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Die deutsche Wirtschaft ist nach ersten Angaben des Statistischen Bundesamts trotz Corona-Lockdowns, gestörter Lieferketten und Ausbruch des Ukrainekriegs mit einem leichten Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in das erste Quartal 2022 gestartet; gegenüber dem Vorquartal stieg das BIP preis- und saisonbereinigt um 0,2 %. Allerdings weist das Statistische Bundesamt auch auf die erhöhte Revisionswahrscheinlichkeit in solch krisenhaften Situationen hin. Dabei fällt zunächst auf, dass zu diesem Anstieg nicht zuletzt ein sehr hoher „Wachstumsbeitrag“ der Vorratsveränderungen, nämlich in Höhe von 1,2 %, beitrug. Die Vorratsveränderungen sind im ersten Moment eine Art „statistische Restgröße“, die später auf die einzelnen Nachfrageaggregate „aufgeteilt“ wird, sie birgt aber auch erhebliches Revisionspotenzial. Des Weiteren ist die Industrieproduktion im März, dem ersten Monat nach Ausbruch des Ukrainekriegs, bereits deutlich gesunken. Und nicht zuletzt haben sich die meisten Wirtschaftsklimaindikatoren deutlich eingetrübt. Gepaart mit den auch durch vorgenannte Störfaktoren bedingten Inflationsproblemen wurde so die für dieses Frühjahr erwartete Erholung der deutschen Wirtschaft ausgebremst. Stark gestiegene Energiepreise, aber auch andere Rohstoff- und Lebensmittelpreise haben zu einem inflationären Anstieg der Verbraucherpreise geführt. Den Arbeitsmarkt hat das alles bislang nicht belastet, vielmehr hat die Zahl der Erwerbstätigen ebenso wie die der Arbeitslosen inzwischen wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht. Dazu hat wohl auch beigetragen, dass die Beschäftigung in jenen Branchen, die von den Aufhebungen der Coronabeschränkungen profitierten, ausgeweitet wurde.

Abbildung 1
Reales Bruttoinlandsprodukt

Saison- und arbeitstäglich bereinigt

Reales Bruttoinlandsprodukt

1 Veränderung in % gegenüber dem Vorquartal, auf Jahresrate hochgerechnet, rechte Skala.  2 Zahlenangaben: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %.

Quelle: Statistisches Bundesamt; ab 2. Quartal 2022 Prognose des HWWI.

Der Ukrainekrieg mit seinen Sanktionen hat zu erheblichen Preissteigerungen und Handelseinschränkungen geführt. Neue Lockdowns in China und vor allem in dessen Seehäfen haben die Lieferkettenprobleme verstärkt und ebenfalls zu dem inflationären Preisanstieg beigetragen. Und diese Preisanstiege auf fast allen Ebenen – im Mai betrug die Inflationsrate auf der Verbraucherstufe 7,9 %, auf den vorgelagerten Stufen war sie meist zweistellig – dämpfen die reale Kaufkraft der Konsumierenden und dürften so manches Bauvorhaben erst einmal verhindern, zumal die Zinsen zu steigen begonnen haben. Die durch den Ukrainekrieg aufgezeigten Abhängigkeiten haben in der Wirtschaft auch zu entsprechenden Überlegungen in Bezug auf China geführt – das Wirtschaftsministerium hat bereits die Absicherung eines größeren Investitionsvorhabens in China verweigert – und dürften bei manchen Unternehmen tendenziell die Investitionsneigung dämpfen. Positive Impulse kommen in dieser Situation, in der die deutsche Wirtschaft in einen Krisenmodus übergegangen ist, nicht zuletzt von staatlicher Seite, sei es durch finanzielle Unterstützungszahlungen an private Haushalte und Unternehmen oder durch staatliche Konsum- und Investitionsausgaben. Unter all diesen Bedingungen wird die nach weitgehender Aufhebung des Corona-Lockdowns erwartete Zunahme des realen BIP im laufenden zweiten Quartal 2022 allenfalls schwach ausfallen.

Tabelle 1
Eckdaten für Deutschland
Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr
  2020 2021 2022 2023
Bruttoinlandsprodukt1 -4,6 2,9 1,7 2,5
Private Konsumausgaben -5,9 0,3 3,0 1,4
Staatliche Konsumausgaben 3,5 2,9 0,5 1,0
Anlageinvestitionen -2,2 1,1 1,3 4,0
Ausrüstungen -11,2 3,3 1,5 7,7
Bauten 2,5 0,0 1,7 1,4
Sonstige Anlagen 1,0 0,7 0,0 4,3
Inlandsnachfrage -4,0 2,3 2,0 2,0
Ausfuhr -9,3 9,6 4,0 5,8
Einfuhr -8,6 9,1 5,0 5,2
Arbeitsmarkt        
Erwerbstätige -0,8 0,0 1,3 0,4
Arbeitslose (in Mio.) 2,70 2,61 2,32 2,27
Arbeitslosenquote2 (in %) 5,7 5,5 4,9 4,8
Verbraucherpreise 0,5 3,1 6,7 2,7
Finanzierungssaldo des Staates (in % des BIP) -4,3 -3,7 -1,6 -0,8
Leistungsbilanzsaldo3 (in % des BIP) 7,2 7,5 5,9 6,6

1 Preisbereinigt.  2 Arbeitslose in % der inländischen Erwerbspersonen (Wohnortkonzept).  3 In der Abgrenzung der Zahlungsbilanzstatistik.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Deutsche Bundesbank; Bundesagentur für Arbeit; ab 2022 Prognose des HWWI.

Die unsichere geopolitische Lage und die aktuellen Probleme sorgen in der nächsten Zeit für große Unsicherheit auf allen Ebenen. So ist in den kommenden Monaten mit einer gewissen Zurückhaltung bei Investitions- und Kaufentscheidungen zu rechnen, zumal der starke Preisauftrieb auch die reale Kaufkraft vermindert. Überdies besteht das Risiko, dass die genannten Krisenfaktoren weiter eskalieren könnten. Das gilt insbesondere für einen etwaigen Stopp russischer Öl- und Gaslieferungen oder für länger anhaltende Lockdowns in China; beides hätte sowohl reale wie auch inflationäre Auswirkungen. Ein solches Szenario wird für die im Folgenden beschriebene Prognose zunächst nicht unterstellt. So sollten nach dem Wegfall der Corona­beschränkungen die davon am stärksten betroffenen Wirtschaftsbereiche, wie Gastronomie, Tourismus- und Unterhaltungsbranchen, und damit die deutsche Wirtschaft insgesamt neue Impulse bekommen. Deshalb wird davon ausgegangen, dass der Aufholprozess sich in der zweiten Jahreshälfte fortsetzt, wenn auch mit geringerer Dynamik als insbesondere noch vor dem Ukrainekrieg erwartet.

Auch wenn die privaten Haushalte auf der einen Seite ihre während der Coronazeit ausgeprägte Kaufzurückhaltung zu lockern begonnen haben – die Sparquote ist schon beinahe wieder auf das Vor-Corona-Niveau gesunken –, wird die Inflation deren Kaufkraft mindern, sodass der private Konsum real langsamer zunehmen wird. Auf Unternehmensseite wird die Investitionsbereitschaft durch die neuen geopolitischen Unsicherheiten tendenziell gedämpft. Lediglich die öffentlichen Ausgaben werden im Zuge der Finanzhilfen im Zusammenhang mit der Ukrainekrise und der von der Regierung angekündigten Investitionen, sei es für die Umwelt oder für die Bundeswehr, merklich ausgeweitet. Die Exporte werden bei moderat wachsender Weltwirtschaft zunehmen, werden aber durch die Sanktionen gegenüber Russland und wahrscheinlich auch vorsichtigeres Agieren gegenüber China beeinträchtigt. Da der erwartete Nach-Corona-Aufholprozess alles in allem nicht ganz so dynamisch sein wird, wird das jahresdurchschnittliche Wirtschaftswachstum für 2022 lediglich 1 ¾ % betragen. Vorausgesetzt, es kommt nicht zu einer Eskalation der beschriebenen Krisenfaktoren, dürften sich einige der durch Corona bedingten Nachholeffekte ins Jahr 2023 verschieben. Dies, ein statistischer Überhang zur Jahreswende 2022/2023 und eine Minderung der geopolitischen Anspannungen könnten dann im Jahresdurchschnitt 2023 zu einem etwas höheren Wirtschaftswachstum von 2 ½ % führen. Bei weiterer Eskalation der Krisenprobleme würde der Erholungsprozess allerdings weiter verschleppt. Alles in allem haben Coronapandemie und geopolitische Verwerfungen selbst bei diesem aus heutiger Sicht relativ positiven Szenario zwischen 2019 und 2023 – gemessen am mittelfristigen Potenzialpfad – eine Wachstumseinbuße von schätzungsweise 3 ½ % bewirkt.

Der Arbeitsmarkt sollte sich zunächst weiter stabil entwickeln. Steigende Beschäftigung in den von den Coronabeschränkungen befreiten Branchen dürften Beschäftigungsrückgänge in den von den aktuellen Problemen betroffenen Branchen ausgleichen. Insofern ist auch trotz verlangsamten Wachstums nicht mit zunehmender Arbeitslosigkeit zu rechnen. Die Inflationsrate für die Verbraucherpreise wird sich ab Mitte 2022, wenn nicht neue externe Preisanstöße kommen, allmählich zurückbilden. Ende dieses Jahres könnte sie sich der 6 %-Marke nähern. Beruhigt sich die geopolitische Lage, ist bei teils wieder sinkenden Weltmarktpreisen für Energie- und andere Rohstoffe auf mittlere Sicht auch ein deutlicherer Rückgang der Inflationsrate zu erwarten. Dann könnte sie sich im späteren Jahresverlauf von 2023 sogar wieder der Stabilitätsmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2 % annähern. Als Risikofaktoren diesbezüglich bleiben die Entwicklung der Energiepreise, die nicht zuletzt von der geopolitischen Entwicklung abhängt, und die künftige Lohnentwicklung. Die bisherigen Preissteigerungen sind primär extern verursacht. Geldpolitische Restriktionen helfen dagegen nur bedingt und hätten auch ungewünschte reale Wirkungen. Allerdings steigt der Druck auf die EZB, zumal die US-amerikanische Zentralbank, die Fed, vorgelegt und weitere Zinsanhebungen angekündigt hat. Eine Straffung der Geldpolitik durch die EZB würde erst einmal bedeuten, dass die Anleihekäufe reduziert und die Negativzinsen abgebaut würden. Das wäre aufgrund der sich ausbreitenden Inflationserwartungen sowie bei zunehmenden Lohnforderungen durchaus angezeigt. Die deutschen Tarifvertragsparteien haben allerdings nach den Erfahrungen aus den Ölkrisen der 1970er und 1980er Jahre mit ebenfalls außerordentlichen Energie- und Verbraucherpreissteigerungen bereits in jüngeren Krisen Augenmaß gezeigt.

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© Der/die Autor:in 2022

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Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.

DOI: 10.1007/s10273-022-3222-4

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