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In den Meinungen zum Ukrainekrieg wird alles Mögliche thematisiert. Nur eines fehlt auffällig: Was ist eigentlich das Ziel der Unterstützung? Es sollte doch ein Verständnis darüber hergestellt worden sein, was letztlich erreicht werden soll. Das ist aber nicht zu erkennen. Stattdessen wird angekündigt, man würde und könne auf Jahre hinaus Waffen liefern (Spiegel, 2022), was zu zahlreichen zusätzlichen Toten, Verwundeten, Flüchtenden und vermehrter wirtschaftlicher Zerstörung führen wird. Dazu kommen die weltweiten Auswirkungen. Gerade hat ein UN-Bericht konstatiert, dass jetzt schon 1,7 Mrd. Menschen in 107 Ländern ernsthafte Schwierigkeiten durch mindestens eine der wichtigsten drei Kriegsfolgen haben werden: steigende Lebensmittelpreise, steigende Energiekosten, verschlechterte Finanzbedingungen (United Nations, 2022).

Gibt es eine Alternative? Jeffrey Sachs (2022) schlug folgende Leitlinien für eine mögliche Verhandlungslösung vor. Erstens müsse die Ukraine bei Kriegsende neutral bleiben und keinem Bündnis beitreten. Zweitens sei die Krim als faktischer Bestandteil Russlands zu akzeptieren, ohne dies deshalb pro forma legalisieren zu müssen. Es wäre damit einer der vielen eingefrorenen Konflikte, aber kein aktiver Kriegsgrund mehr. Und drittens sei dem Donbas Autonomie innerhalb der Ukraine zu gewähren, so wie es das Minsk-Abkommen eigentlich vorsah. Und weiter sollten noch konkrete Wiederaufbaupläne für die Ukraine Bestandteil eines möglichen Abkommens sein, organisiert vom IMF und von Russlands Devisenreserven mitfinanziert. Solche Überlegungen gelten in der gegenwärtigen Stimmung sicher als häretisch. Nur, wie dürfte der sonst zu erwartende Kriegsverlauf sein? Russland wird den Osten und Süden, in welchem Ausmaß auch immer, besetzen. Unterstützt von schweren westlichen Waffen wird die Ukraine mit hoher Wahrscheinlichkeit dagegen vergeblich anrennen. Das Bild, das sich aufdrängt, ist eine Version von Verdun. Ein Abnutzungskrieg, der von niemandem zu gewinnen ist und trotzdem nicht endet. Denn je mehr Ressourcen vergebens investiert werden, desto größer wird der Widerstand, diese Verluste als endgültig anzuerkennen. Stattdessen werden die nutzlosen Anstrengungen noch einmal gesteigert. In der Psychologie wird das als Sunk-Cost-Effekt diskutiert. Man kann sich vorstellen, welche Eskalationspotenziale ein sich hinziehender Stellungskrieg um den Donbas bedeuten könnte. Der Unterschied zum Ersten Weltkrieg ist nun aber, dass mehrere Atommächte direkt oder indirekt beteiligt sind. Der Bulletin of the Atomic Scientists (2022) hat deshalb seine berühmte Weltuntergangsuhr im März auf nur noch 100 Sekunden vor Untergang gestellt.

Aus der Eskalationsspirale im Ukrainekrieg herauszukommen, ist eine Aufgabe, die den Kriegsparteien und ihren jeweiligen Unterstützenden nicht alleine überlassen werden sollte. Der Sunk-Cost-Effekt macht das unwahrscheinlich. Dazu braucht es internationale Vermittler:innen mit Renommee und Glaubwürdigkeit der Neutralität. Als institutionelle Trägerin für einen solchen Prozess wäre die Vollversammlung der Vereinten Nationen denkbar. Die persönlichen Mediator:innen sollten dabei stark friedens- und/oder konsensorientiert, weltweit aktiv und nicht durch andere Involviertheit politisch verbrannt sein. Unbelastet und deshalb geeignet wäre z. B. ein Verhandlungskomitee aus dem (argentinischen) Papst, der (bulgarischen) geschäftsführenden Direktorin des International Monetary Fund, der (nigerianischen) Leiterin der World Trade Organisation, dem (chinesischen) Generaldirektor der Food and Agriculture Organisation of the United Nations. Damit wäre nicht nur dem christlichen Hintergrund beider Kriegsparteien Genüge getan, sondern auch eine Repräsentanz der größten Kontinente und mit den Konfliktauswirkungen stark beschäftigten UN-Organisationen gegeben. Bei einem drohenden Atomkrieg mit weltweitem Zerstörungspotenzial und jetzt schon spürbaren Auswirkungen etwa in der Lebensmittelversorgung ist eine Lösung im allgemeinen globalen Interesse, die nicht von Europa plus den USA exklusiv gestaltet werden sollte. Dazu ist an Geschlechterparität gedacht. Denn schon die hierin eher trägen Vereinten Nationen haben erkannt, dass Kriege zu wichtig sind, als dass man ihre Beendigung alleine Männern mit ihrer Neigung zu einem gewissen toxischen Handeln anvertrauen könnte (UN Women, 2022). Das wäre doch einmal der Mühen einer grünen Außenministerin mit der Agenda einer feministischen Außenpolitik wert, statt ständig nur neue Waffenlieferungen begründen zu müssen.

Literatur

Bulletin of the Atomic Scientists (2022), Bulletin Science and Security Board condemns Russian invasion of Ukraine; Doomsday Clock stays at 100 seconds to midnight, 7. März.

Sachs, J. (2022), Time to Talk Peace Terms with Russia, 28. März, https://www.jeffsachs.org/newspaper-articles/tf254689wm56gbyp8gx6bgwjzl3wxm (22. Apil 2022).

Spiegel (2022), 8. April, https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-krieg-nato-fuer-jahrelange-waffenlieferungen-an-ukraine-bereit-a-e9f2127f-3472-4911-b15e-dcb13a4bf451 (22. April 2022).

UN (2022), Global Crisis Response Group on Food, Energy and Finance.

UN Women (2022), https://www.unwomen.de/informieren/frauen-und-ihre-rolle-in-friedensprozessen/die-resolution-1325-mit-der-agenda-frauen-frieden-und-sicherheit.html (22. April 2022).

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3177-5