Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Der russische Angriff auf die Ukraine hat in der Berliner Politik zu einem radikalen Umdenken geführt. Dieses erfasst nun auch das Verhältnis zu China. Das Außen- und das Wirtschaftsministerium haben durch zwei Non-Papers Argumente für eine Abkopplung von China in Umlauf gebracht. Der Entwurf des Außenministeriums ist eher gemäßigt. Man bleibt bei der Charakterisierung Chinas als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale, den sich die EU 2019 als strategischen Rahmen für das Verhältnis zu China vorgegeben hat. Doch gleichzeitig verschiebt man die Akzente weg von der Partnerschaft und hin zu Wettbewerb und zu systemischer Rivalität. Selbst Importstopps aus Regionen mit besonders massiven Menschenrechtsverletzungen werden in den Bereich des Möglichen gerückt. Nimmt man das beim Wort, so könnte z. B. die Behandlung der Uiguren-Minderheit in Chinas westlichster Provinz Xinjiang zu einem Importstopp für chinesische Waren führen – eine Maßnahme, die bei realistischer Betrachtung wohl kaum durchführbar wäre, wenn man bedenkt, dass China größter Importeur von Deutschland ist.

Das China-Papier des Wirtschaftsministeriums geht weiter. In einem „Backgrounder“ dazu schreibt der Berliner Tagesspiegel, dass das Ministerium mit einer Annexion Taiwans bis spätestens 2027 rechnet. Als Gegenmaßnahme schlägt das Ministerium unter anderem vor, den Fokus auf alternative Zukunftsmärkte wie Asien-Pazifik, Lateinamerika und Afrika sowie eine Neufassung der Außenwirtschaftsförderung zu legen. Die öffentlichen Reaktionen auf die Papiere reichen von „realistische Bestandsaufnahme der Herausforderung Chinas“ bis zu „ideologisch getriebene, inkompetente Chinapolitik“. Aus Sicht der deutschen Wirtschaft werden die Entkopplungsfantasien eher blauäugig, gar weltfremd erscheinen. Die Financial Times hat vor kurzem darauf hingewiesen, dass sich Europa durch den politisch gewollten Ausbau der Elektromobilität in neue Abhängigkeiten von China begibt, das zum größten globalen Anbieter der dafür erforderlichen Batterien aufsteigt. Und auch der beschleunigte Ausbau der Windenergie wird ohne Generatoren aus China nicht zu vertretbaren Kosten möglich sein.

Doch die Kritiker insbesondere des Entkopplungspapiers aus dem Wirtschaftsministerium müssen sich mit einem zentralen Argument auseinandersetzen: Wird Taiwan die nächste Ukraine? Sollte die Regierung in Peking sich dazu entschließen, Taiwan mit militärischen Mitteln gewaltsam in die VR China einzugliedern, dann muss man davon ausgehen, dass Deutschland gemeinsam mit den USA und anderen Verbündeten massive wirtschaftliche Sanktionen gegen China erlassen würde. Die USA würden von den europäischen Verbündeten die Solidarität einfordern, die sie ihrerseits beim russischen Angriff auf die Ukraine geleistet haben. Als größter europäischer Verbündeter könnte sich Deutschland dem nicht entziehen. Die Folge wäre ein rezessiver Schock von bisher ungekanntem Ausmaß. Ist es deshalb nicht besser, die Entkopplung von China jetzt schrittweise anzugehen, um diesem Horrorszenario zu entgehen?

Das Gegenargument „es wird schon nicht so schlimm kommen“ hat aktuell schlechte Karten, weil die Erfahrung mit Russland gezeigt hat, dass das Undenkbare eben doch eintreten kann. Trotzdem: Die China-Strategie der Bundesregierung oder gar der EU auf eine hypothetische Kriegsprognose zu gründen ist falsch, gerade dann, wenn man den Frieden wahren will. Fixiert man sich ausschließlich auf eine Militäroperation Chinas gegen Taiwan, so begeht man damit „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“, d. h. man nimmt freiwillig den wirtschaftlichen Schaden vorweg, der später möglicherweise eintreten könnte. Damit beraubt man sich des letzten wirksamen nicht-militärischen Instruments der Einflussnahme, um China zur Wahrung des Friedens zu bewegen. Ist man erst mal entkoppelt, dann gibt es noch weniger Gründe für China, sich militärischer Optionen zu enthalten. Und weiter: Die gegenseitige Entkopplung würde auch für China massive wirtschaftliche Probleme mit sich bringen. Schon jetzt ist die wirtschaftliche Lage in China schlecht, zum größten Teil durch die verfehlte Null-Covid-Politik. In einer Lage, in der die chinesische Regierung nur zwischen schlechten wirtschaftlichen Alternativen wählen kann, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Ausweg in Nationalismus und Militarismus sucht.

Der Bundeskanzler hat sich in einem aktuellen Aufsatz zur Zeitenwende in der US-Zeitschrift Foreign Affairs festgelegt: „Chinas Aufstieg ist weder eine Rechtfertigung für die Isolation Pekings noch für eine Einschränkung der Zusammenarbeit.“ In Zusammenhang mit dem Einstieg der chinesischen Reederei Cosco beim Hamburger Hafen hat er gezeigt, dass er der Zusammenarbeit mit China Gewicht beimisst. Wird es also darauf hinauslaufen, dass der Kanzler wieder ein Machtwort spricht? So einfach wird es leider nicht, denn das Verhältnis Deutschlands zu China lässt sich nicht von einem Tag auf den nächsten durch ein Machtwort des Kanzlers klären. Es steht zu befürchten, dass die deutsche Politik in dieser Frage unklar bleiben wird, geprägt von zentrifugalen Tendenzen in der Regierung. Für die deutsche Führungsrolle in Europa ist das kein gutes Vorzeichen.

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2022

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3335-9