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Da Russland ein bedeutender Produzent von Öl, Gas, Aluminium, Palladium und Nickel ist, hat die Unterbrechung der Lieferketten durch den Krieg die Rohstoffpreise in die Höhe schnellen lassen. Ölimportländer haben die steigenden Ölpreise bereits zu spüren bekommen. Russland exportiert auch die meisten Düngemittel. Der Krieg hat zu einem starken Preisanstieg bei Düngemitteln geführt. Russland und die Ukraine spielen eine wichtige Rolle auf den globalen Agrarmärkten. Sie sind weltweit die größten Getreideexporteure (Weltmarktanteil zusammen 30 %) und lieferten 73 % des weltweit gehandelten Sonnenblumenöls. In den letzten 30 Jahren sind die Ukraine und Russland zu wichtigen Getreidelieferanten für Europa, den Nahen Osten und Zentralasien geworden. Viele von Nahrungsmittelimporten abhängige Länder leiden unter Inflation, sozialen Notlagen, Hunger und Armut. Falls die Preise weiter steigen und die Versorgungslage sich weiter verschlechtert, wird es nicht lange auf sich warten lassen, bis neue Armutsrevolten oder Brotunruhen in fragilen Staaten aufbrechen.

Die weltweit auftretenden Versorgungskrisen sind nicht nur für die Bevölkerungen spürbar. Sie haben auch Implikationen für geostrategische Veränderungen. Russlands Vernichtungskrieg in der Ukraine wird die Weltlage grundlegend verändern. Dennoch ist Vorsicht für allzu schnelle Zuordnungen geboten, wonach Russland ein geächteter und niedergehender Staat sei. Obwohl die Weltgemeinschaft die Invasion der Ukraine als eine Verletzung des Völkerrechts gebrandmarkt hat, hat die russische Regierung Fürsprecher bzw. Dulder. 41 Länder verurteilten den Angriff nicht bzw. beteiligen sich nicht an den Sanktionen. Sie sind von besonderer Bedeutung, denn zu ihnen gehören die rohstoffreichen Länder Saudi Arabien und Angola, die Staaten mit großer Bevölkerung und/oder Nationen von strategischer Bedeutung wie Pakistan, Bangladesch, Iran und Vietnam. Sogar Mexiko geht auf Distanz zu den USA und den Westmächten. Entscheidend sind die beiden bevölkerungsreichsten Nationen China und Indien sowie Brasilien und Südafrika, sodass der vor kurzem noch totgesagte Club der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) einen deutlicheren Gegenpol denn je zu den Westmächten bildet.

Aber selbst wenn die chinesische Wirtschaft die USA im nächsten Jahrzehnt überholt und China sein Bündnis mit Russland festigt, werden beide zusammen nicht annähernd an die gemeinsame Wirtschaftskraft der USA, Europas und Japans herankommen. Darüber hinaus verfügen die USA und die EU gegenüber China und Russland über Machtvorteile durch Technologieführung, durch den US-Dollar als Leitwährung und weitgehend funktionierende Bündnisse.

Chinas, Indiens, Brasiliens und Südafrikas Unterstützung für Russlands Krieg in der Ukraine deutet einen sich seit Jahren anbahnenden Wandel in der internationalen Politik an und sollte zugleich als Vorbote für eine neue Weltwirtschaftsordnung angesehen werden. Nicht mehr Europa und der Atlantik bilden das Gravitationszentrum der Welt, sondern die BRICS und ihre Sympathisanten. Dort lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung (41 %) und dort wird ein Viertel des globalen Sozialprodukts erarbeitet.

China und Indien werden die wesentlichen Akteure für eine neue Weltordnung sein. China könnte im Verbund der BRICS eine Strategie der Entdollarisierung fahren. Würde es dem BRICS-Club gelingen, eine wirtschaftliche und militärische Gegenmachtposition zur EU und den USA zu entwickeln, könnte sich eine zweigeteilte Welthandelsordnung mit einem lose verbundenen Club demokratischer, marktwirtschaftlicher Länder und einem Club autokratischer und antiwestlicher Staaten herausbilden. Diese Zweiteilung der Welt kann mit zunehmendem Protektionismus und dem Verlust der Vorteile der internationalen Arbeitsteilung einhergehen. Dagegen steht allerdings, dass die drei Wirtschaftsmächte USA, EU und China wirtschaftlich extrem verkoppelt sind, sodass es offen bleibt, ob China wirklich diesen Weg gehen wird. Dies hängt davon ab, ob China den Westen als Wirtschaftspartner oder als Systemkonkurrent betrachtet, und inwieweit es dem Westen gelingt, die strategische Kooperation mit China und Indien auszuweiten, um gemeinsam die Globalisierung zu gestalten und Agenden für globale öffentliche Güter zu schmieden, beispielsweise im Kampf gegen die Klimakrise und die Weltarmut.

Die Weltlage hat sich durch die Invasion in der Ukraine grundlegend geändert. Der Krieg senkt das globale Wachstum. Die Versorgungskrise könnte Vorbote eines großen globalen Revirements sein. Der Westen hat noch Spielräume, aber viele Staaten, die sich in seinem Schlepptau befanden, haben sich abgewandt und suchen nach neuen Partnern – allen voran China und Indien, die wachstumsstärksten Länder.

© Der/die Autor:in 2022

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3144-1

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