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Die Steuerschätzung im Oktober korrigierte die Einnahmeerwartung für die Jahre 2022 bis 2026 im Vergleich zur Schätzung im Mai um insgesamt gut 126 Mrd. Euro nach oben. Das erwartete Aufkommen ist dabei sogar durch neu berücksichtigte Steuersenkungen gemindert. Entscheidend für die Aufwärtskorrektur war die Revision der Projektion der Bundesregierung, die der Steuerschätzung zugrunde liegt. Im Frühjahr trübte das Risiko einer Energiekrise bereits die Konjunkturaussichten, die Bundesregierung ging allerdings noch von nur moderaten Preisanstiegen aus. Im Herbst hat sich die Krise manifestiert und die Regierung erwartet in den kommenden Jahren deutliche Lohn- und Preisanstiege. Trotz projizierten realen Rückgangs im Jahr 2023 liegt der angenommene nominale Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts über dem im Frühjahr unterstellten. Dies führt nominal zu höheren Steuereinnahmen. Die Inflation der Importpreise liegt über der der Preise des Bruttoinlandsprodukts, was den ohnehin mit der Dämpfung des Wirtschaftswachstums einhergehenden Kaufkraftverlust verstärkt.

Maßgeblich für die Aufwärtskorrektur der Steuerschätzung sind Verbrauch- und Einkommensteuern. Der Konsum wird nominal wohl deutlich stärker expandieren als noch im Frühjahr vermutet. Das Aufkommen der Steuern vom Umsatz steigt proportional dazu. Auch Unternehmensgewinne und damit das Aufkommen gewinnabhängiger Steuern werden durch stärker steigende Preise erhöht. Durch den progressiven Einkommensteuertarif führen Lohnsteigerungen dazu, dass das Lohnsteueraufkommen nicht nur absolut, sondern auch in Relation zu den Gehältern steigt. Noch nicht beschlossene Einkommensteuertarifverschiebungen zur Vermeidung der kalten Progression wurden bei der Schätzung nicht berücksichtigt.

Die Mehreinnahmen spielen für die schuldenfinanzierten, einmaligen krisenbedingten Ausgaben wie die Gaspreisbremse eine untergeordnete Rolle. Das Preisniveau, insbesondere für Energie, wird allerdings wohl dauerhaft höher sein als noch im Frühjahr erwartet. Bedeuten die inflationsbedingten Mehreinnahmen zusätzlichen staatlichen Spielraum, etwa für dauerhafte Steuersenkungen? Die Frage muss verneint werden, wenn man davon ausgeht, dass die Preisentwicklung des Bruttoinlandsprodukts in entsprechend höheren staatlichen Ausgaben resultiert. Diskontiert man die bei den Steuerschätzungen in Frühjahr und Herbst des laufenden Jahres für die Jahre 2022 bis 2026 erwarteten Steuereinnahmen mit der jeweils in der Projektion der Bundesregierung unterstellten Veränderung des Preisniveaus des Bruttoinlandsprodukts, ergeben sich keine Mehreinnahmen, sondern reale Mindereinnahmen von gut 76 Mrd. Euro. Da Staatsausgaben teurer werden, sinkt der Spielraum des Staats trotz nominaler Mehreinnahmen.

De facto dürften einige Staatsausgaben sogar überproportional steigen. So sind existenzminimumsichernde Transfers von der stärkeren Teuerung des privaten Konsums beeinflusst. Auch lohnabhängige Transfers werden – verzögert – wegen der starken Nominallohnentwicklung deutlich zulegen. Ambivalent ist der Effekt auf inflationsbereinigte Zinsausgaben, da der höhere Nominalzinssatz nur auf Neuverschuldung und Refinanzierung anfällt. Uneindeutig ist auch der Effekt auf den Staatskonsum. Dieser ist recht energiearm, sodass seine Teuerungsrate wohl deutlich unter der des Bruttoinlandsprodukts bleiben wird. Bei real gleichbleibendem Verhältnis von staatlichem und privatem Konsum würde dies nominal zu einem relativen Rückgang des Staatskonsums führen. Nimmt man an, dass das Verhältnis von staatlichem zu privatem Konsum vor der Preisverschiebung optimal war, gebietet der relative Preisrückgang des öffentlichen Konsums allerdings, den Staatskonsum relativ zum privaten Konsum real zu erhöhen. Unklar ist, ob dies in einem solchen Maße geschehen sollte, dass die relative Preisveränderung kompensiert oder sogar überkompensiert wird.

Der Handlungsspielraum des Staates wird auch dadurch verringert, dass die kalte Progression in Einklang mit bisheriger Praxis vollständig ausgeglichen werden wird, indem die Eckwerte des Einkommensteuertarifs proportional mit der Teuerungsrate des privaten Konsums verschoben werden. So bleibt die prozentuale Belastung von Einkommen, deren Anstieg allein die Teuerung des privaten Konsums ausgleicht, konstant. Bei steigenden Reallöhnen steigt die prozentuale Steuerlast auch bei Ausgleich der kalten Progression. 2022 und 2023 dürften die Reallöhne jedoch sinken, sodass der Ausgleich der kalten Progression zu einem Rückgang der durchschnittlichen Steuerlast führt. Das ist vor dem Hintergrund des öffentlichen Ausgabenbedarfs diskussionswürdig. Generell führt der Ausgleich der kalten Progression dazu, dass Wohlstandsgewinn mit überproportionaler Steigerung der Staatseinnahmen einhergeht und Wohlstandsverlust mit überproportionalem Rückgang. Alternativ wäre zu erwägen, Tarifanpassungen anhand des Zuwachses der Bruttolöhne vorzunehmen. Dann stiege das Lohnsteueraufkommen proportional mit den Löhnen.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3319-9