onlinehändler selbst erhebliche Versandmengen, zum anderen wählt es für Onlinehändler, die seine Logistikdienstleistungen in Anspruch nehmen, den oder die Paketdienstleister aus. In Summe kann Amazon bedeutende Nachfrageströme auf dem Paketmarkt zu ausgewählten Paketdienstleistern lenken, einschließlich seines hauseigenen.
Die daraus mutmaßlich resultierende Verhandlungsmacht von Amazon gegenüber den etablierten Paketdienstleistern hat sich bisher positiv auf den Wettbewerb im deutschen Paketmarkt ausgewirkt. 2007 startete Amazon hierzulande seinen erfolgreichen Service Amazon Prime. Gegen eine jährliche Pauschalgebühr sichert Amazon den Prime-Abonnent:innen eine „kostenlose“ Lieferung von bestellten Waren am nächsten Tag zu. Mit diesem Service übt Amazon seither erheblichen Druck auch auf konkurrierende Onlinehändler aus, die niedrige Versandpreise und kurze Lieferzeiträume bieten müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dieser allgemeine Wettbewerbsdruck im Onlinehandel und ein generelles Sendungsmengenwachstum hatten Einfluss auf Preise und Qualitätsanforderungen für Paketsendungen, die von Onlinehändlern zu Privatkundschaft verschickt werden. Dies zeigt sich z. B. in der Zahl der Paketshops, die bei allen großen Paketdienstleistern mit zunehmendem Erfolg des Onlinehandels gestiegen ist, oder in immer präziser arbeitenden Pakettrackingsystemen, die eine genaue Ankunftszeitvorhersage für Pakete und folglich eine höhere Paketannahmeerfolgsquote ermöglichen. Auch alternative Zustellarten wie die Zustellung an Packstationen oder Paketboxen werden von den Paketdienstleistern immer wieder erprobt.
Hinzu kommt, dass Amazon als bedeutender Nachfrager im Paketbereich nicht nur über eine gewisse Verhandlungsmacht gegenüber den etablierten Paketdienstleistern verfügen dürfte, sondern auch die Qualität verschiedener Paketdienstleister flächendeckend überwachen kann, um bei systemischen Problemen sofort mit dem betreffenden Paketdienstleister in Verbindung zu treten. Von einem solchen umfassenden externen Qualitätsmonitoring profitiert nicht nur Amazon, sondern jeder Händler, der Pakete über das Paket- oder Zustellnetz des jeweiligen Paketdienstleisters verschickt sowie die Endkundschaft.
Darüber hinaus baut Amazon sein eigenes Paketzustellnetz kontinuierlich aus. Zukünftig ist zu erwarten, dass es sich als neuer Wettbewerber im Paketmarkt etablieren wird. Soweit Amazon das hauseigene Paketzustellnetz für sich und seine Logistikkunden nutzt, steht es schon heute in Konkurrenz zu den etablierten Paketdienstleistern. Mit zunehmender Größe des eigenen Zustellnetzes könnte für Amazon eine vollständige Öffnung dieses Netzes attraktiv werden. Derzeit können Händler Amazons Paketdienstleistungen nicht direkt buchen, sondern nur indirekt über Amazons Logistikdienstleistungen. Eine vollständige Öffnung würde die Auslastung von Amazons Paketzustellnetz weiter erhöhen und so die Realisierung von Skalenvorteilen ermöglichen. In Großbritannien ist eine solche Öffnung bereits 2020 erfolgt (ecommercenews.eu, 2020).
Amazon als Onlinemarktplatzbetreiber und die Gefahr der Marktmachthebelung auf den Paketmarkt
Für Amazons zukünftige Position als Paketdienstleister werden seine strukturellen Vorteile als vertikal integriertes Unternehmen von hoher Bedeutung sein. Amazon nutzt seine Rolle als Marktplatzbetreiber bereits heute, um Wettbewerbsvorteile auf den dem Paketmarkt vorgelagerten Logistikmärkten zu erlangen. Hierzu verbindet Amazon Dienstleistungen wie „Versandentgelt kaufen“ und „Fulfillment by Amazon“ mit Vorteilen auf dem Amazon Marketplace. So kommt die EU-Kommission in ihrer Untersuchung im Rahmen des eingangs erwähnten Missbrauchsverfahrens zu dem vorläufigen Schluss, dass die Selbstbegünstigung der eigenen Logistikdienstleistungen im Hinblick auf eine Verknüpfung dieser mit einer höheren Sichtbarkeit durch den leichteren Zugang zur Buy Box und den generellen Zugang zu Amazon Prime unangemessen sei (EU-Kommission, 2022). Das von der EU-Kommission erwirkte Angebot Amazons für eine Selbstverpflichtung beinhaltet daher unter anderem folgende Punkte:
- Amazon wird sicherstellen, dass Verkäufer:innen, die eine Prime-Berechtigung und eine Prime-Kennzeichnung für ihre Angebote erhalten wollen, ihren Versanddienstleister frei wählen und die Tarife und Geschäftsbedingungen direkt mit diesem Anbieter aushandeln können (Amazon, 2022, 8 f.).
- Amazon wird die Prime-Berechtigung eines Verkäufers als relevantes Kriterium bei der Auswahl des Produktes, das in der Buy-Box angezeigt wird, streichen (Amazon, 2022, 5).
Es wird Sache der Kartellbehörden sein, zu beobachten, ob diese und die weiteren von Amazon angebotenen Zusagen ausreichen, um eine etwaige Hebelung von möglicherweise im Bereich Onlinemarktplätze bestehender Marktmacht in die Paket- und Logistikmärkte zu verhindern. Hierfür könnten auf europäischer Ebene der Digital Markets Act und auf nationaler Ebene der § 19a GWB neue Möglichkeiten bieten. Das Bundeskartellamt hat jüngst in einer Entscheidung festgestellt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb gemäß § 19a Abs. 1 GWB hat (BKartA, 2022). Amazon hat Rechtsmittel gegen diese Entscheidung eingelegt (PaRR, 2022). Sollte die Einstufung von Amazon als Unternehmen mit marktübergreifender Bedeutung bestätigt werden, könnte sich die Möglichkeit des Bundeskartellamts, einem Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb bestimmte missbräuchliche Verhaltensweisen gemäß § 19a Abs. 2 GWB zu untersagen, als wirksames Mittel gegen etwaige unangemessene Formen der Selbstbegünstigung erweisen.
Der Beitrag geht zurück auf das 12. Sektorgutachten Post „Wettbewerb mit neuem Schwung!“ der Monopolkommission (2022).
- 1 Für einen Überblick über Amazons Angebote im Bereich Werbeanzeigen siehe Amazon (o. D. a).
- 2 Die Auslieferung der Pakete erfolgt über zahlreiche Subunternehmer, die von Amazon akquiriert werden (Amazon, o. D. b).
- 3 LG München I (2021, 382): „Die Verfügungsklägerin [eine auf dem Amazon-Marktplatz tätige Dritthändlerin] hat glaubhaft gemacht, dass die Verfügungsbeklagte [Amazon] auf dem Teilmarkt für die Erbringung von Dienstleistungen von Onlinemarktplätzen gegenüber Onlinehändlern in Deutschland marktbeherrschend ist.“ Das LG München I nimmt in seinem Urteil wiederholt Bezug auf ein Verfahren des Bundeskartellamtes gegen Amazon, das letztlich ohne Entscheidung eingestellt worden ist, in dem das Bundeskartellamt aber unter anderem die Gatekeeper-Stellung von Amazon und den hohen Anteil des Unternehmens am deutschen Onlinehandel thematisiert hat (BKartA, 2019, 11).
- 4 Versandetiketten der etablierten Paketdienstleister werden z. B. auch von Logistikunternehmen wie LetMeShip, Sendcloud, Shipcloud, Packlink, Sendiroo und SimpleSell verkauft (paketda.de, 2022).
- 5 Das „Amazon-Prime“-Abo wurde in der Vergangenheit als reine Versanddienstleistung angeboten, umfasst mittlerweile aber auch weitere Dienstleistungen wie den Musikstreamingdienst „Prime Music“ oder den Videostreamingdienst „Prime Video“.
- 6 So heißt es auf dem Internetauftritt von Amazon insbesondere: „Andere Vorteile der Registrierung für „Prime durch Verkäufer“ sind: […] Sie konkurrieren effektiver um das Einkaufswagen-Feld“ (Amazon, o. D. o).
- 7 Außerdem nutzt Amazon auch sein eigenes Zustellnetz.
- 8 So heißt es auf dem Internetauftritt von Amazon insbesondere: „Wenn Ihr Verkäuferkonto grundsätzlich für die Darstellung im Einkaufswagen-Feld qualifiziert ist, können Sie Ihre Chancen erhöhen, indem Sie auf folgende Dinge achten: […] Versandbedingungen für ein Produkt, inklusive der Dauer der Zustellung, der Bearbeitungszeit und Ihrer Teilnahme am Versand durch Amazon“ (Hervorhebung nur hier) (Amazon, o. D. j; AGCM, 2019, Tz. 75).
Literatur
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