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Mit der jüngst vom Bundestag beschlossenen Einführung eines Bürgergelds soll die Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Jahresbeginn 2023 reformiert werden. Die Reform steht dabei nicht allein für eine begriffliche Abkehr von „Hartz IV“, sondern beansprucht eine „grundlegende Weiterentwicklung“ des Sicherungssystems. So sollen nachhaltige Arbeitsmarktintegration und Qualifizierung gestärkt, vor allem aber das Verhältnis des Sozialstaats zu seinen unterstützungsbedürftigen Bürger:innen von Grund auf neujustiert werden. Die praktische Umsetzung obliegt den mehr als 400 Jobcentern. In einer Online-Befragung wurde vorab ihre Einschätzung der Reform erhoben.

Zum Jahresbeginn 2023 tritt das kürzlich vom Bundestag beschlossene Bürgergeld-Gesetz in Kraft. In seiner ursprünglichen Fassung war das Gesetz zunächst im Bundesrat abgelehnt worden, im anschließenden Vermittlungsverfahren konnte jedoch eine Einigung zwischen beiden Kammern erzielt werden. Im Vergleich zum Regierungsentwurf wurden in diesem Zuge jedoch einige maßgebliche Reformelemente gestrichen. Gemessen am Anspruch der zahlreichen gesetzlichen Neuerungen des Bürgergeld-Gesetzes dürfte es sich dabei – trotz der im Vermittlungsausschuss beschlossenen Änderungen – um die tiefgreifendste Reform in der an reformerischen Eingriffen keineswegs armen Geschichte der Grundsicherung für Arbeitsuchende handeln. Bereits an der Namensgebung wird erkennbar, dass die Reform nicht weniger sein soll, als der Abschied von „Hartz IV“ – die fest im allgemeinen Sprachgebrauch verankerte Bezeichnung für die Grundsicherung. „Hartz IV“ ist aber auch und vor allem Synonym für den Durchbruch der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. Nicht wenigen Beobachtern galt und gilt die damalige Reform daher als – teils als überfällig begrüßte, teils als Sozialabbau verteufelte – Abkehr vom bis dahin prägenden bundesdeutschen Verständnis versorgender Wohlfahrtsstaatlichkeit.

Mit der Einführung des – von der SPD bereits 2019 ersonnenen und mit Unterstützung des aktuellen Regierungsbündnisses beschlossenen – Bürgergelds soll dieser Kurs grundlegend korrigiert werden. Zwar stellt das Bürgergeld keinen radikalen Systemwechsel hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen dar – auch wenn der Begriff des Bürgergelds in eben diesem sozialpolitischen Debattenstrang seinen Ursprung hat (Opielka und Strengmann-Kuhn, 2022). Gleichwohl beansprucht die Reform eine grundlegende Neujustierung des Verhältnisses zwischen dem Sozialstaat und den auf seine finanzielle Unterstützung angewiesenen Einzelnen. Dies kommt bereits darin zum Ausdruck, dass die Leistungsbezieher:innen nicht länger als „Kunden“ adressiert, sondern zukünftig als „Bürger“ und damit als Träger:innen sozialer Rechte angesprochen werden. Mit der neuen Semantik geht die gesetzlich neu gestaltete Beziehung zwischen dem Jobcenter als zuständiger sozialstaatlicher Institution und den Leistungsbeziehenden einher. So sollen „gegenseitiger Respekt und Vertrauen“ (Bundesregierung, 2022, 2) zwischen Jobcenter und Leistungsbeziehenden ebenso gestärkt werden, wie „der Umgang der Beteiligten miteinander auf Augenhöhe“ (Bundesregierung, 2022, 2). Auf diese Weise soll eine „neue Vertrauenskultur“ (Bundesregierung, 2022, 2) entstehen, die dem Verständnis der Bundesregierung nach unter den bislang gültigen Regelungen offenbar nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann.

Um diesen Anspruch einzulösen, sieht das Bürgergeld-Gesetz gleich in mehreren Rechtsgebieten und Handlungsfeldern weitgehende und entsprechend kontroverse Änderungen vor. Ein Schwerpunkt der Reformbemühungen gilt der Beratungs- und Vermittlungstätigkeit der Jobcenter und damit deren Verhältnis zu den aktuell rund 3,8 Mio. erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. So soll die Integrationsstrategie stärker als bislang gemeinsam von Integrationsfachkräften und Leistungsberechtigten erarbeitet werden. Den insgesamt 406 gemeinsamen Einrichtungen und kommunalen Jobcentern kommt folglich eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Bürgergeld-Reform zu.

Der lange Weg von „Hartz IV“ zum Bürgergeld

Mit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende 2005 war nicht nur ein weitreichender Eingriff in die bis dato etablierte Architektur der sozialen Sicherung verbunden. Vielmehr gilt die Ablösung von Arbeitslosen- und ehemaliger Sozialhilfe durch die im Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) kodifizierte Grundsicherung zugleich als programmatische Hinwendung zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik und steht damit auch für eine Tendenz zur neuerlichen „Remoralisierung“ (Lessenich, 2012, 127) gerade von verfestigter Arbeitslosigkeit. Galt diese bis in die 1990er Jahre hinein vorrangig als strukturelles (Nachfrage-)Problem, wurde Arbeitslosigkeit seither verstärkt als Folge mangelnder Beschäftigungsfähigkeit sowie geringer Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen betrachtet und damit ursächlich auf der Angebotsseite des Arbeitsmarkts verortet. Gerade in den Anfangsjahren des neu geschaffenen Sicherungssystems ging diese Umdeutung mit einer bisweilen polemischen Kritik an der vermeintlichen Generosität des deutschen Wohlfahrtsstaats einher. Diese habe ungewollt den Verbleib in Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug bewirkt. Entsprechend sollten Interventionen vor allem dem Arbeitsmarktverhalten des Einzelnen gelten, während speziell der langfristige Einsatz von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten teils deutlich eingeschränkt wurde.

In den rot-grünen Arbeitsmarktreformen spiegelte sich aber nicht allein die Kritik am deutschen Sozialstaatsmodell, sie waren zugleich eine Reaktion auf einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit. So belief sich die Zahl der registrierten Arbeitslosen 2005 insgesamt auf knapp 4,9 Mio. Danach war wiederum eine rückläufige Entwicklung der Arbeitslosigkeit zu beobachten, die aus Perspektive der makroökonomischen Forschung zu einem nicht unerheblichen Anteil auf die Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende zurückzuführen ist (Merkl, 2022, 87). Mit Beginn der COVID-19-Pandemie hat sich dieser Trend umgekehrt und die Zahl der arbeitslosen Empfänger:innen von Arbeitslosengeld II wieder zugenommen (Bruckmeier et al., 2021). Vom Niveau der Anfangsjahre der Grundsicherung ist die gegenwärtige Situation gleichwohl noch weit entfernt.

Verändert hat sich in den vergangenen Jahren jedoch nicht nur die allgemeine Arbeitsmarktlage, auch die rechtliche Ausgestaltung des SGB II, seiner Zugangsbedingungen, Geldleistungen wie seiner arbeitsmarktpolitischen Instrumente wurde seither häufig und bisweilen durchaus grundlegend reformiert (für eine umfängliche Darstellung der Reformgeschichte des SGB II: Bendel-Claus, 2013, 2018; Bendel-Claus und Bähr, 2021). Dabei handelte es sich oft um zunächst befristete Änderungen, die teils in unveränderter, teils in angepasster Form nun im Bürgergeld-Gesetz zusammengeführt werden.

Im Bereich des Leistungsrechts trifft dies auf den im Zuge der COVID-19-Pandemie eingeführten erleichterten Zugang zu Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu. So ist seit Frühjahr 2020 die Vermögensprüfung bei der Beantragung von Arbeitslosengeld II ausgesetzt und die Kosten der Unterkunft werden in voller Höhe übernommen, auch wenn sie über dem anerkannten Bedarf liegen. Die erleichterten Zugangsbedingungen sind bis Ende 2022 befristet, werden aber in Gestalt der Karenzzeit mit der Bürgergeld-Reform verstetigt. Anders als im Regierungsentwurf des Bürgergeld-Gesetzes zunächst vorgesehen wird die Karenzzeit jedoch nicht auf zwei Jahre verlängert, sondern beträgt weiterhin ein Jahr. Auch das Schonvermögen wurde gegenüber dem Regierungsentwurf des Gesetzes nach unten korrigiert. In beiden Fällen handelt es sich um Anpassungen, die im Vermittlungsausschuss ausgehandelt wurden. Bereits vor der ersten Abstimmung im Bundestag wurde die ursprüngliche Gesetzesvorlage dahingehend angepasst, dass die Energiekosten nicht in voller, sondern lediglich in angemessener Höhe abgedeckt werden sollen (Deutscher Bundestag, 18 f.). Zudem sah der entsprechende Änderungsantrag der Regierungsfraktionen eine Selbstauskunft zum vorhandenen Vermögen vor.

Im Bereich des Sanktionsrechts zog bereits das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2019 weitreichende Änderungen nach sich. So wurden die Regelungen zur Höhe und den Zeiträumen von Leistungsminderungen entschärft und für alle Altersgruppen vereinheitlicht. Gesetzlich ausgeschlossen ist nun auch eine Kürzung der Kosten der Unterkunft. Bislang durch Verwaltungsvorschriften des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales umgesetzt, folgt nun die gesetzliche Verankerung dieser Änderungen mit der anstehenden SGB-II-Reform. Das Bürgergeld-Gesetz sah in seiner ursprünglichen Fassung jedoch noch deutlich weitergehende Entschärfungen der Sanktionsmöglichkeiten vor. So war zunächst die Einführung einer sechsmonatigen Vertrauenszeit vorgesehen, während der in Anlehnung an das zum Jahresende auslaufende Sanktionsmoratorium keine Leistungskürzungen wegen sogenannter Pflichtverletzungen möglich sein sollten. Gerade dieses Reformelement stieß in der politischen Debatte um die Bürgergeld-Reform auf erhebliche Kritik. Mit der Suspendierung monetärer Sanktionen zu Beginn des Leistungsbezugs, so die in der Auseinandersetzung nicht zuletzt von der CDU geäußerte Befürchtung, würden die Anreize für die Aufnahme einer Erwerbsarbeit untergraben. Im Vermittlungsausschuss verständigten sich Bundestag und Bundesrat schließlich darauf, auf die Einführung der Vertrauenszeit zu verzichten. Im Gegenzug wurden jedoch – in der öffentlichen Diskussion interessanterweise weitgehend ignoriert – weitere, über die bereits entschärften Regelungen des Regierungsentwurfs hinausgehende Entschärfungen der Sanktionshöhen und -zeiträume beschlossen.

Zur Neugestaltung des Verhältnisses von Integrationsfachkräften und Leistungsberechtigten wird die vielfach kritisierte Eingliederungsvereinbarung (Schütz et al., 2011; Bernhard und Senghaas, 2021) durch den sogenannten Kooperationsplan abgelöst. Er soll die gemeinsam erarbeitete Integrationsstrategie dokumentierten und als eine Art Fahrplan für die nächsten Schritte auf dem Weg (zurück) in Beschäftigung fungieren. Anders als die Eingliederungsvereinbarung sieht der Kooperationsplan jedoch keine Rechtsfolgenbelehrung vor, bildet also nicht mehr zugleich die Rechtsgrundlage für Sanktionen durch das Jobcenter und kann bei fehlender Einigkeit zudem nicht mehr einseitig durch die SGB-II-Träger festgesetzt werden.

Zusammen mit der neu strukturierten Erarbeitung der Integrationsstrategie soll sich diese auch inhaltlich vom bisherigen Vorgehen unterscheiden. Anstelle der Vermittlung in kurzzeitige Beschäftigungsverhältnisse – und damit dem Risiko einer entsprechend hohen Quote an Rückkehrern in den Leistungsbezug (Bruckmeier und Hohmeyer, 2018) – sollen die Jobcenter zukünftig eine stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Strategie verfolgen. Hierzu wurden bestehende rechtliche Hürden (Vermittlungsvorrang) gelockert und der Einsatz von beruflicher Weiterbildung, flankiert von finanziellen Anreizen wie dem Weiterbildungsgeld und dem Bürgergeldbonus, gestärkt.

Reformiert werden mit dem Bürgergeld-Gesetz auch die Förderinstrumente des SGB II. So wird die 2019 mit dem Teilhabechancengesetz eingeführte Maßnahme „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ vorzeitig entfristet und damit dauerhaft im Förderportfolio der Grundsicherung verankert (Ramos Lobato und Dietz, 2022). Damit steht den Jobcentern auch über 2024 hinaus eine mehrjährige Fördermöglichkeit für besonders arbeitsmarktferne Leistungsberechtigte zur Verfügung. Hervorzuheben ist diese Entscheidung auch, weil die Maßnahme ebenso wie ihre Vorgängerin, der zwischen 2007 und 2012 existierende Beschäftigungszuschuss, gleich in mehrerlei Hinsicht für eine Korrektur der Aktivierungslogik steht (Bauer et al., 2010; Ramos Lobato, 2017). Nicht mangelnde Arbeits- und Konzessionsbereitschaft hätten zur Verfestigung von Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug im Falle der anvisierten Zielgruppe geführt, sondern – nicht zuletzt gesundheitlich bedingte – Einschränkungen der praktischen Arbeitsfähigkeit. Anstelle von fortgesetzten Vermittlungsbemühungen in Richtung ungeförderter Beschäftigung boten bzw. bieten beide Instrumente einen mehrjährigen Marktersatz und sollen vorrangig den desintegrativen Folgen langjähriger Arbeitslosigkeit entgegenwirken.

Die Einführung des Bürgergelds wäre angesichts dieser und weiterer Rechtsänderungen missverstanden, wenn man darin eine Absatzbewegung zu einem bis dahin ungebrochenen aktivierungspolitischen Verständnis der Grundsicherung, ihrer sozialstaatlichen Aufgaben und Interventionspraxis sehen würde. Vielmehr greift sie diverse (unter-)gesetzliche Reformen von Leistungs-, Sanktions- und Förderrecht der vergangenen Jahre auf, entwickelt diese weiter und verdichtet sie zu einem neuen Anspruch an die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Am prägnantesten wurde dieser Anspruch im Beschluss des Bundesparteitags der SPD aus dem Jahr 2019 formuliert, wonach auch für das Bürgergeld die „Grundannahme [leitend sein soll], dass die Menschen den Sozialstaat brauchen und ihn nicht missbrauchen“ (SPD 2019, 10). Parteipolitische Gründe und die erforderlichen machtpolitischen Konstellationen waren jedoch nur einer von mehreren Treibern des Transformationsprozesses hin zum Bürgergeld. Daneben waren die Reformerfordernisse wichtig, die vom Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts sowie von der COVID-19-Pandemie ausgingen. Dabei war es vor allem die pandemische Lage, die in Gestalt der erleichterten Zugangsbedingungen sowie dem weitgehenden Verzicht auf monetäre Sanktionen zu einer Art unfreiwilliger Laborsituation für die Bürgergeld-Reform geworden ist. Als weiterer exogener Schock kamen zuletzt die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland hinzu, denen die Bürgergeld-Reform mit einer Anhebung des Regelsatzes begegnet.

Reform aus Sicht der Jobcenter

Es lässt sich festhalten, dass mit der Bürgergeld-Reform vor allem Änderungen in drei zentralen Bereichen vorgenommen werden: Erstens werden die Zugangsvoraussetzungen zu den gleichzeitig erhöhten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Karenzzeit, Vermögensprüfung) gelockert, zweitens die strategische Grundausrichtung bei der Integration der Leistungsberechtigten in den Arbeitsmarkt stärker an Kriterien der Nachhaltigkeit ausgerichtet (Abschaffung des Vermittlungsvorrangs, Weiterbildung) und drittens die Zusammenarbeit zwischen Jobcentern und Arbeitsuchenden stärker kooperativ denn direktiv ausgerichtet (Kooperationsplan). Alle drei Aspekte berühren dabei die Arbeit der 406 Jobcenter in unmittelbarer Weise. Umso erstaunlicher ist, dass bislang kaum Einschätzungen dazu vorliegen, wie die Jobcenter die geplante Reform bewerten. Vor diesem Hintergrund präsentiert der vorliegende Beitrag ausgewählte Ergebnis einer Online-Befragung von Geschäftsführenden der Jobcenter.

Die Befragung, auf deren Ergebnisse wir uns beziehen, ist Teil der Evaluation des Teilhabechancengesetzes, die das IAB im Rahmen der Wirkungsforschung nach §55 Abs. 1 SGB II seit 2019 durchführt. Entsprechend standen Fragen zu den Förderinstrumenten nach §16e und §16i SGB II im Fokus (Osiander und Ramos Lobato, 2022). Gleichzeitig wurde die Befragung genutzt, um einige Einschätzungen der Jobcenter zur sozialstaatlichen Funktion der Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie der Bürgergeld-Reform zu erheben. Der inhaltliche Fokus dieses Befragungsteils lag dabei auf den Zugangsbedingungen zu Grundsicherungsleistungen, der Integrationsstrategie der Jobcenter sowie der Organisation des Eingliederungsprozesses. Da die Erhebung zwischen Ende Mai und Ende Juli 2022 durchgeführt wurde, reflektieren der Fragebogen ebenso wie die Angaben der Jobcenter den Kenntnisstand über die Reform, wie er sich im Koalitionsvertrag und später dann im Gesetz zur Einführung des Sanktionsmoratoriums darstellt. Der Referenten- und der Regierungsentwurf des Bürgergeld-Gesetzes wurden erst nach Ende der Feldphase veröffentlicht. Die Befragung richtete sich an die Leitung aller 406 Jobcenter; pro Jobcenter gibt es also eine Rückmeldung. Es haben sich 320 Jobcenter beteiligt, davon 250 gemeinsame Einrichtungen und 70 kommunale Jobcenter. Die Rücklaufquote beträgt knapp 79 %, wobei die gemeinsamen Einrichtungen mit einer Quote von 83 % gegenüber den kommunalen Jobcentern mit 67 % überrepräsentiert sind.

Zugang zu Leistungen der Grundsicherung soll Bedürftigen vorbehalten bleiben

Die Überwindung von Hilfebedürftigkeit einerseits und die materielle Absicherung der Leistungsberechtigten andererseits stellen aus Sicht der Jobcenter erwartungsgemäß zentrale Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende dar (vgl. Abbildung 1). In knapp zwei Drittel der Fälle stimmen die Jobcenter der Aussage zu, dass die Grundsicherung der Überwindung von Hilfebedürftigkeit und damit der (finanziellen) Entlastung der Steuerzahlenden dienen sollte. Nur eine Minderheit von 12 % der Jobcenter-Geschäftsführungen sieht das anders. Bei der Aussage, die Grundsicherung sollte in erster Linie die materielle und soziale Teilhabe der Leistungsberechtigten sichern, sind es etwas über 60 %, die „voll und ganz“ oder „eher“ zustimmen. Hier zeigt sich insgesamt deutlich eine auf Beschäftigungsorientierung und Reduzierung des Leistungsbezugs ausgerichtete Interpretation der Grundsicherung. Dieser Befund überrascht nicht, da beide Funktionen elementar für Grundsicherungssysteme sind.

Abbildung 1
Einschätzungen zu zentralen Elementen des Grundsicherungssystems

n=305-314

Einschätzungen zu zentralen Elementen des Grundsicherungssystems

Quelle: eigene Darstellung.

Hervorzuheben ist allerdings, dass die Jobcenter sich zudem für eine strenge Regelung des Zugangs in die Grundsicherung aussprechen. Die Grundsicherung sollte in den Augen der Jobcenter selektiv und zielgenau sein. So geben 63 % der Jobcenter an, dass für den Arbeitslosengeld-II-Bezug strenge Kriterien der Hilfebedürftigkeit angelegt werden sollten. Nur eine Minderheit von 13 % sieht das anders. Einer starken Ausweitung des Adressatenkreises der Grundsicherung widersprechen die Jobcenter damit deutlich. In eine ähnliche Richtung weist auch die Vorstellung, dass der Verzicht auf die Anrechnung von Vermögen – der sich in abgewandelter Form auch im Bürgergeld-Gesetz findet – die Idee einer Grundsicherung aufweiche. Dieser Aussage stimmen knapp 80 % der Jobcenter „voll und ganz“ oder „eher“ zu. Zwar war während der Feldphase der Befragung noch nicht sicher, wie genau die sogenannten Karenzzeiten für Wohnen und Vermögen beim Bürgergeld ausgestaltet sein würden. Insgesamt interpretieren wir dies aber als eine skeptische Grundhaltung gegenüber dem Beschluss der Bundesregierung, während der Karenzzeit alle nicht erheblichen Vermögenswerte aus der Bedürftigkeitsprüfung auszuklammern.

Nachhaltige Arbeitsmarktintegration sollte im Fokus der Vermittlungsbemühungen stehen

Knapp 85 % der Jobcenter sprechen sich dafür aus, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende den Leistungsberechtigten eine stabile und existenzsichernde Beschäftigung ermöglichen und damit auch die Voraussetzungen für eine dauerhafte Überwindung von Hilfebedürftigkeit schaffen soll (vgl. Abbildung 2). Insofern kann man die hohe Zustimmung zu dieser Aussage zugleich als Zustimmung zu den Plänen der Bürgergeld-Reform interpretieren, die die „Chancen auf nachhaltige Integration“ (Bundesregierung, 2022, 4) – wie es im Bürgergeld-Gesetz heißt – stärken sollen. Unterstrichen wird dies auch durch die hohen Zustimmungswerte zur Aussage, die – für 2024 geplante Reform der – Zuverdienstregelungen so zu gestalten, dass sie vor allem Anreize für die Aufnahme sozialversicherungspflichtiger (und nicht geringfügiger) Beschäftigung schaffen. Die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs lehnt eine knappe Mehrheit an Jobcentern ab (46 %). Dies dürfte nicht zuletzt den Umstand reflektieren, dass die Jobcenter bei einem Teil der Leistungsberechtigten in der Investition in Weiterbildung keinen nennenswerten Beitrag für eine stabile Erwerbsintegration sehen.

Abbildung 2
Mittel zur Umsetzung der Beschäftigungsorientierung

n=303-314

Mittel zur Umsetzung der Beschäftigungsorientierung

Quelle: eigene Darstellung.

Trotz der starken Arbeitsmarktorientierung haben die Jobcenter auch arbeitsmarktferne Arbeitslose im Blick, deren Chancen auf Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt sehr gering sind. So begrüßt mit etwa 80 % eine deutliche Mehrheit der Jobcenter die Entfristung der Förderung „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§16i SGB II), die ebenfalls im Rahmen des Bürgergeld-Gesetzes 7) beschlossen wurde. Die hohe Zustimmung dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass es aus Sicht einer großen Mehrheit der Jobcenter ohne dieses Instrument kein adäquates Förderangebot für besonders arbeitsmarktferne Leistungsberechtigte gäbe (Osiander und Ramos Lobato, 2022).

Bürgergeld bricht mit der Idee des „Fördern und Forderns“

Ein weiteres maßgebliches Reformfeld des Bürgergeld-Gesetzes ist der Eingliederungsprozess. Zusammengenommen stellen sich die geplanten Änderungen in diesem Bereich – von denen zum Zeitpunkt der Befragung noch keine Details bekannt waren – für die Jobcenter mehrheitlich als Bruch mit der Kernidee des „Förderns und Forderns“ dar, die ein zentrales Element der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik ist. Immerhin mehr als 75 % stimmen der entsprechenden Aussage „voll und ganz“ bzw. „eher“ zu (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3
Einschätzungen von Bürgergeld-Reformelementen

n=302-314

Einschätzungen von Bürgergeld-Reformelementen

Quelle: eigene Darstellung.

Weiterhin betrachten die Jobcenter ihre Vermittlungsbemühungen durch den Verlust fordernder Elemente, konkret dem Aussprechen monetärer Sanktionen, als eingeschränkt und dürften die geplante Neufassung der Sanktionsregelungen entsprechend skeptisch beurteilen: Knapp 70 % geben an, Sanktionen seien notwendig, um die Mitwirkung der Leistungsberechtigten notfalls durchsetzen zu können. Spiegelbildlich bewerten die Jobcenter das Sanktionsmoratorium. Etwa zwei Drittel der Jobcenter geben an, das Moratorium beeinträchtige die Vermittlung. Die Bewertung der von der Bundesregierung vorgesehenen Vertrauenszeit, deren Ausgestaltung der des Sanktionsmoratoriums ähnelt, wäre daher vermutlich ebenfalls zurückhaltend ausgefallen.

Der Kooperationsplan, im Koalitionsvertrag und daher auch in unserer Befragung als Teilhabevereinbarung bezeichnet, wird ambivalent bewertet. 31 % stimmen „voll und ganz“ oder „eher“ zu, dass der Nachfolger der Eingliederungsvereinbarung eine geeignete Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Leistungsberechtigten sein könne, 29 % finden dies „eher nicht“ oder „überhaupt nicht“, 41 % geben „teils-teils“ an. Das kann darauf hindeuten, dass zum Befragungszeitpunkt noch nicht hinreichend klar war, wie genau die Teilhabevereinbarung respektive der Kooperationsplan ausgestaltet sein wird und welche konkreten Folgen damit einhergehen. Gleichzeitig ist denkbar, dass die Jobcenter ähnliche Schwierigkeiten wie bei der Eingliederungsvereinbarung sehen.

Fazit

Das Bürgergeld-Gesetz setzt zumindest in seiner ursprünglichen, vom Bundestag beschlossenen Fassung den – im Zuge der Coronapandemie – eingeschlagenen Weg hin zu einer bedingungsärmeren Grundsicherung fort, setzt verstärkt auf nachhaltige Arbeitsmarktintegration und betont den Grundsatz des Förderns gegenüber dem Einsatz von monetären Sanktionen. Zumindest dem Anspruch nach handelt es sich bei der Bürgergeld-Reform um einen weitreichenden Eingriff in die bisherige politisch-programmatische Ausrichtung der Grundsicherung für Arbeitsuchende und ihre vermittlerische Praxis. Entsprechend kommt den Jobcentern bei der Umsetzung der Reform eine entscheidende Rolle zu.

Betrachtet man deren Bewertung der Bürgergeld-Reform und ihrer verschiedenen Elemente, fällt ins Auge, dass die befragten Jobcenter die Hinwendung zu einer nachhaltigen Integrationsstrategie mehrheitlich unterstützen, die erleichterten Zugangsbedingungen zu den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie die zunächst geplanten Anpassungen im Sanktionsrecht jedoch eher skeptisch beurteilen dürften. Mit letzterem Reformelement verbinden sie nicht nur mehrheitlich einen Bruch mit dem Prinzip des „Förderns und Forderns“, sondern befürchten zudem nachteilige Folgen für die Beratungs- und Vermittlungsarbeit. So erachten sie die Möglichkeit, den Leistungsberechtigten bei mangelnder Mitwirkung temporär die Leistungen zu kürzen, als notwendiges Instrument. Entsprechend deutlich sehen sie im derzeit gültigen Sanktionsmoratorium eine Beeinträchtigung der Vermittlungsarbeit. Angesichts der Ähnlichkeit des Sanktionsmoratoriums zur ursprünglich geplanten Vertrauenszeit wäre deren Bewertung vermutlich vergleichbar zurückhaltend ausgefallen. Insofern ist davon auszugehen, dass der im Vermittlungsausschuss erzielte Kompromiss von den Jobcentern mehrheitlich begrüßt wird. Ob dies auch für die gleichzeitig beschlossene Entschärfung der Sanktionshöhen und -zeiträume gilt, ist hingegen offen.

Gleiches gilt auch für die Frage inwieweit sich die Vermittlungs- und Beratungsprozesse – und damit auch der Umgang mit Leistungskürzungen – durch die Bürgergeldreform verändern werden. Wie die Forschung in vielen Fällen gezeigt hat, sind gesetzliche Regelungen (policy on paper) und Implementation vor Ort (policy in practice) oft alles andere als deckungsgleich. Die Jobcenter und ihre Integrationsfachkräfte besitzen erhebliche diskretionäre Ermessensspielräume, wenn es darum geht, Reformen wie das Bürgergeld vor Ort umzusetzen. Insofern wird erst eine Evaluation der Bürgergeld-Reform zeigen, inwieweit es den Jobcentern gelingt, den anvisierten Kulturwandel im Verhältnis zu den leistungsberechtigten Bürger:innen zu und damit den Geist der Reform in die beraterische Praxis zu übersetzen.

Literatur

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Title:Reforming Germanys Basic Income Support – Results of an Online Survey of Job Centres

Abstract:The latest reform of Germanys means-tested basic income support does not only stand for a conceptual change, but claims to be a “fundamental further development” of the security system for the unemployed. The aim is to strengthen sustainable labour market integration and promote the qualification of jobseekers, but above all to fundamentally readjust the relationship between the welfare state and its citizens in need of support. The practical implementation is the task of the job centres. In advance, we analyzed their perspective on the reform via an online survey.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3344-8